Der Aufstieg zur Höhle ist steil und heiß. Dies war der Grund, weshalb unsere Reiseplaner auf eine frühe Abfahrt bestanden – damit wir nicht bei praller Sonne, wie jetzt, diesen schwierigen Abschnitt absolvieren müssen. Doch es gibt nichts, das sich nicht mit genügend Ausdauer und ausreichend Wasser im Rucksack meistern lässt. Meine Waden protestieren, doch nach einer Weile kann ich sie zum Schweigen bringen. Mehr noch: nach einer Weile genieße ich die Landschaft, die sich sagenhaft schön wie in einem Märchen vor mir ausbreitet.
Der Aufstieg
Eine verlorene Welt, eine unentdeckte Welt, eine Welt, durch die ich auf Spuren der größten Helden und Reisenden wandle. *Tritt mal einen Schritt zurück, Kasia, die Sonne brennt dir heiß auf deinen Kopf…*. Grund genug, sich selbst toll zu finden. Da mir zudem noch das Kunststück gelingt, das Leiden des Leibes von den Erquickungen der Sinne zu trennen. Tatsächlich schleppe ich mich Stein für Stein hinauf. Es ist anstrengend, doch stehen zu bleiben ist keine Option. Denn dann verlassen mich die restlichen mühsam mobilisierten Kräfte. Nur mal kurz anhalten, einen Schluck Wasser in den Rachen, ein Foto, kurz bewundern, weiter.
Zu bewundern gibt es freilich vieles. Hinter uns erstreckt sich der Indische Ozean in seiner ganzen prachtvollen Bläulichkeit. Knorrige, seltsam verdrehte Myrrhenbäume sehen aus wie moderne Kunst. Zwischen den Felsen Pflanzenleben, Eidechsen wuseln durch das trockene Gebüsch. Höre ich Vogelstimmen? Ein ganzer Baumstamm bedeckt mit spitzen Schneckenhäuschen. Ich habe längst aufgehört, mich zu fragen, wieso und warum. Nur einen Fuß vor den anderen setzen. Da ich weit vorne bin und der größere Teil der Truppe hinter mir, kann ich mir das eine oder andere kurze Päuschen erlauben. Nicht dass die mir gut täten. Denn einmal im Ruhezustand, will der Körper nicht mehr weiter. Nur mit einiger Überzeugungskraft („Schau mal, schöne Landschaft“) lässt sich der Leib zu Höchstleistungen anspornen („Was jagst du mich hier hinauf? Das wird sich rächen. Gruß, dein Körper“). Auch die Wassermenge, die ich im Rucksack mit mir trage, zerrt an meinen Schultern. Doch Wasser ist notwendig, und ich habe den Eindruck, dass manche von uns zu wenig dabei haben, um nicht tragen zu müssen. Keine kluge Entscheidung.
Oben angekommen warten wir einen Augenblick. Eine andere Gruppe hat soeben die Höhle betreten und es gilt, Besuchsstau zu vermeiden. Doch das Warten zieht sich nicht in die Länge, im Gegenteil: genau jene Zeit benötigt es, um meinen erhitzten Körper zu kühlen und meinen hämmernden Puls zu beruhigen. Wir, die bereits oben sind, sitzen auf einem großen, flachen Steinbrocken und schauen herunter auf den Pfad, den wir soeben erklommen haben und der sich zwischen Bäumen verliert. Gleitet der Blick weiter über die Landschaft, bleibt er schließlich an einem dunstigen, nichtsdestoweniger herrlich türkisblauen Streifen am Horizont – dem Ozean. Die Kalksteinhöhle, welche wir jetzt besuchen werden, befindet sich auf 350 Metern Höhe etwa anderthalb Kilometer von der Nordküste entfernt.
Höhle Hoq
Die Hoq-Höhle ist alt, uralt. Wie alt, das wissen die Sokotris vermutlich selbst nicht genau. Als sich Gondwana abspaltete, hat es sie vermutlich schon gegeben. Petroglyphe aus dem 2 Jhd. nach Christus wurden hier in ihrem Inneren gefunden. Insofern ist die Höhle Hoq eine bedeutende archäologische Stätte. Die Petroglyphen bekommen wir jedoch nicht zu Gesicht, der letzte Abschnitt der Hoq wird noch archäologisch untersucht.
Meterhohe Stalaktiten, meterhohe Stalagmiten. Steinerne Wächter. Vorhänge aus zerlaufenem Gestein. Ganze Ballsäle, riesig und kühl. Der Eingang gleicht einem Maul voller Zähne. Weiter geht es nur noch in Begleitung des flackernden Lichts der Stirnlampen. Die sind unbedingt nötig, denn nichts in der Höhle ist für den Tourismus aufbereitet. Es gibt keine geheimnisvollen Klänge an den Wänden – höchstens die der Vögel, später der Fledermäuse. Es gibt keine künstliche Beleuchtung außer der, die man selbst mitbringt. Es gibt keinen aufbereiteten Boden. Die feuchten, salzig-nassen Felsen sind glatt und rutschig. Es gibt kein Geländer. Unsere lokalen Guides kümmern sich um uns und helfen das eine oder andere Mal weiter, wenn man, wie ich, mehr als einmal sicher ist, auszuschlittern. Mit einem Absperrband werden Bereiche der Hölle ausgesperrt und gleichzeitig der Weg gewiesen. Stirnlampe und Guides, der einzige Weg, um sich sicher fortzubewegen.
Etwa einen Kilometer tief können wir uns hinein bewegen. Die anderen Bereiche sind für den Tourismus noch unerschlossen. Insgesamt soll die Hoq etwa zwei Kilometer lang sein. Sie wurde 2001 von einer Gruppe belgischer Forscher kartiert und untersucht. Es ist warm hier drinnen, ganzjährig herrschen Temperaturen zwischen 25-27 Grad bei einer rund 95 Prozentigen Luftfeuchtigkeit. Kein Wunder, dass hier alles tropft und glitzert, dass der Boden nass und glänzend im Licht der Laternen schimmert. Es gibt ein Absperrband, doch keine Halterleinen.
Glitzernde Kalziumkarbonatkristalle überall, überdimensional groß. Das Höhlengewölbe leuchtet im Widerschien der Laternen. Etwa zwanzig Meter ist sie hoch und etwa fünf Meter breit. Nadeldünne, spitze Formationen hängen von der Decke. Andere liegen abgestürzt und zerbrochen in den Ecken herum. Einen Helm trägt von uns keiner. Es wird heiß; heißer, je tiefer wir steigen. Fledermäuse scheint es keine zu geben, weder hört noch sieht man sie. Obwohl zwei von uns der festen Überzeugung sind, eine Fledermaus wäre dicht an ihnen vorbei geflogen. Der Höhepunkt ist ein kleiner See, der eher einer größeren Pfütze gleicht. Das ist unser Endpunkt, hier geht es retour wieder nach oben.
Der Abstieg
Das Meer im Tal leuchtet in einem fast unnatürlichen, überirdischen Blau. Ich bin weit hinten, die meisten aus der Gruppe sind bereits fast unten. Aber das ist okay. Ich nehme mir Zeit und bin von einem erhabenem Gefühl erfüllt. Jetzt, wo der Weg nicht mehr ganz so mühsam ist, kann ich mir Zeit für seine Schönheit nehmen. Und für das verwunderte „ich-bin-wirklich-hier“ Gefühl – aber das kennt ihr bereits von mir. Nur noch Michael und Guide Gerti sind hinter mir zu sehen.
Heimatmuseum
Das Heimatmuseum nahe der Straße nach Archer beherbergt alle Gegenstände des täglichen Gebrauchs hier auf der Insel. Es wurde einst von einem reichen Sokotraner finanziert, der in die Emirate ausgewandert war. Das Museum ist überschaubar. Es finden sich Kleidung, Truhen, Aufbewahrungsgegenstände. Faszinierend für mich sind die Behältnisse aus Tierhäuten, welche ich in der Form bereits in einem saudischen Museum gesehen habe und welche zum Transport von Wasser dienen. Ein Kanu ist ausgestellt; es wurde einst nicht nur zum Fischen, sondern wie ich bei meiner Recherche erfahre, auch dazu verwendet, um sich aufs Festland zu bewegen.
Das Museum hat einen Museumswächter; fast noch ein Junge, der in einer liegenden Position in einer Ecke des Raumes vor sich hin lümmelt. Unser Eintreten ist kein Grund sich zu erheben. Oder gar zu reagieren. Also sehen wir uns um, nicken kurz mit den Köpfen und sind schnell wieder draußen. Ohne englischsprachige Erläuterungen ist ein jeder von uns aufgeschmissen. Gern hätten wir uns Sokotras Geschichte näher bringen lassen, aber so what.
Vor dem Museum umringen sofort Kinder unser Auto. Ein alter Fischer präsentiert seinen Fang, einen regenbogenbunten, großen Hummer. Als die ersten Kameras klicken, packt er das Tier genervt weg. Er möchte den Hummer nicht herzeigen, sondern verkaufen.
Der Abschied
Das wohlverdiente Mittagessen findet in einem grünen Wadi statt. Der Koch hat sich mal wieder selbst übertroffen und kredenzt uns den bislang besten Fisch. Aromatischer Reis mit Gewürzen, Oliven, Nelken, Zimt und Kapern bildet eine schmackhafte Ergänzung. Und zum Ende hin gibt es eine Wassermelone.
Die allgegenwärtigen Ziegen kreisen um uns herum und versuchen alles, was irgendwie nach Fressen oder Papier aussieht, an sich zu reißen. Aktiv schützen wir unsere Taschentücherbox vor dem gefressen und unsere Rucksäcke vor dem angepinkelt werden. Dann sind da noch die Schmutzgeier, ebenso gierig schauend und ebenfalls allgegenwärtig. Nicht ganz so forsch wie die Ziegen. Doch hier können wir den großen Vögeln so nahe kommen wie sonst nirgends auf der Insel.
Dies ist der Augenblick, unsere Crew zu verabschieden. Heute ist der sozusagen letzte Tag unserer Reise, denn schon morgen folgt die Abfahrt zum Flughafen in Hadibu. Die Crew posiert für Abschiedsbilder. Zugegeben, ich werde den Koch vermissen. Besser gesagt, sein Essen. Wir sammeln Trinkgelder ein, die dann feierlich überreicht werden. Extraviel für den Koch. Ach, der Koch.
Der Aufstieg war mühsam, doch die Strapazen haben sich gelohnt. Was für eine tolle Höhle! Für den Abstieg hätte ich mir wohl auch alle Zeit der Welt gelassen. Den eine solche Landschaft will genossen werden, und zwar ausgiebig.
Das war auch eine kleine Entschädigung für die Dünen am Morgen, die wir mehr oder weniger links liegen lassen mussten. Sehr langsam ist okay, schließlich ist man einmal im Leben da 😉
ich bin immer wieder erstaunt, was Du dir aufbürdest um die verrücktesten Ecken dieses Planeten zu entdecken. Manchmal wünschte ich mir auch so ein Entdecker-Gen – dann käme ich sicher auf die benötigten Schritte um mein Gewicht halten zu können. Aber wenn so ein Wetter ist wie die letzten Tage hier bei uns mit 27 – 30 ° und 80% Luftfeuchtigkeit, gehe ich nicht mal zum einkaufen – geschweige denn, dass mich irgendwer (oder irgendwas, was mich fressen will) einen Berg hochtraben lässt.
P.S. bei den Bildschirmfüllenden Bildern sehe ich nur schwarze Quadrate. Beim ersten habe ich noch gedacht, Du hättest das Innere der Tropfsteinhöhle fotografiert – mit ausgeschalteter Stirnlampe. Doch als das bei den anderen auch war, kam ich ins grübeln…
Bleib gesund – achja.. und kauf dir ein Kochbuch – dann musst Du nicht fremden Köchen hinterherschmachten.. 🙂
CU
P.
Nanu, ein neues Profilbild? Ich dachte mir eben, wer isses denn? 😉
Auf meine Schritte komme ich im Alltag auch nicht (vor allem, seit meine Smartwatch kaputt gegangen ist…), aber Reisen bilden eine absolute Ausnahme. Ich will das alles mal gesehen haben und es gibt tatsächlich immer mehr Flecken auf der Welt, auf die ich, wenn mal eine Reportage läuft, mit dem Finger zeigen und rufen kann: da war ich schon!
Meine neuen Galerien funktionieren nicht im Wortpress Reader (du hast über den Reader gelesen, nehme ich an?), deshalb ist jeder herzlich eingeladen, sich die Beiträge direkt auf meinem Blog anzuschauen.
PS: Ich besitze Kochbücher. Na ja, ich besaß. Habe sie alle Stefan geschenkt… 😉
Ja, ich habe den alten Avatar „in Rente geschickt“ – habe zu viele eindeutige S*x-Anfragen von Groupies bekommen, die sich von einer Sekunde auf die andere in mich verliebt haben. Ich verstehe Frauen nicht, da passt das Alter nicht (40 Jahre Altersunterschied?!) die sprechen nicht mal meine Sprache, aber sind Schockverliebt. von einer Sekunde auf die andere. 🙂
Jaja, das Internet – die größte Betrügeransammlung des Universums..
Und nööö. ich habe den Blogbeitrag ganz normal über meinen Browser aufgerufen – sie werden mir jetzt auch angezeigt.
Kann es sein, das Du die in Originalgröße eingebunden hast? Das würde die immens lange Ladezeit erklären..
Ja, in Originalgröße. Verkleinern also, guter Tipp, danke.
@Profilbild: tja, wenn die wahre Liebe zuschlägt, dann muss man in Deckung gehen 😉
Vielen lieben Dank Kasia, dass ich dich auf deiner wunderschönen Reise virtuell begleiten durfte. Es war mal ganz was anderes, von einem Ort, an dem ich sicherlich nie hinkommen werde. Also nochmals DANKESCHÖN.
Liebe Grüße, Roland
Sag niemals nie, vielleicht packt dich die Insel auch eines Tages 😉
Die Höhle ist der Hammer!
Ja, nicht wahr? 😉
Ein spannender Ort! Danke fürs erzählen!
Das Besondere daran ist, dass die Höhle noch so unentdeckt geblieben ist. Hoffentlich gibt es nicht so bald eine ausgebaute Straße und Reisebusse dorthin…