Deutschland, Europa

Wie essen Deutsche indisch? – Eine kulturelle Erfahrung

Es ist definitiv ein Lernprozess, in dem vieles offenbar wird. Ein Hauch von Exotik, dem deutschen Gaumen genehm angepasst. Ein fremdartiger Charme, in die Gewohnheiten und Vorlieben des eigenen Geschmackes gepresst. Oder wie erklärt sich das fade, gewürzneutrale Etwas, das den unpassenden Namen „vegetarisches Thal“ trägt?

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Der Bonner Markt hat allerhand zu bieten. Käse, Honig, Honigmet… und aus einer weiteren Bude dudelt italienische Musik an meine Ohren, es riecht nach Kuchen und Cappuccino. Gemüse, Obst… und ein Stück weiter stehen hippe StreetfoodTrucks. Einen Moment lang bleibe ich unschlüssig vor dem Honigmet stehen, doch die Vorstellung, die volle Flasche quer durch die Innenstadt zurück zum Auto zu tragen lässt mich schnell weiter gehen. Ich schaue mich um und entdecke den Stand mit indischem Essen „auf die Hand“.

„Taste of India“ ist eine indische Restaurantkette, die unter anderem auch Niederlassungen in Mannheim hat. In Bonn befinden sich zwei der Restaurants in der Burbacher Straße und der Rheingasse. Die Niederlassung auf dem Bonner Marktplatz, direkt vor dem barocken Rathaus, bietet Streetfood an. Das Lokal in der Rheingasse bietet nordindische Küche, während sich das zweite Restaurant auf Gerichte aus Südindien spezialisiert hatte. Da gäbe es große kulinarische Unterschiede, wird mir die Chefin später erklären. Doch noch ist es nicht soweit. Noch stehe ich in der Corona-Abstandsschlange und spüre, wie mir der Saft im Mund zusammenläuft.

Worauf ich mich besonders freue, ist diese mir vertraute Geschmacksexplosion, diese Sinfonie aus Gerüchen und Gewürzen, die mich sogleich in eine andere Welt hievt. Nein, ich war bislang nicht in Indien, doch indische Gerichte durfte ich bereits in Nepal und Sri Lanka probieren und auch bei meiner Freundin zu Hause. Vor allem in Nepal traf ich auf das, was ich unter… na ja… authentisch indisch verstehe, denn die Gewürze und die Schärfe trieben mir zum Teil Tränen in die Augen, während der Rest ziemlich gut schmeckte. Jetzt will ich mir ein bisschen das Fernweh mildern, einen kleinen, geschmacklichen Sprung aus dem gesitteten, steifen Deutschland machen. Alltagsfluchten. Kennt jeder.

Das angebotene Essen wirkt auf den ersten Blick vielversprechend. Thal mit Curry, Fisch oder vegetarisch, und zum Trinken gibt es Lassi. Hm, Lassi… Erinnerungen an hitzeerfüllte Tage werden wach, wenn der Schweiß von der Stirn tropft und das Kondenswasser am Rand vom Glas perlt… die Früchte sind frisch verarbeitet und kühlen den Gaumen, ich sitze im Schatten, Elefanten mit ihren Mahut gehen ruhigen Schrittes an mir vorbei…

Zirrrp…

Der erwartete Riss in der Sepia verfärbten Erinnerung. Kleine Fetzen des verbleichenden Traumes stöbern auseinander, während die Schlange vor mir weg und ich nun an der Reihe bin. Ich bestelle vegetarisches Thal, das ist Reis mit Gemüsesorten und Kartoffeln, dazu Mango-Lassi. Was mir ein wenig fehlt, ist der allgegenwärtige Geruch von Gewürzen – ich rieche gar nichts. Selbst dann nicht, als das Essen bereits vor mir auf dem Tablett dampft. Bereits das hätte mir zu denken geben sollen.

„Ähm, welche Tische gehören zu euch?“ Frage ich und schaue mich um.
„Wir haben keine Tische.“ Erklärt die Besitzerin. „Aber Sie können sich dort an die kleine Stufe vor dem Schuhgeschäft setzen, wo auch andere Leute essen, oder auf die Treppe vom Rathaus.“

Ratlos irre ich mit meinem Tablett umher. Die „kleine Stufe“ ist bereits von Dutzenden Menschen belegt, die ihr was-auch-immer to-go vertilgen, und coronabedingt sehe ich davon ab, mich mit meinem Tablett in einen der Sicherheitsabstände zu quetschen. Bin ja mal gespannt, wann der geräumige Schuhladen Widerstand leistet, sehr begeistert werden die über die chronische Belagerung ihrer Schaufenster wohl nicht sein. Bleibt noch die Rathaustreppe.

Also balanciere ich mein Tablett die Treppe hinauf. Auch hier haben sich bereits einige Menschen niedergelassen. Es herrscht eine zwangslose, sommerliche Atmosphäre. Am Straßenrand essen, na, das hat ja was vom Urlaub.

Doch meine ersten Bissen sind enttäuschend.

Zunächst schlürfe ich erwartungsvoll an meinem Mango-Lassi und lasse ihn mir auf meiner Zunge zergehen. Sehr geschmacksneutral. Was habe ich denn erwartet, dass es wie im Urlaub schmecken wird?

Ja. Irgendwie ja. Genau das habe ich erwartet.

Doch auch die Bisse des vermeintlich indischen Essens sind nicht besser. Ich lasse die Gabel sinken. Es schmeckt nicht schlecht, doch es schmeckt nicht indisch. Die Gewürze fehlen. Und damit meine ich noch nicht einmal die typische Schärfe, nein – was fehlt, sind irgendwelche Gewürze, die mir sagen, dass das, was ich da auf dem Teller habe, nicht das gutbürgerliche Mittagessen meiner Schwiegermutter ist (nichts für ungut, Schwiegermama, du kochst großartig! 😉 ). Mit geschlossenen Augen sind es nur Reis mit Gemüse. Indisch ist bloß die Aufmachung auf dem Silbertablett, die mich ein wenig an das nepalesische Dal Bhat erinnert. Und das Stück vom knackigen Brotfladen.

Nebenbei lausche ich ungläubig, wie eine Mutti zu meiner Rechten das Essen anpreist. Und der Lassi sei so lecker. Ja, denke ich mir gallig, sie wird wohl noch nie richtig guten Lassi getrunken haben. Die Mutti gibt zum Besten, wie gut doch das indische Essen in London sei. Wie schade, das hatte ich zu kosten versäumt, als ich mit meiner Freundin letztes Jahr für eine Woche dort war. Und dann erzählt sie von ihrer Zeit in Indien. Mein Mund bleibt offen stehen. Du warst in Indien? Und du findest das hier lecker?

Meine kulinarische Erfahrung der dritten Art werde ich hier nicht mehr machen, trotzdem esse ich brav alles auf. Der Hunger treibts rein, außerdem, schlecht ist es ja nicht. Nur nicht, was ich erwartet habe. Das sage ich auch der Frau, die am Stand hinter den brutzelnden Pfannen steht und wissen will, wie es geschmeckt hat.

Sie erzählt mir, dass sie genau weiß, was ich meine. „Zu Anfang haben wir hier am Stand das Essen so angeboten, wie es typisch indisch sein sollte.“ Berichtet sie. „Gut gewürzt, leicht scharf.“ Doch die Rückmeldungen der Leute seien sehr durchwachsen gewesen. „Die Beschwerden überwogen. Viele Kunden beklagten sich über die Schärfe und dass die Gewürze bei ihnen Magenschmerzen und Durchfall verursachten.“ Vielen sei es auch geschmacklich zu fremd und zu würzig gewesen.

„Also hatten wir die Wahl: entweder wir passen uns den hiesigen Vorlieben an oder wir lassen es ganz bleiben.“ Daher werden nun milde Speisen angeboten und der empfindliche, deutsche Gaumen bekommt ein „eingedeutschtes“ Indisch vorgesetzt. Ein Hauch von Exotik, aber bitte nicht mehr; gerade mal so, dass jeder probieren kann. Ich schüttle ungläubig den Kopf, kann die Betreiber aber verstehen. Vielerorts wird sich mit vermeintlich landestypischen Gerichten an die Geschmäcker der Kunden angepasst. Leider hatte mich das um meine Urlaubserinnerung gebracht, aber um eine neue, kulturelle Erfahrung reicher gemacht. Nur betrifft diese nicht die Inder, sie betrifft uns, die Deutschen…

Die anderen beiden Lokale, ergänzt sie tröstend, bieten jedoch ihre Speisen so an, wie diese sein sollten: gewürzt, geschärft, schonungslos und echt. Ehe ich gehe, drückt sie mir noch ein Kärtchen in die Hand. Bei meiner nächsten Bonn-Visite werde ich sie beide testen…

Kasia

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