Afrika, Senegal

Geschichten vom Strand

„See you later in the shadow…“

„Bei uns, bei den Tuareg, bekommt die Frau zuerst.“ Sagt Ibrahim und reicht mir ein Glass Tee. „Denn die Frau ist hier der Chef. Und auch du…“ sagt er zu mir, „…bist Stefans Chef, so wie meine Frau meine Chefin ist.“ Wir alle lachen und wissen doch, wie Recht er mit seinen Ausführungen hat.

Und während wir da sitzen, ich im Schneidersitz auf der erhöht ausgebreiteten Strohmatte, und am köstlich süßem Tee aus Nana-Minze schlürfen, die zum Verkauf ausgehängte Kleidung im Wind flattert, da überlege ich, wie ich denn von Ibrahim, dem Targi mit den sanften Augen, etwas über Mali erfahren könnte und wann ich die Frage am besten platzieren kann. Doch im selben Moment, als könnte er meine Gedanken lesen, fängt Ibrahim unaufgefordert zu sprechen an. Doch wie sind wir heute, an diesem Vormittag, unverhofft in ein Nomadenzelt in der Wüste von Mali geraten?

Tee aus Nana-Minze

Der frühe Morgen in Saly, Senegal. Schon gegen acht bin ich wach und in den Fluten. Mein blaues Kleid bleibt, wie jedes Mal, auf den Steinen liegen, ebenso wie die Schuhe. Das Wasser ist kalt, dann kälter, die Wellen schlagen gegen meine Knöchel und gegen meine Schienbeine. Und einen Moment lang zögere ich, denn eigentlich bin ich noch nicht ganz wach. Eine Touristin bleibt mit ihrem Hund vor unserer Anlage stehen und schaut versonnen hinauf, doch wohl eher, weil der Hund es so will. Schließlich werfe ich mich – es gibt ja eh kein Zurück – in die aufkommenden Wellen. Die Kälte prickelt, da hilft nur Bewegung, ich schwimme – auf das Meer hinaus.

Ein Spalier aus (Enten? Kormoranen?) Wasservögeln durchzieht den Himmel wie ein Pfeil. Rundum stehen Boote, die senegalesischen Pirogen, unbeweglich auf dem Wasser und warten auf den Fang. Weit weg sind sie, es sind Dutzende am Horizont. Ich kann sie sehen, jedes Mal, wenn mich eine Welle einmal wieder ein kleines Stück nach oben trägt. Ich schwimme entlang der Küste. Kaum merklich verändern die Boote ihre Position. Eine Seemöwe stürzt in die Wellen und fliegt zufrieden mit ihrem Fisch im Schnabel davon. Dann taucht die Sonne hinter den Häusern auf und breitet ihr Licht und ihre Wärme über dem Meer aus.

 

Hamids Kaffeehaus

Wie üblich, so gehen wir auch heute zu Hamid zum Kaffee trinken hinüber, vorbei an Männern, die auf einem Rundholz mit reiner Muskelkraft die Boote auf den Strand hinauf zu ziehen versuchen, vorbei an schlafenden Hunden. In „Hamids Kaffeehaus“, wie ich den winzigen Stand unter freiem Himmel inzwischen nenne, ist heute volles Haus. Eine ältere Frau und ein Bekannter sitzen da ihr trinken bereits ihren Kaffee, beide grüßen, die Frau legt kurz ihre Hand aufs Herz und lächelt. Hamid weiß schon, wie wir unseren Kaffee mögen. Stefan mit Zucker, ich ohne, und beide mit einem Schuss frisch ausgepressten Limonensaft. Hamid grüßt und wird von Leuten gegrüßt, alle kennen den Kaffeeverkäufer vom Strand, den Kaffeeversorger der Fischer. Bisher haben sich bis auf uns noch keine Weißen getraut, sich dazu zu setzen. Herzlich lachen wir über den Typen, der mit seinem mobilen Lautsprecher den Moonwalk probt. Ich rufe allgemeine Erheiterung hervor, als ich mittanze und mitwippe.

Strand von Saly, Senegal

Ein Typ neben uns – zu meiner Schande habe ich mir seinen Namen nicht gemerkt, hat er ihn genannt? Nein, ich glaube, er fragte einfach, was wir beruflich machen. Wie erklärt man Außendienst in einem Satz? Wir geben uns Mühe und erzählen ein wenig. Über die Arbeit, über das Leben in Deutschland. Womit wir uns so beschäftigen. Eine Weile hört er zu, sagt dann: „Ihr habe Arbeit. Hier ist es schwer, Arbeit zu finden.“ Die Regierung würde nicht gut für seine Landsleute sorgen, erzählt er uns. Die Arbeitslosigkeit sei sehr hoch. (offizielle Statistiken sprechen von 3,5 Prozent, es stellt sich die Frage, ob abgelegene Regionen erfasst werden. Auch liegt das Problem woanders, beispielsweise sind rund 40 Prozent der Senegalesen von Armut betroffen, obwohl sie einer Beschäftigung, beispielsweise in der Landwirtschaft, nachgehen.) Er selbst habe eine Arbeit von seinem Vater erlernt, die bei uns wohl als Maler und Lackierer beschrieben werden könnte. Doch Arbeit für ihn gibt es kaum, und das, obwohl der Bauboom anhält. Die zwei Jahre Pandemie haben dem Leben im Land einen Dämpfer verpasst. Das Land und viele seiner Leute leben von Tourismus, sagt er, deswegen: „Seid herzlich willkommen in Senegal. Es ist gut, dass ihr hier seid.“

Hamids Kaffeehaus

Nur langsam kämen Touristen wieder ins Land. Er selbst habe früher vom Souvenirhandel gelebt. „Sieht ihr die Händler mit den Umhängetaschen am Strand?“ Genau das habe er gemacht, hatte Kleidung und Schuhe günstig von Werk eingekauft und mit einer Gewinnspanne weiter veräußert. Doch das, so sein Fazit, lohne sich nicht mehr. Die Leute versuchen, die Preise zu drücken (bei den uns genannten Mondpreisen ist das kein Wunder – wenn sie überhaupt etwas kaufen…). Es sei nicht einfach, es gäbe keine Krankenversicherung oder soziale Absicherungen. Medikamente würden viel Geld kosten und „…wenn du dir keine leisten kannst, stirbst du eben.“ Leute, die bei international agierenden Unternehmen arbeiteten, hätten eine Versicherungspolice. Sie holten sich Medikamente, die sie gar nicht bräuchten, und verkauften sie dann weiter auf dem Schwarzmarkt. Korruption sei ein großes Problem. Ohne Schmiergelder liefe nichts, ein gutes Beispiel sei die Polizei. Ohne Bestechung käme man nicht zu seinem Recht. Verhaftet würden diejenigen, die kein Geld zum Schmieren hätten.

Der junge Senegalese spricht viel davon, dass wir gleich seien, das gleiche Blut hätten. Er glaube nicht an Hautfarben. Er glaube, dass es keine Unterschiede zwischen uns gäbe. Wir seien ein sehr sympathisches Paar. „The couple of the year.“ Er glaube, wir seien in Ordnung.

Ich sehe so viele – sage ich später zu Stefan, als wir wieder alleine sind – so viele Strandverkäufer und es tut mir leid um sie, denn sie alle, die uns ansprechen, haben Hoffnung. Doch ich kann unmöglich jedem einzelnen etwas abkaufen und schon gar nicht kann ich die Situation im Land grundliegend ändern. Schrauben im Gefüge. Das sind wir. Schrauben im Gefüge, die ihre Rolle spielen. Wie alle anderen auch.

„Doch wisst ihr, was das Gute an Senegal ist?“ Führt der Mann seine Ausführungen weiter. Das Gute sei: selbst wenn er tausend CFA hätte und sein Freund gar nichts, er würde ihm 500 CFA abgeben. Und wenn er selbst am Tag darauf kein Geld haben würde, sein Freund würde ihm etwas geben. Die Menschen unterstützen einander, niemand lässt einen anderen in Stich. „Deswegen kann es uns irgendwo auch egal sein, was die Regierung macht.“ Sagt er.

Entspannt Kaffee trinken unter Palmen

Hast du keine Angst? Möchte ich ihn fragen. Denke ich an meine Ängste – und meine größte, diffuse Angst ist wohl der soziale Abstieg – erscheint es mir nicht greifbar, wie die Leute hier ihren Alltag bewältigen können, ohne psychisch in einen Abgrund zu rutschen. Wie leben, ohne zu wissen, was morgen sein wird? Einmal mehr wird mir klar, wie diffus, schwammig und unbegründet eine solche Zukunftsangst gerade in meinem Fall erscheint. Denn es geht immer irgendwie weiter. So wie es früher immer weiter ging. Ich steckte schon in verschiedenen Situationen, war auf unterschiedlichen Sprossen der sozialen Leiter unterwegs. Und immer ging es ein kleines Stück aufwärts. Doch die Angst, der schwarze Schatten, ist immer irgendwie da, mal näher dran, mal weiter entfernt. Und sie wird bleiben.

Und die Menschen hier? Ist es der Gedanke an Freunde, an Familie? An Verantwortung, die sie haben, oder an Unterstützung, die sie erhalten? Der Glaube an das starke, soziale Netz, welches sie immer irgendwie auffangen wird?

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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6 Kommentare

  1. Hamids Kaffeehaus hat euch nicht nur guten Kaffee, sondern durch die Gespräche auch etwas tiefere Einblicke in die Lebenssituation der Einheimischen gebracht. Ja, all das, was du schilderst, macht nachdenklich. Und nein, wir sind weder persönlich für die Probleme im Land verantwortlich noch ist es unsere Aufgabe, sie zu lösen. Aber zuhören und Empathie zeigen geht immer! Und die lokale Ökonomie unterstützen, wo immer es möglich ist, ohne krampfhaft was zu kaufen, was man nicht will oder nicht braucht. Du hast ja ein paar Beispiele genannt: z.B. kleine, lokal geführte Unterkünfte und lokale Agenturen/Guides.

    1. Danke, liebe Elke. Es stimmt schon, obwohl wir in dieser einen, übrig gebliebenen Woche kaum etwas unternommen haben, hat die Langsamkeit dazu geführt, dass wir uns etwas tiefer mit dem Land befassen konnten. Man lernt ein Land eben nicht nur kennen, indem man sich fortbewegt, sondern auch über die Gespräche mit Menschen. Hier hatten wir natürlich die zusätzliche Sprachbarriere, doch auch mit schwachem Englisch kommt man erstaunlich weit 🙂

  2. Das sind sehr nachdenkliche Worte und sehr berechtigt. So idyllisch die Bilder vom Strand aussehen, die Armut im Land ist nicht zu übersehen. Ich finde das auch schwierig. Einerseits kann man nicht alle retten, andererseits kann man das Problem auch nicht ignorieren. Was tun? Ich weiß es nicht.

    1. Vielleicht sollten wir aufhören, uns für alles, was in der Welt passiert, persönlich verantwortlich zu fühlen. Da stecken politische Verwicklungen dahinter, die wir nicht durchblicken. Länder mit Bodenschätzen (dazu gehört nicht der Senegal) leiden unter Armut, Warlords und Bürgerkriegen. Wir sind weder persönlich für die Armut in der Welt verantwortlich noch können wir es auf die Schnelle ändern. Das muss man sich verinnerlichen, sonst ist vieles von dem, was man sieht, nur schwer zu ertragen.

      1. Da haste recht. Ich fühle mich auch gar nicht persönlich verantwortlich, nur frage ich mich in solchen Fällen manchmal, wie ich mich verhalten soll. Tourismus hilft ja dann auch den Leuten, wenn man nicht in westlichen Hotelketten übernachtet. Beispielsweise. Aber ich will dann genau wie du nicht Sachen kaufen, die ich gar nicht brauche.

        1. Hm ja, ich verstehe. Ist für mich auch ganz schwierig und ich habe für mich noch nicht die endgültige Antwort/Lösung gefunden. Ich versuche, es so zu sehen: der Tourismus hilft auf jeden Fall, wenn man es richtig anstellt. Hier sind die Agenturen gefragt, einige fördern gezielt das Übernachten in lokalen Unterkünften oder die Zusammenarbeit mit lokalen Guides. Ich versuche, nicht rein aus Mitleid etwas zu kaufen. Das ist vermutlich auch nicht Sinn der Sache. Der Verkauf von Souvenirs ist eine Dienstleistung, und wenn das Angebot und der Preis stimmen – okay. Ich habe keine Angst davor, auf Reisen Geld auszugeben. Wenn ich etwas benötige. Wenn nicht, dann eben nicht.

          Aber klar, wir sind auch Menschen. Und wir können nicht die Augen verschließen. Wenn wir sehen, dass es anderen Menschen schlecht geht, nimmt uns das meist mit – die einen mehr, die anderen weniger. Und das ist okay. Das ist Empathie 🙂

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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