Asien, Türkei

Ein letzter Abend in Karaköy

Zuerst landen wir in einer Suppenbar.

Und ja, es ist interessant, das Viertel auch mal bei Tageslicht zu sehen; wenn auch bei Weitem nicht so bunt. Wir bewundern all die Graffiti an den Wänden, an Toren und Häusern. Immer wieder gibt es etwas Neues zu entdecken, immer wieder ein Schmankerl fürs Auge.

Suppenbar also. Ich bedaure meine begrenzte Magenkapazität, denn ich habe Lust, alles der Reihe nach zu probieren. Es gibt hier jede Geschmackrichtung und für jeden ist etwas dabei. Was immer man sich an Suppen ausdenken kann, ob mit Knoblauch oder Pilzen, Tomaten, Käse, Rind oder Gurke, die Geschmackspalette ist bunt. Suppen sind toll. Sie passen zu jeder Jahreszeit, sie wärmen von innen.

Schließlich räumen wir den Platz für andere Kunden. Draußen versumpft Fee in einem dieser Kitsch- und Ramschgeschäfte und während sie Billigschmuck auswählt, stehe ich mir die Beine in den Bauch. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, bewegen wir uns weiter durch die bunt leuchtenden Lichter von Karaköy. Inzwischen ist es dunkel geworden.

 

Ben’den

Dann entdecken wir, was Fee hier schon von Anfang an suchte und zu finden hoffte, die Straße Ben’den. Geschmückt mit vielen bunten Regenschirmen, die den Himmel über uns bedecken. Farbige Lampions sorgen für Flair, während wir uns unter den beleuchteten Schirmen wie im Märchenland fühlen. Viele lassen sich hier Knipsen, in dieser malerischen Gasse – Influencer*innen und solche, die es gerne wären (es folgt eine Aufnahme von Influencerin Kasia…). So kann es dir passieren, dass du, während du selbst für ein Foto posierst, hinter- oder neben dir jemanden stehen hast, der das gleiche tut. Ein Video im Vorlauf sähe aus wie ein synchroner, immer gleicher Tanz.

Graffiti, Bars, coole Ecken. Märchenland aus leuchtenden Schirmen, Musik und Nacht. Ben’den hat Style. Wir setzen uns an einen der draußen stehenden Bartische, mit dem Rücken zum stylischen Graffiti von Katzen und Eulen, die Sonnenbrillen tragen. Bunt und schräg soll es sein, hipp und ein wenig alternativ soll es wirken. Doch auch hierher reicht die lange Kralle des Gesetzes, denn sobald der Gebetsruf aus den Moscheen schallt, wird sofort jegliche Musik ausgeschaltet. „So war es früher nicht gewesen.“ Wundert sich Stefan, als ich ihm davon erzähle. Türkei, ein Land im Wandel.

In eiskalten, mit Kondenswasser angelaufenen Gläsern wird das eiskalte Efes serviert, das obligatorische, türkische Pils. Wie es sich gehört, schenkt uns der Barkeeper ein, aber…

„So würden es die Gäste in Deutschland gleich wieder zurück gehen lassen.“ Sagt Fee und erklärt dem Mann, dass ein richtiges Bier eine Schaumkrone zu tragen hat. Und dann führt sie ihm gleich vor, wie es richtig geht. „So. Siehst du?“ Kultureller Austausch – Check. Nicht nur als Reisender lernt man dazu. Ich grinse. Fees Schaumkrone sitzt perfekt im Glas.

 

Die alte Frau

Wir bleiben mit unseren Efes so lange sitzen, bis es zu kalt wird. Dann setzen wir uns wieder in Bewegung, unseren fröhlichen Frauenabend fortsetzen. Schlängeln uns an schicken Menschen vorbei durch die schicken Gassen mit Läden, die da heißen: „Pupa“, „Dandin“ und „Insta Karaköy“. Überall sind Menschen unterwegs, Istanbul geht aus. Ein modernes, junges Viertel ist Karaköy, doch ich frage mich, wie so oft an solchen Orten, wieviel davon „echt“ ist und wieviel so tut, als ob?

Weitere Lampions, bunte Lichter, wie von Zauberhand über unseren Köpfen schwebende, bunte Schirme. Wir verdrehen uns die Köpfe. Man, sieht das toll aus. Und dann wird Fee von einer alten Frau angesprochen.

Ja, die Frau spricht sie an. Sie trägt einen Strauß Blumen im Arm, die sie scheinbar an Pärchen verkauft, doch meiner Freundin will sie keine Blumen verkaufen. „Ich sehe etwas in dir.“ Sagt die Frau zu Fee. Sie sagt das zum wiederholten Male mit einem solchen Nachdruck, dass wir stehen bleiben. Ich habe keinen Augenblick lang Zweifel, dass es wahr ist, was sie sagt. Sie weiß etwas und will es loswerden – doch will meine Freundin es hören?

Meine Freundin ziert sich. Es ist nicht die Sorge, dass das, was sie hören würde, nicht stimmen würde. Es ist die Sorge, dass es stimmen wird. Sie setzen sich an einer niedrige Mauer und die Frau nimmt ihre Hand. Ich halte mich abseits. Was da gerade geschieht, geht nur Fee etwas an, außerdem wird sie es mir sowieso gleich erzählen. Während ich warte, lasse ich die Augen durch die Umgebung schweifen.

Schließlich ist meine Freundin wieder neben mir und drückt der Wahrsagerin umgerechnet zehn Euro in die Hand. Die Frau fragt mich obligatorisch, ob ich nicht auch möchte, doch ich verneine. Die alte Frau hakt nicht nach.

„Und?“ Frage ich neugierig, als wir wieder alleine sind. Wie sich herausstellt, sind die Aussagen der Frau präzise und zeitnah gerichtet. Ein behördlicher Gang, eine Angelegenheit, die sich lösen lässt, ein kleines Mädchen, das seine Mama vermisst. Die Wahrsagerin gibt Details frei, die exakt passen. Größere Vorhersagen für die weitere Zukunft gibt es hingegen keine. Nicht in Fees Fall. „Ich habe vor Jahren Erdogan prophezeit, dass auf ihn eine große Zukunft wartet.“ Sagt sie zu Fee, als die dabei ist, weiter zu gehen.

Ich habe zum Thema Wahrsagung eine geteilte Meinung. Einerseits sind einige Vorhersagen wirklich gut darin, die aktuelle Stimmung und Lebenssituation zu erfassen und treffend zu benennen. Sie wissen Details, die ihnen niemand verraten hatte und präsentieren so ein ganz präzises Bild. Doch wenn es darum geht, etwas Konkretes über die weitere Zukunft zu sagen, wird es schwammig. Hier bewegen sie sich auf dünnem Eis, denn das, was wir „Zukunft“ nennen, birgt zu viele Variablen in sich. Weshalb es keiner wagen würde, zu sehr ins Detail zu gehen.

 

Am Galata Turm

Wir verlassen Karaköy (verlassen wir wirklich Karaköy? So gut ist meine Orientierung nicht…) und laufen über eine- oder zwei nicht ganz so bunte und nicht ganz so helle Straßen. Schauen, was es hier noch Schönes zu entdecken gibt. Wir treiben ein Bisschen durch die Stadt. Ich schlage vor, einfach den Menschen zu folgen; die Trauben der Ausflügler werden uns schon dorthin führen, wo etwas los ist. Wieder eine enge Gasse. Sieht spannend aus. Die Gasse führt irgendwo hinauf. Der Aufstieg ist für meine rauchende und unkonditionierte Freundin eine kleine Herausforderung.

Auch jetzt versäumt Fee es nicht, mich auf landesspezifische Dinge aufmerksam zu machen, die sich vor unseren Augen abspielen, seien es die Eigenheiten der „Eigenheimlichen“ oder etwas leckeres zu Essen. Der leckere Snack, für den wir kurz stehen bleiben, heißt Yogurtlu Tantuni. Es ist eine Art gerollter Pfannkuchen, der mit Joghurt und optional mit Hähnchenfleisch gefüllt ist. Die Zitronenstücke zum Beträufeln gibt es obligatorisch dazu. Während wir essen, finden die Istanbuler Katzen (die ja nicht vergessen bleiben sollten, es gibt sie noch immer überall) unsere Taschen und unsere Kleidung als Spielzeug überaus faszinierend.

Oben angekommen entdecken wir eine belebte Meile. Wir befinden uns in der Nähe zum Galata Turm, zum einem eine historische Sehenswürdigkeit und zum anderen anscheinend aus einem der Bond Filme bekannt. Hier sind wieder viele Menschen unterwegs. Und das ist auch der Punkt, als mich gleich zwei oder drei Passanten im Vorbeigehen antippen. Mein Rucksack sei offen, ich solle aufpassen, dass nichts geklaut wird. So sind sie, die Durschnittstürken. Sie sind freundlich, hilfsbereit und wollen in guter Erinnerung behalten werden. Und sie trauen ihren Landsleuten nicht.

 

Beyoglu

Und dann geht es hinein in die große, lange Einkaufsmeile, die sich gefühlt von einem Ende des Stadtteils zum anderen zieht. Es ist die Istiklal Caddesi in Beyoglu, wie ich später erfahre. Hier drängen sich Menschenmassen dicht an dicht, von Corona keine Spur. Die meisten tragen zwar ihren Mundschutz, doch an Abstand ist hier nicht zu denken. Die einzige Macht, welche die drängenden Menschen für einen Augenblick zu vertreiben imstande ist, ist die nostalgisch alte, rote Tram, wenn sie sich mit lautem Klingeln durch die Straße schiebt. Dann weichen die Passanten träge zur Seite, nur um sich hinter dem letzten Waggon wieder zu einem wogenden Meer aus Köpfen und Leibern zusammen zu schließen.

Ich schaue mir ungläubig die Passage an und reibe mir die Augen. Unter anderem deshalb, weil sie sich – und diesen Eindruck habe ich zum ersten Mal in Istanbul – in nichts von irgend einer deutschstädtischen Passage unterscheidet. Alles wirkt gleich, wie aus einem Gusstopf erstellt. Die Geschäfte, die Hausfassaden (nennt man den Stil hierzulande auch „Gründerzeit“?). Sogar die Weihnachtsdeko, diese leuchtenden Sterne, Flocken und Gefriemel (Silvesterdeko! – wie Fee nicht müde wird zu betonen), das alles hätte genauso auch in Mannheim, Dortmund, Karlsruhe oder Stuttgart hängen können. Kopiert und wiederholbar. Sogar die obligatorische Straßenbahn, die versucht, sich läutend durch die Menge zu kämpfen.

„Hier, auf diesem Basar, waren wir auch noch nicht.“ Fee stupst mich an. Ich seufze innerlich. Basare haben wir inzwischen so viele besucht, sie vervielfältigen sich bereits vor meinen Augen wie im Kaleidoskop. Aber meine Liebste will auf einen Basar, also gehen wir auf einen Basar. Ich stampfe hinterher, tauche zwischen die lustlos präsentierten Stände aus Billigkleidung „Made in China“ und Billigschmuck, von dem einiges bereits achtlos zu unseren Füßen auf dem Boden liegt. Fee deckt sich mit Billighosen für ihre Kinder ein. „Das ist nur, damit sie Auswahl haben.“ Versucht sie die zehn Paare in ihren Händen zu erklären.

Als wir weiter gehen, entdeckt Fee ein Schild, welches sie an etwas erinnert.

Fortsetzung folgt

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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4 Kommentare

  1. Die Schirmchen-Straße und die vielen Graffiti sind genau mein Ding. Total klasse! Und in die Istanbuler Soup-Kultur könnte ich jetzt auch sofort eintauchen.

    Die Wahrsagerei ist mir ehrlich gesagt etwas suspekt 😅. Aber so rein aus Neugier würde ich mir – eine gemeinsame Sprache vorausgesetzt – dann doch einmal anhören wollen, was die Damen so zu sagen haben.

    Nun habt ihr ja scheinbar wirklich jeden Basar abgeklappert. Ich Shopping-Muffel wäre da spätestens beim dritten ausgerastet. Es sei denn, die Architektur wäre ansprechend 😎.

    1. Die „Architektur“ bestand meist aus zusammengeschusterten Buden… ja, mir hätte es eigentlich nach zwei oder drei Basaren auch gereicht, aber was macht man nicht alles für eine Freundin, die sich morgens in Kaffee und Henna verwandeln kann… 😉

      1. Ja, irgendeinen Preis zahlt man immer 😅

        1. So ist es… 🙂

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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