Europa, Polen

Zuhause – Freunde und Familie

Auf dem Markt

Das Wetter heute morgen: wunderschön und strahlend, mit minus zwei Grad, aber auch knackig kalt. Der Frost treibt uns das Blut in die Wangen, als wir über den örtlichen Markt schlendern. Ein Kilo Äpfel – zwei Zloty, umgerechnet 50 Cent. Lederhandschuhe – 25 Zloty. Traumhafte Preise. Nachdem Stefan einen neuen Geldbeutel ergattert (für`n Appel und ein Ei, möcht ich dazu erwähnen), heißt es für uns wieder einmal; Geld wechseln. Im Kantor am Schalter – derselbe Mann wie gestern, mit seinem emotionslosen, unbewegten Gesicht, welches jegliche Gefühlsregung vermissen lässt.

Danach machen wir einen spontanen Abstecher zur örtlichen Bäckerei. Wir kaufen uns querbeet durch das gesamte Sortiment und lassen uns alles einpacken, was nach süßen Stückchen und befüllten Brötchen aussieht. Magst du noch etwas haben, Schatz?

Die lustlose Verkäuferin legt die Brötchen auf die Theke und die Plastiktüte daneben. Wie jetzt, selbst einpacken? Die Bäckerei könnte eine Unternehmensberatung in Sachen Service gut brauchen. Aber hm… es schmeckt unglaublich lecker. Da verzeiht man ja fast schon den rauen Umgangston.

Meine Freundin Jola

Am Abend sind wir mit meiner Freundin Jola bei ihr zu Hause verabredet. Obwohl sie Vormittags gut zu tun hat (die beiden wollen über Silvester wegfahren, Vorbereitungsstress also), schafft sie es, den Abend für uns freizuschaufeln.

Wir kennen uns schon seit der fünften Klasse, also seit wir beide neun sind. Nach nur zwei Jahren verließ ich Polen. Doch wir blieben in Kontakt. Bis heute.

Nun sitze ich mit ihr auf ihrer heimischen Couch und lasse mich fabelhaft bewirten. Und, wie Weiber unter sich so sind, quatschen wir ohne Unterlass. Stefan versteht kein Wort und droht, neben mir auf der Couch einzunicken.

Schnatter, schnatter…

Ist mein Schatz denn noch wach hier neben mir auf der Couch? Er versteht ja kein Wort von dem, was wir reden… Aber nein, er ist wach – geduldig schaut er sich den Sonnenuntergang an. Also weiter, schnatter schnatter… Ja, klar möchte ich Tee. Ja, ich sitze auch ganz bequem. Nein, wirklich keinen Hunger. Schatz, du? Nein, er auch nicht. Jola, jetzt setz dich endlich mal hin und erzähl weiter, wir sind wirklich bestens versorgt. Ja, es ist auch noch genug Kuchen da…

Wie eine gute, polnische Gastgeberin springt Jola um mich herum. Ob mir auch wirklich nichts fehle. Irgendwie bringe ich sie dazu, sich schließlich neben mir niederzulassen. Auch nach Jahren gehen uns nicht die Themen aus. Wir bleiben bis spät in den Abend hinein.

Wir sitzen im Wohnzimmer, trinken Tee und versuchen, uns zu unterhalten. Ich sage; versuchen, denn der Kleine Robert hält seine Mama auf Trab. Mama dies, Mama das, Mama, hast du schon gesehen…

Jolas kleiner Sohn ist drei Jahre alt. Ein kleveres Kerlchen, sehr aufgeweckt und munter. Ihr scheint die Ablenkung nichts auszumachen, sie hat das wunderbare Talent, ihre Aufmerksamkeit nach Bedarf einzuteilen. Ganz im Gegenteil scheint sie die Liebe und Aufmerksamkeit des Kleinen sehr zu genießen. Sie ist glücklich in ihrer Rolle als Mama – das sieht und spürt man; geduldig beantwortet sie ihm seine Fragen, und setzt im nächsten Moment die eben unterbrochene Unterhaltung mit uns fort. Ich empfinde Bewunderung für sie, für ihre liebevolle Art; unnötig zu erwähnen, dass ich das so niemals gekonnt hätte. Sie muss mit der Zeit die bemerkenswerte Eigenschaft entwickelt haben, die Geräuschkulisse auszublenden.

Meine Freundin verschwindet in der Küche. Stefan hat sich dieses Mal etwas zum Lesen mitgenommen und ist dementsprechend vertieft. Das heißt; ich, quasi allein mit dem Kind. Eine Herausforderung… wer mich kennt, weiß, dass ich mit Kindern absolut nicht umgehen kann. Der Kleine zeigt mir Bilder aus seinem Automodel-Buch und nennt mir den Namen der Automarken. Ich lobe, und irgendwie kriegen wir die Zeit schon rum, bis Jola zurück aus der Küche kommt, einen Pizzateller in der Hand balancierend. Der kleine Robert gackert immer noch vergnügt vor sich hin. Wir sitzen da und erzählen. Versuchen, zwei Jahre des getrennt sein in ein Gespräch zu packen. Alles, was wir sagen wollen, alles, was wir uns gegenseitig fragen möchten. Und trotzdem verbleiben wir am Ende mit einem unerfüllten Gefühl; der unbestimmten Ahnung, etwas Wichtiges vergessen, etwas nicht gesagt zu haben. Haben wir alle Themen angesprochen, die uns am Herzen liegen? Ich weiß es nicht. Als wir uns am späten Abend verabschieden, erscheint mir all das als viel zu wenig, als viel zu kurz.

Später dann, auf dem Weg zum Auto, sehen wir nach oben in einen eiskalten, klaren Sternenhimmel. Stefan erklärt mir Sternbilder. Beim Sprechen steigen heiße Dampfwolken in die Luft. Irgendwo in weiter Ferne bellen Hunde. Wo bei uns in Mannheim kann man denn noch so einen Sternenhimmel sehen, so klar und deutlich wie hier?

Frostig, kalt, wunderschön… mögen die Eisblumen an den Autoscheiben niemals schmelzen.

Pssst, Kasia…

Meine Mama hat Kuchen gebacken. Meinen Lieblings-Apfelkuchen, nach einem Rezept von meiner Oma. Opa freut sich, dass wir wieder da sind.
Sobald wir am Küchentisch sitzen, spielt sich immer folgendes ab: Mein Opa mustert Stefan fragend von der Seite, wie der an seiner Wurstschnitte kaut. Irgendwann wendet er sich mir zu und fragt (unauffällig, wie er glaubt):

„Pssst, Kasia…“
„Ja, Opa?“
„Sag mal…“ er zeigt mit dem Kopf auf meinen Freund. „Er spricht kein Polnisch, oder?“
„Nein, Opa.“ Sage ich dann. Mein Opa schüttelt den Kopf.
„Kein Wort?“
„Nein, Opa.“ Erkläre ich geduldig. „Kein Wort.“ Mein Opa schaut uns noch kurz an und fährt dann mit seinem Frühstück fort.
Doch dann wieder, am Morgen darauf: „Psst, Kasia… Der Stefan, der spricht aber kein Polnisch, oder?“

Abends, wenn wir alle zusammen da sitzen, singt mein Opa Lieder aus seiner Jugend. Dann sagt meine Mutter immer: „Komm, Kasia, zeichne das auf…“ Doch ich will den Moment nicht zerstreuen, will nicht mein Handy herauskramen. Nur zuhören.

Mein Opa baut zusehends ab. Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl. Obwohl er so eigentlich noch recht fit ist. Doch ein Menschenleben ist endlich. Vielleicht hätte ich öfter herkommen sollen. Irgendwann haben wir nicht mehr so viel Zeit, wie wir immer geglaubt hatten, zu haben…

Den Rest des Abends nutzte ich, um die Kleiderschränke meiner Mutter zu plündern. Sie besitzt viele schöne Teile, die ihr nicht mehr passen. Nun habe ich… ein Platzproblem im Schrank. Ich sehe es schon kommen. Morgen schaue ich die Sachen nochmal durch. Werde ich wirklich alles anziehen?

Die goldene Uhr meiner Oma glitzert an meinem Handgelenk. Ein Geschenk zur ersten Kommunion. Wunderschön, ein kostbares Erinnerungsstück.

Die Abende gehören der Familie. Alle zusammen sitzen wir am Tisch. Sogar mein Onkel kommt hin und wieder vorbei. Es werden viele Bilder geschossen. Stefan im Schoße einer polnischen Familie. Wie schön.

Morgen heißt das, ganz früh aufstehen, den Lazienki Park besuchen. Ich ziehe die Russenmütze mit den Ohrenschützern auf. Es soll bitterkalt werden. Ich hoffe dennoch auf strahlenden Sonnenschein, so wie heute.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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