Asien, Europa, Türkei

Lahmacun und türkische Gastfreundschaft

Es ist eine seltsame Zeit und ein seltsames Jahr, ein Jahr, das an einem vorbei zieht, fast unbemerkt, während der Mensch damit beschäftigt ist, zu Hause zu sein, aufzupassen und sein neues Social Distancing zu pflegen. Freunde sind nur noch ein fernes Echo und viele wünschen sich Normalität zurück. Lebensqualität. Auch ich habe von Social Distancing die Nase voll. Meine Beziehungen zu anderen Menschen liegen auf Eis, und deshalb beschließe ich, einige davon wieder zu beleben.

Meine liebe türkische Freundin Semira* gehört zur Hochrisikogruppe, deshalb war sie als erste meiner Freunde von mir unfreiwillig gemieden worden. Doch nun bin ich seit rund einem Monat zu Hause und treffe keine Menschen und auf sie trifft das gleiche zu. Bis auf die Einkäufe, die man ab und zu so erledigt, sind wir sozusagen isoliert und nach einer langen Zeit sozialer Abstinenz besuche ich sie.

„Aber ich werde kochen und du wirst mit mir essen, rechne damit.“ Schreibt sie mir kurz vorher via Whats App. Ich schlucke und füge mich in mein Schicksal. Bei Semira* steht immer der Tisch voll, unabhängig davon, wie häufig man versucht, zu betreuen, keinen Hunger zu haben. Bei dem Versuch bleibt es meistens.

So wie diesmal.

Als ich, noch brav in Schutzmaske, vor der Tür stehe, überschlagen wir uns vor Freude. „Die Kinder sind bei Oma.“ Sagt sie. Ein Videoabend mit Horrorfilmen und leckeres türkisches Essen sind geplant. „Meine Mama und ich haben Lahmacun gemacht.“

Selbstgemachter Lahmacun, also türkische „Pizza“ ist eine Art Fladenbrot aus Hefeteig, mit einer Mischung aus Gewürzen, Gemüse und Hackfleisch bestrichen und gebacken. Das hat bestimmt jeder schon mal gegessen. Gerollt und mit Salat gefüllt gibt es das in jedem Dönerladen zu kaufen. „Wir zu Hause rollen unser Lahmacun nicht.“ Erklärt mir Semira*. „Wir essen es mit der Hand und den Salat einfach dazu.“ Das Lahmacun wird vor dem Essen mit Zitrone beträufelt.

Der Abend verfliegt beim leckeren Essen, leckeren türkischen Süßigkeiten wie essbarem Haar (so nenne ich es, in Wirklichkeit heißt das süße, schmackhafte Zeug Pismaniye. Es handelt sich um sehr feine Zuckerwatte in verschiedenen Geschmacksrichtungen, unter anderem Sesam und Pistazie. Das Zeug sieht nicht aus wie was zu essen und fühlt sich beim Berühren noch weniger danach an; vielmehr habe ich Lust, mit den seltsamen Haaren Kissen zu füllen oder Perücken zu bastelt. Doch es schmeckt sehr gut. Die Zuckerwatte besteht nicht, wie die uns bekannte, aus reinem Zucker; es sind feine Stränge, die wie Haare aussehen und mit Butter, geröstetem Mehl und gezogenem Zucker hergestellt wird. Die feinen Härchen zerfließen auf der Zunge in einer unglaublichen Süße. Man kann sie selber machen, doch es gibt sie auch in jedem türkischen Supermarket zu kaufen.

Semira* ist eine perfekte Gastgeberin. Sie kann nicht still sitzen, springt ständig in die Küche und sorgt dafür, dass es mir an nichts fehlt. Dabei lässt sie nicht zu, dass ich auch nur einen Finger krumm mache, um ihr zu helfen.

„Hier gehört alles dir, iss alles, was du siehst.“ Sagt sie und deutet auf die gestapelten Berge an Süßigkeiten, Knabereien und Chips. Der „Kamin“ in Wohnzimmer knistert und wirft Schatten und feine Musik erfüllt den Raum. Nach dem Essen wird der Kamin ausgeschaltet und macht Platz für Netflix.

Die Horrornacht fordert ihren Tribut und wir gehen morgens um vier ins Bett. Am nächsten Morgen verlasse ich mit einer vollbepackten Tasche das Haus, denn Semira* hat für mich und Stefan ihren gesamten Vorrat an Lahmacun eingepackt, der sicher noch zwei Wochen reicht. „Hier, nimm noch Gemüse dazu. Und dieses Gewürz, das bereiten wir auch selbst zu.“ Was sonst?

So durfte ich einen schönen Abend lang die türkische Gastfreundschaft genießen. Und ja, es ist besonders, bei Semira* zu Hause zu sein, denn sie tut alles, damit man sich wohl fühlt. Wenn dir etwas fehlt, turnt sie eine halbe Stunde durch die Wohnung, um es zu finden, auch wenn ich sie beschwöre, doch sitzen zu bleiben. Nein, ich soll nichts tun, ich soll mich gut fühlen. Na dann, denke ich und greife mir noch ein Stück Lahmacun. Über die Zahl auf der Waage mache ich mir am nächsten Tag Gedanken…

Ich habe mir das Rezept für selbstgemachten Lahmacun geben lassen, so wie meine Freundin ihn immer macht. Jede Familie bereitet ihn ein bisschen anders zu, doch das Grundgerüst bleibt das gleiche; es sind der Hefeteig und die Hackfleischfüllung. Beim Salat zum Lahmacun hast du schon eher freie Auswahl, welches Gemüse du bevorzugst. Angerichtet wird der Salat vorzugsweise mit Öl, Salz und Zitrone, manche geben ein wenig Granatapfelsirup dazu.

Hier ist das Rezept zum Nachkochen:

 

Selbstgemachte Lahmacun (Türkische Pizza)

Hefeteig: 

500 g Mehl
1 Päckchen Trockenhefe (oder 1 Würfel frischer Hefe)
3-4 Löffel Öl (nach Wahl)
10 g Salz
350 ml Wasser 

Die Hefe zerbröseln und mit 50 ml Wasser verrühren. 10 Minuten stehen lassen. Dann die restlichen Zutaten hinzu geben und das restliche Wasser einrühren. Zur Herstellung vom Teig kann eine Teigmaschine verwendet werden. Den Hefeteig zugedeckt 30 min stehen lassen.

 

Hackfleischfüllung:

500 g Gehacktes (gemischt, Rind und Lamm)
4-5 Teelöffel 1 Pul Biber (türk. Chilipulver) 2
1-2 rote Paprika oder 3 grüne Spitzpaprika 3
5 Knoblauchzehen
ca. 400 g Zwiebel
150 ml Öl (nach Wahl)
2 El Paprikamark 4
1 EL Tomatemnark
halber Bund glatter Petersilie
1 Dose gehackter Tomaten
1 Kaffeelöffel Salz
1 Kaffeelöffel Paprikapulver
1 Teelöffel gemahlenen Kreuzkümmel 5
1 Teelöffel Pfeffer

Zwiebel, Knoblauch, Paprika und Petersilie, waschen, evtl. schälen. Die Zutaten in einer Küchenmaschine fein zerhacken und mit dem Hackfleisch vermengen. Die restlichen Zutaten per Hand mit der Masse vermengen und alles ordentlich verkneten.

 

Zubereitung: 

Den Backofen (Ober- und Unterhitze) auf 270 Grad vorheizen.

Hände mit Mehl einreiben, damit der Teig nicht kleben bleibt; ebenso die Arbeitsfläche. Den Teig in 10 gleich große Stücke teilen. Jedes Stück 5-7 mm dünn und rund ausrollen und mit 3-4 El Hackfleischfüllung bestreichen. Im Backofen auf Backpapier ca. 10 min backen. Auf einem Teller türmen und mit Alufolie zudecken. Die Lahnmacun werden vor dem Essen mit Zitronensaft beträufelt.

 

Salat:

Hier seid ihr frei in eurer Wahl, je nachdem, welches Salatgemüse euch am besten Schmeckt. Der Salat wird in den Teig gerollt, so wie man es vom Dönermann kennt, oder nebenbei gegessen.

Ich nehme Gurken, Tomaten, Schnittlauch, Dosenmais, glatte Petersilie (Klassiker!), aber auch andere Zutaten sind möglich. Blattsalat, Schafskäse, eingelegte Paprika – alles optional. Das Gemüse für den Salat wird in der Regel in Würfel geschnitten und mit Zitronensaft, Öl, Salz gewürzt. Meine Freundin gibt immer einen Schuss Granatapfelsirup dazu. Auch frische Knoblauchblätter aus dem eigenen Garten waren dieses Mal dabei.

Den Salat könnt ihr in den Teig rollen oder separat zum Lahmacun dazu essen. Wenn ihr vorhabt, den Salat in den Teig zu rollen, sind Cherrytomaten besser als die großen, da sie weniger Wasser ablassen und den Teig nicht aufweichen.

Ganz tolle türkische (und auch andere) Rezepte hat Ayse aus Köln auf ihrem Kochblog Ayses Diner. Dort habe ich mich orientiert, was die genaue Zubereitung vom Teig betrifft. Aber jeder macht sein Lahmacun ein bisschen anders, so dass sich die Rezepte in einigen Details oft unterscheiden.

 

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*Name geändert

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Kasia

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