Asien, Saudi-Arabien

„Seid willkommen!“

Kulturelle Weltsicht

Man verlässt das Zentrum seiner Welt
und den irrsinnigen Gedanken, 
dass seine Ansicht, seine Kultur
die einzig richtigen sind.

Nach nur dreieinhalb Stunden geht der Tag für mich weiter. Bereits morgens um sieben bringt uns der Bus zum rund zweihundert Meter entfernten (nein, ich habe mich nicht verschrieben…) Lokal, wo die Einheimischen morgens einzukehren pflegen. Da unser Hotel keine Mahlzeiten anbietet und lediglich in der Lobby ein kleiner Shop mit Snacks existiert, hat unser Guide dies hier als praktische Alternative eruiert. Bereits die November-Reisegruppe hatte hier gespeist.

 

„Sie sind gelandet! Die Aliens sind da!“

Einer nach dem anderen schieben wir uns ins Innere des Lokals und werden sofort von unzähligen dunklen, erstaunten Saudi-Augen angestarrt. Das Lokal ist voll besetzt. Die Tische in der Mitte des Raumes weisen keinen freien Platz mehr auf. Auch an der Wand sitzen Männer in Ghutra im Schneidersitz und essen.

Jetzt essen sie freilich nicht mehr, denn einen Augenblick lang vergessen sie zu kauen und zu schlucken. Nach wenigen Sekunden Starre bricht eine allgemeine Hektik aus. Menschen rennen hin und her, eine Gruppe Saudis verlässt fast schon fluchtartig das Lokal. Die Anwesenden reden wild durcheinander. Und wir stehen da, geben die Attraktion des Tages und schmunzeln darüber, welche Reaktionen unsere Ankunft hervorgerufen hat. Ich amüsiere mich köstlich. Eine Mondlandung hätte diese Menschen nicht halb so sehr in Erstaunen versetzen können. Die frei gewordenen Tische werden für uns zusammen geschoben. Von den Männern, die eben noch an jenen Plätzen saßen, ist nichts mehr zu sehen.

Nacheinander nehmen wir Platz. „Egal, zum wievielten Mal ich mit Reisenden hierher komme, die sind immer erstaunt, dass man da ist.“ Kommentiert Marco den allgemeinen Aufruhr. Ich fahre herum: „Heißt das, wir waren angekündigt??“ Das erstaunt mich doch wiederum sehr.

Während die Angestellten um uns herum wuseln, werden wir von den Anwesenden Gästen mehr oder weniger heimlich beäugt. Sie versuchen zwar, sich diskret zu geben, doch der Anblick unserer Gruppe muss einfach zu erstaunlich für sie sein, als dass sie unsere Anwesenheit komplett vergessen könnten. Dunkle Augen sehen uns aus den geschlossenen, mit halbhoher Mauer und mit Teppichen ausgelegten „Familienbereich“ entgegen. Die Männer sitzen im Schneidersitz auf dem Boden, das Essen haben sie vor sich stehen. Zum Essen werden zwar beide Hände verwendet, doch nur eine Hand – die rechte – zu Mund geführt.

Frauen sehe ich indessen weit und breit keine. Doch sie sind da, denn aus den verschlossenen Familienbereichen dringen ihre Stimmen nach draußen. Die halbhohen Wände schützen die Familien vor unerwünschten Blicken. Wichtig in einer Kultur, in der viel Wert auf Privatsphäre gelegt wird.

Auch wir schauen uns interessiert um. Machen verstohlen die eine oder andere Aufnahme. Zum einen von unserem Tisch – und zum anderen vom Lokal und den „Ställen“, wie jemand die Privatbereiche recht treffend bezeichnet. Die neugierige Begegnung beruht auf Gegenseitigkeit, denn es ist auch unser erstes Mal in einer landestypischen Essenslokalität. Mit Riad ist das hier nicht vergleichbar. Die Menschen hier sind neugierig auf uns und wir auf sie.

Hier, in der Wüste, die die Stadt Ha’il umgibt, findet jedes Jahr der Ableger der französischen Ralley Dakar statt. Einer der Saudis kommt nun an unseren Tisch und will wissen, ob wir eines der Teams sind. „Jeah, the german team.“ Antwortet Wasim, unser Local Guide. „Always on the road.“

Tags darauf erfahren wir von Wasim, was sich in der Zeit, in der wir nichtsahnend unser Frühstück vertilgten, vor den Türen des Lokals abgespielt hatte. Ein paar jüngere Männer standen an der Tür und einer von ihnen filmte mit seinem Handy in den Raum hinein. Sein Video kommentierte er mit folgenden Worten: „Sie sind da! Sie sind gelandet! DIE ALIENS SIND DA!“

Treffender hätte ich es auch nicht sagen können.

 

Üppiges Frühstück

Unsere Tische werden vorbereitet. Zunächst wird ein großes Stück Folie auf dem Tischblatt ausgebreitet, hierauf dann die vielen Speisen und Getränke platziert. Jeder nimmt sich, wovon er möchte, Teller für den einzelnen gibt es nicht. Gegessen wird direkt auf dem Tisch (deswegen die Folie). Wir reißen uns von den frischen Brotfladen ab und tunken sie in die Gerichte. Es gibt Plastiklöffel als kleine Hilfe, um die meist halbfesten Speisen auf den Brotfladenstücken zu platzieren. By the way, solltet ihr jemals in dieses Land reisen, nimmt euch Campingbesteck mit. Denn wie wir im Laufe unserer Reise noch feststellen werden, sind Messer und Gabel hier Mangelware und quasi nicht vorhanden. Für den geübten Saudi sind sie auch nicht vonnöten; gegessen wird mit den Händen. Daher hat fast jedes Lokal ein kleines Waschbecken zum Händewaschen irgendwo im Raum stehen.

Und was so alles auf den Tisch kommt. Knusprig frisches Brot, leckere Eierpfännchen mit Joghurt, süßer, gebackener Bulgur mit Honig und frittierter Banane. Pfännchen mit gebackenen Bohnen, verschiedene Sorten Püree mit Olivenöl, Hummus. Es ist köstlich und wir werden schnell satt, doch essen trotzdem weiter, weil es so lecker schmeckt (jetzt erschließt sich mir auch der Sinn der weiten und luftigen Kleider…). Trotz unserer reichlichen Bemühungen bleibt noch viel Essen übrig, doch wie es so ist in Arabien: „Der Teller darf nie leer werden. Sonst bringen sie uns wieder etwas Neues…“

 

„Welcome!“

Es ist ein angenehmes Tempo, das wir da während der Reise haben. Der Bus tuckert langsam los, nur um wenig später an einer Tankstelle wieder anzuhalten. Wir befinden uns noch immer in Ha’il. Hier holen wir uns Kaffee, der köstlich anmutet, mit einem Schuss Milch und einer Prise Kardamom. An diesen speziellen Kardamom-Geruch habe ich mich schon so gewöhnt, dass ich ihn inzwischen überall wahrnehme.

Ein Kaffee kostet acht Rial, das ist in etwa der Standardpreis hier für Tankstellenkaffee. Das Preisniveau ist ähnlich wie bei uns. Der kleine Kiosk hier auf dem Tankstellengelände ist eigentlich eine Art Drive Inn; Autos fahren vor, nehmen ihr Getränk entgegen und fahren weiter. Die einzigen, die hier zur Fuß herumlaufen, sind wir. Männer werfen uns von ihren Autos aus verstohlene Blicke zu. Keine einzige Frau ist zu sehen – wahrlich eine Männergesellschaft. Und wir, die Mädels aus der Reisetruppe, spazieren hier einfach so herum, mit unseren nackten Köpfen, unsere Kaffeebecher in der Hand. Ich fühle mich wie ein Fremdkörper, wie eine lebendig gewordene Provokation. Und es ist ein gutes, ein belebendes Gefühl. Ich bin hier. Ein Hochgefühl macht sich in mir breit. Vielleicht liegt es auch an dem spärlichen Sonnenschein, der sich heute am Himmel zeigt. Vielleicht auch daran, dass es mit Stefans Gesundheit bergauf geht. Vielleicht alles.

Wir verlassen Ha’il. Langsam tuckert der Bus vor sich hin, vorbei an verstreuten Ortschaften. Die kleinen Dörfer wirken wie hingeworfen, mitten in der Wüste verstreut. Beduinenzelte, umzäunt in den Bereichen, wo Tiere gehalten werden. So etwas habe ich bereits in Jordanien gesehen. Siedlung, einzelne Zelte, dann lange nichts. Die Verkehrskreisel in den kleinen Orten, die wir passieren und in denen es eigentlich nichts gibt, sind somit wohl das interessanteste. Sie zeigen übergroße, traditionelle Gebrauchsgegenstände wie Kaffeekannen o.ä.

Dann lässt der Bus die letzten Häuser hinter sich und wir fahren längere Zeit durch die Wüste. Ich gebe den Namen in die Suchmaschine ein. Rub al-Chali, die größte Sandwüste der Erde. Sanddünen tauchen auf, wunderschön geformte, fragile Gebilde. Die Landschaft wandelt sich von trockener Halbwüste und Grundgebirge, steinig und karg, zur Sand und noch mehr Sand. Die Dünen leuchten gelb im Licht der Sonne, weiße Spuren (Kalk?) durchziehen den Sand. Und auch wenn uns heute morgen bittere Kälte von fünf Grad erwartet hatte; jetzt wird es immer wärmer. Stefan schläft.

„Wir fahren gerade durch das Tor von Jubbah.“ Sagt unser Guide. Ein paar Fotostopps sind erlaubt, zum Beispiel am überdimensionalen Wassereimer, in dem tatsächlich auch Wasser plätschert und der sich somit als Wasserspiel qualifiziert hat. Wir Touris schwärmen aus und umkreisen das Ding.

Die Kreisel hier sind wirklich abenteuerlich. Das Erste, welche wir in Jubbah sehen, ist ein Ralley-Fahrzeug, welches unter einem Bogen hindurch über Sanddünen fährt. „Hier haben sie ihre Lieblingsbeschäftigung dargestellt. „Sagt Marco“

Oder die riesenhafte „Kaffeekanne“ auf der Verkehrsinsel, die in der Sonne metallisch glänzt. Als der Bus an der Kanne hält und wir heraus strömen, eine Horde wild gewordener, mit Kamera bewaffneter Europäer, entschlossen, alles abzulichten, was sich ihnen in den Weg stellt, halten ein paar Menschen ihre Autos an und starren uns an. Wir stellen einen nicht alltäglichen Anblick dar. Die vorwiegend jungen Leute hupen, winken uns zu und rufen „Welcome!“ Einer von ihnen will uns sogar mit einem Fladenbrot beglücken, das wir dankend ablehnen müssen. Wenn wir denn nicht schon gefrühstückt hätten…

Der Punkt ist: die Menschen hier freuen uns, dass wir da sind und zeigen es auch. Sind neugierig auf uns. Und das ist etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Reiseleiter Marco erzählt, es sei während der November-Tour genauso gewesen. Die Saudis wollten zeigen, das sie nicht so sind wie (westliche) Medien sie darstellen. „Schaut mal: kein Gürtel. Ich bin kein Terrorist.“ Soll sogar einer gesagt haben. Saudi Arabien möchte sein Image in der Welt korrigieren. Und niemandem liegt mehr daran als den – ich sag mal – „normalen“ Leuten. Auch wir sind happy, so offen begrüßt zu werden.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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9 Kommentare

  1. Ein schönes Zitat zu Beginn deines Berichts! 200 Meter Busfahrt zur nächsten Futtermöglichkeit – da zucken wir Europäer natürlich zusammen. Bis da alle im Bus verstaut sind, wäre man locker mehrmals hin- und zurückgelaufen. Aber wenn Fußgänger da nicht vorgesehen sind: was willste machen?

    Eure Erlebnisse in dem Frühstückslokal waren ja auch klasse. Die Aliens sind da! Muss echt Spaß gemacht haben, das alles mitzuerleben. Ich hätte mich da auch köstlich amüsiert. Und jetzt, nachdem ich die Passage mit der detaillierten Schilderung der einzelnen Speisen gelesen und die Fotos dazu angeschaut habe, habe ich wieder Appetit!

    Der Anblick der Wüste hat mich dann natürlich auch fasziniert. So schön! Ich kenne die Rub al Khali von der omanischen Seite aus. Eine magische Landschaft! Und ebenso schön ist es, zu lesen, wie gastfreundlich ihr dort auch von den Leuten auf der Straße empfangen wurdet.

    1. Ich zitiere mich da selber, Dankeschön! Kasia und ihre goldenen Gedanken 😅

      Dasmit den 200m Busfahrt, also das hätte nicht sein müssen. Wir befanden uns in einem kleinen Ort mit kaum Verkehr, da waren die Menschen durchaus zu Fuß unterwegs. Deshalb war mir das vollkommen unverständlich…

      Und das Essen war der Hammer. Aber noch besser waren die Reaktionen auf uns. Für solche Momente reise ich😉

      1. @Zitat: bist halt eine begnadete Wortakrobatin 👍. 200 Meter: ach so! Das hatte ich aus deinem Text so nicht herausgelesen. N as dann ist das natürlich noch schräger 😅. @Reaktionen; das kann ich vollkommen nachvollziehen.

  2. Die Kaffeekanne hat schon was…

    1. Ja, da passt ne Menge Kaffee rein😉

  3. Das Frühstück in Saudi-Arabien war wirklich einmalig, man hat gegessen bis man satt war, aber der Appetit war immer noch riesig. Vom Nachtisch der durch einen Fleischwolf (!) geschoben wurde bis hin zu eine Art Rühreier wovon man pfannenweise essen konnte. Da hätte ich zu gerne die Rezepte gehabt.
    Und jetzt habe ich Hunger

    1. Das Essen dort, vor allem Frühstück… sehr, sehr lecker🤌🏻

  4. Ich lese Ihre faszinierenden Geschichten immer mit großer Vorfreude. Natürlich sind die Saudis ganz normale Menschen, und vergiss nie, es gibt Terroristen in vielen Bevölkerungsgruppen, einschließlich unserer.

    1. Die junge Bevölkerung Saudi Arabiens hat mich mit ihrer Offenheit sehr beeindruckt. Ich glaube, Ressentiments gibt es auf beiden Seiten. Das Reisen hilft ein wenig dagegen, wie ich hoffe.

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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