Deutschland, Europa, Frankreich

Unterwegs nach Tessin – Picknick in Frankreich

16 Juni 2022

Picknick in Frankreich. Dieser romantische Titel gefiel mir sofort. Ich hatte auch lange Zeit, darüber nachzudenken, wie ich euch das, was heute geschah (oder nicht geschah…), am werbewirksamsten verkaufen kann. Picknick in Frankreich. Da gehen gleich die Herzen und die Fresskörbe auf und die Lungen singen fröhlich „Je t’aime.“ Nur dass uns nicht nach Liebe war. Nicht im Geringsten.

Neun Stunden zuvor, im Hier und Jetzt. Aufgeregt schleppe ich meinen Koffer nach draußen. Das Schöne an Fronleichnam – ungeachtet des Wortes „Leichnam“-, ist das verlängerte Wochenende, das über vier ganze Tage geht und die Tatsache, dass nicht ganz Deutschland, sondern vorwiegend der Süden, in den Genuss dieser freien Tage kommt. Frömmigkeit hat ihre Vorteile und der katholisch geprägte Süden hat eben mehr Freizeit. Dafür hat der Norden… ähm… öhm… (Moment, ich denke noch nach…).

Da wir es nicht schaffen, früher als der Durchschnittsbürger ins Wochenende zu starten, sehen wir nun zu, wie sich der Verkehr auf der A5 schlagartig verdichtet. Anstatt sich anzustellen und auszuharren, wie das meine Angewohnheit ist, hat Stefan eine andere Idee. Runder von der Autobahn, und den Stau umfahren. Dieses „Umfahren des Staus“ ist ein zweitschneidiges Schwert; meist dauert es länger als einfach abzuwarten, Maps täuscht sich hinsichtlich der Verzögerung häufig.

Aber sei es drum. Fakt ist, dass wir schon bald auf der französischen Seite; auf der Elsässer Seite sind. Und da tauchen auch schon die ersten Störche auf. Wie gemalt spazieren sie an einer Raststätte zwischen den Mülleimern auf dem grünen Rasen herum. „Oh schau mal.“ Sage ich zu Stefan. „Halt an. HALT AN!“ Moment, sagt dieser; „ich will hier nur einmal rum…“ Ehe sich mein Liebster für eine geeignete Parkmöglichkeit entschieden hatte, sind meine Störche auf und davon spaziert. Enttäuscht mache ich den einzig möglichen Schnappschuss „Storch von hinten“ und wanke wieder zurück zum Auto.

Gestatten: Storch von hinten

Wir fahren los und gerade will ich meinem Stefan einen Vortrag zum Thema „verpasste Fotogelegenheit“ und „schneller reagieren“ halten, da rettet ihn der reine Zufall. Es macht „wup wup“, dann macht es „ruck ruck“. Ein Schlag, dann noch ein Schlag. Stefan schafft es gerade noch, von der Autobahn runter, in eine Seitengasse abzubiegen und den Wagen ausrollen zu lassen. Dann läuft nichts mehr. Gar nichts mehr.

Nix geht mehr

In meinem Kopf spielt sich ein Déjà-vu ab. Nicht das erste Mal warten wir auf den Pannendienst, und laut Erfahrung kann eine solche Angelegenheit scheißlange dauern. Stefan telefoniert mit dem gelben Pannendienst, bei dem er eine Premium Kundenkarte hat. Währenddessen suche ich mir ein stilles Gebüsch.

Von jenen Gebüschen ist mehr als genug vorhanden, denn wir sind irgendwo mitten im Feld gelandet. Hier kommen nicht viele Leute entlang; eigentlich führt ein Feldweg direkt zu einem Gehöft. Über hohes Gras stakse ich zurück zu unserem Auto.

Stefans Bericht des ersten Telefonates gibt in etwa folgendes her: „…Abschleppdienst kann nicht in Frankreich auf Autobahn abschleppen, hier haben sie eigene Dienste… Mitarbeiter am Telefon wollte von mir die Koordinaten wissen… Habe ihm gesagt, dass ich die Koordinaten nicht weiß, aber direkt hinter der Ausfahrt stehe… Problem, weil… Mitarbeiter am Telefon hat einfach aufgelegt.“

„Hör mal,“ sage ich – „schicken sie jetzt jemanden oder nicht? Ruf nochmal an, nicht dass wir umsonst hier warten.“ Doch, sagt Stefan inbrünstig, das müssen sie weiterleiten. Die müssen jemanden schicken.“ Also warten wir.

Die Sonne brennt vom Himmel herunter. Obwohl erst Juni, hatte eine jener Trockenperioden, die sich in den letzten Jahren Sommer für Sommer aneinander reihen, längst begonnen (jetzt fällt mir wieder ein, was der Norden gutes hat: Regen…). Also suchen wir Schutz im Schatten eines Kirschbaumes. Hohes Gras kitzelt die Beine und die spitzen Ähren bohren sich in den Stoff von Schuhen und Kleidung. Ich plündere den Kirschbaum; die tiefer hängenden, kleinen Früchte sind mir.

So vergeht die Zeit. Minute um Minute. Ich liege auf meiner ausgebreiteten Jacke, schaue in den Himmel. Mache Selfies von uns im Gras. Über uns rasen die Autos auf der Autobahn entlang.

Irgendwann nach zwei,- zweieinhalb Stunden ruft Stefan wieder an. Irgendwas sei mit dem Auftrag, erklärt er mir – jedenfalls sei anscheinend etwas untergegangen. Man habe den Pannendienst jetzt verständigt. In anderthalb- bis zwei Stunden sei er da.

Panne mit Blick auf Kaysersberg. Könnte schlimmer sein.

Also warten wir. Viele Alternativen spielen sich in unseren Köpfen ab. Wir könnten den Urlaub für dieses Mal stornieren, auf eine andere Gelegenheit warten. Doch davon will ich nichts hören. Ich habe mich darauf eingestellt, ich will meine Fahrt nach Tessin. JETZT.

Doch das mit dem „Jetzt“ dauert. Verschlafen beobachte ich, wie ein Landwirt sein Feld bearbeitet. Der Traktor zieht eine riesige Staubwolke hinter sich her, und über der Staubwolke kreist eine Schar Greifvögel, die darauf hoffen, etwas Lebendiges in der umgewühlten Erde zu finden.

Ein Stück weiter, dort, wo grüne Berge des Elsass Gebirges beginnen, fährt ein Zug vorbei. Ein kleines Städtchen ist zu sehen. Rorschwihr könnte es sein. Oder St. Hippolyte, wir wissen es nicht genau. Nur zu gerne würde ich den kleinen Ort erkunden gehen, doch der Abschlepper kommt (hoffentlich) bald.

Gelb, gelb und verdorrt sehen die Felder aus. Helle Flächen inmitten einer immer trockener werdenden Landschaft. Ein blauer Schmetterling lässt sich auf meiner Wasserflasche nieder. Eine kleine Raupe krabbelt über meine Hand. Zum wiederholten Male ziehe ich pieksiges Gestrüpp von meiner Kleidung ab.

Raupe in der Wüste

Nach zwei Stunden ruft Stefan wieder an. Der Abschlepper habe viel zu tun, da ja Wochenende sei, doch es käme demnächst jemand aus der Nähe Freiburg. So in einer Stunde. Wir stellen uns derweil auf eine Übernachtung im Freien ein.

Die Kirschen auf dem Kirschbaum sind inzwischen aufgegessen. Die Sonne verändert ihre Position und wandert tiefer und tiefer. Ein Mann fährt in seinem Wagen die Landstraße entlang; anscheinend ein Anwohner. Mitleidig grüßt er uns. Das Licht wird wärmer, weniger hart. Die Hitze lässt nach, so dass wir uns langsam aus dem Schatten trauen. Die Sonne scheint durch die Bäume, beleuchtet weich die zarten Blütenblätter der Feld- und Wiesenblumen. Es riecht nach Heu, nach Sommer. Ich bin des Wartens überdrüssig und hatte noch nie das Gefühl, so sehr meine Lebenszeit vergeudet zu haben.

Der Abschlepper aus Raum Freiburg gibt bekannt, dass er doch nicht kommen kann. Inzwischen haben wir vier Telefonate mit der Zentralle und zwei mit dem Abschleppdienst geführt. Der Abschlepper aus Raum Freiburg kommt nun doch.

Ein gelber Abschleppwagen ist zu sehen. Er biegt von der Autobahn runter, fährt auf uns zu… fährt an uns vorbei… verschwindet im nächsten Ort. „Ruf an!“ Sage ich. Inzwischen haben wir die direkte Rufnummer zum Abschlepper erhalten. Stefan telefoniert. Der Abschlepper wendet. Ein zweiter taucht auf. Ja, mein lieber Leser: sie haben uns nach acht Stunden Wartezeit zwei Abschleppwagen geschickt.

Die Panne passierte um halb eins am Mittag. Es ist halb neun am Abend, als wir endlich weiter fahren dürfen. Stefan steigt ins Führerhaus; ich lasse mir hinten auf der Ladefläche in Stefans abgeschlepptem Auto die laue Abendluft um die Nase wehen. Kopfhörer in den Ohren, Sting im Kopf, die Sommerabendlandschaft zieht vorbei. Endlich tut sich was.

 

Doch der heutige Abend gibt nicht mehr viel her. Am heutigen Abend wollten wir eigentlich in unserer Unterkunft in Tessin angekommen sein. Stattessen übernachten wir im Baden-Württembergischen Riegel am Kaiserstuhl. Am „Riegeler Hof“ hatte man bereits auf uns gewartet. Ich fühle mich wohl, auf der Terrasse sitzend und der Rüstigkeit der Leutchen um uns herum zuhörend. Die Hausdamen haben eine zünftige, rau-herzliche Art an sich. Dezent gefrustet verputze ich einen ganzen Teller Wurstsalat – das einzige, was es heute Abend noch aus der Küche gibt – und ein großes Bier. Es ist der beste Wurstsalat meines Lebens, und dabei mag ich keine Wurst. Das Kleid wird kneifen, ich weiß es jetzt schon. Der Anfang von Ende.

Und (endlich) der Beginn eines schönen Wochenendes…?

Ja, sie haben es drauf… der beste Wurstsalat meines Lebens.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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22 Kommentare

  1. Picknick in Frankreich – schon jetzt die charmanteste Desasterumschreibung des noch so jungen Jahres 🤣. Krasse Nummer! Dass am Ende der langen Wartezeit als Entschädigung gleich zwei Abschlepper kamen, half ja auch nur bedingt weiter. Wenigstens seid ihr in eurer „Notunterkunft“ gut versorgt worden. Nach diesem Auftakt konnte das lange Wochenende ja nur noch gut weitergehen, hoffe ich.

    1. Danke für die Blumen – ich hatte für die Titelfindung ja wirklich reichlich Zeit. Und eigentlich – wenn die Umstände nicht wären – wäre es eine schöne Zeit gewesen. Wir hätten uns wirklich einen Picknickkorb vorbereiten sollen. Aber wer ahnt das schon (Hm, in meinem Kopf arbeitet es bereits… ich habe da so eine Idee für diesen Sommer, was Picknick und Elsass betrifft…). Die Reise ging dann ja glücklicherweise gut weiter. Statistisch gesehen war es fast unmöglich, dass nach diesem Tag noch irgend etwas schief geht 😉

  2. Das ist ja kein toller Start. Ich wünsche Dir und Euch einen bedeutend besseren Start ins Jahr 2024!

    1. Huh, du bist ja wieder da 🙂 Vielen Dank, dir auch alles Gute für das Jahr 2024.

      1. Stimmt. Eben die Funkstille gebrochen…

        1. Wurde auch mal Zeit 🙂 wird es wieder Beiträge geben? In der Zwischenzeit habe ich es tatsächlich nach Sarajevo und Griechenland geschafft 😉

          1. Muss mal in Deinen Beiträgen stöbern.

          2. sagt:

            Die Beiträge dazu kommen erst im Laufe des Jahres, also alles gut 🙂

  3. […] ich euch von der Odyssee unserer Anfahrt hierher, die ich romantisch wie folgt taufte: „Picknick in Frankreich„. Heute morgen, nach einem exzellenten Frühstück, ging es erstmal einen Ort weiter, den […]

  4. Puh, man spürt beim Lesen richtig, wie zäh die Zeit war. Eine Raupe, ein Schmetterling (vermutlich aus eben dieser Raupe geschlüpft während ihr warten durftet). Da fehlt nur noch ein Wettrennen mit einer Schnecke.
    Wünsche euch ein gutes 2024 ohne Pannen aber mit vielen Reisen!

    1. Jaa, das war eine vortrefflich sinnlose Zeitverschwendung, wie sie im Buche steht. Wobei, jetzt habe ich wenigstens gesehen, wie Schmetterlinge aus Raupen entstehen, der Kreislauf des Lebens… 🙂 Ich wünsche euch für 2024 auch weiterhin jede Menge sinnlose Reisen, auf das sie uns Leser unterhalten mögen 🙂

  5. Ein Tag wie man ihn selten erlebt. Zum Glück. Ich hatte kürzlich eine Reifenpanne. Der gelbe Engel kam nach 1,5 Stunden. Trotzdem hat das Warten genervt. Bei euch gab es wenigstens einen guten Abschluss. Der Wurstsalat sah gut aus.
    Für 2024 wünsche ich euch mehr Glück beim Autofahren. Obwohl: Jetzt habt ihr beide relativ neue Autos.
    Einen guten Rutsch ins neue Jahr.
    Liebe Grüße Harald

    1. Ja, der Wurstsalat war das Beste am Ende des langen Tages. Das Auto von Stefan war neu, hatte aber dauernd irgendwelche Kinderkrankheiten. Jetzt fährt er ein anderes Model, das ist relativ zuverlässig.

      Ich wünsche dir ebenfalls ein gelungenes Neues Jahr 🙂

      1. stefantaege sagt:

        Also der Insignia ging ja noch von den Pannen her, Spitzenreiter war der Passat den ich davor hatte. Mal sehen wie lange der Touran hält 🙂 .

        1. Bis jetzt, toi toi toi, hält er sich gut… 🙂

  6. stefantaege sagt:

    Zum Glück bin ich schon Jahrzehnte bei dem Pannendienst, bei der Vielzahl der Pannen wäre ich sonst schon schnell draussen 😀

  7. Alter Verwalter – da bin ich ja beim „Reisen“ mit der deutschen Bahn direkt noch in sicheren Händen. Da hat man schon zur Sicherheit immer ein Survival-Pack im Rucksack dabei.
    Das stundenlange Warten hätte mich aber auch mürbe gemacht. Und dass der erste Typ direkt mal aufgelegt hat, ist echt die Krönung. Läuft also in anderen Ländern doch nicht alles besser.
    Zur Frustbewältigung bei Defekten am Fahrzeug und damit verbundenem außerplanmäßigem Aufenthalt sich den Wanst vollstopfen, lass ich lieber – bei der DB hätte ich da schnell wieder Kugelform angenommen..😁
    Hmm.. da war doch noch was, was ich sagen wollte…
    Ach ja: „GUTEN RUTSCH!“
    Wir lesen uns..
    Grüße auch an Stefan
    P.

    1. Ja, das war eine langwierige Veranstaltung. Selten guckt man so dabei zu, wie einem die wertvolle Lebenszeit zwischen den Fingern zerrinnt, während man unter dem Kirschbaum liegt. Es hatte sich um eine deutsche Servicestelle der gelben, nicht anwesenden Engel gehandelt, also kann man den schlechten Service nicht mal auf das Ausland schieben. Da hatte einfach jemand keinen Bock auf seinen Wochenenddienst…

      Ich wünsche dir auch einen guten Rutsch ins Neue Jahr.
      Lg

    2. stefantaege sagt:

      Gruß zurück 🙂

  8. Wenn wir ins Ausland reisen, schließen wir in der Regel eine Reiseversicherung „Europ Assistance“ ab, die Schutz vor Autopannen bietet und (bei Bedarf) sogar die Rückführung des Fahrzeugs und seiner Insassen gewährleistet. Der Aufpreis ist zwar gering, gewährleistet aber eine schnellere Hilfe über eine zentrale Rufnummer in ganz Europa.

    1. Das ist ein guter Gedanke. Musstet ihr den Service schon mal in Anspruch nehmen? Ging es schnell?

    2. stefantaege sagt:

      Naja das bringt aber auch nicht viel, das Auto wurde ja zum Händler abgeschleppt und wir hatten nächsten Tag dann einen Ersatzwagen (zum Glück mit Vignette), Hotel wurde bezahlt und ein Teil vom Taxi. Das Problem war schlichtweg: langes Wochenende, viele Pannen und die Abschlepper mussten über eine Rheinbrücke zu uns hin was die Anfahrt ziemlich verlängert hat. Mein Firmenwagen hatte im Endeffekt einen kapitalen Motorschaden und mein neuer bestellter kam über ein halbes Jahr später.

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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