Barcelona, Juni 2016
Unser Hostel verfügt über eine ausladende Dachterrasse. Hier haben wir es uns beide nun mit Melonenstücken und kaltem Bier gemütlich gemacht. Das Hostel ist auf einer Anhöhe gelegen, und so haben wir von hier aus den Blick über die sonnenbeschienene Stadt. Man hört Schreie der Möwen weit über unseren Köpfen, doch keine traut sich zu uns hinab. Ab und an dringt das Miauen einer Katze von irgendwoher zu uns hoch. Die Dachterrasse liegt momentan schattig, denn die Sonne steht schräg, und ein leichter Wind verbreitet eine angenehme Kühle, doch die Stadt zu unseren Füßen ist in goldenes Licht getaucht. Es ist nun… (Blick auf die Uhr…) 20:15 Uhr.
Gestern, Freitag Abend also kamen wir in Barcelona an; nachdem wir uns im Hostel eingefunden hatten, legte sich Stefan zu einem kleinen Nickerchen hin. Da jedoch das besagte, „kleine“ Nickerchen bereits mehrere Stunden andauerte und sich der Zeiger der Uhr so langsam 17 Uhr näherte, fing ich langsam an, mir Sorgen zu machen, ob ich heute überhaupt noch etwas anderes zu sehen bekommen würden als unser Zimmer und den schnarchenden Mann in meinem Bett.
Das gleichmäßige Schnarchen breitete sich stetig im kleinen Raum aus und durchschnitt die Stille. Ich setzte mich geräuschvoll auf den Rand des Bettes. Wie aus Protest gegen die Ruhestörung wurde das Schnarchen lauter, dann brach es abrupt ab; Stefan öffnete die Augen, blinzelte kurz, sah mich dann an. „Wieviel Uhr ist es?“
„Gleich fünf, mein Schatz.“
„Ähm… ich sollte wohl aufstehen?“
„Ja, so langsam schon.“
„Okay.“ Er hatte sich auf den Ellbogen gestützt und nun sah ich, wie sich seine Augenlider verdächtig senkten.
„Denk gar nicht erst daran.“ Sagte ich. „Wolltest du nicht aufstehen?“ Er machte eine wedelnde Handbewegung. „Hebe dich hinfort, böser Geist…“
„Und du hebe dich endlich vom Bett fort!“ Schwerfällig und murrend erhob er sich und tapste ins Bad.
Der Aufstieg war mühsam.
Die Gassen und Bürgersteige waren steil, und Reihe um Reihe führten Treppen immer weiter nach oben. Wir waren unterwegs zum Parc de Montjuïc.
Es waren außer uns nur wenige Menschen zu sehen. Wir blieben öfter stehen, denn immer wieder eröffnete sich uns ein neuer, schöner Ausblick über die Stadt. Wir kamen immer höher. Nachdem wir die Häuser und Gassen hinter uns gelassen haben, erreichten wir einen schattigen Park. Doch es ging weiterhin stetig nach oben. Eine breite Treppe führte uns unaufhaltsam aufwärts, und es war kein Ende abzusehen, denn mit jeder bereits erreichten Ebene zeigte der prüfende Blick dem Wanderer, dass sich vor uns immer noch eine weitere Treppenreihe auftat.
Immer wieder waren streunende, verwilderte Katzen zu sehen, die, auf Beute lauernd, durch die Gebüsche streiften. Die Augen dieser Katzen sagten ganz deutlich aus: Ich bin kein Haustier. Ich bin ein Raubtier. Und nein, ich lasse mich nicht streicheln.
Stefan merkte an, das erinnere ihn an mich, „Wie ein Puma, dem man Pfeffer in den Hintern gestreut hat.“ Meinte er breit grinsend. „Genauso fauchend.“
Irgendwann war der steile Aufstieg zu Ende und wir kamen an einer belebten Straße an. Auf der anderen Straßenseite lag die Seilbahn, besser gesagt: die Haltestelle mit einem Verkaufsschalter für die Tickets. Acht Euro kostete so ein Ticket für einen Erwachsenen. „Ist es nur für eine Richtung, oder für hin und zurück?“
„Ich weiß es nicht!“ Knurrte Stefan. Oha, dachte ich, der Anstieg hat bei ihm seine Spuren hinterlassen.
Doch der Preis von acht Euro war für eine ganze Rundfahrt gültig, wie sich dann gleich herausstellte. Wir stiegen in die kleine, verglaste Kabine, die sich, ohne wirklich anzuhalten, mit geöffneten Glastüren langsam und stetig an uns vorbei bewegte. Mit uns zusammen stieg noch ein junges, japanisches Pärchen ein.
Die Seilbahn ruckelte los, und kam langsam aus dem Tunnel ins freie. Das war der Moment, in dem der Bodenkontakt aufhörte und sich die Kabine, nur noch oben am Seilzug befestigt, nach unten hin im Freien befand und ganz leicht vor sich hin schaukelte. Wir fanden uns hoch oben über der Stadt, links und hinter uns das schönste Panorama Barcelonas, das man sich vorstellen kann, in sanftes Sonnenlicht getaucht. Aus der einheitlichen, sandsteinfarbenen Masse der Häuser traten die Sehenswürdigkeiten umso stärker hervor. Sacra da Familia sah von weitem aus wie eine an der Nordsee erbaute Sandburg. Wir alle machten Bilder, und das japanische Mädchen quickte vergnügt vor sich hin. Ab und an hörte man die begeisterten „achs“ und „ochs“ der beiden.
Oben am Castel de Montjuïc stiegen wir aus. Die Burganlage nahm eine enorme Fläche ein und auf der Rückseite der Burgmauern befand sich ein großflächiger Park. Links von uns, gegenüber der Brücke, die in das Burginnere führte, stand ein Container, der Eintrittskarten verkaufte, mit einer Schlange an Touristen davor.
Der Eintritt zur Burg interessierte uns freilich nicht. Von hier aus hatte man einen fantastischen Blick über das Meer und die Hafenanlage mit ihren Segelbooten und Yachten, die das azurblaue Wasser durchstreiften. Der Ausblick war fantastisch und reichte bis hin zum Horizont, links die goldenen Häuser der Stadt, die sich bis ans Wasser zogen. Die Horizontlinie war mit schmutzig grau-gelben Dunst behangen, der sich wie ein Band am Wasser entlang ausbreitete. „Smog.“ Sagte Stefan. „Von den Schiffen.“ Wir blieben eine ganze Weile. Dies hier war ein sehr beliebter Anziehungspunkt für Touristen, entsprechend viele wuselten auch hin und her. Jeder wollte ein Foto vor dem schönen Panorama. Man konnte sich an dem Meeresblick einfach nicht satt sehen.
Auf dem Weg zurück überquerten wir wieder die belebte Straße und gingen den Bürgersteig entlang bis hin zu den vielen Treppen, die nun glücklicherweise abwärts führten. Die Luft war angenehm frisch und der Wind brachte Blütenduft mit sich.
Schon als wir an der Burg vorbei zurück zur Straße liefen, stolperte ich immer mal wieder über das unwegsame Gelände. Die Wege waren mit Pflastersteinen ausgelegt, und hier und da klafften Lücken, auf die man lieber zu achten hatte. Bereits beim Aufstieg fielen mir die vielen Steigungen und Unebenheiten auf. Ich war gekleidet mit einem luftigen Kleid und Schuh mit Absatz. Doch wo der Absatz beim aufsteigenden Gelände sogar hilfreich war (er glich den Höhenunterschied aus), machten die Schuhe den Abstieg umso steiler. Schon auf den mit Pflastersteinen ausgelegten Hof musste mich Stefan ein ums andere Mal auffangen. Ich sah mich unauffällig um und musterte die anderen Frauen, doch ich sah keine einzige, die mit einem hohen Absatz hier herumlief – bis auf mich. Die Mädels waren schön gekleidet, sie trugen durchaus Kleider und Röcke – doch der Schuh war immer flach. Es waren mehr eine Art römischer Sandalen, die sie an den Füßen hatten.
Aber es half jetzt alles nichts, ich machte gute Miene und legte ein Gesicht auf, das besagen sollte, ich hätte meinen Lebtag lang nichts anderes getan als mit High Heels über Berge und Täler zu steigen.
Die vielen Treppen nach unten meisterte ich noch einigermaßen gut. Doch die Steigung, die danach kam, war so steil, dass sich das, was beim Aufstieg noch so hilfreich war, nun als Fluch erwiesen hatte; die Absätze machen den Abstieg umso steiler und schoben mich vorwärts wie eine unsichtbare Hand. Ich hielt mich zaghaft am Geländer fest und das „ich steige mit High Heels über Rampen“- Gesicht wird sich inzwischen auch in Luft aufgelöst haben.
Spät abends gehen wir essen.
Auf der Suche nach einem guten Lokal kommen wir nicht weit, denn schon das erste, an dem wir vorbei gehen, lockt mit exquisitem Essen und toller Atmosphäre. Es ist das „Xemei„. Das Lokal sieht voll aus, alle Plätze scheinen belegt zu sein. Doch schon nach einem kurzen Moment findet sich ein Tisch für uns zwei. Innen ist es urig eingerichtet, und die Kellner laufen emsig hin und her und versuchen, den Gästen ihre Wünsche an den Augen abzulesen.
Ich bestelle Spaghetti mit Tintenfisch, dazu Weißwein. Als mein Teller kommt, mit der pechschwarzen Pasta und passender Sauce angemacht, fühle ich mich in der Zeit zurückversetzt und an Murano erinnert. Dort hatte ich einmal auch so etwas vergleichbares gegessen, und es war himmlisch gewesen.
Das Gericht schmeckt köstlich „Magst mal probieren?“ Frage ich Stefan, doch auch diesmal schaut er mit einer gewissen Skepsis auf meinen Teller und verneint dankend.
Nach dem Hauptgang kommt als Nachspeise eine Käseplatte mit Früchten. „Fangt bei den Käsesorten rechts an“, sagt die Kellnerin; „und endet mit diesem hier.“ Die Käsesorten sind ausgewogen aufeinander abgestimmt und die eingelegten Früchte passen erstaunlich gut dazu. Ich wünschte, auch noch im Nachhinein, dass ich es hätte genießen können, doch ich war pappensatt, und eigentlich hätte mir der Hauptgang auch schon gereicht. Doch war da eine leise Stimme in mir, die stetig sagte: „Na komm, Kasia, iss doch auf, das Stück gehört noch dir, ja, und dieses Stückchen schaffst du auch noch…“ Diese Stimme ließ sich partout nicht zum Schweigen bringen, und so verschwanden auch die Käsestückchen nach und nach von der Platte.
Spät am Abend war ein Feuerwerk über der Stadt zu sehen. Man feierte die Johannisnacht. Wir saßen draußen auf dem Balkon. „Schau mal,“ sagte Stefan zu mir; „das Licht oben in den Wolken sieht so außergewöhnlich aus.“ Ich sah hinauf.
Dieser Abend hätte alle, wirklich alle Voraussetzungen dazu gehabt, der schönste Abend unseren Urlaubs zu werden.