Afrika, Kanarische Inseln, Lanzarote

Mirador de Guinate

Empört betrachte ich die Wassertropfen auf der Glasplatte im Garten. Der Terrakottaboden auf unserer Terrasse ist nass und glänzend. Über Nacht hatte es geregnet, auf einem Ort, an dem es so gut wie nie regnet. Doch dieses Glück wird immer mir zuteil, ob seinerzeit in Namibia, in Saudi Arabien oder eben hier. An den wärmsten und sonnigsten Orten bekomme ich den Regen ab. Doch der Himmel hat bereits aufgeklart, dicke, glänzende Wassertropfen hängen wie Tau fluoreszierend an den Palmblättern im Garten.

Garten in Tau gebadet

Der heutige Tag ist ein Ruhetag. Zumindest für uns beide. Mit Ausschlafen, ausgiebig frühstücken, lesen, die Landschaft betrachten. Ab 11:30 ist der erste, leichte Weißwein fällig. „Keine Sorge, das ist ein Frühstückswein.“ Fällt mir spontan eine Sequenz aus „Emily in Paris“ ein. Ein Frühstückswein, der ist gut.

Nachmittags ist Zeit für die traditionelle Siesta. Siesta ist Tradition, und Traditionen muss man ehren. Beide machen wir ein Nickerchen. So lässt sich am besten mein Sonnenbrand von vorgestern auskurieren.

Am frühen Abend halte ich es nicht mehr aus. Genug gelesen, genug die Gegend betrachtet, Kasia will was erleben. Ich überrede Stefan zu Mirador de Guinate. Dieser Aussichtspot wird als Geheimtipp der Insel beschrieben; besonders zum Sonnenuntergang hin soll es dort zauberhaft sein. Stefan befragt sein Befinden und spontan fahren wir los.

Die Sonne sinkt. Sie meißelt die Landschaft, erschafft neue Strukturen wie ein Künstler. Ganz anders wirkt Lanzarote im weichen Licht des Abends als in der harten Strahlung am Tage. Der Spot Guinate liegt am nördlichen Ende der Insel; fast eine Stunde brauchen wir, um ihn zu erreichen. Die Gegend, die wir durchfahren, habe ich noch nicht zuvor gesehen. Schwarze Lava, durchzogen von niedrigen Mäuerchen. Die Erdkruste stellenweise aufgesprungen, als hätte ein übergroßer Maulwurf darin gewühlt. Der Weg führt durch stille Orte, erfüllt von goldenem Licht. Die Härte des Tages ist gewichen.

Wir passieren Teguise. Wir passieren Haria. Wir passieren das Tal der tausend Palmen. Noch zwanzig Kilometer. Noch acht. Beunruhigt schaue ich auf die Anzeige, ich will es unbedingt pünktlich zum Sonnenuntergang schaffen. Der Weg weicht aus in die Berge, schlingt sich zu Serpentinen, gehauen in Stein. Es geht höher und höher, die Ausblicke rauben mir den Atem. Ich kenne diese Gegend nicht, bin nach dem langen Sitzen heute völlig aufgeregt.

Geradezu überpünktlich kommen wir an, als die Sonnenscheibe die Horizontlinie erreicht. Ich sprinte aus dem Auto. Mirador de Guinate ist zu dieser Tageszeit ein klassischer Pärchenspot. Das merken wir sofort. Zwei Paare und eine junge Frau sind bereits da. Überfüllt ist anders; wir stellen uns an die niedrige Mauer, die den Besucher von dem 340 Meter hohem Abgrund schützt. Im blauen Dunst ist in der Ferne La Graciosa zu sehen, Lanzarotes kleine Schwesterinsel, mit der ich schon bald innige Freundschaft schließen werde. La Graciosa. Die Hügel der kleinen Vorinseln ragen aus dem Meer wie aus einem Nebelfeld. Alles ist weichgezeichnet, mit Filter bedeckt aus grau, lila und pastell.

Als der letzte Funke verglüht ist, stehen wir zusammen da. Es ist gut, dass wir hierher gekommen sind, und ich bin froh, meinen Liebsten dazu überredet zu haben. Und ich glaube, er ist auch froh. Eine Zigarre muss sein, die habe ich mir für diesen Augenblick mitgenommen. Die rauche ich jetzt, langsam. Kahl und steil fallen die Hänge ins Meer, schwarz wirkt das Ufer von hier oben. Schwarz ist der Strand.

In der Dunkelheit kehren wir zurück. Von der Landschaft, die mir hier im Norden der Insel regelrecht den Atem nimmt, ist jetzt nicht mehr viel zu sehen. Die Orte stehen still, mit gelbem Laternenschein erleuchtet. Kaum jemand bis auf uns ist noch unterwegs. Die Ampeln in den Ortschaften schalten sofort auf rot, wenn wir uns ihnen nähern. Erst nachdem Stefan abgebremst hat, schalten sie wieder auf grün. Eindringlich versuche ich ihm zu erklären, dass dahinter ein ausgeklügeltes System steckt. Die Navigation spuckt einen Straßennamen nach dem anderen aus. „Lanzarote – die Insel der langen Namen.“ Stellt Stefan fest und wir lachen.

Auf der Terrasse warten bereits unsere drei Hauskatzen auf uns.

 

Ein wenig Info hat noch nie geschadet…

Da noch Zeit ist und keiner von uns schon jetzt zu Bett gehen will, erzähle ich euch noch von den Hintergründen zu diesem Ort. Mirador de Guinate ist vor allem bei den Bewohnern der Insel beliebt. Er wird als „Balkon, in den Fels gehauen“ beschrieben. Doch um diesen wunderschönen Standort für die Menschen hier zu erhalten, brauchte es einen harten Kampf.

Im Jahre 2016 war es geplant, auf dem Mirador Guinate eine militärische Radarstation zur Überwachung der Atlantikroute errichten. Doch als der Antrag nicht weiter bearbeitet wurde – die Zeit auf der Insel verläuft laaangsam – dachten viele Einwohner, die Idee hätte sich im Wohlgefallen aufgelöst. Groß muss der Schock gewesen sein, als ohne Voranmeldung im Winter 2021 Bagger damit begannen, den Asphalt rund um den Aussichtspunkt aufzureißen. Auf der trägen Insel, wo die Zeit sonst so behäbig plätschert, wurde eine ungewohnte Energie spürbar. Widerstand in Form großer Protestbewegungen formierte sich, denn die Sache drängte. Bewohner setzten alle Hebel in Bewegung, derer sie sich bemächtigen konnten. Es gab Unterschriftenaktionen, Berichte in lokalen Zeitungen. Das Bauvorhaben wurde bis auf weiteres gestoppt, die Baumaschinen zurückgerufen. Fürs erste wird man den Ausblick wohl noch genießen können, doch solange kein Alternativvorschlag für die Errichtung der – notwendigen – Radarstation vorliegt, bleibt der Erhalt des Mirador in der Schwebe.

Diese Informationen fand ich auf der Website lanzaroteherz.com. Die Autorin lebt auf Lanzarote und versorgt euch mit viel Hintergrundwissen rund um die Insel. Schaut bei ihr vorbei…

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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9 Kommentare

  1. Es ist auch schön, einen Ruhetag mit euch zu erleben, wenn er so schön beschrieben wird 😎.

    Die Sache mit dem Regen ist hier auf Lanzarote anscheinend gar nicht so selten. Ich habe hier bisher an jedem Tag einen oder zwei Schauer gehabt. Meist ist es so ein Bindfaden-Landregen, herangeweht vom ewigen Wind. Doch nach spätestens 15 Minuten ist der Spuk meist vorbei, und die Sonne strahlt wieder, als gäbe es kein Morgen.

    Frühstückswein 😅? Gefällt mir! Hört sich nach einem plausiblen Konzept an.

    Euer Besuch auf dem Mirador hat sich wahrlich gelohnt. What a view!

    1. Auf Lanzarote ist scheinbar jedes Mirador sagenhaft. Und es gibt davon so viele. Der aktuelle Regen ist eventuell dem Winter geschuldet, wir waren im Mai da. Und der Wind scheint ein ständiger Begleiter zu sein. Was habt ihr aktuell für Temperaturen?

      1. Jetzt gerade sind es 18 Grad. Maximal werden es 20. Sehr angenehm, auch wenn es sich durch den Wind etwas kühler anfühlt.

        1. Klingt nach Wanderwetter 🙂

          1. Wäre genau deine Jahreszeit, um noch einmal zurückzukehren 😊

          2. sagt:

            Aber der Regen🥶 Mal sehen, wann ich nochmal hin komme. Mir schwebt eine ganze Woche auf la Graciosa vor🤩

          3. Ein schöner Plan! Und die paar Minuten Regen am Tag schaffst du. Ist ja gleich wieder verdunstet 😎.

  2. Ein wunderschönes Aussichtspunkt und ja…. romantisch auch 🙂

    1. Normalerweise mag ic h ja keine Pärchenspots, aber da wir ja auch als Pärchen dort waren… 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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