Die Petroglyphen finden wir in der Wüste Nefund außerhalb der Stadt. Die in Stein gehauenen Felsbilder sind unterschiedlichen Datums, denn jeder Stamm, der hier vorbei zog, hinterließ im Laufe der Jahre, Jahrzehnte und Jahrtausende seine eigene, individuelle Signaturen. Die ältesten von ihnen sind über zehntausend Jahre alt. Heute zählen sie zu einer der insgesamt sechs UNESCO Welterbestätten in Saudi Arabien. Die Welterbestätte besteht aus zwei Teilen: dem Berg Dschebel Umm Sinman bei Jubbah, wo wir uns gerade befinden, und den beiden Bergen Dschebel al-Mandschur und Dschebel Raat, beide rund 230 Kilometer von unserem Standort entfernt.
Die Darstellungen von Tieren, die es hier mal gegeben hat, von Menschen, die Felder bestellen, Darstellungen aus dem Alltag zeugen alle davon, dass dies hier vor tausenden von Jahren eine grüne, fruchtbare Landschaft gewesen sein muss. Vor sehr langer Zeit hatte es an der Ostseite des Berges einen Süßwassersee gegeben; hier finden sich auch die meisten Darstellungen. Entstanden und bis heute geblieben ist die Oase Jubbah. Der See hingegen trocknete bereits vor 3000 Jahren aus.
Wie es während dieser Reise noch oft der Fall sein wird, bekommen wir auch jetzt, ehe wir was Interessantes anschauen dürfen, einen Lehrfilm vorgeführt. Erwartungsvoll sitzen wir im Raum versammelt wie Hühner auf der Stange, während sich ein Saudi mit bärtig-gemütlichem Gesicht am Recorder abmüht. Das Video soll direkt von seinem Handy übertragen werden, doch die Technik ist eine beseelte, bösartige Kreatur. Dezent bösartig ist auch der Mensch: „Hoffentlich hat er seine privaten Filmchen gelöscht.“ Scherz einer von uns.
Die Petroglyphen bei Jubbah sind bereits seit langem Ziel wissenschaftlicher Untersuchungen. Ihr Entstehen erstreckt sich von der Jungsteinzeit über die Kupfer- und Eisenzeit. Die Darstellungen von Tieren, von Jägern und Gottheiten zeigen anschaulich die Fauna, welche es damals hier gegeben haben muss. Nach der Domestizierung erster Tiere haben auch diese einen Weg in die „Galerie“ gefunden, wie ein Pferd, das einen Karren zieht. Später, als die ersten, trockenen Zeiträume immer häufiger wurden, gewann das Kamel an Bedeutung, was sich ebenfalls im Fels widerspiegelt.
Schließlich dürfen wir loslaufen. Das Areal bei Jubbah ist von Schutzzäunen umgeben; das Museum Regional Antiquities & Museums office ist für seinen Schutz und Erhalt verantwortlich. Das zuständige Wachpersonal stellt unser freundlicher Saudi mit dem Video dar. Bereits die ersten Felsen, die wir erblicken, sind übersät mit Gravuren. Große, kleine, dunkle und helle, von unterschiedlichem Maß und Form. Manche sind bereits fast vollständig verwittert, einige wirken noch sehr frisch. Letztere sind denn „nur“ an die zwei- bis dreitausend Jahre alt. Sie wirken wir abstrakte Kunst, sind Darstellungen von Tieren, Menschen beim Tanz, Menschen auf Kamelen oder auf der Jagd. Es finden sich auch Schriftzüge in altarabischer Sprache. Viele der Abbildungen sind mit Signaturen des jeweiligen Künstlers versehen.
Unser arabischer Guide erklärt uns die Bedeutung. Einige Gravuren sagen aus: „hier gibt es Wasser.“ Andere sind als Gebete zu verstehen und stellen das dar, was der Bittsteller gerade benötigt. Weitere wiederum sind Liebesbotschaften und sollen der Angebeteten die eigenen Gefühle gestehen. Und einige sagen schlicht: „Ich war da,“ nicht anders als auf unseren urbanen Wänden und Brückenpfeilern. In dem Sinne unterscheidet sich der Mensch von vor Jahrtausenden in keinster Weise von dem Menschen von heute. Das Bedürfnis, der Welt oder nur einen bestimmten Ort unseren Stempel aufzudrücken scheint tief in uns verwurzelt zu sein.
Große, sorgfältig ausgearbeitete Bildnisse stammten von Siedlern, die hier längere Zeit über lebten. Sie hatten Zeit und Muße, sich der Gestaltung zu widmen. Kleinere, einfache Bilder sind von umherziehenden Nomaden gefertigt worden. Teilwiese sind auch Petroglyphen zu sehen, welche Tierarten darstellen, die es heute in dieser Gegend nicht mehr gibt. Sie zeugen davon, dass diese Wüste mit diesem Stück grüner Oase und Sprinkleranlagen, die Dattelpalmen bewässern, vor Äonen von Jahren ein grünes, fruchtbares Paradies war. Diese Abbilder sind die ältesten von allen.
Auch war der künstlerische Drang des Menschen ungebrochen. Sie „malten“ und „malten“, ältere Petroglyphen wurden teilweise oder ganz von neueren überdeckt. Von oben nach unten, kreuz und quer; wenn ein Felsbrocken sich löste oder umfiel, wurde auf der anderen, frei gewordenen Seite einfach weiter gemacht. Eine Ahnengalerie ohnegleichen.
Kreuz und quer laufen auch wir durch die Landschaft. Nichts ist hier abgesperrt, nichts abgeriegelt. Das Areal ist zwar abgesperrt, doch noch sind die angelegten Wege nicht obligatorisch. Wir können hinauf bis zu den Felsen klettern, die Petroglyphen ganz aus der Nähe bestaunen. Wir können uns wenden wohin wir wollen, noch sind wir frei. Mir ist bewusst, dass sich das schon bald ändern wird, je mehr Gäste das Saudische Königreich fluten. Sobald die noch von der Welt vergessenen, uralten Steine auf das Interesse der breiten Öffentlichkeit stoßen.
Unser saudischer Guide hat noch etwas Besonderes für uns dabei. Eine Ghurta und einen seidenweichen, goldenen Mantel zum Überwerfen, und wieder sind es Marco, der Reiseguide und Stefan, die sich besonders gut in dieser Art Kleidung machen (by the way, es muss sich wohl herumgesprochen haben, dass Touristen auf diese Art „Verkleidung“ stehen, denn diese Szene kennen wir doch schon vom Souk in Riad…). Doch diesmal macht Kasia auch einen auf „arabische Prinzessin“ und trägt den goldenen Mantel „like a arabian lady…“. Volles Programm, was will man mehr.
Die Kleideranprobe der Männer macht deutlich, welche Verwandlung die lange, luftige Kleidung der saudischen Männer nach sich zieht. Du hältst dich aufrecht und stolz. Du gehst nicht, du schreitest (etwas anderes lässt dieses Kleidungsstück auch kaum zu). Immer mit Bedacht, nie in Eile. Eine gewisse Würde umgibt dich. So habe ich mich auch gefühlt, als ich meinem bodenlangen Mantel die ersten Tage in Riad trug. Wie eine Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht kam ich mir vor. Wenn dieses Kleidungsstück nur nicht so unpraktisch wäre…
Und der Saudi hat noch einen Ass im Ärmel, eine Darstellung, bei der sich jemand in 3D versucht hat. Nicht ganz so gelungen wie es wohl vom Künstler gedacht war, aber der Ansatz ist klar zu erkennen. Eine steinerne Speerspitze wird herumgereicht. Neugierig schauen wir auf den Boden auf der Suche nach mehr dieser Überbleibsel.
Dann ist Mittagszeit und der Muezzinruf erklingt aus einer nahegelegenen Ortschaft. Weitere Stimmen fallen mit ein. Wie wir erfahren, wurde irgendwann einmal beschlossen, dass ein Muslim in Saudi Arabien nie mehr als sechshundert Meter zur nächsten Moschee laufen sollte. Aus diesem Grunde sind Moscheen so zahlreich in diesem Land, selbst abseits von allem und an einem Ort wie diesem. Es hat etwas Gutes an sich, selbst für uns Touristen; dort, wo sich eine Moschee befindet, sind Toiletten und Waschräume nie weit.
Der Zitronengarten
Wieder einmal fahren wir nicht lange. Die kurze Busfahrt bringt uns zum Al Naif Palace Museum. Eigentlich bin ich nicht so für Museen (ihr wisst schon, tote Steine und so), doch dieses hier ist schön gemacht. Wie eine Oase aus alten Tagen, wo Lawrence von Arabien mit einer Hand voll Datteln bereits auf uns wartet. Gut, nicht Lawrence wartet zwar auf uns, aber die Datteln dürfen nicht fehlen. Ein engelsgleicher, grüner Garten mit Palmen, Orangen- und Zitronenbäumen; die Zitronen so riesig wie Babyköpfe. Nana-Minze und Baumwolle wachsen hier. Eine alte, urtümliche Vorrichtung verdeutlicht, wie früher Wasser geschöpft wurde. Die Vorrichtung besteht aus Palmenholzbalken und wirkt, als wenn sie demnächst auseinander fällt. Und doch. Sie hat im Alltag funktioniert und ihre Zeit überdauert.
Die einzelnen Hütten der Anlage sind thematisch angeordnet. Originale, alte Gebrauchsgegenstände zeigen das Leben in der damaligen Zeit. Alte Radios und Fernsehergeräte, die an die Raritäten auf dem Flohmarkt in Riad erinnern. Erinnert ihr euch noch an die ausgemusterten Geräte und verstaubten Cola-Flaschen aus den fünfziger Jahren? Durch Zufall habe ich erfahren, dass in Riad auf dem Souk der wohl einzige Flohmarkt der arabischen Halbinsel stattfindet. Milliardäre vertreiben sich die Zeit, indem sie auf alte Gegenstände bieten. Den Spaß ist es ihnen wert.
Kurios ist die Minisammlung aus ausgestopften Tieren, die es hier teilweise nicht mehr gibt, weil sie entweder ausgestorben, weitergezogen oder gejagt wurden wie die Hyäne oder die Wüstenkatze. Der erlegte Steinbock sieht etwas niedergeschlagen aus. Die Tierpräparate haben am Zahn der Zeit gelitten, manche hängen in Fetzen.
Im mit Teppichen ausgelegten „Wohnzimmer“ hängt die Ahnengalerie der saudischen Königsfamilie. Seit der Gründung des Reiches ging die Krone von Bruder auf Bruder über. Das sog. Senioratsprinzip lässt die Möglichkeit offen, die Thronfolge unter den Brüdern auszuhandeln. Hierbei kann auch mal einer der Prinzen übersprungen – oder vorzeitig ernannt werden. Seit der Gründung des Reiches waren sechs der Söhne Königs Abd al Aziz in der Thronfolge; Salman ibn Abd al-Aziz Al Saud ist aktueller König. Doch die Regierungsgeschäfte hat inzwischen sein Sohn, Kronprinz Mohammed bin Salman übernommen.
Die Führung ist interessanter als anfangs gedacht, zumal die Anlage ja wirklich malerisch ist. Und auch wenn ich mich zunächst von der Gruppe abspalte, schon bald stelle ich fest, dass sich die wirklich spannenden Aspekte bei einer Begehung „auf eigene Faust“ nicht wirklich erschließen. Da sind zu viele Dinge, die ich nicht verstehe, Gegenstände, die für mich Rätsel darstellen – oder solche, die ich auf den ersten Blick nicht beachtet hätte.
Früher, so sagt man uns, sei das ganze Areal ein fruchtbares, grünes Tal gewesen. Deshalb wuchsen hier beispielsweise Baumwollsträucher, deren einige noch als Kuriosum den Garten zieren. Kuriosum, da sehr unpassend mitten in der Wüste. Da, wo es Baumwolle gab, gab es Wasser im Überfluss.
Das Mittagessen fällt, wie angekündigt, aus organisatorischen Gründen aus, doch das Frühstück war mehr als üppig. Nach dem Rundgang werden wir in ein großes Zelt geladen, vorbei an einem traumhaften Garten mit grünen Rundbögen und wucherndem Pflanzenwuchs. Unsere Schuhe dürfen wir beim Eintreten anbehalten, da reden die Gastgeber eindrücklich auf uns ein. Ein großes Entgegenkommen, wenn man bedenkt, dass das gesamte Zelt mit Teppichen ausgekleidet ist. In der Rege ist es gute Sitte, die Schuhe vor dem Zelt abzustellen, doch vielleicht hatte es sich herumgesprochen, wie unangenehm durchgeschwitzte Sneaker riechen können 😉
Wir verteilen uns rundum auf den weichen, an der Zeltwand platzierten Polsterbänken. Uns werden Kaffee, Tee, heißer, trinkbarer Kardamom und Datteln gereicht, wobei es von den Datteln zwei unterschiedliche Sorten gibt. Ich würde mich als Banause erweisen, würde ich zugeben, die unterschiedlichen Dattelsorten nicht unterscheiden zu können; so jedoch nehme ich meine Gabe entgegen, koste und nicke anerkennend mit dem Kopf. Und wieso auch nicht, ich liebe Datteln und die hier sind köstlich. Wir erleben die tief verwurzelte Gastfreundschaft der Nomaden, erklärt uns Marco. „Egal wer, egal zu welcher Zeit. Wenn sich ein Gast am Zelt der Nomaden einfindet, wird er mindestens mit Kaffee oder Tee und Datteln begrüßt.“ Der Gast kann sich ausruhen und auch über Nacht bleiben. Ein ungeschriebenes Gebot besagt, dass man diese Art der Gastfreundschaft nicht länger als höchstens drei Tage in Anspruch nehmen sollte.
Wir genießen die Gastfreundschaft und ruhen uns aus. Uns umgibt eine relaxte Atmosphäre. Immer wieder kommt jemand mit einer Kanne vorbei und schenkt Kaffee oder Tee nach, und auch die Datteln gehen nicht zuneige. Unsere Gastgeber sind zuvorkommend. Noch ist dies hier völlig unkommerziell und die Menschen unverfälscht freundlich. Ich weiß, dies wird nicht so bleiben. Deshalb bin ich froh, eine der ersten Reisenden zu sein, die dieses Land besucht und es so erleben kann, wie es ist. Wie es „war“, bevor der Touristenboom kam. Und der wird kommen, das weiß ich. Saudi Arabien tut viel dafür.
Beeindruckend! Kurios aber, dass ihr häufiger vorab ein Lehrfilmchen über euch ergehen lassen musstet wie in der Schule. Aber wenn die interessant gemacht waren, ist das ja sicher ok gewesen, oder?
Schick seht ihr beiden aus in eurer Verkleidung! Und ja, tatsächlich verleihen diese Gewänder ordentlich Würde.
Maximal 600 Meter bis zur nächsten Moschee? Ein ehrgeiziger Maßstab. Und ja, der nette Nebeneffekt für die Touris, immer sanitäre Anlagen in greifbarer Nähe zu haben, ist insbesondere für Blasenschwächlinge nicht zu verachten.
Die Entspannungsrunde nach dem Museumsbesuch hört sich sehr gemütlich an. Da hätte ich es auch eine Weile ausgehalten.
Die Zitronen sind der Knaller! Solche riesigen Teile habe ich noch nie live gesehen.
Die Zitronen, da wusste ich offen gesagt nicht, ob die so sein sollen oder ob es sich um eine abgefahrene Mutation handelt.
@Lehrfilmchen: also, interessant? Also, na ja…
@Moschee: faszinierend ist es, wenn sie alle fast gleichzeitig zum Gebet rufen. Das hat was…
Sehr schön. Die Petroglyphen erinnern sehr an meine eigenen Versuche, Tiere zu malen. Und dass Gäste nach drei Tagen abdampfen, ist sehr sympathisch 😉
Nicht wenn sie dir vorher die Wände mit irgendwelchen Rindviechern vollkritzeln😜
😂😂😂 ach so, ist das heute immer noch üblich…
Ein toller Ort!
Ja das stimmt. Hätte nicht gedacht, dass es so was Schönes in S.A gibt.
Marco sieht richtig erhaben aus, eine Mischung aus Eroberer und Moses 🙂
Ja genau, das ging mir auch schon durch den Kopf😉
Eine weitere sehr faszinierende Geschichte Kasia, die ich mit großem Interesse gelesen habe.
Mein Gott, was für Zitronen … noch nie zuvor gesehen!
Vielen Dank. Die Zitronen sind der Wahnsinn, nicht wahr?
Ich weiß, dass ich momentan leider beim Lesen Ihres Blogs im Rückstand bin, bin aktuell auf dem Balkan unterwegs…
Liebe Grüße