Kurz nachdem wir St. Louis verlassen, jedoch noch lange vor dem Besuch der Moschee von Touba, halten wir in einem dieser Orte am Straßenrand. Hier steigt Mamadou aus dem Auto und verschwindet in einem Kiosk, der alles Mögliche an täglichem Bedarf zu führen scheint. Auch wir steigen aus – Stefan, um zu rauche, ich, um mich umzusehen. In zarten Ballerinas über matschigen Boden staksend (es hatte geregnet heute Nacht…) folge ich unserem Guide. Die Kamera habe ich um den Hals hängen, stecke sie jedoch ziemlich schnell wieder weg. Wir sind auch so schon im Zentrum der Aufmerksamkeit; unbemerkt Szenen aus dem Leben aufzunehmen erscheint mir kaum möglich.
Wir werden umringt von einer Traube bettelnder Kinder. Viele kommen mit leeren Plastikeimern daher; dort werden, so Mamadou, Essensspenden in Form von kleinen Tüten Popcorn, Reis oder Kekse oder ähnlichem hinein geworfen. Die Kinder hoffen auf Geldspenden, doch da wir die verheerende Wirkung gedankenlos eingesetzter Geldgeschenke kennen, geben wir Kindern, die betteln, grundsätzlich nichts.
Mamadou taucht aus den Tiefen des Kiosk wieder auf. Ich sah ihm beim Einkaufen über die Schulter; er hatte große Tüten eben jener abgepackten Reiskekse sowie mehrere Stücke Seife eingekauft. Der Plan ist, sie später als Gastgeschenk bei einem der Dörfer abzugeben, die wir besuchen werden, um etwas über das ländliche Leben der senegalesischen Bevölkerung zu erfahren. Doch nicht nur eine Nahrungsmittelspende werden die Dorfbewohner von uns erhalten, sondern auch harte Währung – Mamadou verwaltet das „Eintrittsgeld“ von 6000 senegalesischen Franc.
Es folgt ein Zeitsprung zurück in die Zukunft (grins). Inzwischen haben wir die Moschee von Touba besichtigt und das geordnete, bunte Chaos der heiligen Stadt Senegals hinter uns gelassen. An einer Tankstelle machen wir halt. Hier lässt sich sowohl Geld in kleine Scheine tauschen als auch Kaffee aus dem Automaten trinken. Der Automatenkaffee an den hiesigen Raststätten ist erstaunlich gut, kräftig im Geschmack. Bei meiner üblichen Stöbertour durch die Gänge des Ladens entdecke ich eine Rarität, die ich sogleich mitnehme: Pfeffer-Kaffee aus Touba. Wie das schmeckt, fragt ihr euch? Das habe ich mich auch gefragt. Lasst euch sagen, dass diese Art Kaffee mit einer anderen, neutraleren Sorte gestreckt werden muss, da einem beim Trinken vor lauter Pfeffer Tränen in die Augen schießen. Sie sind halt hart im Nehmen, die Senegalesen.
Beim Besuch der hiesigen Toiletten erschließt sich mir die Sache mit der linken Hand so langsam. Gut, gehen wir nicht mehr darauf ein; alle Vielreisenden wissen, was ich meine.
Stefan raucht draußen am Auto seine Zigarette. Fast sofort wird er von einer Gruppe Jungen umringt, die hinter ihm bleibend mit einem durchdringenden „Psst!“ auf sich aufmerksam zu machen versuchen (als hätten wir sie nicht längst registriert…) und, hat man sich dann umgedreht, nach „Money“ fragen. Sobald ich den Kopf verneinend drehe, ziehen sie sich zurück, doch nur für einen Augenblick. Ich setze mich neben Stefan, die die „Nebengeräusche“, wie immer, stoisch ignoriert. Es rettet uns wieder einmal Mamadou, der es nach einer kurzen Diskussion tatsächlich schafft, die Kinder ruhig zu stellen. Die Jungen gehören zu den Menschen, die hinter der Tankstelle ein Stück weiter die Straße runter Gemüse und Obst verkaufen.
Überhaupt wird viel am Straßenrand verkauft. Hibiskus für den berühmten Bissap, Cashews und Bananen; Kinder stehen am Straßenrand und halten die in Tüten abgepackten Waren in ihren ausgestreckten Händen. Im weiteren Verlauf der Reise erstehen wir auf diese Weise Hibiskus; die Mädels kleben grinsend an der Autoscheibe und versuchen, ins Innere zu spähen. Der Hibiskus wandert in das Fahrzeuginnere, man wird sich handelseinig, Geldscheine tauschen den Besitzer.
Das Dorf der Pöhl
Der Ort, den wir besichtigen, gehört inzwischen sesshaft gewordenen Nomaden der Volksgruppe Pöhl. Hier leben mehrere Familien zusammen, die Häuser sind um einen großen, leer gefegten Platz angeordnet. Die Pöhl sind muslimisch. Sie gingen eine Kooperation mit der Reiseagentur, so dass wir sie entgeltlich besuchen und in ihr Leben hinein schnuppern können.
Das Leben im Dorf ist einfach, doch für das Nötigste sorgen die Menschen selbst. Der Strombedarf wird über Solarpanelen gedeckt. Ich habe zwar keine Handys gesehen, bin aber überzeugt, dass es trotz aller Schlichtheit der Behausung und der äußeren Umstände welche geben muss. Trinkwasser ist in Senegal kein Menschenrecht; es muss in Kanistern eingekauft werden. Meist geschieht das in größeren Nachbardörfern, die über einen Brunnen verfügen. Kinder verwalten das Kapital des Dorfes: die Ziegen. Gerade sehen wir Kinder, die mit einer Herde Ziegen entlang gehen. Sie sind der wertvollste Besitz; wenn Bargeld benötigt wird, verkaufen die Dorfbewohner eine der Ziegen.
Als wir ankommen, sind keine Männer anwesend. Kleine Kinder und ältere Jungen sowie Frauen haben sich auf dem Platz versammelt. Einer der Jungen mit einer großen Plastikschüssel in den Händen sammelt sofort unsere Mitbringsel ein; später sehe ich, wie Mamadou einer älteren Frau Geldscheine in die Hand drückt.
Der muslimischen Religion nach darf Mann mehrere Frauen haben. Das Dorf vergrößert sich also stetig. Wenn die ältesten Söhne erwachsen sind und heiraten, bekommen auch sie eine eigene Hütte um den runden Platz. Der Platz ist sauber gefegt; so können sich keine Schlangen und Skorpione im Gras verbergen. Ein junges Mädchen, vielleicht 16 oder 18 Jahre alt, kocht gerade etwas. Ein Topf hängt über dem Feuer, welches mit Dung der Tiere genährt wird. Wie wir erfahren, wechseln sich die Frauen jeden Tag mit dem Kochen ab.
Es gibt einen Dorfältesten. Er bestimmt über alles, schlichtet Streitigkeiten zwischen Stämmen. Beispielsweise wenn die Tiere eines Dorfes auf das Feld der Menschen eines anderen Dorfes gehen, wird der Fall von den Dorfältesten geschlichtet.
Wir erfahren noch viel mehr. Das Land bekommen die Nomaden vom Staat zugeteilt, aber sie müssen auch bereit sein, jederzeit woanders hin zu ziehen – zum Beispiel wenn auf ihrem Land Rohrstoffe abgebaut werden müssen oder ein größeres Projekt wie ein Straßenbau ansteht. Wir dürfen in eines der Häuser hinein. Es ist leer, bis auf ein schlafendes Baby auf einem Bett. Wir müssen leise sein, sagt Mamadou, doch das Baby wird wach und redet mit sich selbst. Die Schuhe ausgezogen betreten wir die kegelförmige Hütte. Oben auf dem Dach sind angebrachte Solarpanelen zu sehen und drinnen sorgen blaue Decken mit Blumenmuster für Farbtupfer.
Anschließend schauen wir uns eine zweite Hütte an, mit einem zweiten Baby darin. Es schläft. Die ältere Frau, der Mamadou Geld gegeben hat, kommt diesmal mit uns.
Stefan bleibt draußen und schaut nur kurz ins Innere. Der Besuch des Dorfes löst bei ihm einen Kulturschock aus, von dem er sich zu erholen versucht. Es ist etwas anderes, in der Theorie zu wissen, wie Menschen woanders auf der Welt wohnen. Und es ist etwas anderes, es zu erleben. Nicht jeder kann das Gesehene so schnell adaptieren. Die Menschen sind freundlich. Sie sitzen an einem Feuer, winken uns zum Abschied. Das Bestaunen ihres Zuhauses, sie kennen das schon. „Kulturschock auf beiden Seiten.“ Sagt Stefan. Nein, sage ich: nur für uns. Für die Leute hier sicher nicht, denn wir werden nicht ihre ersten Besucher gewesen sein.
Wir verlassen die Pöhl, nachdem wir einen Einblick erhalten haben. Unterschiedlicher könnten unsere Lebensrealitäten nicht sein, und das liegt daran, dass wir in Deutschland einen extrem hohen Standard haben. Irgendwann habe ich einen interessanten Ansatz gelesen. „Armut entsteht erst in Anwesenheit von Reichtum.“ Ist etwas dran? Macht erst die Ungleichheit Menschen arm? Es will vielleicht niemand gern hören, aber manchmal denke ich, ein einfacheres Leben würde uns hierzulande guttun. Um unseren Blick und unsere Prioritäten zurecht zu rücken. Ja, manchmal sollten wir einfach wieder zurück auf den Boden.
Trotz des Umstands, dass ihr „Eintritt“ zahlen musstet und den Besuch dort damit irgendwie ein Hauch von „Show“ umgab, war das sicher ein Erlebnis, das euch noch eine Weile „nachgehangen“ hat. Und ja, wir hier in Europa täten ganz sicher gut daran, weniger Wert auf Materielles zu legen und Menschen nicht nach ihrem Besitz zu beurteilen. Ich frage mich auch, ob sich die Menschen, die euch da einen Einblick in ihr Zuhause und ihren Alltag gewährt haben, selbst als arm bezeichnen würden oder ob das nur unsere durch die europäische Brille gesehene Wahrnehmung ist.
Ich glaube, es war die europäische Brille. Und an eine Show glaube ich nicht. Da hat sich niemand hingestellt und für uns geklatscht und gesungen und sich auch sonst nicht um uns geschert. Im Grunde waren wir nur kurz mal Zuschauer beim Alltag. Als arm würden sich die Menschen vermutlich nicht bezeichnen. Und eigentlich gab es keinen Grund für uns, so kulturgeschockt zu sein, denn Menschen leben seit Jahrtausenden auf diese Weise. Warum wir es trotzdem waren? Keine Ahnung. Vielleicht haben wir uns selbst in diesen Hütten gesehen. Man nimmt immer sein eigenes Leben als Standard, es ist extrem schwer, davon wegzukommen.
Ja, es ist schwer bis unmöglich, sich selbst und seine Lebensumstände nicht als Maßstab zu nehmen, egal wie „woke“ man ist oder gerne sein möchte.
Das ist ein wahres Wort 🤔😁
Das mit dem „Eintritt“ verstehe ich auch gut. Ich würde fremde Menschen auch nicht einfach so in mein Heim einladen – außer ich bräuchte das Geld 😉 Wenn sie sich dabei etwas dazu verdienen können, umso besser. Ich glaube, sie werden damit auch nicht wirklich reich…
Hallo Kasia,
das ist eines der Sätze, über den ich auch schon so ab und zu nachgedacht habe: „Armut entsteht erst in Anwesenheit von Reichtum..“ Die Frage könnte auch heißen: „macht uns der Reichtum zu schlechteren Menschen?“ Meinen Erfahrungen nach, ja.
In einer Welt, in der alle ungefähr gleich viel haben, gibt es keinen Neid – jedenfalls nicht in dem Ausmaß, den man in unserer westlichen Zivilisation erfährt.
Es wird auch seitens der Hersteller alles dafür getan, dass es Status-Symbole gibt, mit denen sich Menschen mit kleinen Egos und Minderwertigkeitsgefühlen besser fühlen, als die „armen Schlucker“. Schon in meiner Kindheit, war man mit einer Original Levis-Jeans der King – Jinglers-Jeans (gibt’s die überhaupt noch) trugen nur Loser.
Man stelle sich vor, man kommt nun in ein Land, indem es kaum TV-Werbung gibt, keine Werbe-Broschüren am Samstag und auch kein Internet.
Schon bist Du mit deiner vermeintlich coolen Buxe nicht besser angesehen, als der vermeintliche Sozialhilfe-Empfänger mit seiner 3,99 € Primark-Jeans, denn es fehlt ja jeglicher finanzieller Vergleichsmaßstab.
Wenn man aber aufgrund seiner Klamotten, Uhren, Autos whatever nicht Punkten kann, dann bleibt nur der Charakter. Reiche Menschen haben dort in der Regel Defizite. Die meisten Leute mit viel Geld sind gelinde gesagt egoistische Arschlöcher. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
Dazu kommt, dass ein weitgehend gleiches Einkommen den sozialen Frieden sichert und auch zu einem achtsamen Miteinander führt. Wenn nämlich alle gleich wenig haben, dann hilft man sich wesentlich mehr untereinander.
Mein Freund der nun seit über 20 Jahren in Ungarn lebt, hat die gesellschaftliche Veränderung dort selbst miterlebt. Als er dort an der Uni studierte und seine jetzige Frau kennenlernte war er der verwöhnte Typ, der sich mit westlichen – durch Werbung künstlich wertvoller gemachten – Protzprodukten glaubte dort seinen sozialen Status erkaufen zu können. Die Mitstudenten aus Ungarn holten ihn schnell von seinem hohen Ross runter. Es dauerte etwas, doch dann erkannte er, dass dort der Charakter des Menschen wichtig ist – nicht was er für Klamotten trägt.
Der Lernprozess dauerte etwas, aber er hat es erkannt. Doch leider ist Ungarn seit Jahren auch nicht mehr so wie zu seiner Studienzeit: denn auch dort gibt es immer mehr westliche Firmen, und auch dort wird den Ungarn in der Werbung vorgegaukelt, dass man nur dann Erfolg hat, wenn man die Klamotten vom Designer „KACKE & TEUER“ trägt. Da auch die Einkommen in Ungarn wesentlich niedriger sind als hier, die Klamotten aber annähernd die Preise wie hier haben, sieht man dort direkt, wer Geld hat. Denn nur durch die Werbung weiss man ja diese Klamotten finanziell richtig einzuschätzen. Und damit geht der Trend nun wieder anders herum: nicht der Charakter ist mehr wichtig, sondern das was Du dir finanziell erlauben kannst..
Das ist schon etwas traurig..
P.S. Du hast nicht zufällig in deinem Bekanntenkreis eine reiche intelligente, junge, gutaussehende Freundin auf der Suche nach einem rüstigen Fastrentner? Ausschließlich finanzielle Interesse meinerseits natürlich..
CU
P.
Ich sehe das ähnlich. Das Verlangen nach Statussymbolen hat es schon immer gegeben, doch noch nie, so scheint mir, wurde es in dem Maße künstlich erzeugt wie in der modernen Welt. Die Menschen sind gleich, doch einige sind „gleicher“, oder so. In Osteuropa gut zu beobachten: Menschen verschulden sich für eine prunkvolle Hochzeit, für den coolen Wagen. Je zerfallener das Dorf, umso schicker angezogen die Frauen, die ihren Sonntagsspaziergang machen. Bei uns gibt es glücklicherweise inzwischen so etwas wie einen Gegentrend; die Lebenszeit, die Lebenserfahrung sind vielen jungen Menschen wichtiger als sich tot zu schuften für Krams. Es ist schade, dass sich die Dinge in Afrika so entwickeln, wie du es beschreibst. Die Erfahrungen deines Freundes in Uganda finde ich äußerst interessant. Auch in Senegal unterstützen sich die Menschen gegenseitig, so gut es geht. So ist es uns zumindest berichtet worden.
Die reiche, junge Freundin hätte gern ein paar hochwertige Aufnahmen vorab, sowie eine Auflistung nützlicher Eigenschaften (z.B. „repariert den Küchenschrank“ o.ä.). Zu rein analytischen Zwecken natürlich 😉
Lg Kasia
Ich war mal Housesitting bei einer Familie, die für drei Monate nach Tansania ging.
Beim Packen haben sogar die kleinen Kinder gemerkt, dass wir hier in Deutschland viel zu viele Sachen haben:
https://andreas-moser.blog/2021/11/18/minimalismus-lernen/
Das sind so Lektionen, die man gar nicht oft genug erleben (oder darüber auf unseren Blogs lesen) kann.
Danke für den Link. Wenn es sogar den Kindern auffällt 🙂
Wie Bertolt Brecht schrieb: „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“
Ich bin tatsächlich der Meinung, dass es vielen Menschen bei uns besser ginge, wenn wir materiell zurückstecken würden. Das ganze Zeug und Klimbim, das hierzulande Dachböden, Keller, Gartenschuppen, Garagen und Kinderzimmer füllt, ist ja nicht nur oft unnötig, sondern hat vor allem Lebenszeit gekostet. – Und die verwendet man doch, wie Ihr zeigt, viel besser mit Reisen!
Es gibt ja noch viele Zwischenstufen zwischen dem Leben der Pöhl und den mit Thermomix und Hometrainer vollgestopften Eigenheimen im Taunus.
Ich denke mir das immer, wenn es mal negatives Wirtschaftswachstum gibt und das BIP um 2% schrumpft: „Na und? Dann sind wir halt auf dem Niveau von 2016. Da ging es uns ja auch nicht schlecht.“
Hm, ich weiß gar nicht mehr, wie das 2016 so war… Haben wir da nicht in selbstgebastelten Hütten gehaust und uns unser Essen über brennenden Mülltonnen gebraten? 😉
Völlig richtig ist, dass ein gewisses Gleichgewicht sozialen Neid gar nicht erst entstehen lässt. Welchen Mehrwert manche Dinge für Leute haben, erschließt sich mir nicht. Klar sieht ein Sportwagen besser aus als ein kleiner Polo oder klar, so ein Webergrill ist schon protzig, aber bringt einen der kleine Polo nicht auch ans Ziel? Und schmeckt die gegrillte Wurst von einem Nichtwebergrill so viel schlechter? Preise werden künstlich hochgetrieben und Verlangen nach Konsum künstlich geweckt und aufrecht erhalten. Beim Thema Reisen bin ich etwas zurückhaltender, denn auch Reisen kann zu einem Statussymbol werden, je nachdem, wie man reist.
Wenn ich mir manchmal anhöre, worüber Menschen so meckern, finde ich, dass wir ruhig öfter aus unserem Schneckenhäuschen herauskriechen und uns in der Welt umsehen könnten. Klar ist ein gewisses finanzielles Polster beruhigend. Die Frage ist nur, ob es immer mehr und mehr sein muss. Zufriedenheit ist eine Grundeinstellung, die man hat oder eben nicht hat. Und diese Grundeinstellung hat, denke ich, nur bedingt mit materiellem Wohlstand zu tun.
Das mit dem Grill ist ein gutes Beispiel dafür, wie plötzlich absurde Bedürfnisse/Wünsche geweckt werden, die vorher nicht da waren.
Jahrzehntelang war ein normaler Grill voll okay, Hauptsache die Wurst war gut durch.
Wir hatten zuhause sogar nur einen Rost, den wir auf ein paar Pflastersteine legten, die wir mal von einer Baustelle geklaut hatten.
Und plötzlich fangen Leute an, auf ihren Grillpartys über den Grill selbst zu reden.
Mich ödet das so an!
Manchmal frage ich direkt: „Habt Ihr zu viel Geld, oder was?“
Durch das Housesitting komme ich ja viel herum, und man sieht bei vielen Familien, wie das Haus und der Garten vollstehen mit Dingen, von denen sie einmal geglaubt haben, dass sie sie bräuchten.
Sie erklären mir dann stolz die ganzen Küchengeräte, und wenn ich sage, dass mir das alles zu kompliziert ist, und ich nur einen Topf und eine Pfanne und vielleicht noch einen Sieb brauche, dann sind sie richtig traurig.
Vielleicht müsste man vor jedem Kauf eine 14-tägige „cooling off“-Periode einbauen, wie in manchen Bundesstaaten der USA vor Waffenkäufen. Damit man sich wieder beruhigt und überlegt, ob man das Teil wirklich braucht.
Huh, diese Haushaltsgeräteorgien sind wirklich gruselig. Wir haben nicht mal eine Kaffeemaschine. Ich finde, Kaffee in der Tasse aufgebrüht schmeckt am besten – türkisch Art halt. Als ich das in unserer Stammrösterei erklärte, waren die richtig aus dem Konzept gebracht. Weil sie nicht wussten, wie grob oder wie fein sie mir meine Kaffeekörner nun mahlen sollen 😉
Ein Rost auf ein paar Ziegelsteinen, das ist richtig sympathisch. Schätze, diesen Sommer kann man selbst das Feuermachen weglassen, einfach den Rost bei 40 Grad auf den Beton legen…
Oh ja, die Kaffeemaschinen werden mir auch immer stolz vorgeführt: „Hier unsere vollautomatische Milchschaumespressomaschine, die das Quellwasser von der Zugspitze anzapft und sich nach jedem Brühvorgang selbst reinigt und dazu italienische Arien singt.“
Ich sage dann, dass ich nur einen Wasserkocher für meinen Instant-Kaffee brauche, und die Leute sind ganz traurig, wie unbeeindruckt ich von ihrem Technikfimmel bin.
Apropos Grillen: Ich wohne zur Zeit in Chemnitz-Sonnenberg, das ist so ein Viertel wie die Bronx.
Und letztens habe ich gesehen, wie die Alkis vor dem Ghetto-Netto einfach Kartons in Brand gesetzt und einen auf den Kopf gestellten Einkaufswagen als Grill genutzt haben.
Hah, herrlich. Solche Dinge zähle ich zu: „braucht kein Mensch…“
Grillen: so geht’s auch. Hauptsache die Würstchen werden gar 🙂