Asien, Türkei

Die Kaffeetante – Wie ich in die Zukunft blicken wollte

„Du wolltest dir doch in der Türkei aus Kaffeesatz lesen lassen.“ Sagt sie begeistert zu mir und ehe ich antworten kann, beginnt sie bereits, sich durchzufragen. Prompt wissen ein paar Leute, wer etwas wissen könnte und schon kurze Zeit später treten wir, mit einer Adresse ausgestattet, unseren Weg an. „Die Frau soll ziemlich gut sein.“ Sagt Fee. „Was sie sagt, trifft immer zu. Die Leute sagten: ihr werdet geschockt sein.“

In einer Seitengasse von einer Seitengasse spüren wir, dass wir richtig sind. Die gesamte, enge Straße ist mit geheimnisvollen Cafés und Lokalen gesäumt, die offen mit dem „Blick in die Zukunft“ werben. Sei es nun die Kunst des Handlesens, das Legen der Tarotkarten, der Blick in die Kristallkugel oder sonstige Praktiken, hier kann jeder fündig werden. Der Eintritt in eine solche Einrichtung ist kostenlos, doch dafür kostet der dort getrunkene „Tee“ oder „Kaffee“ schon ein wenig mehr. Es ist ein Trick und gängige Praxis, um behördliche Verbote zu umgehen, und die Behörden machen, wie es aussieht, beide Augen zu. Denn Wahrsagung gegen Bezahlung, so informiert mich Fee, sei in der Türkei verboten; ein Grund, weshalb die Preise nirgendwo offen ausgeschrieben stehen. Man bezahlt für den Kaffee und die Wahrsagung ist „gratis“ – was natürlich so nicht stimmt. „Die wissen schon, was sie verlangen müssen.“ Sagt sie und lacht.

Immer mal wieder werden wir von der Seite angesprochen, doch wir haben ein ganz bestimmtes Lokal vor Augen, ein „Frauen-Café“, so wurde es uns gesagt. Ein Café nur für Frauen?

Doch genauso ist es, denn nun stehen wir davor. Das „Café des Femmes“ oder alternativ „Kadinlar Kahvesi“. Die Tür ist offen. Innen finden wir uns in einem schlichten Treppenhaus wieder und sind unschlüssig, ob wir nach unten oder nach oben gehen sollen. Von unten dringt der auffällige, muffige Feuchtkellergeruch an unsere Nasen und ich hoffe doch sehr, dass sich unser Wahrsager-Café auf dem Speicher befindet.

Doch auf dem Speicher ist niemand, bis auf einen Jungen von vielleicht zwölf Jahren. Er geleitet uns wieder nach unten. Der Keller also. „Ich mag diesen Geruch.“ Sagt Fee. Sie fühlt sich sichtlich wohl. Ich – das Gegenteil davon. Ob die Schimmelsporen bereits unter meine Haut kriechen? Hier den ganzen Tag zu sitzen, das kann doch nicht gesund sein?

Unten erwarten uns… Räumlichkeiten. Wie soll ich sie sonst beschreiben. Grünes und rosa Neonlicht, ein Bisschen Nippes an den Wänden. Und unten erwartet uns auch Zahra.

Zahra stellt sich kurz vor und  brüht uns beiden starken, türkischen Mokka auf. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass wir komplett alleine mit ihr sind – und dass ich nervös bin. Und immer, wenn ich nervös bin, werde ich still, sehr still. Wir trinken unseren Mokka und machen zwei, drei obligatorische Bilder der Einrichtung, während Zahra unsichtbar gleich um die Ecke auf uns wartet.

Die Wände aus roten Ziegeln sind unverputzt, ganz wie es sich für einen Keller gehört. Ich vermute stark, dass uns Zahra über den runden Spiegel, der sich über meinem Kopf wölbt, beobachtet. Etwas irritierend muten die gestickten, japanischen Geishas an, welche die nackten Wände schmücken. Für mich passen sie in keinster Weise hierher, doch jeder hat seine ästhetischen Vorlieben.

Der Kaffee ist ausgetrunken. Mit den Tassen in der Hand begeben wir uns zu Zahra. Der Zauber wartet auf uns – am Rande der Mokkatasse.

Das Lesen aus Kaffeesatz funktioniert so: die ausgetrunkene Tasse wird mit dem Untersetzer abgedeckt, ein paar Mal geschwenkt, dann mitsamt Satz umgekippt und auf den Untersetzer gestellt. „Nicht selbst aufdecken!“ Ermahnt mich meine Freundin. Die Tasse wird von der Wahrsagenden aufgedeckt. Meinetwegen – bevor mein Schicksal wieder zurück gen Universum entschwindet.

Zuerst kommt meine Tasse – und mein Schicksal – dran. Schweigend setze ich mich hin und nehme mir vor, nichts weiter zu sagen bis auf den kurzen Gruß zur Anfang, um ja keine Anhaltspunkte zu meiner Person zu liefern. Schließlich will ich es der Dame nicht so leicht machen. Ich meine, ich bin ja nicht skeptisch oder so… aber ich bin niemand, der das Übersinnliche unbedingt wie ein Verdurstender zum Leben bräuchte. Es existieren Dinge zwischen Himmel und Erde… und dann existieren Scharlatane. Beides ist voneinander zu trennen. So einfach ist das.

Doch Zehra interessiert sich nicht wirklich für meine Person. Sie schaut mich kaum an, meine Reaktionen auf das, was sie sagt, sind ihr herzlich egal. Ihr Wissen bezieht sie aus sich selbst, die Tasse fungiert als Medium. Die undefinierbaren Schlingel und Muster des Mokka fördern lediglich die Konzentration, wären sie auch bei jedem Menschen gleich, sie würde vermutlich bei jedem etwas anderes sehen.

Sie betrachtet meine Tasse lange und genau, doch dabei wirkt sie auf mich so, als wenn sie eher in sich hinein schauen würde denn auf die Tasse. Nein, keinesfalls wartet sie auf meine Reaktionen, um sich daran entlang zu hangeln, wie das so oft vermutet wird. Sie schaut in ihre – in meine – Tasse und spricht. Fee übersetzt. Zunächst beschriebt sie mich, meine Art, meine Persönlichkeit. Sie umreißt – im Übrigen sehr treffend – meine aktuelle Lebenssituation, spricht über Details, die sie nicht wissen kann, aber eben weiß. Ich hinterfrage nicht, woher sie das alles über mich weiß. Manche Menschen wissen eben Dinge. Punkt.

Dann beginnt sie, Tarotkarten zu legen und lässt mich welche ziehen. Dies ist in meinen Augen eher eine Spielerei, doch warum nicht. Als ich aufgefordert werde, ihr eine Frage zu stellen, bin ich erstmal perplex. „Gibt es denn gar nichts, das dich interessiert?“ Wundert sich Fee. Nein, gibt es nicht – ich habe keine Fragen, die mir dringend auf der Seele brennen. Denn ich bin der tiefen Gewissheit, dass sich alles lösen lässt. Das beste Rezept dafür ist Zeit. Und irgendwie glaube ich nicht daran, dass Dinge vorherbestimmt sind; vielleicht ist das der Grund, weshalb ich mir mit einer wie auch immer gearteten Vorstellung von Zeitreisen schwer tue.

Zahra entlässt mich, jedoch nicht, ohne mir vorher die einzelnen Buchstaben mit auf den Weg zu geben, die der Name meines potentiellen Traummannes enthalten werde.

Wie zufrieden ich bin, will sie am Schluss noch wissen. Ob alle meine Fragen beantwortet wurden. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also sage ich ihr, dass sie alles treffend beschrieben hat. Zahra scheint zufrieden mit der Antwort.

In Wahrheit kreisen ihre Worte noch immer in mir wie Motten, die keine Ruhe geben. So viel zu verarbeiten. Und während meine Freundin an der Reihe ist, denke ich über die gesagten Dinge nach.

Wir verabschieden uns von Zahra. Für den „Mokka“ bezahlen wir im ersten Stock, wo uns seine andere Frau zwischen Waschmaschine und Haushalt abkassiert. Natürlich gibt es einen Festpreis, doch zu meiner Überraschung ist es weniger, als ich vermutet hätte. Und während Fee zahlt, blicke ich auf die obligatorische schwarze Katze, die vor einer rosa getünchten Wand auf der Heizung sitzt und uns mit tiefgründigen Blicken taxiert. Natürlich darf eine Hexenkatze mit mondförmigen Augen in einem Hexenhaus nicht fehlen.

Wie wir noch erfahren, gehört das Haus einem bekannten, türkischen Schauspieler; das belegen die schwarzweißen Fotografien hinter dem Tresen. Das Lokal hatte er nach Ende seiner Karriere eröffnet. Wie ich erkennen kann, hat jener Schauspieler seines Zeichens Mehmet Alemdar, bekannte alte Hollywoodstreifen nachgespielt; wie sonst kann ich mir einen kämpferischen Mehmet in Rambo-Pose auf einem Filmplakat unter dem Titel „Rambo“ erklären?

Wir verlassen das Haus und lassen den muffigen Kellergeruch hinter uns. In meinem Kopf rumort es, und ich bin noch immer still und nachdenklich. Die Feierlaune, welche uns zu Beginn des Abends begleitet hatte, ist verflogen und hat tiefer Besinnung Platz gemacht. Meinetwegen könnte der Abend an dieser Stelle enden, doch wie so oft auf dieser Reise, überziehen wir auch diesmal den Punkt, an dem es gut gewesen wäre, nach Hause zu gehen. Meine Freundin will weiter ziehen und auch ich spüre, dass wir diesen letzten Abend voll und ganz auskosten müssen. Fee kauft uns zwei schöne, dicke Zigarren. „Die werden wir später am Wasser rauchen.“ Sagt sie. Eine schöne Idee, doch dazu wird es nicht kommen. Die Zigarre wird unbehelligt ihren Weg nach Deutschland antreten.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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10 Kommentare

  1. Sehr schöne Geschichte!

    1. Vielen Dank. Ja, irgendwie schon…😊

  2. Ach, das war doch bestimmt mal eine interessante Erfahrung, alleine vom Ambiente und vom Ablauf her. Ich hätte mich da vermutlich sehr amüsiert 🙂. Aber so ohne Übersetzerin wird es wohl schwierig werden mit einem Besuch in einem einschlägigen Etablissement.

    1. Ohne Übersetzung stelle ich mir die Angelegenheit tatsächlich schwierig vor, doch glücklicherweise hatte ich meine Fee dabei 🙂

  3. Ich glaube nicht an so was. Wie hast du festgestellt, dass die was „drauf“ haben?

    1. Ich glaube, darauf bin ich im Beitrag eingegangen… Indem die Dame Dinge wusste 😉

  4. Sehr schön geschrieben.

    1. Vielen Dank! 😉

  5. Wie aufregend! Das hätte ich auch gerne ausprobiert!

    1. Das ist tatsächlich eine spannende Erfahrung. Und zum Teil haben die Damen (und auch Herren) auch was drauf 🙂

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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