Europa, Polen

Weihnachten in Polen – Der erste Weihnachtstag

Der erste Weihnachtstag (der zweite blieb aus…)

Die dicke Schneedecke hält sich. Weiß und still ist die Welt da draußen, klar und kalt die Luft. Der Schnee dämpft alle Geräusche, und an diesem frühen Vormittag zieht es kaum jemanden nach draußen. Der Pole – vor allem der vom Land – bleibt lieber zu Hause bei den Temperaturen. Nicht freilich wir.

Am „ersten Weihnachtstag“ (der nicht eingeweihte Leser sei daran erinnert, dass meine polnische Familie und ich das Fest aus Gründen kurzerhand um eine Woche vorverlegt hatten…) gibt es ein üppiges Frühstück. An dieser Stelle sei gesagt, dass sich die Traditionen je nach Region ein wenig voneinander unterscheiden und unsere Bräuche brauchten wir aus einer Region mit, die in der heutigen Ukraine liegt und die wir früher, als diese Landstriche noch zu Polen gehörten, als „Kresy“ bezeichneten. Kresy steht für „Grenzregionen“, kann aber auch etwas bezeichnen, das sich weit weg befindet. Für mich hört sich „Kresy“ nach Sehnsucht an. Nach einem unentdeckten Landstrich, der hinter dem Nebel liegt. Meine Familiengeschichte ist sehr bewegt, doch das ist okay. Es ist spannend, Nachforschungen anzustellen und so mehr und mehr über sich selbst herauszufinden.

Ich schweife ab. Eigentlich wollte ich euch, werte Leser, unser üppiges Frühstück beschreiben. Zum Frühstück gibt es „Smażonka„, einen Mix aus klein geschnittenen, unterschiedlichen Wurstsorten, der mit gekochtem Ei, Zwiebeln und grob geschnittenem Meerrettich in der Pfanne gebraten wird. Mein Onkel köchelt die „Smażonka“ in diesem Jahr im Topf (grr, so macht man die nicht!). Auf dem Teller mit einer Scheibe Brot und roter Beete, ebenfalls mit Meerrettich angemacht, wird das Ganze zu einem stärkendem und energiereichem Frühstück. Der scharfe Meerrettich auf leeren Magen ist natürlich nicht jedermanns Sache – einen Magen wie ein Pole müsste man haben. Und damit die Mahlzeit besser bekömmlich wird, spült man mit einem kleinen, symbolischen Gläschen Wodka nach. Honigwodka, versteht sich.

Was ist der Plan für den heutigen Tag? Skifahren, sagt mein Onkel. Ich bin skeptisch, habe ich doch zuvor noch nie auf Skiern gestanden. Dafür aber Schreckliches gehört. Von Menschen, die ständig auf ihren Poppes gefallen sind. Aber ich will ja kein Spielverderber sein, vor allem wenn die Jugend versucht, mich argumentreich zu überzeugen. „Da kommst du schnell rein.“ Sagen sie. „Wir machen ganz langsam.“ Gut, für letzteres gibt es keine andere Option, befinden wir uns hier nahe Warschau nur im Flachland. Es wird eine Runde Laufen auf Skiern werden und meine einzige Aufgabe ist es, mich auf diesen Dingern oben zu halten. Das wird jawohl zu schaffen sein.

Die Familie ist freilich gut ausgerüstet. Mein Onkel sorgte früh dafür, dass seine Sprösslinge das Skilaufen lernen. Ich hingegen habe noch nie ein besonders großes Interesse an Wintersportarten entwickeln können. Doch ich ahnte, irgendwann kommt der Tag, an dem mich jemand auf diese Dinger zwingt.

Die Luft ist draußen frisch und eine winterliche Stille umgibt das Land. Wie eingangs erwähnt, sind wir die einzigen Menschen weit und breit, die sich aus ihren Häusern wagen. Der Schnee ist neu und unberührt, bedeckt den Garten, bedeckt die Felder. Mühselig ziehe ich mir mein Paar Skier an und wir ziehen los. Biegen ab in Richtung der sich weit erstreckenden, flachen Felder. Die Familie geht vor, so dass ich nur noch der gut markierten Spur folgen muss. Noch kann ich mithalten (sie machen extralangsam) und noch bin ich nicht auf den Poppes gefallen.

In der Ferne stöbert eine kleine Herde Rehe davon. Viele von ihnen leben in der Gegend, wobei ich mich immer schon gefragt habe, wo sie mangels Wälder und Wildwuchs Deckung finden. Ein dezenter, blauer Streifen durchzieht am Horizont den ansonsten grauen Himmel. Es gibt nur noch uns und den Schnee, unseren Atem, der in Wölkchen davon schwebt. „Hier.“ Sagt mein Onkel, als wir uns einer in den Schnee gewälzten Kuhle nähern. „Da war ihre Lagerstätte.“ Er meint die Rehe.

Geschafft!

So langsam habe ich den Dreh raus. Links, rechts. Links, rechts. Es geht voran. Der Rest erfordert Übung. Einmal falle ich hin, bin aber so schnell wieder oben, dass niemand vorne etwas davon mitkriegt. Ansonsten – ganz zufrieden mit mir. Der Meinung ist wohl auch Onkel, der zu dem Schluss gekommen ist, dass ich soweit bin und ein paar gute Ratschläge von einem Profi vertragen könnte. Also versucht er, an meiner Technik zu feilen. Nein, die Füße nicht so, nein, die Füße so. Und jetzt so. Siehst du? Was ich sehe, ist, dass ich nun gar nix mehr weiß und ständig auf dem Hintern lande. Schließlich nehme ich die Bretter ab und hieve sie über die Schultern. „Ich laufe jetzt zu Fuß weiter.“ Verkünde ich und verkneife mir ein „Schnauze voll“ gerade noch. Onkel sieht, dass er wohl einen pädagogischen Fehler gemacht hat und meint: „Vergiss alles, was ich gesagt habe. Lauf einfach weiter, so wie du kannst.“

Am Ende stehen wir auf dem Friedhof. Nein, nicht aus gegebenem Anlass 🙂 Vielmehr besuchen wir das Grab meiner Oma, die 2017 verstorben ist. Und inzwischen auch das Grab von meinem Opa. Dann geht es zurück nach Hause. Ein großer Bogen über die verschneiten Felder. Glatt ziehen die Ski über die zugeschneiten Furchen. Jacob geht vor. Zwischendurch sehe ich, wie schnell die beiden, er und Gosia, eigentlich sind. Zu Hause tun wir dann das, was wir immer tun, wenn jemand von draußen kommt und sich aufwärmen möchte. Wir trinken alle einen heißen Tee. Heißer Tee ist ein Stück Wärme, ist ein Stück Zuhause. Es gibt ihn zum Frühstück, zum Mittag- und zum Abendessen und er ist das erste, was jemand nach einer langen Anfahrt serviert bekommt. Wir sind Teetrinker.

Was gehört in Polen auch zu Weihnachten wie hierzulande der Hase zu Ostern? Richtig, Skispringen im Fernsehern gucken. Und praktischerweise finden gerade irgendwelche Meisterschaften statt. Wer da alles springt und was am Ende dabei herauskommt, ist eigentlich unwichtig. Hauptsache, wir können zusammen sitzen, den ersten Glühwein schlürfen und unsere unqualifizierten Kommentare dazu abgeben. Solange, bis es ein Weihnachtsessen gibt. Kurz ist dieses Weihnachten aber schon, seufzt etwas in mir. Vor allem in Anbetracht dessen, dass Onkel am nächsten Morgen gleich wieder zu Arbeit muss.

Es ist schließlich ein ganz normaler Montag.

 

Der Rest vom Schützenfest

Meine übrige Zeit in Polen ist schnell erzählt. Als die Jugend wieder lernen und mein Onkel arbeiten muss, verbringe ich Zeit mit meiner Mutter. Bei klirrender Kälte und strahlendem Sonnenschein wird meine Heimatstadt besucht. Traditionell setzen wir uns in ein Café und  essen Kuchen. Traditionell wird auch geshoppt. Nicht dass man etwas wirklich bräuchte, aber es findet sich immer mal was Schönes.

Der im Sommer sprudelnde Brunnen auf dem Marktplatz der Stadt ist im Winter abgestellt, die Wasserfontänen werden durch weihnachtliche Lichtergerüste simuliert. Am Abend leuchtet dann der Brunnen und verbreitet festliche Stimmung. Jetzt liegt die Stadt unter einer Schneedecke begraben, Menschen suchen sich ihre Wege durch den Schnee. Die weiße Schicht glitzert in der Sonne wie Streuzucker. Blätter, die der Herbst noch auf Bäumen übrig gelassen hat, glänzen wie in Zuckerguss getaucht. Im Café entledigen wir uns der dicken Schals und Mützen, zerzauste Köpfe kommen zum Vorschein. Kaffee schlürfen, reden.

Zu Hause hat Mama erst einmal ein Versprechen einzulösen. Anstatt eines gekauften Weihnachtsgeschenkes habe ich mir einen Apfelkuchen gewünscht. Nicht irgend einen Apfelkuchen, sondern einen besonderen, nach einem alten Rezept meiner Oma. Und das stellt meine Mutter vor gewisse Probleme, denn das Rezept ist verschollen und Oma nicht mehr da, damit man sie fragen kann. Ich glaube, Mama hätte mir lieber etwas gekauft. Doch tapfer stellt sie sich der Herausforderung. Der Apfelkuchen entsteht.

Der Apfelkuchen entsteht

Bei meinem Onkel gibt es noch eine letzte Party. Ein letztes Beisammensein, bevor ich am nächsten Tag wieder in mein Auto steige und den langen Weg nach Hause antreten muss. Das schöne Weihnachtsfest schwirrt mir noch im Hinterkopf, während ich die gefühlt ewig lange Strecke fahre, fahre und fahre. Im Ernst, ein solcher Weg ist ein Kraftakt – zwölf Stunden im Auto zu verbringen eine Herausforderung, auf die man sich einstellen muss. Ich habe immerzu das Gefühl, dass der Weg nie endet. Dass ich nie, niemals zu Hause ankommen werde. Doch schließlich wird die angezeigte Strecke kürzer und kürzer. Nur noch die Hälfte. Nur noch dreihundert Kilometer. Oh, da ist Frankfurt. Nur noch eine Stunde. Jetzt noch weniger als eine Stunde. Ich bin in Mannheim. Ich bin in meiner Straße.

Geschafft.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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8 Kommentare

  1. Was macht man nicht alles, um die Familie zu treffen…
    @Frühstück: da jubelt der Veganer!

    1. Das leckere Frühstück 🙂 Wir (Stefan und ich) waren in diesem Jahr nach zwei Tagen Fleischkur auch bedient und haben uns zwischen den Jahren fast nur noch von Salaten ernährt. Der Veganer bekommt bei uns eine Scheibe Brot zubereitet, mit… ähm…

  2. Das hört sich doch alles in allem nach einem gelungenen vorgezogenen Weihnachtsfest an. Mutig, dass du dich trotz deiner Skepsis auf die Bretter getraut hast! Die ganzen deftigen Leckereien haben dich kalorienmäßig sicher auch noch durch die folgenden Tage getragen 😁.

    1. Die deftigen Leckereien haben vor allem mein Bäuchlein getragen 😉 Mein Onkel hat schon vor sich hin phantasiert, von wegen „beim nächsten Mal nehmen wir Kasia auf die Skipiste mit“ und so… von wegen, beim nächsten Mal werde ich mich tot stellen 🙂

      1. Ich finde, du solltest dich von den Skihasen im überdachten Schlitten ziehen lassen 😁.

        1. Ja, das wäre mir am liebsten 🙂

  3. Das mit dem Skifahren (Langlauf) kenne ich. Als wir das erste Mal gefahren sind haben wir uns bei der kleinsten Steigung am Rand des Weges (ca. 20 cm) schier umgebracht. Später haben wir dann im Schwarzwald und im Bayerischen Wald Langlauf gemacht. Besonders im Bayerischen Wald ging es da über Waldwege. Außerhalb des Waldes sahen wir eine kleine Lichtung auf der das Eis spiegelte. Keiner konnte wirklich bremsen. Also Notbremse und hoffen, dass man rechtzeitig vor dem angrenzenden Bach zum Halten kommen. ✋🛑

    1. Das war sicher abenteuerlicher als bei uns. Wobei mir die Action gereicht hat, solche spektakulären Notbremsmanöver hätte ich sicher nicht überlebt 🙂

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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