Europa, Polen

Plock – die zweitälteste Stadt Polens

Polen, Dezember 2015

Die Stadt Plock – an einem Abhang aus Sandstein am Ufer der Weichsel gelegen, bietet sie direkt vom Marktplatz aus einen atemberaubenden Blick auf den Fluss und das Tal.

Sonnenschein und Eiseskälte.

Zuallererst gehen wir zum Metzger. Umgerechnet an die sieben Euro geben wir aus für eine ganze Tüte voll Fleischwaren: Schinkenwurst, Geräuchertes, Krakauer… an die zwei Kilo Fleischwaren nehmen wir mit. Das sind Preise… Stefan staunt.

„Ja, für uns, aber du musst auch die Höhe der Gehälter hier berücksichtigen.“ Sage ich.

Wieder im Auto. Stefan tippt am Navi rum. Schon im Vorfeld hatte er sich über interessante Orte im Umkreis erkundigt und ich staune, wie wenig ich meine Heimat bis dato kannte. Für mich ist Warschau und Umgebung schon längst alter Tobak, während mein Schatz es immer noch schafft, Spannendes zu ergründen. Es ist schön, Polen durch seine Augen zu sehen, durch die staunenden Augen eines Besuchers, für den alles neu ist. Durch ihn entdecke auch ich Neues.

Ein alter Mann, von der Sucht gezeichnet, klopft an die Scheibe und fragt nach einer Zigarette. Wir haben nur Tabak und Papers dabei. Doch anscheinend weiß der Mann nicht, wie man selbst dreht, denn nach einer Weile bringt er uns die Tabaktüte wieder zurück. Ich erkläre ihm, dass das alles ist, was wir haben. Er zieht weiter.

„Die Tüte Tabak hätte ich ihm auch geschenkt.“ Sagt Stefan und widmet sich wieder seinem Navi. „Wo liegt denn Lódz?“ Da wollen wir doch heute überhaupt nicht hin, denke ich. Wir wollen heute nach Płock, uns die Bischofsresidenz dort anschauen. Und auch die Lage der Stadt direkt an der Weichsel soll wirklich schön sein. Ich will endlich los, es ist schon spät, so lange wird es auch nicht mehr hell bleiben… Im Geiste sehe ich bereits die Sonne untergehen, ohne dass wir uns überhaupt etwas ansehen, etwas erleben können.

Doch, dann, endlich, fahren wir los. Nur an der nächsten Tanke gleich wieder anzuhalten. Ach ja, richtig, den Red Bull wollten wir ja auch noch mitnehmen. Besorgt schaue ich auf die Uhr. Es ist bereits halb eins und wir kommen einfach nicht los. Aber diesmal ist er schnell wieder zurück und schon kann es weiter gehen. Die günstigen Preise hier kann Stefan immer noch nicht fassen. Ein Euro für Red Bull ist bei uns der reguläre Tankstellenpreis. Solche Dinge versetzen ihn immer noch in Erstaunen.

Unterwegs nach Płock weichen wir irgendwann von der Hauptstraße ab und fahren quer durchs Land, an einer Landschaft voller Moore, Felder und kleiner Seen. An ihren Ufern wachsen uralte Weiden, mit dicken, knorrigen und zerklüfteten Stämmen, in denen nach altem polnischen Volksglauben kleine Teufel hausen sollen. Der schwache, matte Sonnenschein lässt diese verwunschene Gegend eher noch schemenhafter aussehen, als dass er ihr Licht spendet. Ab und an tauchen alte Holzhütten und zerfallende Zäune auf.

Wir versprechen uns, wiederzukommen, um diese faszinierende Landschaft zu fotografieren. Doch jetzt drängt die Zeit – also wenden wir das Auto und fahren wieder zur Hauptstraße, die nach Płock führt.

Die Radarfallen hierzulande sind eigentlich keine „Fallen“ im eigentlichen Sinne. Statt in Tarnfarben, leuchten sie in knalligem Gelb und stechen schon auf einige Entfernung von der Umgebung ab. „Achtung, Radarkontrolle! Verlangsame das Tempo!“ Warnen ebenso leuchtend gelbe Tafeln schon auf einige Entfernung. Der Zweck der Übung schein zumindest nicht, wie hierzulande, das Befüllen der Staatskassen zu sein. Hey, Autofahrer; das ist sehr fair.

Beim Blick in eine Seitenstraße registriere ich aus den Augenwinkeln ein Warnhinweis auf, welches ich so schon einmal gesehen hatte: „Fahre langsamer! Hund auf der Straße!“

Hund auf der Straße
Ich muss lachen. Anstatt den Hund einzufangen und dem Besitzer eine saftige Strafe aufzubrummen stellt man hier einfach ein Hinweisschild auf, und lässt ansonsten Hund und Herrchen ihren Willen. Das nenne ich absolute Volksfreiheit!

 

Plock

Plock ist eine der ältesten Städte Polens und die älteste der Wojewodschaft Masowsze. Bereits vor dem 10 Jahrhundert war der Hügel an der Weichsel von den Heiden besiedelt. Nach der einheitlichen Christianisierung Polens wurden die heidnischen Riten verboten und ihre Kultur weitestgehend zerstört. Anstelle der alten Siedlungen entstand eine befestigte Stadt.

Zur Namensgebung der Stadt existieren einige Legenden. Eine davon besagt, der Name Plock vom Begriff „plot“, das heißt „Zaun“, Umzäunung“ abstammt. Dies soll sich auf die Befestigungsanlagen bezogen haben, die die Stadt vor Angriffen der Preußen und Litauer schützten. Die zweite Theorie vertritt die Meinung, dass der Name auf die ersten bekannten Wehranlagen hinweisen.

Wie denn auch sei, die Stadt liegt an einer gut frequentierten Handelsrute. Das stärkte ihre Bedeutung als Machtzentrum und den Wohnstand der Stadt. Der damalige König, Boleslaw Chrobry, holte im 11 Jahrhundert die Benediktinermönche nach Plock.

Im 15 und 16 Jahrhundert blühte die Stadt auf, Handelsgilden, Stofffabriken und Brauereien wuchsen wie Pilze aus dem Boden. Im 17 Jahrhundert verwüstete Kriege die Stadt. Nach der zweiten Teilung Polens wurde Plock den Preußen zugesprochen.

Im 20 Jahrhundert, während der beiden Weltkriege, war Plock ein Zentrum patriotischer Untergrundbewegungen der Aufständischen.

Heute hat die Stadt, wie so viele ehemals wichtige Städte vor ihr, an Bedeutung verloren. Bekannt ist sie durch die landesweit größte Raffinerie, die am Ufer der Weichsel in der Ferne zu sehen ist. Doch sie ist immer noch historisch interessant mit ihrem Marktplatz, ihrem Schloss und ihren alten, gut erhaltenen Klosteranlagen ein tolles Besichtigungsziel.

Klosteranlage der Mariaviten

Zunächst halten wir unten am Ufer und machen von dort aus Aufnahmen von der Klosteranlage und der Kathedrale. Doch ich werde zunehmend ungeduldiger. Die Sonne neigt sich schon stark der Horizontlinie zu, und wir wollten uns noch die schöne Altstadt anschauen. Ob wir das noch schaffen? Und obwohl ich immer noch keine Einwände erhebe, habe ich das Gefühl, als wenn sich die gereizte Stimmung von mir auf uns beide überträgt. Dann, endlich, fahren wir wieder hoch zur Stadt und zur Klosteranlage.

Die Kathedral- und Klosteranlage der Mariaviten, erbaut Anfang des 20 Jhd., zeigt von außen bereits deutliche Spuren des Verfalls. Der Putz blättert von den Außenmauern, die an vielen Stellen Risse aufweisen. Stellenweise sind schon größere Stücke herausgebrochen. Der orangenfarbene Sonnenschein spiegelt sich in den vergoldeten Turmspitzen und bringt sie zum leuchten.

Wir parken das Auto auf der Rückseite und laufen einmal um den Bau herum, auf der Suche nach einem Eingang. Doch die Vordertür ist abgeschlossen. Die Seitentür vielleicht…? Ich trete heran, drücke die Klinke herunter. Leider auch zu. Unschlüssig bleiben wir stehen und reiben die kalten Finger.

Und was nu?

Doch dann hören wir von innen Schritte, die sich der Tür nähern. „Hör mal, es ist jemand da!“

„Ja. Jetzt höre ich es auch. Und das Licht brennt.“
Ein Schlüssel dreht sich im Schloss, dann wird die Klinke langsam nach unten gedrückt. Die Tür öffnet sich ein Stückweit. Wir schauen uns beide an. Ist das für uns? Vorsichtig treten wir ein.

Wow.

Beeindruckt von dem, was wir jetzt sehen, reißen wir uns die Mützen vom Kopf. So verfallen die Kirche nach außen hin wirken mag, umso imposanter ist sie innen anzusehen, mit ihren pfeilförmigen, spitzen Fenstern, Wänden, die in elegantem Weiß erstrahlen, was den Eindruck von Helligkeit und Leichtigkeit noch verstärkt. Das Innere der Kathedrale ist im neugotischen Stil ausgestattet (danke, Google 😉 ) Am Altar verlieren sich die herein gelangenden Strahlen der tiefstehenden Sonne. Oben, auf den Kanzel, sitzt ein Pfarrer und liest. Er schaut hoch, sieht uns kurz an und schaut dann wieder in sein Gesangsbuch. Vorsichtig hebt Stefan seine Kamera. Ich traue mich kaum zu atmen.
„Hast du Geld?“ Frage ich ihn dann. „Ich möchte etwas in die Kollekte werfen.“
„Wieviel gibt man da?“
Dann gehe ich mit einem Zehn-Zloty-Schein vor zum Altar und bedanke mich für`s öffnen der Türen.
„Die Abendmesse beginnt demnächst.“ Sagt der Pfarrer. „Ab jetzt bleibt die Tür offen.“

Wir verlassen die schöne Kathedrale und treten wieder nach draußen. Es wird langsam Abend, und es wird immer kälter. Das Auto steht noch an seinem Platz – der Parkplatz liegt etwas weiter abseits der Hauptstraße, Stefan hatte beim Abstellen Bedenken geäußert. „Es wird schon niemand klauen, Schatz…“ Versuchte ich, ihn zu beruhigen.

 

Die Altstadt von Plock

Das Stadtzentrum liegt circa zwei Minuten Fahrzeit von der Kirche entfernt. Ein ziemlich großer Marktplatz wird von alten, jedoch liebevoll restaurierten und frisch gestrichenen Hausfassaden umschlossen. Ich laufe an dem schönen, alten Rathaus vorbei in Richtung der untergehenden Sonne und der Skulpturen, die sich schwarz vom roten Himmel abzeichnen. Beim näheren Hinsehen entpuppen sich diese als eine Gruppe Soldaten aus Stein, zwischen denen Kinder spielten und lachend hin und her rannten. Ich laufe an ihnen vorbei und komme an einem Abhang an, der mit einem Geländer abgesichert ist und den Blick auf den Verlauf der Weichsel und die sinkende rote Sonne freigibt. Die Steinsoldaten wirken wie Fantasiegestalten, die sofort zum Leben erwachen bereit sind, sobald die letzten Sonnenstrahlen im Fluss versinken. Wir bleiben stehen und schauen uns das Schauspiel an.

Als wir zum Auto zurück laufen, ist es bitterkalt.

Quelle: plockdzisiaj.pl

Kasia

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