Asien, Türkei

Hagia Sophia (I)

Mich treibt die leise Sorge um, ob wir den Grand Basar und die Moscheen noch zu Gesicht bekommen, denn der Abend bricht an und Fee hat sich ihrem Kaufrausch ergeben. Doch meine Freundin versichert mir, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Sie habe mit „Leuten“ geredet, sagt sie. Leuten, die meinten, dass wir uns tagsüber gar nicht erst zur Moschee begeben brauchen, denn erst am Abend wird es dort interessant. Allerdings sollten wir den Grand Basar langsam in Angriff nehmen, denn dieser würde bald schließen. Zum Glück befinden wir uns schon ganz in der Nähe.

 Grand Basar

Wir schaffen es rechtzeitig. Und nicht nur das. Wir können noch so lange stöbern, bis wir bald freiwillig das Feld räumen. Am Eingang steht eine Security bzw. Polizei (wobei es hier auf ein und dasselbe hinausläuft, vermute ich). Was oder wen sie kontrollieren, ist nicht ersichtlich, denn sie winken uns (und auch sonst jeden) einfach durch.

Der Grand Basar ist ein 31000 Quadratmeter großer, überdachter Markt, der bei Wikipedia gerne auch als „Geschäftsviertel“ beschrieben wird. Er befindet sich im Stadtteil Fatih. Hier stehen nicht einfach nur Stände herum, es gibt richtige Geschäfte. Ja, und Stände gibt es natürlich auch noch. Die Halle wird gerade restauriert, trotzdem bewundere ich die schönen Gewölbe, zumindest dort, wo sie nicht mit Planen und Gerüsten abgedeckt sind. Händler sprechen uns an. Es gibt jede Menge gefälschte Waren. Fee und ich haben längst einen Running Gag daraus gemacht, indem wir sagen: „Es gibt Prada, und hier gibt es „original türkisch Prada“. Als Fee noch draußen, bei den „Allwelts-Basaren“, bei einem Verkäufer nachfragt, schaut der sie an, schmunzelt und antwortet diplomatisch: „So nette Mädchen wie euch werde ich nicht anlügen.“ Stille. Keine Fortsetzung. Soll so viel heißen wie: du weißt es doch. Und warum fragst du dann?

So ist es auch hier, am Grand Basar. Doch es irrt, wer glaubt, dass die Fälschungen nur billige Imitate seien. Nein, bei den Kaschmir-Schals von „Yves Saint Laurent“ oder der Handtasche von „Lacoste“ handelt es sich um hochwertige, sorgfältig verarbeitete Produkte aus qualitativen Rohrstoffen. Wer sich so ein Imitat mit nach Hause nimmt, wird (falls es der Zoll nicht einkassiert) lange Freude daran haben.

Wir haben jetzt schon Freude. Fee schaut sich stundenlang irgendwelche Schals an („original Chanel“, für Moni) und die Ich-kauf-nichts-Fraktion wandert mit „osmanischen“ Kissenbezügen für drei Euro das Stück weiter (kleiner Spoiler, die Kissenbezüge ruhen seither auf meiner Couch und lasst euch sagen, es sind die am besten angelegten drei Euro ever).

Doch langsam wollen wir den Markt verlassen, denn erstens: ich kaufe nichts… (ich will jetzt nichts hören, gar nichts will ich hören, lieber Leser) und zweitens, mir der Besuch der Hagia Sophia noch heiß unter den Nägeln brennt. Und wir stellen nebenbei fest, dass der Haupteingang zum Grand Basar zwar bewacht, die vielen Seitenausgänge jedoch frei sind von derlei Störfaktoren. Fee zuckt mit den Schultern. Es gibt so vieles in der Türkei, das man nicht erklären kann.

Wir verlassen den Grand Basar trotz allem durch den Haupteingang wieder, damit wir uns nicht verlaufen. Wie so oft bei solchen Gelegenheiten, so versuche ich auch jetzt, die Polizisten in voller Montur und Bewaffnung zu ignorieren und mich unbekümmert zu verhalten. Nein, ich fühle mich nicht bedroht, das ist nicht der Grund. Man könnte sagen; ich fühle mich durch die Anwesenheit von Waffen (vielleicht mangels Erfahrung oder Umgang mit selbigen) befremdet. Die Anwesenheit von bewaffneten Menschen vermittelt mir kein Gefühl der Sicherheit. Im Gegenteil. Die Anwesenheit von Waffen impliziert die Möglichkeit einer theoretischen Bedrohung und das wiederum wirkt sich unterschwellig beunruhigend aus.

 

Der tanzende Eisverkäufer

Ja, ich weiß nicht recht, wie ich ihn sonst beschreiben soll. Diese Verkäufer gibt es so nur in der Türkei und Eis kaufen wird mit ihnen zu einem richtigen Erlebnis.

„Ich gebe dir ein Eis aus.“ Sagt Fee und freut sich wie ein kleines Kind. Das mutet mir etwas seltsam an, doch den Grund sollte ich gleich erfahren. Ob ich von allen Sorten etwas möchte? Ja, klar.

Das Eis sieht gewöhnlich aus, der Verkäufer sieht gewöhnlich aus, die Eisdiele sieht gewöhnlich aus. Nachdem der erste Teil vom Eis in der Waffel ist, streckt der Mann die Hand aus und ich will nach der Waffel greifen. Was dann passiert, ist unglaublich. Der Verkäufer zieht die Waffel zurück, tut so, als würde er sie auf den Boden fallen lassen. Ich erschrecke; doch dann bleibt das Stück Eismasse am Eislöffel kleben. Ich will meine Waffel! Ja, dann habe ich die Waffel in der Hand – und nur die Waffel, denn das Eis ist verschwunden. Die Waffel ist leer, das Eis klebt am langen Eislöffel des Verkäufers, der schelmisch grinst. Hin und her, vor und zurück, ich drehe mich im Kreis um die eigene Achse herum. Mein Eis ist zum Greifen nah, doch dann halte ich nur Luft in der Hand. Eine ganze Weile spielt der Verkäufer mit meinem Appetit auf Kaltes und liefert nebenbei eine richtige Show. Schließlich bekomme ich mein Eis, ja, diesmal wirklich, und bin vergnügt wie ein kleines Kind.

 

Das Geheimnis ist die zähe und klebrige Konsistenz der Eismasse, dem unter anderem Mastixharz zugegeben wird. Das Eis schmilzt nur langsam und lässt sich gut bearbeiten. Meine Fee steht neben mir, grinst und freut sich wie ein Honigkuchenpferd.

 

Die Blaue Moschee

Die Sultan Ahmed Moschee, wie sie mit ihrem richtigen Namen heißt, ist eine der schönsten und wichtigsten Moscheen in Istanbul, die auch besichtigt werden kann. Sie stammt aus der osmanischen Zeit und wurde im 17 Jahrhundert zu Zeiten von Sultan Ahmed I errichtet. Das Grab des Sultan befindet sich in ihrem Innerem. Sie wird abends in blaues Licht getaucht, doch alleine die von Hand bemalten, blauen Fliesen sind eine Sehenswürdigkeit für sich.

Wenn man sie denn sehen könnte. Denn als wir die Moschee betreten, begrüßen uns Baugerüste und Planen. Das Gotteshaus wird gerade restauriert.

Eigentlich wollte Fee draußen auf mich warten. Umso froher bin ich, dass sie jetzt neben mir steht. Ich streife mir brav mein Kopftüchlein über und komme mir zwischen all den frommen (?) Menschen sündig vor. Aber Moment mal, fromm? Nein, denn es sind viele Touristen dabei, viele, die nur zum Schauen hier sind so wie wir. Doch zum Schauen gibt es nicht viel. Wir streifen die Schuhe ab und schleichen auf Teppichen weiter wie Katzen auf Samtpfötchen. Und auch wenn die Planen stilisiert anzeigen, wie die Räume aussehen (sollten), kann ich nicht behaupten, einen Eindruck bekommen zu haben.

Doch meine Freundin kann mir noch ein paar wissenswerte Details erzählen. Wo die Koransuren aufgemalt sind, wo sich der Gebetsraum für Frauen befindet. Von Onlinebildern weiß ich, wie prachtvoll der Innenraum ausgesehen haben muss. Und da! Weit oben über unseren Köpfen können wir einen Blick auf die unverdeckte, blaue Kuppel erhaschen. Das war’s. Wir bleiben nicht lange, ziehen, auf einem Bein hüpfend, unsere Schuhe wieder an und gehen in den nächtlichen Nieselregen hinaus. Ja, das Wetter verwöhnt uns nicht an diesem Abend, die Straßen glänzen nass und wir steuern die Hagia Sophia an.

 

Hagia Sophia

Das ist das, was ich an Istanbul liebe. Diese Stadt ist voller Jahrhunderte alten Geschichte, doch sie ist kein Museum. Sie ist ein Ort, so lebendig und pulsierend, durchaus imstande, weitere Geschichten zu schreiben.

Eigentlich hatte ich nicht vor, während dieser Reise irgendwelche Istanbuler Moscheen zu besuchen. Doch die Hagia Sophia ist nicht „irgend eine“ Moschee. Sie ist der wichtigste Bau der Stadt, sie steht seit mehr als tausend Jahren da, eine Kirche „ohne Vorbilder und ohne Nachahmung“. Es wäre eine Schande, der ehemaligen Kirche von Konstantinopel keinen Besuch abzustatten.

Diese ehemalige Kirche, von byzantinischem Kaiser Justinian errichtet, wurde nach der Übernahme der Stadt 1453 durch die Osmanen zur Moschee erklärt und christliche Insignien entfernt. Von da an diente sie den osmanischen Sultanen als Vorbild beim Bau von Moscheen. Der erste Präsident der Türkei, Atatürk, gab den Anreiz, die Moschee in ein Museum zu verwandeln. Das war sie dann einige Jahre lang – ein Museum, bis Juli 2020. Ein Aufschrei ging durch die westlichen Medien, als das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei entschied, sie wieder in eine aktiv genutzte Moschee zu verwandeln.

Ich hatte bislang allerhöchstens keine wirkliche Meinung dazu. Doch nun, während meines Besuches, habe ich eines gesehen: durch den Beschluss, islamische Gebete zuzulassen, wurde Hagia Sophia wieder Leben eingehaucht. Wozu soll denn der Bau dastehen, totes Gestein, in dem Geschichte gespeichert ist wie auf einer Dia, die niemand mehr verwendet? Wieso sie nicht ihrem ursprünglichen Zweck – dem Gebet – zuführen?

Allerdings konnte uns aktuell niemand sagen, ob wir die Moschee besichtigen dürfen oder nicht. Ich finde dazu keine weiteren Informationen und die Mitarbeiter der Blauen Moschee haben scheinbar keine Ahnung. „Wir probieren es.“ Sagt Fee. „Dann werden wir es wissen.“ Ich für meinen Teil bin schon zufrieden darüber, hier zu sein und das Bauwerk zumindest von außen gesehen zu haben.

Als wir uns langsam nähern, überkommt mich wieder einmal dieses „wow, ich bin hier“-Gefühl, das emotionale Hoch, einen Ort, von dem ich bereits so vieles gehört habe, mit eigenen Augen zu sehen.

Und wie sich herausstellt, stellt ein touristischer Besuch der Hagia Sophia trotz ihrer neuen Deklaration überhaupt keinen Problem dar. Und mit dieser Gewissheit bin ich vollkommen ausgesöhnt. Hagia Sophia, aus dem Griechischem „die heilige Weisheit“. So viel Geschichte steckt in ihren Mauern. Bald ist Gebetszeit, doch das tut unserem Besuch keinen Abbruch. Schuhe ausziehen („Kasia, pass auf, du stehst auf dem Teppich!“), in den kleinen, nummerierten Schrank mit Glastüren stellen. Auf Katzenpfötchen weiter schleichen. Zusammen mit weiteren Besuchern strömen wir hinein.

Die Moschee ist in einzelne Räume unterteilt. Im Vorraum der großen Halle können Frauen und Männer gemischt anwesend sein. Dieser Bereich darf von jedem und zu jeder Zeit besichtigt werden, auch während des Gebetes. Denn die Gebete finden in separaten Männer- und Frauenräumen statt. Diese „Räume“ sind mit Absperrbändern unterteilt und auf die Einhaltung dachtet das dort stationierte Personal. Gleich wird das Gebet beginnen.

Manche Menschen stehen im Vorraum und schauen, einige laufen herum, manche sitzen in Grüppchen auf dem sauberen, weichen Teppich. Fee zieht mich nach vorne, damit ich besser sehen kann, doch ich möchte nur dabei sein statt mittendrin. Ich will am Rand sitzen, hinter den Menschen, will der stille Beobachter sein. Also ziehen wir uns zurück und warten. Nehmen die ganz besondere Stimmung in uns auf. Die legendäre Hagia Sophia. Und ich bin hier.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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11 Kommentare

  1. Der Grand Basar scheint ja wirklich ein lohnenswertes Ziel zu sein, auch für Nicht-Shopper wie mich. Und ja, mir kann man das wirklich glauben 😜! @Waffen: genauso ging es mir in Israel. Die allgegenwärtigen Waffen haben mich mental eher in Alarmstimmung versetzt und weniger ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Aber wie du schon geschrieben hast: wir sind es aus Deutschland halt so nicht gewöhnt. @Eisverkäufer: großes Kino! Würdest du mir den auch die genaue Adresse verraten, wo ich diesen genialen Laden finde? Denn da MUSS ich unbedingt hin! Dein Video und deine Beschreibung haben mich echt beeindruckt. @Blaue Moschee: schade, dass du dir da keinen wirklichen Eindruck verschaffen konntest! Bin gespannt, was dort im September so geht. Ich werde berichten. @Hagia Sophia: wunderschön! Da freue ich mich auch schon sehr drauf. Ach, Kasia, durch deine Berichte bin ich nun in noch größerer Vorfreude. Danke!

    1. Ich freue mich, dass du dem schon so entgegen fieberst 😉 „Den einen“ Eisverkäufer gibt es so nicht, sie sind überall in Istanbul an touristischen Orten anzutreffen. Einen gab es zum Beispiel in der Nähe der Hagia Sophia, der zweite war in Karaköy…

      1. Ah, ok! Dann werden wir ja über kurz oder lang zwangsläufig über einen von ihnen stolpern.

        1. Ich denke schon 🙂

    2. Den zweiten Eisladen haben wir in der Istiklal Caddesi in Beyoglu gesehen 😉

  2. Sehr witziges Video 😁😁😁

    1. Ich dachte schon, ich kriege mein Eis nieee… 😉

  3. Hallo Kasia,

    wieder sehr interessant. Pech natürlich, dass ihr gerade dort wart als restauriert wurde. Die Sache mit dem Eisverkäufer ist ja spitze. Fee hat sich amüsiert, weil sie wusste was sie erwartet. Die Künststücke gehen nur mit dem „besonderen“ Eis. Ich habe mal nachgelesen was Mastixharz ist. Anscheinend ist das normalerweise eine Art Kaugummi.
    Ich freu mich schon auf Hagia Sophia 2.

    Liebe Grüße
    Harald

    1. Hi Harald,
      Mastix wird tatsächlich ob seiner Konsistenz auch „Kaugummi der Römer“ genannt und soll zur Zahnpflege verwendet worden sein. Der Eisverkäufer war einsame Spitze. Ich war inzwischen zwei Mal da für ein Eis, es macht jedes Mal genauso viel Spaß. Das Video ist übrigens beim zweiten Mal entstanden 🙂

      Lg Kasia

  4. Diese weltberühmte Moschee ist natürlich ein echtes Highlight, aber gebt es zu…. so einen Eisverkäufer möchte jeder besuchen.
    Vielen Dank für die schönen Bilder und viel Spaß mit den schönen Kissenbezügen.

    1. Der Eisverkäufer ist ein Muss. Und am besten ist, wenn man damit jemanden überraschen kann, der noch gar nicht weiß, wie das bei dem abläuft… 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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