Europa, Italien

Das echte Venedig

Venetien, Juli 2014

Drei sind alle guten Dinge… denke ich mir, als ich mich aufmache, die Stadt Venedig ein drittes Mal zu besuchen.

Diesmal wird alles anders, ich kenne mich aus, weiß, worauf ich achten muss, und Touristenfallen? Hah! Die sollen sich besser vor mir in acht nehmen… 🙂Ich trage mein neues, schönes Oberteil aus beigefarbener Spitze, original „made in Burano“. Die Sonne strahlt vom Himmel herab und zwinkert mir gütig zu; und ich steige voller Elan aus der Fähre und macht mich, an dem mir schon bekannten Touristenstrom vorbei, auf zum Markusplatz. Ich habe beim letzten Mal zwar die Stadt gesehen, doch diesmal will ich mehr: ich will sie kennenlernen, ihre verborgenen Winken erforschen, ihr all ihre Geheimnisse entlocken.

Doch am Markusplatz treibt mich erst einmal ein anderes Bedürfnis in eine ganz und gar andere Richtung; ich folge stürmisch dem Toilettenzeichen.

Da entlang, aha, und dann da, und um die Ecke… Unzählige Straßen weiter und schier endlose, qualvolle Minuten später komme ich dann an die sanitären Einrichtungen;  die Toilettenräume sind mit Schranken verschlossen und nur nach Einwurf von Münzen zu erreichen. Ich nähere mich der Tafel, die die Nutzung der Anlage mit zwei Euro ausweist. Und dennoch wartet eine endlose Schlange Menschen an den Schranken darauf, eingelassen zu werden.

Ich stoße die Luft zwischen den Zähnen aus. Zwei Euro!

Nicht dass ich die nicht hätte. Doch angesichts dessen, wie viele Menschen tagtäglich hierher kommen, finde ich das schon recht unverschämt. Die Stadt Venedig wird sich eine goldene Nase daran verdienen; alleine schon an der Toilettennutzung. Und ich denke mir: nö. Schon aus Prinzip nicht. Zumindest nicht mit mir.

Unverrichteter Dinge wandere ich weiter durch die Stadt, auf der Suche nach einer anderen Möglichkeit. Da fällt mir ein luxuriöses Hotel ins Auge, durch dessen vergoldete Glasfront vorwiegend japanische Gäste ein- und ausgehen. In solchen Hotels können die Angestellten unmöglich jeden Gast vom Sehen her kennen, vor allem nicht bei diesen extremen Mengen an Touristen in der Haupturlaubszeit, denke ich mir.

Selbstbewusst marschiere ich also hinein, grüße lächelnd die uniformierten Mitarbeiter am Empfang und gehe strikt an ihnen vorbei den Korridor entlang. Die sehr exklusive Einrichtung der Räume wirkt doch irgendwie einschüchternd. Man sieht doch hoffentlich nicht, dass ich nicht hierher gehöre…? Jetzt aber bloß nichts anmerken lassen…

Ein Mitarbeiter des Hotels fragt, ob er mir helfen kann, wahrscheinlich hat er meinen suchenden Blick bemerkt. Ich frage nach den Toilettenräumen; er weist hinter sich. Ich bedanke mich und gehe in die angezeigte Richtung.

In der Kabine (als eine „Kabine“ kann man den Raum, den ich da gerade betreten habe, eigentlich nicht bezeichnen: dies hier ist die Impression eines Raumdesigners aus Marmor, Glas und Gold) schaue ich beim Händewaschen zufrieden in den Spiegel. Des hat doch geklappt wie am Schnürchen! Toiletten gibt es überall, man muss sie nur zu finden wissen. 😉

Wieder draußen bin ich so beschwingt und happy, wie selbst ein Glas Sekt mich nicht hätte machen können. Ich will ein Foto von mir – jetzt, gleich!

Ich schaue mich um. Zwei Arbeiter unterhalten sich lebhaft miteinander, an eine Hauswand gelehnt.  Ich frage sie, ob sie ein Foto von mir machen würden. Dann, als es soweit ist, weiß ich nicht wirklich, wie ich posieren soll, also stelle ich mich einfach hin und strahle. Danke, Jungs, vielen Dank! Kamera wieder zurück, Foto anschauen; ja, sieht toll aus, danke nochmal.

Als ich weitergehen will, höre ich noch, wie der eine zum anderen sagt, extralaut versteht sich: „…maybe Sharon Stone…?“ Na, so alt bin ich dann zwar nicht, aber es sollte wohl ein Kompliment gewesen sein; ich drehe mich um und grinse.

Beschwingt schwebe ich weiter, zum Markusplatz. Es ist noch früh, und noch wenige Touristen sind hier unterwegs. Ich setze mich auf die Stufen und beobachte das Treiben um mich herum.

Irgendwann gehe ich weiter, tauche, wie schon zuvor, in die engen, schattigen Gassen der Stadt ein. Ich will das echte Venedig, ich will echte Menschen, und so verlasse ich die ausgetretenen Pfade und entferne mich immer mehr von Souvenirläden und schmucken Häusern. Und dann sitze ich ganz alleine am Wasser eines engen Kanals und das Plätschern unter meinen Füßen wirkt ungeheuer beruhigend. Keine Gondeln sind hier zu sehen, keine Touristen kommen vorbei. Nur ich bin da, zwischen den hohen Häusern versteckt, mit dem Sonnenschein auf meiner Haut und dem Geruch nach einer Meeresbucht in meiner Nase.

Unterwegs entdecke ich eine Fotoausstellung, der Eintritt ist frei. Ich folge den Pfeilen auf einen Innenhof und in ein Gebäude hinein. Die Ausstellung befindet sich im ersten Stock, es handelt sich um Architektur. Das ist für mich äußerst interessant: wie nehme ich ein Gebäude auf, ohne dass es schief wirkt? Wie setze ich historische und moderne Bauten richtig in Szene?

Wieder draußen. Durst. Da, ein Geschäft, das Getränke verkauft! Natürlich verkauften sie auch noch weiteren Krimskrams, doch die handlichen Halbliter-Wasserflaschen sprangen mir spritzig-kühl zuallererst ins Auge. Ein Euro, absolut akzeptabel.

Wieder draußen; ich trinke, wische mir den Mund ab, laufe los. Ein Stückchen weiter sehe ich einen zweiten Shop mit Krimskrams, und davor, auf einem draußen stehenden Verkaufstisch, schön drapiert exakt die gleichen Wasserflaschen wie die, die ich gerade in der Hand halte – für dreißig Cent das Stück.

Neben mir blieben noch zwei weitere Touristen stehen, Amis, glaube ich, die auch mit mir zusammen im ersten Shop Wasser gekauft hatten. Wir schauen uns gegenseitig an, schauen dann auf die Flaschen in unseren Händen und fangen an, laut zu lachen. Und ich hatte gedacht, ich würde mir von keinem mehr etwas vormachen lassen… 🙂

Unterwegs entdecke ich die Tore von Arsenale mit ihren zwei mächtigen Türmen, die erhaben über dem Kanal und die darüberführende Brücke wachen. Ich mache Aufnahmen von der Brücke aus, dann gehe ich weiter. Irgendwann finde ich mich auf einem Gemüsemarkt wieder, die Stände mit Waren im Schatten einer alten Kirche aufgebaut. Wir sind inzwischen ein ganzes Stück vom Zentrum Venedigs entfernt, auf dem Markt kaufen augenscheinlich Menschen, die hier leben, ein. Ich sehe ältere Frauen mit Einkaufstaschen, Kinder, die von der Schule kommen, Arbeiter, die ihrem Tagesgeschäft nachgehen. Das echte Leben. In den Ballungsgebieten rund um die touristischen Attraktionen neigt man fast dazu zu vergessen, dass es so etwas hier auch noch gibt.

Die nächsten zehn Minuten verbringe ich bei dem Versuch, zwei Tauben zu fotografieren, die sich gegenseitig das Gefieder putzen.

Ich mache zum zweiten Mal eine Besichtigungstour mit dem Fährboot. Alles sieht diesmal so anders im Sonnenschein aus. Das Wasser leuchtet meeresblau, fast schon in einem hellen Türkis, und überhaupt, dieses Licht… Das schönste an der Lagunenstadt soll das weiche, helle Licht sein, das sie umgibt, und das stimmt, es ist wie ein Schein, der den Ort zu etwas Besonderen macht.

 

In Venedigs Labyrinth

Ich sehe viele Menschen in Gondeln sitzen; und doch bin ich froh, keine Gondelfahrt gebucht zu haben, denn ich werde Zeuge, wie ein Gondolieri sehr ungehalten seine Gäste maßregelt, die sich zu weit über den Rand seines Bootes lehnten. Die eben noch strahlenden Gesichter schauen nun betreten drein. Mein Boot fährt weiter seinen Weg.

Ich sehe ein junges japanisches Hochzeitspaar, welches am Canal Grande auf einem Steg, der zum Wasser führt, vor einem Priester steht und sich trauen lässt. Was für eine Kulisse! Die beiden haben sich allen Anschein nach einen Traum erfüllt.

An der Rialtobrücke steige ich wieder aus ,unentschlossen stehe ich nun da und beobachte den Verkehr auf dem Wasser. Ein Gondoliere kommt auf mich zu und fragt: „Señorita, Gondola?“ Ich schüttele den Kopf. Dann entdecke ich, als ich weiter am Wasser entlang gehe, eine Stelle, von der aus man sehr gut die Rialtobrücke sehen und fotografieren kann. Es ist ein kleiner Vorsprung, ein Fußgängerweg, der hier quasi endet; auf der Rückseite eines großen, vornehm aussehenden Hauses. Weiter geht es hier nicht mehr am Wasser entlang, man muss sich in die Gassen begeben, um zum Markusplatz zu kommen. Doch hier gibt es eine kleine „Sackgasse“, an der die Menschen im Stehen oder im Sitzen das Treiben am Wasser beobachten können.

Ich fotografiere die Brücke. Dabei zieht eine Familie meine Aufmerksamkeit auf sich; zuerst macht der Vater Aufnahmen von der Mutter und den zwei Kindern, dann, Bäumchen wechsle dich, macht die Frau das Foto vom Papa mit Kind. Den Gesprächsfetzen nach entnehme ich, dass sie alle deutschsprachig sind. Ich gehe auf die Frau zu: „Hallo, ich habe euch eben gesehen; soll ich ein Bild von euch allen zusammen aufnehmen? Dann kann jeder mit aufs Foto.“ Die Frau, die mich bei meinen ersten Worten noch misstrauisch beäugt hatte, nickt jetzt eifrig und gibt mir ihre Kamera in die Hand. „Das wäre toll.“ Sagt sie.

Ich mache gleich mehrere Aufnahmen von der strahlenden Familie mit der Rialtobrücke im Hintergrund. Papa, Mama und die Kids. Dann fotografiert sie noch mich mit meiner Kamera; ich hatte darum gebeten, auch Bilder von mir haben zu dürfen. Dankeschön, sehr nett. Ja, die Fotos sind toll geworden, vielen Dank. Anschließend ziehen sich die beiden zurück. Kein Smalltalk, kein „woher kommen Sie denn“ oder sonst etwas in der Art.

Auf der Rückseite des Hauses, wo der Gehweg endet, sitzen einige Jugendliche auf einem niedrigen Mauervorsprung. Ich setze mich zu ihnen, beobachte die Menschen, schaue zu den Häusern, betrachte die Boote und Fährbusse, die gemütlich vorbeituckern. Eine halbe – bis Dreiviertelstunde lang sitze ich so da, bis mich ein Blick auf die Uhr daran erinnert, dass es Zeit wird, mich wieder zum Fähranleger zu begeben; Stefan wird demnächst zur verabredeten Zeit am Punto Sabbioni auf mich warten. Ich laufe los.

Doch dieses Mal ist es wie verhext. Wie oft bin ich in den Gassen schon umhergewandelt, doch jetzt verlaufe ich mich eins ums andere Mal, finde kaum die richtigen Abzweigungen, übersehe Schilder, gehe nochmal zurück. Und ich habe es eilig. Die Menschen, die langsam vor mir entlang schlendern, fangen auf einmal an, mich zu reizen. Hier ist es nicht… ich komme am ganz falschen Ende raus. In einem Hinterhof heben zwei Männer und eine Frau die Köpfe, als sie das hektische Klappern meiner Absätze hören.

Ich muss wohl im Kreis gelaufen sein, denn ich finde mich am Ausgangspunkt wieder. Die Zeit verrinnt. Ich schreibe Stefan eine Nachricht, dass ich dann wohl erst die nächste Fähre nehmen werde und hoffe, dass er noch nicht losgefahren ist. Dann starte ich einen zweiten Versuch.

Doch auch dieser schlägt fehl; je schneller ich versuche, vorwärts zu kommen, umso undurchdringlicher erscheint mir das Wirrwarr aus kleinen Wegen, Gassen, Bürgersteigen, Geschäften. Hier ist es nicht, ich drehe um. Stehe wieder am „Rialtobrücke“- Schild. Ich werde am besten von hier aus eine Fähre bis zum Fähranleger nehmen, beschließe ich. Hilft ja alles nichts.

Zu meinem Glück kommt gerade ein Fährbus an. Die Türen öffnen sich und ich steige ein. Das Gefährt setzt sich in Bewegung. Ich bekomme diesmal keinen Sitzplatz, doch das ist mir egal; ich würde am liebsten hinunter ins Wasser springen und schwimmen, wenn das die Sache nur irgendwie beschleunigen könnte. Ich kann Stefan keine weitere Stunde warten lassen.

Die Vaporetto hält ewig weit von meiner Zielstation entfernt, und so muss ich ein ganzes Stück wieder zurück laufen. Doch diesmal haben die vielen Touristen um mich herum das Nachsehen: ich quetsche mich an ihnen vorbei, dränge mich durch sie durch, rennen von Brücke zur Brücke, drängle Menschenansammlungen zur Seite (ich entschuldige mich an dieser Stelle für die vielen Ellbogen, die eventuell in fremden Rippen gelandet sind…) Völlig außer Atem erreiche ich die Fähre. „Punto Sabbioni?“ Stoße ich hervor. „Punto Sabbioni, si.“ Bestätigt ein Mitarbeiter.

An Bord versuche ich, mich zu entspannen. Der Wind umweht während der Fahrt meinen erhitzten Körper, und so langsam beruhigt sich auch mein rasender Puls. Ich halte mich an der Reling fest und schaue in die Richtung, die wir gerade verlassen. Das Wasser glitzert golden, während Venedig am Horizont immer kleiner wird.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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