Venetien, Juli 2014
„Du schaust nach dem Preis? Das hier kostet sein Geld – es ist handgemacht, und zwar hier auf Burano, und nicht in China!“ Schimpft die alte Italienerin und nimmt mir das zarte Spitzenkleidchen wieder aus der Hand. Ich kann sie verstehen. Eine solche Arbeit erfordert Sorgfalt und Geduld, und vor allem: Zeit, viel Zeit. Und die Konkurrenz aus Asien ist scheinbar übermächtig und bietet die Produkte aus Spitze zu unschlagbar günstigen Preisen – obwohl es eigentlich verboten gehört. Und auf jedem Teil steht „original Burano“ drauf.
Doch mein Budget erlaubt es mir nicht, achtzig Euro für ein Oberteil auszugeben; so lasse ich den schönen Traum aus Spitze hängen und laufe weiter.
Burano war eine der Inseln, die Stefan unbedingt sehen wollte. Ich konnte mir anfangs nicht so viel drunter vorstellen, doch nun, da ich sehe, wie schön es hier ist…
Schon als wir am Fähranleger ausstiegen und die schattige Allee entlang auf den Ort zugingen, sahen wir zwischen den Bäumen die ersten Verkäufer mit Produkten aus Spitze im Sortiment. Es wurde alles geboten: Deckchen, Kleidung, Sonnenschirme aus weißer und beige Spitze gefertigt… in der Stadt sah ich anschließend viele japanische Touristinnen mit solchen Schirmen spazieren; Bräune gilt in Japan allgemein als unvorteilhaft.
Die Insel ist bei Touristen sehr beliebt. Die malerischen bunten Häuser strahlen in der Sonne in allen Farben: blau, gelb, rosa, grün… an den Fenstern wachsen Girlanden von Blumen, die in Kaskaden hinunter hängen. In der Mitte, statt einer Straße, fließt der Kanal entlang, und festgemachte kleine Boote tanzen auf den Wellen rhythmisch auf und ab.
Wir fotografieren was das Zeug hält. Immer wieder neue, hübsche Motive. Ich gehe langsam, bleibe immer wieder stehen und hebe die Kamera ans Gesicht, auf der Jagd nach der perfekten Aufnahme. Doch mit der Zeit gewöhnt sich das Auge auch an die schönsten Dinge, und so werden die Fotos weniger.
Am Ende des langen Kanals kommen wir auf der rückwärtigen Seite der kleinen Insel an, wo am Anleger ein Ausflugsschiff bereits weitere Unmengen an Touristen ausspuckt. Wir biegen in einen Park ab, wo wir uns im Schatten der Bäume auf dem weichen Gras niederlassen, Brötchen essen und trinken. Über den Häusern der Stadt erhebt sich ein Turm, der ein bisschen an den Markusturm erinnert und so schief ist, dass er den Turm von Pisa locker in den Schatten stellt.
Als wir weiter gehen, kommen wir an einen großen Platz mit einem Rathaus und Museum. Der Platz ist verhältnismäßig leer. Links davon geht es in eine Fußgängerzone, die wiederum sehr belebt ist, voller Menschen, Geschäfte und Cafes. Vor den Geschäften, unter freiem Himmel, bieten Händler ihre Produkte aus Spitze feil; auf Ständern und Verkaufstischen liegen sie aus, eines schöner als das andere, und werden begutachtet, befühlt, anprobiert und bewundert.Und gerade hier entdecke ich diese Bluse, die mir so gut gefällt – und greife instinktiv nach dem Preisschild.
Stefan hatte sich schon zuvor ein paar Meter weiter in einem Cafe niedergelassen, und ich, noch lange nicht müde oder ausgelastet, spazierte indessen weiter auf der Suche nach einem schönen Souvenir.
Schließlich blieb meine Hand an einem schön bestickten Oberteil hängen, das hier für rund dreißig Euro zum Verkauf angeboten wird. Selbst ich kann sehen, dass die Waren nicht handgefertigt wurde, doch eigentlich suche ich nur ein Mitbringsel, das mich an hier erinnert… und die nette asiatische Dame lächelt so freundlich. Das Teil wandert in die Einkaufstüte.
Nun laufe ich die Fußgängerzone entlang an den Cafes vorbei auf der Suche nach Stefan. Ich finde ihn auch bald, im Schatten einer Markise sitzen, mit einem Drink in der Hand. Ich hebe meine Kamera, mache ein Foto (wie kann man denn nur so verdammt gut aussehen?), er lächelt lasziv in die Kamera. Dann wandere ich weiter; die Schmuckstände auf der anderen Seite haben meine Aufmerksamkeit vereinnahmt.
Es wird Muranoglas verkauft, und, obwohl ich schon so viele Anhängsel habe, stöbere ich mit wachsender Begeisterung. Da, dieser kleine Anhänger, das Rechteck sieht aus wie ein glänzender, flüssiger Goldbarren. Ich nehme das Teil mit mir und gehe hinein in das Geschäft, um zu bezahlen. Dort sehe ich den Verkäufer, einen Mann circa Mitte dreißig, der gerade dabei ist, ein Kleidungsstück selbst zu gestalten: es ist ein rotes T-Shirt, und er bearbeitet es mit goldener und silberner Farbe. An der Wand hinter ihm hängen weitere selbstgestaltete Kleider, T-Shirts und Oberteile. Ich schaue begeistert zu. „Kann ich ein Foto von dir machen?“ Ich kann einfach nicht anders. Belustigt lässt er es sich gefallen.
Wieder draußen sehe ich, wie Stefan sich mit einem Pärchen am Nachbartisch unterhält. Als ich dazukomme, sagt er zu mir: „Die beiden haben vorhin gesehen, wie du mich fotografiert hast. Sie haben mich gefragt, ob ich dich kenne und ich sagte, ja klar, das ist meine Freundin. Dann meinte das Mädel: So eine schöne Frau, lass sie ja nicht wieder gehen.“
Ich lächelte die beiden an. Sie lächelten zurück.
Ein kühles Getränk und einen Eisbecher später machten wir uns langsam wieder auf den Weg zurück nach Cavallino.
Zu Hause angekommen fing Stefan an, zu kochen, und ich sortierte weiter meine Muscheln. Die von mir gesammelten Mengen nahmen langsam beängstigende Ausmaße an: ich hatte drei große Salatschüsseln voll… Ich beschloss, rigoroser zu sein, und so wanderte über die hälfte der Mitbringsel wieder zurück an den Strand.
Blieben dann nur noch anderthalb Salatschüsseln…