Rzeszów, Polen nach Sarajevo, Bosnien und Herzegowina – Google Maps
Ein lichtheller, rosaroter Sonnenaufgang.
Es ist kalt im Hotel. Kalt und nass, denn der Boden im kleinen Bad ist überflutet. Gosia und die anderen schlafen anscheinend noch zu dieser frühen Zeit. Ich nutze die Zeit, um ein wenig draußen vor dem Haus umher zu streunen und mich umzusehen. Viel zu sehen gibt es nicht: Häuser, Brücke, Fluss. Eine Straße, die uns schließlich nach Sarajevo führen wird. Doch manchmal helfen ein paar Minuten alleine, um einen Ort zu erfassen. Zudem ich das erste Mal in Bosnien bin. Zeit, lange zu überlegen, gibt es kaum; diese (und die folgenden) Reisen werden in Lichtgeschwindigkeit an mir vorbei ziehen.
Als ich unten im Restaurant ankomme, ist nur Tomek da. Alle anderen schälen sich nach und nach aus den Federn. Es gibt Tee, Kaffee und alles, was wir wollen. Ein leckeres Balkanfrühstück wird uns serviert. Der etwas jüngerer Typ, der uns bedient, verwendet hier und dort ein deutsches Wort, darum spreche ich ihn an. Das wird am Schluss unter „Naivität“ verbucht. Notiz an mich: sprich auf dem Balkan nie Männer an, sie denken direkt, dass du mit ihnen ausgehen (oder sie heiraten) willst.
Das gute Wetter von gestern ist Geschichte. Der helle Sonnenaufgang, der gutes Wetter versprach, log uns ins müde Gesicht. Wolken überziehen das Land und als wir uns aufmachen und losfahren, gießt Regen wie aus Eimern. Das Tief, welches uns die gesamte Strecke lang folgen soll, hat uns eingeholt. Zeit zu flüchten; wir sind in die Hauptstadt, die geschichtsumrankte Stadt Sarajevo unterwegs.
Regen oder nicht, Bosnien ist spannend. Unser Passerati passiert kleine, ärmlich aussehende Dörfer. Alte Frauen in Kopftüchern, vornüber gebeugt. Ein altes Großmütterchen überquert die Straße. Alte Autos aus den Neunzigern. Hin und wieder ist ein muslimischer Friedhof zu sehen, marmorweiße, spitze Grabsteine. Moscheen fliegen vorbei, Minarette, die in die Höhe schießen. Ausführlich erkläre ich meinen Leuten den Unterschied zwischen „Turm“ und „Minarett“. Sie lachen mich die folgende halbe Stunde aus, doch bei unserem nächsten Ausflug werden sie die Begriffe korrekt verwenden.
Regen in Sarajevo
Sarajevo, eine große Stadt auf Hügeln. Wir kommen bei Nieselregen an. Auf einem Parkplatz, etwas außerhalb der Altstadt gelegen, lassen wir den Passerati ruhen. Es ist eng, denn die Leute parken abenteuerlich. Und jeder, wie er will. Es ist düster, denn der Himmel ist mit Wolken bedeckt. Ein Graffito auf einer großen Hauswand erinnert an den Krieg, ebenso wie Einschüsse auf Hauswänden.
Doch Sarajevo ist mehr als eine posttraumatische Nachkriegs-Belastungsstörung. Die Stadt hat ihren eigenen Flair. Schon bei der Anfahrt auf die große Stadt steigt uns ein geschwungener, silbriger Wolkenkratzer entgegen, dessen Oberfläche schimmert wie bei einem Fisch. Es ist der Avaz Twist Tower, ein Bürohochhaus im Geschäftsviertel Marijin Dvor.
Wir flanieren durch Parks, über Brücken, durch enge Gassen. An jeder Ecke gibt es bosnischen Kaffee, auf Sand gebraut. Es ist eigentlich Mokka. Doch es ist bosnischer Mokka. Großer Unterschied. Tonnen von Lokum und Baklava stapeln sich süß in Auslagen der Läden. Ich lasse meine Leute Simit probieren, jene großen, gebackenen Sesamkringel, die in Istanbul zum Frühstück gegessen werden. Das fluffige Gebäck kommt so gut an, dass mein Onkel uns seitdem ungefragt zu jedem Essen Simit kauft, was ein leichtes Stöhnen seitens der restlichen Familie provoziert.
Sarajevo trägt eindeutig muslimische Züge. Frauen in Kopftüchern bevölkern die Straßen und die Wahlplakate. Tomek erzählt uns vom Hass auf Muslime, von zerschossenen Minaretten. Die Stadt ist voller Moscheen, Touristen und Tauben. Katzen, Börek und bosnischer Kaffee prägen das Stadtbild. Kleine, enge Gassen und Shops. Kriegsspuren auf Häusern. Und doch – noch immer ist sie mehr als das. Wie gern würde ich mich in ihren engen Gassen verlieren. Stundenlang flanieren und erst am Abend wieder rauskommen. Doch das geht nicht, denn mit der polnischen Familie zu verreisen ist wie auf einer pauschalisierten Reise in einer Gruppe zu sein. Wir haben Programm. Nur Jacob, der schon mal vor kurzem hier in Bosnien war, bedauert mit mir gemeinsam, wenig Zeit zu haben. Ein ganz klein wenig. Wofür wir hingegen Zeit finden, sind die unvermeidlichen Kühlschrankmagnete, die Shops mit den kitschigsten Souvenirs, wo meine Family gefühlte Stunden verbringen kann. Währenddessen laufe ich die Straße rauf und wieder runter, nur soweit, um die anderen nicht aus den Augen zu verlieren, und lasse mich von den windigen und lächelnden Händlern und Caféhausbesitzern ansprechen, die natürlich auf den ersten Blick meine polnische Nationalzugehörigkeit zu erkennen imstande sind.
Zwischendurch schaue ich sogar in einer der bosnischen Apotheken vorbei. Ihr erinnert euch an mein blutrotes Auge? Nun, das ist inzwischen purpurrot bis lila geworden und die Färbung erstreckt sich über das ganze Augenlied, als hätte ich zu tief in den Schminkkasten gegriffen. Doch selbst hier in Bosnien, außerhalb der EU und ihren Regularien, will mir keiner eine harmlose Augensalbe verkaufen. Grund: die Salbe sollte ein Antibiotikum enthalten. Und das gibt es nur auf Rezept. Vermutlich wirke ich noch nicht bedauernswert genug.
Der Baščaršija Platz ist voller Tauben. Scharen der grauen Vögel werden von Touristen gefüttert und lassen sich dafür vertrauensvoll auf den Menschen nieder, fliegen in scharfem Flugstil den Leuten entgegen. Alles ist voller grauer Federtupfer: der Boden, die Dächer. Baščaršija ist der Basar, welcher sich rund um die Altstadt erstreckt und in dem ich mich so gerne verlieren möchte. Enge Gassen, Läden, Kaffeekannen und Services, überall etwas zu entdecken. Die osmanischen Märkte der Altstadt wurden bereits im 15 Jahrhundert angelegt; wenn man von Baščaršija spricht, meint man umgangssprachlich das gesamte osmanische Viertel. Doch eigentlich, ganz streng genommen, trägt nur der Platz diesen Namen. Doch wer würde es hier denn ganz streng nehmen. In der Mitte des Platzes steht ein öffentlicher Brunnen, der Sebilj. Er ist zu großen Teilen ein aus Holz gebautes, architektonisches Wunder in Form eines Kiosk. Um eben jenen Brunnen scharen sich Touristen, Kinder und Tauben. Im Hintergrund erhebt sich die Gazi Husrev-Beg Moschee.
Leckere Düfte dringen aus den Cafés auf die Straße, kleine, runde Mosaiktische laden zum Verbleib ein. Straßenhändler mit ihren Wägelchen verkaufen Gemüse, Obst und Backwaren. Tomek zeigt uns, wie echter, bosnischer Börek schmeckt. In einem vollen Restaurant, wo wir über eine enge, winkelige Treppe hin zur ersten Etage gelangen, wird uns hausgemachter, köstlicher Börek mit Joghurt serviert. Das leckere Gericht, gerollter Blätterteig mit Hackfleischfüllung, ist eine der Spezialitäten der Balkan Halbinsel. Es wird begleitet von Kaffee, der auf einem kleinen Tablett und in Messinggeschirr zu uns geschwebt kommt. Die Kellner haben Übung darin, die Tabletts schwungvoll an all den Gästen vorbei zu manövrieren.
Der Bosnische Mokka wurde auf Sand gebraut. Zucker ist, wie mir erklärt wird, ein unabdingbares Element des köstlichen Gebräus. Ich nehme dies zähneknirschend zur Kenntnis. Tatsächlich entfaltet der Mokka erst mit einem Würfel Zucker seinen eigentlichen Zauber. Noch mehr, wenn man ein Stückchen Lokum zwischen die Zähne nimmt. Nach einer solchen Veranstaltung braucht man zwar neue Zähne, doch nun kann ich spüren, wie mich der Zuckerschock durchströmt, eine völlig neue, bislang unbekannte Energie. Nur wohin damit? Unser Gänsemarsch muss weiter gehen.
(Wenn ihr mehr lesen wollt über Sarajevos Kaffeekultur, empfehle ich euch Coffee News Tom Blog. Mit dem Auge eines Reporters beobachtet und beschreibt Tom anschaulich seine Eindrücke von der Stadt.)
Doch das zügige Tempo ist nur zum Teil die Schuld der polnischen Familie mit den japanischen Genen. Unsere Visite beschränkt sich auf die Altstadt. Zum Teil ist es der Regen, der das Flanieren so semi angenehm macht, der sich von einem feinen Nieselregen zu einem stärkeren Regenguss entwickelt. Zum Teil ist es Tomek, der zügigen Schrittes mit uns hindurch läuft. Er sei schon mal hier gewesen, erzählt er; hier gäbe es „nicht viel“, die Altstadt habe man in kurzer Zeit durch. Doch für mich ist es wenig, zu wenig und zu kurz. Jacob erzählt von seiner letzten Reise hierher. „Der Sarajevo Tunnel und die Olympia-Ruinen sind wirklich interessant.“ Meint er.
So aber wandern wir noch ein wenig außerhalb der Altstadt herum, überqueren die Lateinerbrücke, die den Miliacka Fluss umspannt, vorbei am imposanten Rathausgebäude, und finden kurz halt unter einem Vordach. Inzwischen regnet es recht kräftig, die Regenfront von vor drei Tagen hatte uns wider erwarten hier in Sarajevo eingeholt. Das meinte ich, als ich sagte, wir glaubten noch an unser Glück.
Unser Parkplatz ist, wenn überhaupt möglich, noch voller geworden. Langsam manövriert einer der Männer den Passerati heraus. Die beiden Leitlöwen wechseln sich mit dem Fahren aus, da nur angehörige der Firma das edle Stück bewegen dürfen. Alternativ käme noch Gosia, meines Onkels Tochter, infrage. Doch unser Führerscheinneuling ist verständlicherweise nicht scharf darauf, seine Fahrkünste ausgerechnet auf dem Balkan zu vervollkommnen.
Wir verlassen Sarajevo und ich schwöre mir, wieder zurück zu kommen. Der Weg führt uns durch schöne, neblige Schluchten, wo Wolken in Fetzen über grünen Bäumen hängen. Bosnien ist von Mittelgebirgen geprägt, keiner der Berge ist höher als 2386m. Und doch sind hier rau aufragende Felsen zu sehen. Jacob dreht am Radioregler. Immer, wenn wir unterwegs sind, versuchen wir, über die Musik ein wenig lokales Kolorit zu bekommen. Auch jetzt; die Balkanmusik ist melodisch und sehnsuchtsvoll, die Schlucht wird tiefer und der Weg kurviger. Eine schöne Gegend, eine schöne Landschaft. Und kein Empfang – mein GPS gibt temporär seinen Dienst auf.
[…] Unbedingt zu empfehlen der aktuelle Beitrag meiner Blogger-Kollegin Kasia von „windrose-rocks„! […]
Vielen Dank für die lobende Erwähnung meines Blogs! Und natürlich für Deinen tollen Bericht über eine meiner Lieblingsstädte!
Endlich kam ich mal dazu, Sarajevo zu sehen. An dem bosnischem Kaffee kommt man da einfach nicht vorbei, und dein Beitrag ist die perfekte Einstimmung darauf 🙂
Danke Dir. Da bekomme ich sofort wieder Lust hinzufahren…
@bosnische Männer: Tja, da hättest du mal flott unter die Ehehaube kommen können und hast es vermasselt 😜! @Sarajevo: die Stadt lohnt ganz sicher einen etwas genaueren Blick. Das ist natürlich schwierig bis unmöglich, wenn man auf Gruppentour ist (#kühlschrankmagnetschlägtstadtbesichtigung). Aber das hast du ja im Vorfeld gewusst und dich trotzdem für die Familienreise entschieden. Du wirst deine Herzensgründe dafür haben – und ganze sicher eines Tages mit mehr Zeit im Gepäck zurückkehren. Bei hoffentlich besserem Wetter! Und nun freue ich mich auf eure weiteren Abenteuer im Passerati. Schönes Wortspiel by the way 😎.
Der Passerati war nicht meine Erfindung 🙂 @bosnische Männer: keine Sorge, ich werde später in Bulgarien meine zweite Chance bekommen. Mein Onkel versucht dauernd, mich an irgendwelche Leute abzugeben 🙂 Nach Sarajevo will ich definitiv zurück und du hast Recht: es müssen Herzensgründe gewesen sein, die mich zu der Reise mit der Familie bewegten, denn eine vernünftige Erklärung habe ich dafür nicht 😉
Abgesehen vom regnerischen Wetter hatten wir dennoch viele schöne Erlebnisse und probierten viele Köstlichkeiten. 🙂
Schönes Wochenende, Kasia
Das Wetter wird sich noch bessern. Und wir werden noch so viel mehr erleben 🙂 Dir auch ein schönes Wochenende!
Sieht so aus, als ob wir da auch mal hinmüssten. Extrem interessant. Wir waren auf unserer Balkanreise mit dem Wohnmobil für eine halbe Stunde in Bosnien. Bis uns der Regen vertrieb. Scheint ein generelles Problem zu sein 😂
Ja, ich weiß auch nicht, was das für eine Sache ist mit Regen und Bosnien 🙂 Aber das Land ist superspannend. Kann ich nur empfehlen 😉