17 Juni 2022
Kaum ist man in der Schweiz, sieht die Landschaft aus wie gemalt; wie aus einem Modelbaukasten geschüttet. Alles ist getrimmt und gestriegelt, strahlt in hellem Grün. Kleine Häuschen kleben putzig an den Hängen und schneebedeckte Alpen winken uns von Weitem schon verheißungsvoll zu. Kaum stehen wir an der ersten Raststätte – Stefan ist inzwischen wieder wach, die Plätze können wieder getauscht werden -, und mir fällt nichts besseres ein, als „Wow, habt ihr in der Schweiz hohe Berge.“ Glücklicherweise spreche ich den Gedanken nicht laut aus, das könnte albern werden.

Ja, hier kann man Gipfel erstürmen noch und nöcher. Hier ist nix mehr mit „renne ich mal schnell hoch“, wie ich es im Pfälzer Wald gewohnt bin. Majestätisch sehen sie hier aus, die Gipfel. Und am besten gefällt mir immer noch die Gegend um den Vierwaldstättersee. Wie sich die Gebirgszüge an den See schmiegen. Türkisblaue Gewässer; Flüsse, Seen. Wie die leuchtenden Augen einer wunderschönen Frau – oder eines wunderschönen Husky Hundes.
Gestern erzählte ich euch von der Odyssee unserer Anfahrt hierher, die ich romantisch wie folgt taufte: „Picknick in Frankreich„. Heute morgen, nach einem exzellenten Frühstück, ging es erstmal einen Ort weiter, den Ersatzwagen abholen. Wie ihr bereits herauslesen konntet, wird unsere Reise zeitverzögert, trotz aller Widrigkeiten fortgesetzt. Das Hin und Hier mit dem Mietwagen und der deutschen Bürokratie erspare ich euch an dieser Stelle und springe gleich zu den schönen Momenten über: denen, wie wir endlich die Schweiz überqueren, um uns gegen späten Nachmittag im südlichen Teil der Schweiz, im italienischsprachigem Kanton Tessin, wiederfinden werden.
Tessin
Die Kühe auf der Alm mit ihren Kuhglocken sind verschwunden. Stattdessen sieht man an jeder Ecke Pizzerien, Vino, Pasta. Alles spricht italienisch. Die Straßenschilder sind in italienisch – und in deutsch, muss man dazu sagen. Selbst die Fahrweise der Menschen im Straßenverkehr hat sich geändert. Und auch ich erwische mich dabei, wie ich sowas sage wie: „…hier in Italien…“. Italienische Kennzeichen. Wo bitte sind wir hier in der Schweiz. Wenn man die Leute fragen würde: Also kommt. So mal ganz im Vertrauen, Schweizer seid ihr doch nicht. Aber sowas fragt man natürlich nicht. „Im Schweizerdeutsch nennt sich der Kanton Tessin, doch die Italiener nennen ihn Tiziano,“ – klinkt sich Stefan aus dem Off ein, als ich Sprachnotizen zu diesem Artikel aufnehme. Tiziano? Gab es da nicht diesen Sekt?
Tessin ist kulturell dem italienischen näher, doch die politische Zugehörigkeit gilt der Schweiz. Dies ist so erhalten geblieben, trotz Mussolinis Ambitionen, sich das italienischsprachige Kanton anzueignen. Hier in diesem Teil des Landes findet man alles, was man sich in Italien vorstellt: kleine Dörfer mit Kirchen und Steinhäusern, warmes Klima, entspannte Menschen, mediterranen Flair. Nur eines habe ich nicht gefunden, und das ist guter Wein. Dieser Erfahrungswert war allerdings nur eine Stichprobe und daher nicht repräsentativ.
Und eins ist und bleibt immer schweizerisch, das wird sich nie ändern, das wird immer so sein. Es sind die Preise. Egal, wo du bist – ob du essen gehst oder parkst, die Preise sind immer dementsprechend. Da muss man sich keine Hoffnungen machen – obwohl Italien nicht so weit weg ist.
Den Gedanken, hierherzukommen, hatte wie so oft Stefan. Ich war zur Beginn skeptisch, da ich mir unter den von ihm genannten Orten so gar nichts vorstellen konnte. Aber ich mag es hier. Ich mag die Stimmung, die Atmosphäre, die Gerüche in der Luft. Als wir an einem kleinen Bahnhofsgebäude aus dem Auto steigen, riecht es nach Blumen, Sonne und nach Jasmin. Diese Blumendüfte, die da durch die Luft wabern, dieses Dolce Vita Leben, diese Leichtigkeit.
Und noch nach etwas anderes, und dieser Duft wird mir die ersten Tage Rätsel aufgeben.
Cavigliano – Der Ort, der nach Salami riecht
Nach unzähligen, mehr oder weniger staugeplagten, passierten Straßen; vorbei an Kirchtürmen und malerischer Landschaft erreichen wir diesen kleinen Ort. Cavigliano. Was daran besonders ist, wird sich manch einer fragen? Nun, eigentlich gar nichts. Er ist nicht anders als die anderen Ortschaften, umgeben von nicht allzu hohen Bergen, die Häuser aus hellem Gestein. Es ist sonnig, ruhig und alles wuchert über mit Blumen und rankenden Pflanzen. Weinreben umgeben die Häuser, die wie aus der Zeit gefallen wirken, und links und rechts der Straße besteht die grüne Hecke aus duftenden, weißen Blüten. Wir schleichen in der Nachmittagshitze durch die engen Gassen, wo man beim Sitzen auf einer der Bänke die Beine einziehen und die Knie anwinkeln muss, damit ein Auto hier hinein- oder hinaus kann. Denn hier fahren dürfen, ja, das dürfen sie. An manchen der Häuser sind Fahrzeuge abgestellt. Ein Steinbrunnen plätschert im Schatten vor sich hin.
Wir sind größtenteils allein in dieser malerischen Umgebung, den einen oder anderen Anwohner nicht mitgezählt, der uns interessiert betrachtet und kurz grüßt. Es sind alte Menschen, die wir sehen. Was nicht bedeutet, dass keine jungen hier leben. Wie unsere Gastgeberin zum Beispiel, die mit Mann und Sohn draußen sitzt. Stefan erzählt kurz von unserem erlebten Elend und schafft es irgendwie, der herzlichen Frau eine Einladung mit Gratis-Übernachtung für das kommende Jahr zu entlocken. Unsere Wohnung ist längst bereit, wir hätten ja schon gestern einreisen sollen. Nach einem kurzen Plausch widmen wir uns schließlich uns selbst. Zu duschen – und das wenige Essen sowie das viele unterwegs gekaufte Bier in den Kühlschrank einzuräumen.
Etwas irritiert mich an diesem Ort. Er begrüßt uns mit allerlei Düften. Nachdenklich gehe ich durch den grünen Hinterhof, der mich ja eigentlich nichts angeht, aber ich bin neugierig. Ein abgestelltes Motorrad. Immer weiter der Nase nach, und hier riecht es nach etwas. Meine vor Hunger und Entbehrung des letzten Tages (harr harr…) geprüften Sinnesorgane erschnuppern den intensiven Geruch von Salami. Salami, ja! Es ist eindeutig. Hier riecht es nach getrockneter Salami. „Riechst du das auch?“ Frage ich meinen Stefan, doch der riecht natürlich nichts. Ich kann nicht anders, ich muss ständig die Luft einziehen wie ein Hund, der eine Spur folgt. Dabei sehe ich bereits die leckeren, italienischen Wurstwaren vor meinem inneren Auge. Lange Salami-Stangen, die auf irgend einem Speicher aufgehängt sind. Hier zum Beispiel? Ein mit Schinden bedecktes Dach fällt mir ins Auge. Sie lagern die Stangen bestimmt auf dem Dachboden.

Es dauert eine Weile, bis mir klar wird, dass es keine Salami gibt. Und nie geben wird (zumindest nicht geräuchert auf dem Dachboden dort, wo ich sie vermute). Die vermeintliche „Salami“ entpuppt sich als ein weiß blühender Strauch. Ganz Cavigliano ist von diesen Sträuchern durchzogen. Und sie verströmen einen ganz intensiven, betörenden Duft. Nach Jasmin eigentlich, nicht nach Salami. Ich kann nicht sagen, zu welchem Zeitpunkt mein Gehirn aus Jasmin eine italienische Spezialität gemacht hat.
Doch so oder so, es duftet immerzu nach etwas. Zudem hat dieses Etwas in meinem Kopf immer mit Essen zu tun. Nach karamellisiertem Zucker, nach Karamell. Dann wieder nach Mülltonne – und ganz intensiv nach Blüten. Der Duft von Jasmin ist so stark, dass ich Gefahr laufe, davon umzufallen. Dann duftet es wieder nach Essen. Ich vermute, das sind die Blumen und ich halluziniere. Oder jemand trocknet tatsächlich Salami.
Ascona
Damit nicht auch noch der zweite Tag verschwendet ist, wollen wir am Abend etwas erleben. Ascona, ein beliebter Ort direkt am Lago Maggiore, bietet sich da an.
Spektakulär tiefe Schluchten und reißende, blaue Bäche prägen die Landschaft hier. An einer Bahnhofsstation kann ich nicht anders; wir halten kurz an, um einen Blick in die Tiefe zu werfen. Die Menschen hier haben diesen Ausblick jeden Tag, und schauen nicht mehr hin. Na, manche schon – wir sehen Sonnenanbeter im Flussbett auf glatt polierten, weißen Steinen liegen. Ob sie gebadet haben, sei dahin gestellt, da der Zufluss aktuell nicht viel Wasser mit sich führt. Doch das kann täuschen, jedes Jahr ertrinken Menschen in dem reißendem Strom. Jedes Jahr bringt die Gemeinde Warnungen heraus. Das Flussbett kann sich bei der Schneeschmelze oder bei vorangegangenen starken Regenfällen rasend schnell mit Wasser füllen.
Ascona. Ein in meinen Augen typisch italienischer Ort, mit verwinkelten Gassen, pastellfarbenen Häusern, Osterias und Eisdielen. Hier und dort ein steinerner, kleiner Brunnen oder eine Madonna aus Mosaiksteinchen an der Wand. Kaum zu glauben, dass wir in der Schweiz sind. Einerseits habe ich Lust, mich tiefer und tiefer in diesen Gassen zu verlieren. Andererseits halte ich gerade dieses köstliche, tropfende Eis in der Hand und weiß nicht, wie ich gleichzeitig fotografieren und essen soll. Zur Hilfe kommt mir der Fakt, dass alle der mehr oder weniger engen, malerischen Gassen schlussendlich zur Uferpromenade führen, die sozusagen das pulsierende Zentrum der Stadt zu sein scheint. Die Lage am Lago Maggiore ist fantastisch, und das hat sich längst rumgesprochen. Längst haben teure Villen die Uferbereiche erobert und perlen sich entlang der sich windenden Straße in Richtung Locarno. Stefan schlägt vor, auf Hausbeschau zu gehen. Nacheinander bewundert er die modernen, schicken Bauten, was mir etwas unangenehm ist.
Außerdem interessiert mich der Ausblick auf den See weitaus mehr. Von der ansteigenden Straße aus ist der Blick auf die bunt gestrichenen Häuser von Ascona wesentlich schöner. Boote schaukeln auf dem Wasser und weiter weg erheben sich grüne Berge sanft über der Landschaft. Es ist Abend, das letzte Sonnenlicht lässt die Häuser strahlen wie gelbe Lichter an den Hängen und scharfe, schlanke Konturen der Palmen recken sich gen Himmel. Alles ist schön, alles ist leicht und mein Eis bald aufgegessen. Zeit, euch ein paar grundliegende Infos über Ascona zu geben.
Ascona ist mit der Schwesternstadt Locarno am nördlichen Ufer des Lago Maggiore gelegen. Palmen und Zitruspflanzen wachsen und gedeihen und, schaut man sich um, fühlt man sich dem Süden gleich näher. Ascona und die Schwesterstadt Locarno auf der italienischen Seite haben sich, nicht zuletzt durch das warme Klima und die gute Verkehrsanbindung von Norden nach Süden, auf den Tourismus spezialisiert.
Zurück schlendern wir langsam über die Promenade. Auch hier gibt es Menschen, die etwas verkaufen oder nach Geld fragen wollen. Es ist voller geworden jetzt am Abend. Die Hitze des Sommernachmittages ist beinahe verschwunden und die Menschen strömen nach draußen. Die Lokale und Eisdielen sind voll, die Gesellschaft genießt ihren entspannten Abend mit Weinchen oder Aperol Spritz in der Hand. Ich bekomme unbändige Lust auf so ein Weinchen. Aber nicht heute; irgendwann werden wir dieses tolle, italienische Flair genießen und uns bei Musik eine schöne Pizza oder Pasta und einen Chianti reinziehen, wie damals 2020 an einem Campingplatz vor Assisi.
Die Stadt ist so entspannt. Die Schickeria flaniert herum, lässt ihre Bentley und ihre Tesla offen vor ihren Häusern herumstehen. Ich hatte mich gefragt – ist es, um anzugeben? Aber nein; anscheinend hat der Platz in der Garage nicht mehr gereicht.
Dass wir uns hier trotz allem noch auf der Schweizer Seite befinden, werden wir bald merken.
Ah, es ging also gut weiter 👍. Was für ein schönes Örtchen Ascona doch ist! Ich muss ja gestehen, dass ich die Schweiz abgesehen von Zürich nur vom Durchfahren kenne. Aber die italienische Seite des Lago ist mir halbwegs vertraut. Ein tolles Fleckchen Erde, äh, Wasser! Ja, die Schweiz und ihre Preise. Das ist für unsere Verhältnisse eben recht heftig!
Auch wenn sich die Schweiz für uns teuer anfühlt – nach meinem Aufenthalt in Island 2019 bin ich definitiv geheilt von jeder Meckerei. Dort sind die Preise jenseits von Gut und Böse. Und dennoch lohnt es sich, es zu besuchen – das eine Land wie das andere.
In Island war ich noch nicht. Dann weiß ich jetzt ja Bescheid, womit ich dort rechnen muss.
So ist es 😉
Wir haben immer noch die Gratisnacht im Tessin in petto 🙂
Na ob die das nicht längst vergessen haben? 😉
Ja, das ist schon wunderbar dort. Wenn nur die Preise nicht wären. Von uns aus kann man ja Tagesausflüge in die Schweiz machen. Man muss nur rechtzeitig zurück sein, bevor der Hunger kommt, oder seinen Kreditrahmen vorher erhöhen. 😉
Ganz so schlimm war es dann doch nicht mit den Preisen 😉 und ja, eine wunderschöne Gegend. Vielleicht kommen wir ja nochmal mit dem Motorrad zurück.
Eine wunderschöne Region, die ich vor 2 Jahren auch besucht habe. Vielen Dank für die schönen Fotos, von denen einige einen hohen Wiedererkennungswert hatten.
Meine besten Wünsche für das neue Jahr 🙂
Von mir auch alles Gute für das aktuelle Jahr. Tessin ist wirklich schön. Selbst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dorthin zu fahren, gut, dass ich mich habe überzeugen lassen. Stefan sei Dank 🙂
Freut mich für Euch, dass Ihr doch noch zu Euren Urlaubsfreuden gekommen seid!
Der Urlaub hatte sich durch die Panne ein wenig verkürzt, aber aufgeben käme nicht infrage 🙂
So kenne ich Dich!
Hallo Kasia,
wieder ein toller Bericht. Das mit der Zweisprachigkeit ist auch in Südtirol so, wobei man mit Deutsch dort keine Probleme hat. Dass es viele Pizzerien gibt, ist jetzt nicht unbedingt ein Merkmal für Italien. In Deutschland gibt es auch sehr viele davon. 🙂
Bin mal gespannt wie es weiter geht.
Liebe Grüße, Harald
Ja, das Stimmt, eine Pizzeria macht noch lange kein Italien 🙂 Es ist vielleicht eine Kombination aus vielen Faktoren. Die entspannte Stimmung hat uns sehr gut gefallen. Ich kann schon mal so viel sagen, wir werden nicht nur am See bleiben…
Lg Kasia
Da bin ich mal gespannt.
OK, Fehler gefunden! Dein Windrose.rocks ist scheinbar eine Unterdomain von Stefan-taege.de. Entweder ist die Weiterleitung fehlerhaft oder weiß der Himmel. Stefans Webseite unterstützt auch https. Dein Link ist also nicht mehr http://windrose.rocks sondern https://stefan-taege.de/kasia – muss man auch erst mal drauf kommen..
Hallo Peter,
das stimmt. Windrose.rocks ist eine Unterdomain und kann über beide Links abgerufen werden, was suboptimal ist. Irgendwann werde ich mich kümmern müssen, das zu beheben.
ich weiß nicht ob das nur mir so geht, aber ich kann deine Seite nicht mehr aufrufen. Dass Du immer noch mit http statt https unterwegs bist, das kenn ich ja, aber ich komme mit keinem Endgerät Laptop, Android, iPhone auf deine Webseite, sehe aber dass du Beiträge veröffentlichst. Doch der hier ist von 2022.. habe ich irgendwas verpennt?