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Spatschlucht in Schriesheim

Als Wandernde bin ich immer auf der Suche nach interessanten Zielen, die mir die Mühen des Weges versüßen. Nirgendwo sonst gilt der von mir verhasste Spruch so sehr wie hier, wo der Weg beim Wandern wirklich „das Ziel“ ist. Manchmal erfordern spannende Plätze einen weiten Weg, manchmal sind sie gleich um die Ecke. Schriesheim ist so ein Ort. Unweit von Mannheim bietet es ein mit seiner Geschichte verbundenes Detail: die Spatschlucht.

An der Spatschlucht-Hütte liegen gelbe Kürbisse auf dem Boden verteilt. Halloween ist inzwischen vorbei, doch die Anwohner der einzelnen Häuser gaben sich Mühe. Die Hütte ist dekoriert. Kleine, weiße Geister hängen an in Boden gerammten Stöcken und flattern vor sich hin und das geisterhafte Lächeln der Kürbisse lässt mich nur eines denken: ich hatte schon lange keine Kürbissuppe mehr und den Hokkaido kann man mit Schale kochen. Noch während das Gebräu vor sich hin brutzelt, lassen sich die Kürbissamen ganz ohne Öl in der Pfanne knusprig braten und dienen als kalorienreicher, nahrhafter Snack für den Fernsehenabend. Ich koche nicht viel, aber Kürbissuppe kann ich.

Es geht für mich steil hinauf und meine Waden danken es mir. Schon einmal unternahm ich einen Anlauf, um die Spatschlucht zu erwandern, doch die reifen, glänzenden Esskastanien hielten mich auf. Ich sammelte so viel, dass mich mein kiloschwerer Rucksack nach hinten zog und gab schließlich auf. Das wird mir heute nicht passieren. Auto abstellen, Musik in die Ohren. Heute werde ich mein Ziel erreichen.

Der große, weitestgehend ebenmäßig verlaufende Weg zweigt ab zugunsten des bereits erwähnten, steilen Pfades. Während ich hinauf hechte und für die inzwischen so vertraute Anstrengung danke, denke ich mir beim Blick auf den nassen, teils durch die Blätter rutschigen Boden: halte dich an die Steine, nicht an die Wurzeln. Um einen Punkt der Stabilität für den nächsten Schritt zu finden, ist es immer besser, einen Stein zu nutzen. Nasses Holz ist tückisch, ebenso wie mit abgestorbenem Laub übersäte Felsen. Doch was tut man hierzulande beim Betreten einer unsicheren Wanderstrecke? Genau, man stelle ein Schild auf. „Betreten des Waldes auf eigene Gefahr.“ Problem gebannt.

Die Spatschlucht ist kein besonders bekanntes Ziel, selbst unter den Einheimischen nicht. Auf meinem Weg begegne ich keiner Seele. Nur eine Frau mit einem Hund, die gerade von ihrem Spaziergang zurückkehrte. Vielleicht, weil es für viele nicht die Zeit zum Wandern ist (warum nicht?), vielleicht weil das hier wirklich kaum einer kennt.

Der Wald bietet einen steilen Anstieg und der Boden ist übersät mit toten Blättern. Die Spatschlucht ist ein geohistorisches Zeugnis des Spatabbaus im 19 und 20 Jahrhundert. 1823-24 wurde mit dem Abbau von Baryt (Schwerspat) begonnen, die Vorkommen waren in dieser Zeit sehr ergiebig. Das Material wurde zur Herstellung von Farben vorwiegend nach Holland verschifft und – Gerüchten zufolge – wurde damit in schlechten Zeiten Brot gestreckt. Der Abbau erfolgte anfangs über Tage über sogenannte Schürfgräben, bevor man zum Untertage Abbau überging.

Wie kam das Baryt in die Spalten? Der Tagebau „Spatschlucht“ verläuft oberhalb des Bergrückens. Die Barytspalten – als „Gang“ bezeichnet – verlaufen im Odenwald fast immer südöstlich und nordwestlich. Sie entstanden vermutlich in der Kreidezeit bei Spannungen und Verschiebungen der Erdkruste. Aus Granitgestein wurde durch zirkulierendes, heißes Wasser das Mineral Barium gespült; gleichzeitig wurde Sulfat von der Erdoberfläche in diese Dehnungsbrüche transportiert. Das so neu entstandene Baryt schloss die Spalten. Die Barytvorkommen verlaufen fast immer senkrecht, mit einer aufrechten, geraden Kante. Das Entstehen der Brüche und das Auffüllen mit Baryt war kein einmaliger Vorgang; immer und immer wiederholte sich der Prozess, bis die Aktivität der Erdkruste nachließ und die endgültigen Vorkommen entstanden und der Barytgang eine Breite von 3,5 Metern erreichte. Durch die Abtragung der Oberfläche und Hebung des Erdbodens gelang das Mineral nach oben und konnte abgebaut werden. Die Spatschlucht ist nur ein kleiner Teil; der Barytgang ist im Weiten Tal über zwei Kilometer lang.

1939 wurde der Wilhelmsstolen zur Abbau von Schwerspat genutzt. Die Firma „Spatwerke Schriesheim“ aus Frankfurt beförderte hier in der Zeit zwischen 1937-1939 über 10000 Tonnen Schwerspat. Er wurde in der industriellen Farbherstellung der weißen Farbe verwendet und zur Stabilisierung von Papier. Als die Vorkommen erschöpft waren, wurden die Gruben mit Gesteinsmaterial aus der „Oberen Griet“ wieder aufgefüllt. Die Überbleibsel des Bergbaus prägen noch immer die Landschaft und die Spatschlucht ist seit 1957 ein Naturdenkmal. Von Menschen erschaffen ist sie nichts weiter als ein schlichter Tagebau. Vertiefungen in der Erde zeigen, wo sich die ehemaligen Stolen befanden. Sie sind zur Sicherheit entweder verschlossen oder abgesperrt. Gut so, denn die Landschaft des Waldes ist durchlöchert. Vieles erinnert an die noch nicht lange zurückliegende Zeit.

Die Spatschlucht ist voll mit jenem totem Laub. Es raschelt unter meinen Füßen und der Boden ist weich und nachgiebig. Es ist beeindruckend, sich inmitten der engen Spalte zu begeben; die steilen Wände sind am tiefsten Punkt um die zehn Meter hoch. An ihrer breitesten Stelle ist die Enge vier Meter breit. Und noch immer scheint es, als wäre keine Seele hier, noch immer bin ich alleine. Das Aufkommen anderer Wanderer ist manchmal schwer abzuschätzen, doch erwartungsgemäß ist zu dieser Jahreszeit – außer an sehr bekannten Hotspots wie das Müllerthal oder der Schwarzwald – kaum eine Seele. So kann ich auch ein Bisschen länger bleiben und zusehen, wie die dünnen Bäume hoch oben über der Schlucht aufragen und die Zweige, sich neigend, den Himmel bedecken. Gelbgrün raschelt es. Eine dichte Wand aus einheitlichem Wolkenfeld schirmt heute jeglichen Sonnenschein ab. Es gibt kaum Geräusche außer denen, die ich selber mache. Der Spätherbst ist für mich die stillste Jahreszeit. Während im Sommer immer mal irgendwo eine Geräuschkulisse vorhanden ist, hat man im Spätherbst nur das leise Fallen der Regentropfen auf die Blätter. Sonst nichts.

Diese Wanderung wird nicht so lang sein wie die anderen. An der anderen Seite der Spatschluchthütte komme ich wieder raus. Die Hütte selbst ist zu, eine Infotafel und ein verschlossener Stollen bezeugen die Geschichte. „Durchgang verboten, Lebensgefahr“, steht es über dem Wilhelmsstollen geschrieben. Und da es immer wieder welche gibt, die nicht hören, ist der Stollen zusätzlich mit einem stabilen Gitter verschlossen. Auf seinem Boden steht Wasser. Natürlich nähere ich mich nicht dem Stollengang. Es gibt genügend Bergmannstollen, die man besichtigen kann. Der Bergbau war vielerorts Teil der Kultur; hier im Odenwald ist diese Tatsache weniger bekannt. Interessant ist dieses Stück Kulturgeschichte allemal.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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6 Kommentare

  1. Ah, eine sehr schöne Wanderung hast du da wieder einmal unternommen. Ich finde Wanderwege, die nicht so bekannt zu sein scheinen, ja immer klasse.

    1. Vor allem sind sie nicht so überlaufen und man hat die Chance, allein mit der Natur und seinen Gedanken zu sein. Und so finde ich Wandern am schönsten.

  2. Vielen Dank, dass Sie uns auf diesen Spaziergang mitgenommen haben und für die interessanten Informationen über die Schlucht und den dortigen Abbau. Wir machen jedes Jahr ein paar Portionen Kürbissuppe, wirklich lecker!

    1. Es gibt viele interessante Orte, die man erwandern kann. Der Herbst ist Wander- und Kürbissuppenzeit 😉

      1. Es scheint eine interessante Wanderung zu sein. In outdooractive ist eine beschrieben die 2,6 km lang ist. Ich müsste über 80 km anfahren. Das lohnt nicht.
        Keine konntest Stefan überreden mitzuwandern?

        1. Ich glaube, Stefan hatte da schon was anderes vor 😉 Nee, 80 Kilometer lohnt tatsächlich nicht, ihr habt bei euch in der Nähe so viele schöne Ziele. Ich habe diese Wanderung gewählt, weil sie eben „um die Ecke“ war.

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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