Die Altstadt von Calw
Die ersten, alten Fachwerkhäuser begegnen mir, als ich aus der Tiefgarage tauche. Mein treues Ross ist abgestellt und zu Fuß mache ich mich auf, das geheimnisvolle – geheimnisvoll, weil ich noch nicht viel darüber weiß – Städchen zu erkunden. Calw am Rande des Schwarzwaldes. Schon die ersten Meter, die ich sehe, gefallen mir. Und je tiefer ich in die Fußgängerzone eintauche, umso mehr. Ich verdrehe mir den Kopf. Finde es wundervoll, wie kunstvoll die Balken des Fachwerks geschnitzt sind. Bin begeistert darüber, wie geschickt der alte Bau in die Moderne integriert wurde. Dort, wo es möglich war, wurden die Räume zwischen den Balken verglast. So entstanden lichtdurchflutete Galerien auf einem sehr altem Gerüst.
Doch die meisten der Häuser sind noch größtenteils so, wie sie einst waren. Und in fast jedem steckt Geschichte. Der kleine Abschnitt, den ich sehe, ist nur der Anfang; der Weg führt hoch zu einer querenden Hauptstraße, anschließend zu einem Marktplatz mit Blumen und Brunnen. Der Brunnen plätschert und die Sonne blendet mich. Zeit für die Geschichtsstunde.
Den Ort Calw wurde – so die umstrittene Vermutung – anno 1037 als Calewa gegründet und das erste mal 1075 urkundlich erwähnt. Tuch- und Lederhandel brachten ihr im Mittelalter Bedeutung und Wohlstand.
Das Rathaus
Das Rathaus in seiner jetzigen Form und Fassade stammte teilweise erst aus dem Jahre 1929. Doch der erste Bau wurde bereits 1454 errichtet. Nach einem Brand, bei dem einzig der steinerne Unterbau des Rathauses erhalten blieb, wurde das Ganze als offene Markthalle von Getreidehändlern, Metzgern und Bäckern genutzt. 1692 brannte das Gebäude erneut ab, wurde schließlich als Rathaus erneut im Jahre 1726-1730 wieder aufgebaut. 1929 schlug man die Fensterumrahmungen aus dem 18 Jahrhundert ab (eine Schande, wenn ihr mich fragt) und modernisierte das Aussehen der Fassade. Sie erhielt drei Figuren, derer Bedeutung die Pflichten der Stadt gegenüber seinen Bürgern verkörperte. So steht der Ritter für Schutz, der Baum für Wurzeln und Tradition und die Mutter mit Kind für die Fürsorge.
Es ist was los in der Altstadt. Calw ist für viele ein optimaler Ausgangspunkt für Ausflüge in den nördlichen Schwarzwald. Es rattert hinter mir, Touristen ziehen ihre Koffer über das Pflaster. Pittoresk fügen sich die schmalen und breiten Fachwerkhäuser aneinander und lassen die Stadt wie in einem Märchen aussehen.
Haus Schäberle
Das Haus Schäberle am Markt ist das älteste Haus, das sich in Calw erhalten hat. Es sieht unscheinbar aus und wurde nicht als Fachwerk, sondern als gewöhnlicher Steinbau errichtet. Seit 1500 steht es nun da und überstand gleich zwei Zerstörungen der Stadt im 17 Jhd.
Hermann Hesse
Es zieht mich weiter zur Nicolaus-Brücke, auf der ein Mann mit Hut auf eine Mitfahrgelegenheit wartet, die niemals kommt. Zumindest nicht für ihn, für den Dichter und Literaturnobelpreisträger, der in August 1962 verstorben ist. Hermann Hesse war tief mit Calw verbunden, worauf logischerweise auf jedem Schritt erinnert wird. Da gibt es den Hermann Hesse Platz, den Hermann Hesse Brunnen, das Hermann Hesse Menü auf der Speisekarte. Das Hermann Hesse Museum behandelt das Leben des Autors und auf dem Hermann Hesse Rundgang kann man sich auf seine Spuren begeben. Seine Kindheits- und Jugendjahre verbrachte der Autor in Calw und verarbeitete dies in vielen seiner Werke.
Die Nicolaus Kapelle
Auf der Brücke steht eine alte Kapelle. Die verglasten Bleifenster lassen Licht hinein, doch mehr als ein flüchtiger Blick ist für den Besucher nicht drin. Die Kapelle aus dem 14 Jhd. wurde samt der steinernen Brücke erbaut. Während der Reformationszeit im 16 Jhd. hatte man die Figuren in ihrem Innern entfernt. 1926 wurde sie restauriert und sieht wieder wunderschön aus. Das Innere zieren die Figuren eines Tuchhändlers und eines Flößers, die wirtschaftlichen Säulen der Stadt Calw. Die bunten Bleifensterscheiben zeigen die Wappen wichtiger Calwer Familien. Doch ins Innere kann man nicht gelangen, nur ein Blick durch die Scheiben ist möglich. Die Kapelle ist verschlossen. Stattdessen stehe ich an der Brücke und schaue auf die unter mir fließende Nagold, so wie Hermann Hesse es vorgeblich immer tat.
Der Bettler, der in der Fußgängerzone saß, ist immer noch da. Am Rathaus lassen sich die Menschen in Cafés nieder, vorgeblich Anwohner, die sich von den paar fotografierenden Touristen nicht aus der Ruhe bringen lassen. Es gibt einen historischen Rundweg, der durch die alten und interessanten Bezirke von Calw führt. Unschlüssig schaue ich auf meine schwere Handtasche und auf die Steigung vor mir und muss daran denken, wie mir mal eine Bekannte sagte: wandern ja, aber durch die Stadt laufen, nein danke. Ein Seufzer, dann mache ich mich langsam wieder zurück zum Auto. Ich habe nicht alles gesehen, aber alles lässt sich nachholen. Ein anderes Mal.
Calw, der Friedhof
Der Friedhof ist bereits von der Hauptstraße aus zu sehen, wenn man in den Ort hinein fährt. Was von weitem auffällt, ist die historische Mauer. Die alten Reliefs wirken in der Sonne rau und verwittert. Sie wurde durch Spenden der Anwohner restauriert und enthält Grabsteine und Wandgrabmäler bedeutender Calwer Bürger. Gegründet wurde der historische Friedhof 1618, als die Calwerin Catharina Hayd ihr Feld an die Stadt verkaufte. Sie wurde, ihrem Wunsch entsprechend, auch als erste auf dem neuen Friedhof bestattet; ihr verwitterter Grabstein mit Inschrift ist immer noch da.
Da ich mich sehr für alte Friedhöfe interessiere – es ist eine aus der Teenagerzeit verbliebene, morbide Seite in mir – schlendere ich eine Weile herum und lasse mir Zeit. Und wie immer, so lasse ich auch jetzt die Geburts- und Sterbedaten auf uns wirken. Geboren achtzehnhundertzehn, gestorben achtzehnhundertneunundachtzig. Danach – lange nichts. Bis neunzehnhundertdreiundachtzig ich kam. Warum lange nichts? Na ganz einfach. Kann es etwas vor unserer Geburt gegeben haben? Kann die Welt vor unserer Geburt existiert haben? Der Verstand weiß, dass es so war. Der Geist will es nicht begreifen.
Geboren siebzehnhundertsiebenundneunzig. Verstorben achtzehnhundertachtzehn. Gelebt in einer anderen Welt, in einem anderen Universum, in einer anderen Realität. Längst fertig mit seiner/ihrer Geschichte, ehe die meine auch nur im Ansatz losging.
Schluss, genug von morbiden Gedanken. Das Leben ist kurz und mein heutiger Tag wird auch immer kürzer. Daher verlasse ich den Friedhof wieder über die Tankstelle und schlendere zurück zum Wagen. Denn ein letztes Ziel habe ich mir für heute vorgenommen: das Kloster in Calw Hirsau.
Jagdschloss und Kloster in Hirsau
Die Klostergeschichte von Hirsau reicht über tausend Jahre zurück. Im Jahre 830 wurde das erste Kloster, das sog. Aureliuskloster I, geweiht. Man vermutet jedoch, dass sich bereits 765 eine erste, kleine Klosterzelle namens St. Nazarius, an dieser Stelle befand. Als Aurelius I verfiel, baute man ein neues Kloster; das 1071 geweihte Aureliuskloster II in romanischem Stil. 1584 hatte man die Basilika teilweise abgerissen. Was übrig blieb, wurde als Scheune genutzt.
In jener Zeit stieg das Kloster zu einer der bedeutendsten Benediktinerabteien im Schwarzwald. Es wurde an- und ausgebaut, um die steigende Zahl der Mitglieder unterbringen zu können. Ein Neubau war fällig: die Abtei St. Peter und Paul entstand. Sie war das baulich größte Kloster im deutschsprachigem Raum. Nach der Reformation entstand eine Klosterschule. Das herzogliche Jagdschloss wurde 1586-1592 von Herzog Friedrich angebaut. Nichts währt jedoch ewig: etwa fünfhundert Jahre später, während des Pfälzischen Erbfolgekrieges wurde die Klosteranlage von französischen Truppen niedergebrannt.
Heute werden die erhaltenen Räume von Institutionen der Stadt Calw, u.a. vom Finanzamt, genutzt. Die Basilika und die Klosterruinen können besichtigt werden. Zudem wird jedes Jahr der Calwer Klostersommer zelebriert: Konzerte und Veranstaltungen finden innerhalb der Klosterruinen statt. Das kommunale Open-Air Kino zeigt seit 14 Jahren in der Zeit von August bis Anfang September Komödien und lokale Filme gezeigt.
Ich lasse mir diese Gelegenheit nicht entgehen und buche für Stefan und mich direkt einen Kinoeintritt mit. Welcher Film gezeigt wird, das ist mir eigentlich Wumpe – das einmalige Erlebnis in einer besonderen Location ist uns eine Anfahrt von über zwei Stunden wert. Und kann man mit Til Schweiger irgend etwas falsch machen? Na eben. So sitzen wir an besagtem Samstag Abend auf harten Plastiksitzen unter der frischen Abendluft, während sich der „Kinobereich“ nach und nach mit Menschen füllt.
Nach einer Ansage vom Veranstalter und Sponsorenwerbung, ohne die all das hier nicht möglich gewesen wäre, flimmert Manta Manta über die Leinwand. Der Streifen wird noch altmodisch über einen Projektor ausgestrahlt. Was Stefan etwas antiquiert findet, doch ich liebe es. Ich liebe es, den hellen Streifen in der Dunkelheit zu sehen und wie sich Nachtfalter im Lichtkegel verfangen. Die ersten Sterne erscheinen am Himmel und ich wickle mir eine flauschige Decke um die Beine – die eigentlich nicht nötig gewesen wäre, aber es ist so gemütlich. Der Film ist kitschig und unrealistisch hoch zehn, die Story flach und die Stimmung leicht, doch der Streifen wird so charmant von den Hauptdarstellern bespielt, dass es ein Vergnügen ist, zuzusehen. Auch ein alternder Til Schweiger ist es noch wert, ins Kino zu gehen. Es muss ja nicht jeder Woche ein Oppenheimer sein…
Was für,ein schönes Städtchen! Ich sehe schon: ich sollte mich doch mal wieder mehr im eigenen Land umsehen 😎. Der alte Friedhof würde mir sicherlich auch gefallen. Manta, Manta hingegen wohl weniger 😁.
Es ging in erster Linie um das Kinoerlebnis in der alten Ruine, der Film war nebensächlich 😉 Das Sommerkino läuft da nur anderthalb Monate, die Gelegenheit wollten wir nutzen.
Hi Kasia,
also dieses verträumte Städtchen geht ja echt als Kulisse für jeden Märchenfilm durch! Da erwartet man ja förmlich, dass ein Prinz in Pluderhosen auf einem weißen Ross nach seiner Prinzessin sucht, um die aus einem Turm zu befreien. Sicher sehr romantisch – außer die Prinzessin heißt Kasia, hatte morgens noch keinen Kaffee und eine Bratpfanne in Griffweite… 🙂
Hahaha, der Prinz hatte auf einer Brücke gewartet, so lange, bis er zu Stein (oder in dem Fall zu Bronze) geworden ist… 🙂
Calw ist echt schön, je tiefer man sich in die Altstadt bewegt, umso besser wird es. Jetzt ist der Herbst die perfekte Jahreszeit, um kleine, schicke Orte zu besuchen. Nicht zu heiß 🙂
Hallo Dr. Nerd, ich wollte deine Reiseberichte kommentieren, aber irgendwie gehen meine Kommentare nicht durch… vielleicht stuft dein Sicherheitssystem den Schwarzwald als Feindesgebiet ein… 😉
Hi Kasia, das kann vorkommen, wenn der Cache deines Browsers nicht geleert ist. Hatte Buddy auch, als ich das andere Theme aktiviert hatte. Fehler „nonce Prüfung fehlgeschlagen“.
Ich musste wieder auf das altbekannte Jannah zurückwechseln – aus technischen Gründen. Kann dann vielleicht auch bei Dir aufgetreten sein. Dann einfach mit Ctrl und F5 den Cache des Browsers leeren..
Hallo Kasia, danke fürs Mitnehmen nach Calw. Eine Empfehlung von mir für den nächsten Trip dahin: Wanderung durch die Monbachschlucht. Darüber habe ich auf meinem Blog berichtet (Link folgt).
Liebe Grüße Harald
Hallo Harald. Vielen Dank für die Empfehlung. Ich finde es sehr schön, einen tollen Ort wandernd zu erreichen, so ist das Gefühl der Belohnung noch größer. Ich werde mir die Monbachschlucht merken 😉
Calw sieht wirklich aus wie eine Märchenstadt! Die ganzen Fachwerkhäuser sind wunderschön, ich bin ein großer Fan davon.
Ich bin auch von solchen schmucken Altstädten begeistert, glücklicherweise gibt es im Schwarzwald viel davon, also habe ich noch viel zu entdecken 😉