Europa, Polen

Eine Radtour, die ist schön – Festivalstadt Sopot

Ich trete fleißig in die Pedale. Überhole die Langsamen, mache den Schnelleren Platz. Hinter mir sehe ich meine Mama. Auch sie tritt fleißig in die Pedale. Den Wind im Gesicht bewegen wir uns durch den Park, verlassen den Strand, lassen die Grünfläche hinter uns. Nur noch ein schmaler Streifen Radweg führt uns entlang der Küstenlinie.

Wie lange bin ich nicht mehr Fahrrad gefahren? Lang, lang ist es her. Doch in meiner Kindheit, da waren tägliche Kilometer Schulweg etwas Alltägliches. Und heißt es nicht immer so schön: wenn man einmal Radfahren lernt, verlernt man es nie wieder? Nun, zumindest purzelt keine von uns vom Fahrrad. Im Gegenteil, die Kilometer fliegen nur so an uns vorbei. Ich hatte völlig aus dem Blick verloren, wie schnell man sich auf diese Weise bewegen kann. Zwei Kilometer, drei, sechs. Immer weiter entfernen wir uns von der Anlage. Schließlich kommen wir in Sopot an. Bis zum berühmten Sopoter Pier waren es sechs Kilometer.

 

Sopot

In einem ausladenden, grünen Park halten wir an. Es ist wenig los zur frühen Stunde. Dennoch haben die fliegenden Händler ihre Stände bereits aufgebaut und ihre Waren ausgebreitet. Vor allem kann man Bernstein erstehen, doch auch alle Arten an Souvenirs wie polnische Haushaltswaren, gehäkeltes, geschnitztes und polnische Spezialitäten. Eine weitere, verhältnismäßig günstige Möglichkeit, um uns mit Bernstein einzudecken, dessen Preise in Danzig in schwindelerregende Höhen klettern.

Doch zunächst haben will das Problem „Fahrradparkplatz“ gelöst werden. Mit dem Rad unterwegs zu sein ist in Polen zur Zeit schwer in Mode. Entsprechend viele der Drahtgestelle stapeln sich in Parks und am Wegesrand. Schließlich, nachdem wir den halben Park samt Fontäne einmal umrundet haben, finden wir eine halbwegs legale Lösung. Und hoffen, die Räder werden nicht abgeschleppt. Da lässt man schon sein Auto stehen und schlägt sich dennoch mit den gleichen Problemen herum. Sobald geparkt, stellen die Räder keine Last mehr dar und wir fühlen uns freier. Mit der neu erworbenen Unbeschwertheit stürzen wir uns in den Konsumrausch.

Der Kur- und Badeort Sopot bildet zusammen mit den Großstädten Danzig und Gdynia eine sogenannte Dreistadt. Im Gegensatz zu den anderen beiden Orten ist der Tourismus in Sopot eine entscheidende Einnahmequelle. Die Grünanlagen entlang der Küste werden von Häusern in Bäderstil flankiert, wunderschönen Villen mit hölzernen Vorbauten aus dem 20 Jahrhundert. Die größte Attraktion des Ortes ist der Pier, eine Seebrücke, die ganze fünfhundert Meter weit ins Meer ragt und an deren Ende sich ein Restaurant befindet. Der Zutritt kostes Geld; dennoch möchte ein jeder mindestens einmal auf dem berühmten Molo, der längsten hölzernen Seebrücke an der gesamten Ostsee, spazieren gehen. Ich löse uns an einem der offenen Kassenhäuschen Tickets ein. Wir spazieren entlang bis zum Restaurant und wieder zurück. Joah. Hat man mal gesehen. Beim Hinausgehen bin ich froh, so früh da gewesen zu sein, denn die Schlangen vor den Kassenhäuschen erreichen nun ungeahnte Längen.

Die 1927 erbaute, weiß gestrichene Seebrücke misst stolze 511,5 Meter und soll laut manchen Quellen (u.a. Polen Travel) sogar die längste Seebrücke ihrer Art in Europa sein. „Ihrer Art“ bedeutet in dem Fall: hölzern. Gar nicht hölzern hingegen sind die Konzerte, welche hier jedes Jahr stattfinden. Sopot ist vielen Polen ein Begriff, vor allem im Zusammenhang mit dem alljährlich im August stattfindenden, großen Sopot-Festival. Dieser findet jedoch nicht auf dem Pier, sondern ein Stück weiter auf der Waldbühne statt, die Platz für ganze viertausend Besucher bietet.

Auf unserem weiteren Weg kommen wir an hübschen, auf alt geschnitzten Holzhütten vorbei. Der Stil und das Internier soll an die Berge und den gemütlichen Charme einer Berghütte erinnern. In einem solchen Karczma (Wirtshaus) lassen wir uns nieder. Was mir wiederum die Gelegenheit gibt, mein Polnisch im Gespräch mit Fremden aufzufrischen. Drinnen ist alles aus groß gehauenem Holz gefertigt, und an den Wänden hängen Folklore-Bilder der Górale, wie die Bergmenschen in der polnischen Tatra genannt werden. Einerseits mag ich es, andererseits empfinde ich es als unpassend, hier an der Ostseeküste.

Beim Aufgeben unserer Bestellung beginne ich zu deutscheln. Wie deutschelt man denn? Na, indem man Dinge sagt, die zwar an sich grammatikalisch in Ordnung sind, die aber in der polnischen Umgangssprache keinen Sinn ergeben. Indem man zum Beispiel einen Pott Kaffee mit Umdrehungen bestellt. Das Gesicht des jungen Barkeepers gleicht dem einer Kuh, wenn’s blitzt. Du bestellst in Polen kein Getränk mit „Umdrehungen“. Du bestellst auch keines mit „Schuss“. Was dann? Du bestellst deinen Pott Kaffee mit Strom. Aha!

 

Am Meer

Schmale Radwege führen uns weiter, immer die Küstenlinie entlang. Manchmal zweigt der Weg ab, und wir fahren an Ausläufern größerer Orte vorbei. Hier finden sich nicht mehr so viele andere Radfahrer, denn die touristischen Spots haben wir hinter uns gelassen. Bei einem steileren Abschnitt verliert eines der Räder seine Kette. In einer Spontanaktion schiebe ich sie mit einem Kugelschreiber wieder an Ort und Stelle. Der Kugelschreiber ist danach nicht mehr zu gebrauchen, aber wir können weiter fahren.

Bis es nicht mehr geht. Der schmale Radweg endet irgendwo im Sand, an einem Strand nahe Orłowo. Diese kleine Bucht mit ihrem weißen Strand, dem sanft blauen Wasser und dem morschen Stück Holz erinnert an die Karibik, ein Bisschen nur. Hier ist schieben angesagt. Vielleicht ein Zeichen des Himmels, um wieder nach Hause zu radeln, doch ich bin noch nicht fertig mit dem Ausflug. Ich parke die Räder und meine Mama an einem großen Baumstamm mitten am Strand und mache mich zu Fuß auf in Richtung des Piers von Orłowo, den wir vom Strand aus sehen können.

Der Pier ist nicht ganz so lang und nicht ganz so breit wie der in Sopot. Doch für mich um einiges schöner. Verstärkt wird dieser Eindruck von den schönen, runden, altmodischen Laternen und einem Eiswagen, der sich hier strategisch günstig positioniert hat.

Vom Pier aus hat man den Ausblick auf eine Steilküste, die Orłowo Klippen. Sie wird hier als Sehenswürdigkeit gelistet, doch spektakulär sieht sie nicht aus. Ein Teil der Steilküste muss bei Gewittern und Stürmen bereits abgebrochen und ins Meer gekracht sein, doch noch immer zieht sie Menschen an, die so etwas noch nicht gesehen haben. Ich mache mein obligatorisches Foto. Das ist das schwere los eines Reisenden. Wir, die wir die Welt bereits gesehen haben, mit fremden Völkern sprachen und mit Tigern und wilden Elefanten kämpften, uns kann so leicht nichts mehr beeindrucken. Schon gar nicht ein Abschnitt „Steilküste“, der eigentlich schon zur „Flachküste“ wird. In seichtem Wasser vor dem Pier plantschen Schwäne und Wildenten.

Ich schlendere über den Pier, ich schlendere am Strand entlang. Viel Zeit lasse ich mir nicht. Da sitzt noch immer der Gedanke an meine Mutter im Hinterkopf und daran, dass sie, geparkt am Strand, auf mich wartet. Also wate ich schlendernd die Meereslinie entlang, picke ab und zu eine Muschel oder ein Steinchen auf. Eigentlich will ich noch nicht zurück, aber es wird Zeit. Ich nehme mir vor, am Folgetag einen Radausflug alleine entlang der Küste zu machen. Ich will nach Gdynia, die mit Danzig und Sopot die sogenannte Dreistadt bildet.

Am Strand angekommen sehe ich meine Mutter von Weitem. Sie lehnt am Stamm, so wie ich sie verlassen habe. Und auch die Räder sind noch da. „Na, hat man dich nicht geklaut?“ Frage ich und präsentiere stolz meine gesammelten Muscheln und Steinchen.

„Gut, dass du da bist.“ Sagt sie. „Mir wurde schon langweilig.“

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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7 Kommentare

  1. So isses!

  2. Was für ein grandioser Himmel auf dem Titelfoto! Richtig klasse! Ja, das Gerücht, man verlerne das Radfahren nie, wenn man es einmal beherrscht hat, stimmt wohl. Du hast es ja auch eindeutig bewiesen. Jedenfalls sehe ich keine Stützräder an den Seiten 🤣. Wegduck … Dass es da in Küstennähe an Abstellplätzen für Drahtesel mangelt, überrascht mich allerdings schon. Das sind doch die klassischen Orte, an denen alle Welt Fahrrad fährt, auch der Teil, der es zuhause eher nicht tut. @Konsumrausch: und ewig lockt der Bernstein 🤣.

    Der Kurort macht einen richtig schönen Eindruck. Die Architektur ist beeindruckend! Du schreibst, dass du dein Polnisch im Gespräch mit Fremden aufgefrischt hast. Sprichst du mit deiner Mutter denn deutsch? Jedenfalls war der Kaffee mit Strom sicher lecker!

    Ja, das schwere Los der viel Gereisten lastet auch schwer auf meinen Schultern. Es wird immer schwieriger, sich beeindrucken zu lassen, je mehr man schon gesehen hat. Und es muss immer spektakulärer werden 🙈.

    1. Sopot habe ich selbst als „ganz nett“ empfunden; da ich aber nicht so der Architektur-Fan bin, hat es mich nicht aus den Socken gehauen. In Polen hat das Wandern keine so lange Tradition wie hier, dafür ist das Radfahren gerade schwer in Mode. Und die Idee „wir mieten uns mal ein Fahrrad“ hatten nicht nur wir zwei. Der Herr mit seinen dürftig aufbereiteten Fahrrädern macht sicherlich jedes Jahr den Umsatz seines Lebens.

      Meine Mama und ich sprechen Polnisch, allerdings entwickelt sich die Sprache ja weiter. Da meine Mama wenig Kontakt mit Menschen außerhalb hat, kriegt sie viele „neueren“ Ausdrücke (neu: nach den Neunziger Jahren in Sprachgebrauch gekommen…) gar nicht so mit. Meine eigenen Sprachkenntnisse bewegen sich auf dem Niveau einer belesenen Zwölfjährigen in den Neunzigern. Was umgangssprachlich „Ladegerät“ heißt oder wie man im Lokal aufrundet… das gab schon lustige Situationen. Es ist immer gut, viel unter Menschen zu sein, um an der Sprache dran zu bleiben, sonst verliert man irgendwann den Anschluss.

      1. Sch, spannend! Ja, kann ich mir gut vorstellen, dass dann irgendwann auch die eigene Muttersprache fremder wird.

        1. Spannend ist, dass sich tatsächlich auch das Muskelgedächtnis der Zunge verändert, weshalb die Aussprache ohne kontinuierliches Training ungewohnt wird. Der Mensch ist eben ein anpassungsfähiges Wesen und verlernt, was er nicht braucht 😉

  3. Schön zu lesen, dass du die Freuden des Radfahrens wiederentdeckt hast, Kasia. In letzter Zeit bin ich viel mehr Rad gefahren als zu Fuß (was ich früher auch oft gemacht habe). Wie Sie sagen, verändern sich die Landschaften mit dem Fahrrad schneller und man kommt viel weiter als zu Fuß. Radfahren erfreut sich auch hier in Belgien großer Beliebtheit und es wird kontinuierlich ein System ruhiger Radwege zur Erholung und Radautobahnen für Pendler gebaut.

    1. Vielen Dank, Rudi, Das Radfahren habe ich nicht wirklich wiederentdeckt, aber ich kenne die gut ausgebauten Radwege von Belgien ebenso wie die freundlichen Menschen. In Polen sind die Radwege ebenfalls gut ausgebaut, dafür sind Wanderwege Deutschlands Stärke. So findet man überall was für sich 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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