Wenn ich die Augen schließe, ist es, als wäre ich noch dort…
Wann hast du einen Kulturschock erlebt? Wann hast du dich zuletzt so richtig unwohl, ja, richtig fremd gefühlt? Dies und noch mehr will Ann-Cathrin von Weltenbummelz von uns wissen, im Rahmen ihrer aktuellen Blogparade: Kulturschock auf Reisen
Ich fange an zu grübeln. Ja, es gab Momente, in denen ich mich nicht mehr wohl fühlte in einem Land, in meiner Haut. Als wir die Tharu in der Chitwan-Tiefebene besuchten und ich sah, wie die Frauen in ihren traditionellen Häusern auf offenem Feuer kochten und, wie seit hunderten von Jahren, auf dem Boden ihr Essen zubereiteten. Dies war ein Augenblick, in dem all das Schlechte, all die Überheblichkeit des Westeuropäers, in mir hochkam und sich zu einem einzigen Gedanken formte: Man kann doch nicht so leben?
Zugleich schalt ich mich für derlei Gedanken. Hielt ich mich doch für so tolerant. Für so neugierig und offen. Doch der Anblick der winzig kleinen Frösche, die im offenen Raum auf dem Lehmboden umherhüpften, ließ mich zum ersten Mal daran zweifeln, ob denn alles, was wir so schön als „traditionell“ betrachten, nicht einfach nur Rückschritt war. Und wieso wir, die Touristen, solche Dinge als „authentisch“ bezeichnen und derlei sehen wollen. Wäre denn ein modernes Tharu-Dorf nicht authentisch? Mit einem Herd und einem Sparschäler, der auch funktioniert? Mit einem Tisch oder einer Arbeitsfläche, die dafür sorgt, dass nichts, was keucht und fleucht, in das Essen krabbelt? Ist etwas dann „authentisch“, wenn es unseren Erwartungen entspricht?
Denk nicht auf diese Weise. Andere Länder, andere Sitten. Mensch, Kasia, so willst du doch nicht sein?
Und dennoch war diese Situation kein Kulturschock im eigentlichen Sinne, nicht so, wie ich ihn verstehe. Es war vielmehr so, dass ich eine Seite an mir entdeckte, von der ich nicht gedacht hatte, dass es sie gibt. Abseits jeglicher verklärter Reiseromantik, hin zum kühlen Pragmatismus. Ein Tisch auf Brusthöhe macht nicht den Rücken kaputt. Dinge, die seit hundert Jahren so sind, sind nicht automatisch gut. Da laden mich diese Menschen zu sich ein, zeigen mir ihr Zuhause und teilen ihr Essen mit mir, und mir fällt nichts besseres ein als mit Urteilen um mich zu werfen?
Ich behielt all das für mich.
Die zweite Situation, von der ich mal las, dass sie einem Kulturschock vorweg geht, würde ich als eine Art Kultur-Müdigkeit bezeichnen. So sehr mir Nepal gefallen hat und so sehr ich mich danach sehne, dorthin zurück zu kehren – nach zwei Wochen im Land war ich es leid. Nicht das Land an sich, sondern mich in diesem Land. Ich war es müde, immerzu angesehen, angesprochen zu werden. Ich war es leid, ein (damals) blondes, helles Ausrufezeichen zu sein, das mit seinem Aussehen immerzu zu rufen schien: hey, hier sind ein paar Rupien zu machen. Ich war das Essen leid, auch wenn es mir unglaublich lecker schmeckte. Denn es war mir im Grunde nicht vertraut, ich sehnte mich nach einer ordinären Pizza, nach einem Spiegelei mit einer Scheibe Toast. Nach etwas Europäischem, etwas, das ich kenne. Bei dem ich nicht immerzu überlegen muss, wie man das richtig isst und ob es scharf ist oder nicht.
Doch war es ein Schock? Nein, ich denke nicht. Ich war, denke ich, einfach des Reisens müde. Zumindest für den Augenblick.
Denn es ist doch so. Sobald du in einem neuen Land ist (so ergeht es zumindest mir…), begibst du dich in einen ständigen Alarmismus. Du musst wach sein, aufnahmefähig, deine emotionalen Speicher frei. Denn es gibt so vieles aufzunehmen. Neue Bilder rattern in Kaskaden in deinen Kopf. Alles ist sehenswert, jeder Stein, jeder Baum, Tiere, Gebäude, Menschen. Gerüche. Eindrücke.
Deine Psyche stellt sich um, stellt sich langsam auf dieses neue Land ein. Was isst man hier, wie spricht man, wie grüßt man? Worauf ist zu achten? Wann fährt der nächste Bus in die nächste Stadt? Habe ich für diese Taxifahrt zu viel bezahlt oder ist dies ein üblicher Preis? Will dieser Mensch reden oder mir etwas verkaufen? Oder beides?
Die ersten Tage ist das auch okay. Ich sauge all das auf wie ein Schwamm. Sitze auf einem Motorrad ohne Helm, etwas, das ich in Deutschland niemals getan hätte, und fahre durch den dichten Verkehr von Kathmandu. Meine Haare flattern im Wind, meine Lunge füllt sich mit Straßenstaub und Freiheit und, würde man das bildlich betrachten, dann hechle ich sprichwörtlich wie ein zufriedener Hund. Ja, die ersten Tage sind okay. Ich will Eindrücke. Deswegen bin ich hier. Ich will neues.
Doch irgendwann ermüdet es mich. Denn dieser Alarmismus geht nicht vorbei, nur weil ich jetzt einige Zeit im Land verbracht habe. Er verlässt mich nicht, nur weil ich mal raste. Selbst wenn ich mich abschotte und auf dem Zimmer meines Hotels bleibe, ändert das nichts am Grundzustand. Auch dann nicht, wenn ich ein paar Tage am Stück am selben Ort bleibe und es nichts mehr gibt, was ich dort nicht gesehen, was ich nicht unternommen hätte. Ich raste zwar. Doch ich bin auf Habacht.
Deswegen helfen auch diese vielen, gutgemeinten Ratschläge nichts, die mir andere Reisende zum besten zu geben versuchen. Der Rat, langsam zu reisen. Mein innerer Stress ist nicht der Geschwindigkeit meiner Fortbewegung geschuldet. Langzeit zu reisen ist eben nichts für mich. Ich brenne aus.
Ob man das als Kulturschock bezeichnen kann? Ich weiß es nicht. Im schlimmsten Falle habe ich mich in diese Blogparade geschummelt, ohne wahrhaftig kulturgeschockt worden zu sein. Man möge mir verzeihen. Ich bin, was diese Intensität meiner Empfindungen auf Reisen betrifft, immer noch damit beschäftigt, meine Empfindungen zu sortieren.
Was nichts an der Tatsache ändert, dass sich Nepal zu meinem Sehnsuchtsland, Kathmandu zu meinem Sehnsuchtsort gemausert hat. Ich träume noch immer vom Durbar Square, wo alles nach Räucherstäbchen duftet und Scharen von Tauben auf den Dächern der Pagoden sitzen. Ich möchte so gerne noch einmal in den Chitwan Park, wo ich mit einem Guide tage- und nächtelang durch den Dschungel streifen will. Ich sehne mich nach Pokhara, wo das Om-mani-padme-hum, das allgegenwärtige Mantra, in den Straßen erklingt. Wo noch so vieles auf mich wartet.
Was ist es, weswegen ich mich zu Nepal so hingezogen fühle?
… vielleicht diese unglaubliche Selbständigkeit? Dass ich mich sofort wie zu Hause fühlte? Das Gefühl, sicher zu sein? Oder das Wissen, mich immerzu selbst zurechtzufinden. Das geübte Durchschlängeln durch den Verkehr, das Anhalten der Busse mit Handzeichen, als hätte ich mein Lebtag nichts anderes gemacht. Es ist alles… fremd und vertraut zugleich. Ich kann Nepal nicht fassen, nicht wirklich in Worte kleiden, auch wenn ich es immerzu versuche.
Ich weiß nicht, was es ist. Vielleicht wäre es wieder zu viel. Vielleicht würden mir wieder zwei- bis drei Wochen reichen. Doch so sehr ich am Ende dieser Reisen wieder nach Deutschland wollte, so sehr möchte ich dorthin zurück.
Doch Moment mal, geht es denn beides? Klingt das denn nicht schizophren in euren Ohren?
Ja, es geht. Denn es gibt sie, Länder, Orte, die uns tief bewegen. Die uns überfordern. Die uns in die Flucht treiben. Und die uns rastlos zurücklassen mit dem Gefühl, wieder zurückkehren zu wollen, der Gewissheit, noch nicht fertig mit ihnen zu sein.
Kennst du es auch?
Ich bekenne mich zu denjenigen, die eine Art Kulturschock bekommen, wenn sie zurück in die Heimat kehren. Das passiert mir sowohl bei der Rückkehr aus Kulturen, die der unseren recht ähnlich sind (Australien, Neuseeland, Kanada, USA) als auch, wenn ich aus Ländern mit einer sehr unterschiedlichen Kultur (Indien, Nepal, Oman) wieder nach Berlin zurückkehre.
Zwei Begebenheiten fallen mir hier spontan ein:
1. Als ich einmal nach fast acht Wochen aus Australien zurückkam, hatte ich tagelang regelrecht Kopfschmerzen. Nein, nicht wegen des Jetlags, sondern weil die Menschen hier bei uns tendenziell „unlockerer“ sind, eher die Probleme als die Lösungen sehen. Banales Alltagsbeispiel: Kurz nach meiner Rückkehr war ich im Schreibwarenladen um die Ecke wegen eines speziellen Stiftes, den ich haben wollte. Fragt die Mitarbeiterin: „Watt hammsen fürn Problem?“ Ich daraufhin, etwas irritiert: „Ich habe kein Problem. Ich möchte nur einen Stift kaufen.“ Weißte, was ich meine? Sowas fällt mir halt erst auf, wenn ich für eine Weile woanders war. Wie z.B. in Australien, wo jeder, dem ich erzählte, dass ich vor der Reise meinen Job gekündigt hatte, ohne was Neues zu haben. Australier sagten dazu:“Ach, dann machst du eben was anderes, wenn du wieder zurück in Deutschland bist.“ Während meine Landsleute vor meiner Abreise eher dazu tendierten, mich mit diesem speziellen „Hast du denn noch alle Tassen im Schrank? Sowas macht man doch nicht!“-Blick anschauten.
2. Rückkehr von einer mehrwöchigen Reise durch Indien und Nepal. Ausgerechnet am Abend des Nikolaustages 2019. Es ist gar nichts Unangenehmes dabei passiert. Aber wenn du nach so einer Tour aus dem Flieger steigst, in der Münchener Innenstadt ankommst, alles voller Weihnachtsmärkte, alles leise, sauber und geordnet. Dann denkst du, du seiest in einer sauber geleckten Filmkulisse gelandet, die irgendwie, ja, leblos und unecht wirkt 😅.
Wenn ich umgekehrt jedoch in Ländern ankomme, deren Kultur mir sehr fremd ist – auch hier sind Indien und Nepal die besten, weil doch recht extreme Beispiele -, bin ich eher wie ein trockener Schwamm, der gierig alles aufsaugen will, was ihm zugespült wird. Auch wenn es anstrengend, fremd, neu und oft auch nervig ist. Und ja, ich gestehe, dass ich dort weder leben noch monatelang reisen möchte. Irgendwann ist es gut und genug. Da geht es mir wie dir. Und dennoch: an manche Orte will ich wieder zurückkehren. Für eine gewisse Zeit eben. Einen Kulturschock in der Fremde habe ich jedoch bisher noch nicht erlebt. Kommt vielleicht noch!
Natürlich nehme ich Armut und Elend dort, wo ich reise, wahr. Und klar, es fasst mich emotional an. Mir ist jedoch – danke, Indien! – klar geworden, dass meine Art, zu denken und die Dinge zu sehen, nicht der Maßstab für andere und deren Lebenssituation ist. Was in meinen Augen elend, schlimm, unerträglich ausschaut, ist für andere schlicht ihr Leben. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Urteil darüber steht mir nicht zu.
Und ja: Dankbarkeit durchflutet mich auch, wenn ich nach einer Reise wieder nach Hause kehre. Egal, wo ich war. Dennoch: der Kulturschock trifft mich bei der Rückkehr :-).
Oh je, ist jetzt ganz schön viel Text geworden! Dann höre ich jetzt mal auf, obwohl ich noch einiges dazu zu sagen hätte …
Liebe Elke,
sag gerne noch mehr dazu! So viel wie du möchtest 🙂 oder noch besser: wäre es nicht ein toller Beitrag, den du schreiben könntest? Ich glaube, dass da noch ganz viel in dir schlummert…
Mit der Rückkehr nach Deutschland – kenne ich… Wenn du nach einer weiten Reise, wo die Menschen grundsätzlich freundlicher, entspannter, weniger frustriert sind, viel mehr lächeln… verständnisvoller agieren.. wieder in Deutschland bist. Wenn du mitbekommst, wie die Schaffnerin über einen indischen Fahrgast schimpft, weil er seinen Koffer falsch abgestellt hat, anstatt ihm hilfsbereit zu zeigen, wo es richtig gewesen wäre. Obwohl er soeben aus Mumbai angekommen ist und es womöglich nicht besser weiß… (das mit Mumbai weiß ich deshalb, weil wir uns kurz vorher mit ihm unterhalten haben).
Diese ständige, unterschwellige Gereiztheit. Viel zu oft gehen die Menschen bei uns vom Negativen aus, so wie du es beschrieben hast. Und irgendwann saugt man es auf und agiert genauso wie sie. Findet dieses Verhalten normal.
Sobald ich dann kurz über die Grenze hüpfe, nach Belgien zum Beispiel oder… eigentlich egal, wohin, bin ich verwundert und erstaunt, wie ruhig, freundlich, einfach nett Menschen zu mir sind. Beispiel: ich, alleine in Maastricht, fahre falsch herum in eine Einbahnstraße rein. Stell dir das mal in Deutschland vor. Weltuntergangsszenario. Finger, die durch die Luft fliegen und an der eigenen Stirn landen. Wutverzerrte Gesichter.
Mir kam ein Auto entgegen, und der Fahrer wies mich lächelnd (!) darauf hin, dass ich falsch bin und wo meine richtige Spur gewesen wäre… Glaubst du’s? Ich hätte fast geheult, weil ich so viel Nettigkeit einfach nicht gewohnt bin. Schon traurig, wenn man darüber nachdenkt.
Puh, jetzt ist es auch nur so aus mir herausgepurzelt. Du siehst, es passiert schnell, dass man sich beim Texten „verliert“…
Liebe Grüße und hab noch einen schönen Abend!
Kasia
Ha, die Sache mit dem Koffer abstellen 😀
Es war Ende 2012, als ich 2 Monate in Bangalore/Indien zum Arbeiten war. Es war eine aufregende Zeit, wo ich neben dem arbeiten auch manches vom Land sehen konnte. Auf dem Rückweg nach Deutschland hatte ich noch 2 entspannte Tage in Dubai und als ich an Heiligabend in Frankfurt ankam und in den ICE nach Stuttgart stieg, stand neben mir ein Päärchen aus Indien und hatten ihren Koffen vor den Notausgang/Tür gestellt. Die Schaffnerin kam und versuchte den beiden auf deutsch klar zu machen, dass das mit dem Koffer so nicht ginge und ich sah in die fragenden Gesichter der Inder und musste innerlich so lachen, denn ich dachte: Wie macht man Menschen klar, die es gewohnt sind außen an einem Zug zu hängen oder auf dem Dach zu sitzen, weil der Zug überfüllt ist, dass man dort wo Platz ist, nichts abstellen darf?!? 😀
PS: Ich weiß, dass nicht auf jedem indischen Zugdach Menschen sitzen 😉
Lach, das haben die beiden sicher schnell gelernt… 🙂 Tolle Anekdote, musste beim Lesen ein wenig schmunzeln. Tja, andere Länder, andere Sitten. Mit etwas Verständnis geht das alles schon. Wir müssen uns einfach manchmal klar machen, dass die Menschen nicht mit Absicht etwas falsch machen und schon gar nicht, um uns zu ärgern 😉
Das mit dem indischen Zugdach kann ich dir weder bestätigen noch bestreiten, ich war bislang nicht in Indien. Vom Hörensagen könnte man das schon meinen, aber vermutlich ist es wie so häufig: der Reisende schaut sich nach Spektakulärem um, und darüber wird dann berichtet. Ich kann mir schon vorstellen, dass in Indien nicht auf jedem Zug jemand auf dem Dach sitzt 🙂
Liebe Grüße
Kasia
Ich sehe schon: wir verstehen uns 👍!
Also ich tue mich hier ein bisschen schwer was brauchbares dazu beizutragen. Ich musste schon lange überlegen da meine Reisen immer in kultivierten Länder stattgefunden haben ( ich interprediere das einfach mal so ) !!!! An 2 Begegnungen kann ich mich aber erinnern wo mir zu denken gaben.
Einen Urlaub in einem Hotel an der Italienischen Riviera ! Schönes Hotel und alles was das Herz begehrte. Bin dann mal mit dem Auto ein Stück ins Hinterland gefahren was ja doch ziemlich gebirgig ist und durch ein Dorf gelaufen wo es noch für alle einen Dorfbrunnen gab wo die Frauen die Wäsche von Hand und mit einem Waschbrett gewaschen haben. Das ganze mal vielleicht 30 oder 40 KM von den Küste entfernt. Von diesem Ort sah man sogar die Hotelburgen und den Strand ! Wie gibt es sowas , dass Frauen hier am Brunnen die Wäsche waschen und ein paar Kilometer weiter (sogar in Sichtweite) pulsiert das Leben und lässt keine Wünsche offen ??
Ein anderes Beispiel: War in Griechenland auf der Insel Kos im Urlaub. Ebenfalls alles gut, tolles Hotel und keine Wünsche blieben offen ! Vom Hafen fährt täglich ein Schiff auf die Vulkaninsel Nisiros ! Hier ist die Uhr stehen geblieben. Die jüngere Generation hat die Insel schon lange verlassen und nur noch die Alten leben dort auf primitivster Weise !!! 1 x pro Woche kommt ein Postschiff und ein Arzt auf die Insel. Im Winter bei Stürme ect. kommt wochenlang gar niemand.
Diese 2 sind mir im Gedächtnis geblieben !!!! LG Manni
Lieber Manni,
danke dir für deine Erfahrungen. Ja, das sind gerade die Extremen, die wir auf Reisen sehen und die wahrscheinlich am stärksten im Gedächtnis geblieben. Dass Menschen unter einfachsten Verhältnissen leben (müssen), und das in mitten in Europa. Wäsche am Brunnen waschen finde ich schon sehr krass.
Bei deinem Ausdruck „kultivierte Länder“ musste ich schon schlucken. Ich glaube, ich weiß, was du damit sagen willst, ich finde es nur sehr unglücklich ausgedrückt. Was sind denn kultivierte Länder? Und was sind keine? Sind sog. „kultivierte Länder“ solche, die unserer Kultur entsprechen? Sind wir (oder halten wir uns für…) die Leitkultur?
Wenn ich Menschen sehr einfach leben sehe, wie die Frauen in Nepal, wie die Frauen in Italien, die ihre Wäsche am Brunnen waschen, finde ich es schwierig zu beurteilen, ob das nun der Tradition oder der Armut geschuldet ist. Einerseits will ich Traditionen respektieren, andererseits kann ich, ähnlich wie du, nicht verstehen, wie man noch so leben kann (will). Vielleicht wenn man sein Leben lang nichts anderes kennt… ich weiß nicht. Für uns wäre das nicht vorstellbar.
Danke, dass du dir so viele Gedanken gemacht hast. Das weiß ich sehr zu schätzen 🙂
Liebe Grüße
Kasia
danke Kasia ! Ja manchmal schreibe ich schneller als der Kopf denken mag ! Sorry
Klar hat für mich jedes Land eine Kultur den wir reden ja nicht über einen Indianerstamm am Amazonas und selbst der hat vermutlich eine Kultur. Du hast mich richtig verstanden was ich damit meinte. Ich finde es halt krass dass auf einer Entfernung von ein paar Kilometer diese Unterschiede sind. Hotelburgen wir Schwimmingpools und Sandstrände und ein paar Kilometer entfernt primitives Leben !!!!
Ich würde niemals eine Kultur in Frage stellen, aber die alle vertragen sich mit unserer !!! LG Manni
Genauso hatte ich das auch verstanden, alles gut 😉
Kleine Geschichte: ich war in Nepal 2019. Vor dem Fenster meines Hostelzimmers war eine Baustelle inmitten der Reisfelder. Inmitten der Baustelle ragte ein Rohr aus der Erde, daraus kam frisches Regenwasser. Aus der ganzen Umgebung kamen Kinder mit Kanistern auf dem Kopf, um Wasser für die Haushalte dort abzufüllen. Ganze Familien kamen an, um sich in dem Bach, der durch das Feld floss, zu waschen bzw. die Frauen ihre Haare. Es ist gar nicht so unüblich, dass Menschen in Nepal Regentonnen auf ihren Dachterrassen aufstellen und dort Wasser sammeln, weil in vielen Haushalten kein Leitungswasser angeschlossen ist.
Worauf ich hinaus will: es war ein komisches Gefühl, das alles vom Fenster aus zu beobachten und zu wissen, dass bei mir im Zimmer im Bad heißes Duschwasser aus dem Hahn kommt. Du weißt nicht, ob du dich schuldig fühlen sollst oder dich freuen, dass du den Luxus hast. Hängt halt so viel davon ab, wo man geboren wurde.
Ich glaube, so waren deine Eindrücke auch bei den alten Menschen in Griechenland oder den Dorffrauen in Italien, liege ich richtig?
Liebe Grüße
Kasia
super genau ! Irgendwie schämte ich mich auch bzw. hatte kein gutes Gefühl !
Es ist schwierig hier das richtige zu tun und klar wir können nichts dafür dass wir hier geboren sind und doch einen gewissen Luxus eben gewohnt sind, man muss es nur einigermaßen auch schätzen was wir haben und sehen dass es nicht selbstverständlich ist !
Da hast du Recht. Deshalb ist es gut zu reisen – um die Perspektive ein bisschen zurecht zu rücken. Wir gehören zu einer kleinen Anzahl Menschen mit einem sehr hohem Lebensstandard. Hat man mal gesehen, wie es auch woanders sein kann, ist man dankbar und weniger anspruchsvoll. Das hält für eine Weile an… 😉
Liebe Grüße
Kasia
Ich glaube, meinen eindrücklichsten Kulturschock hatte ich in Kenia, in Ongata Rongai Kware, dem „Vorort“ von Nairobi, aus dem meine Exfrau kam, als wir ihre Eltern besuchten. Die völlig unterschiedlichen Lebensverhältnisse waren schon eine Herausforderung an mich. Was mir die Familie bis heute hoch anrechnet ist, dass ich mich dem gestellt habe und auch dort übernachtet habe (was vor der Nachbarschaft geheim bleiben musste, da man sonst Überfälle befürchtete) und sie dabei nicht anders behandelt habe, als wäre ich bei Tante Erna und Onkel Wilhelm in München-Trudering zu besuch. Mit einer Ausnahme: die Gemeinschaftslatrine! Hier waren die Grenzen meiner Anpassungsfähigkeit weit überschritten…
Das muss nicht einfach für dich gewesen sein. Ich weiß nicht, ob ich das könnte – nicht das Übernachten an sich oder die Lebensverhältnisse, die sind nun mal, wie sie sind. Aber ich wüsste wahrscheinlich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Du scheinst damals alles richtig gemacht zu haben, Respekt!
Ich musste erst Mal nachschauen, wie die genaue Definition für Kulturschock ist. Da für mich der „Kulturschock“ meistens kam, nicht wenn ich in ein neues Land reiste, sondern eher wenn ich nach einem längeren beruflichen Aufenthalt in fernen Länder nach Deutschland wieder zurückgekehrt bin.
An ein Beispiel kann ich mich immer noch erinnern und werde es auch nie vergessen. Ich war wieder einmal unterwegs, ich glaube irgendwo in Südostasien, kann aber auch Mittelamerika gewesen sein. Auf jeden Fall, war ich neben meiner beruflichen Tätigkeit auch noch damit beauftragt, Büromaterial zu besorgen. War eigentlich kein großes Ding. Ab in den nächsten Laden und entsprechendes Material gekauft. Kassenzettel dem Kaufman vorgelegt und mein Geld bekommen. Jeder war glücklich und das Büromateriallager war wieder für jeden gefüllt.
Wieder zurück in der Heimat, kam dann der große Kulturschock (wobei ich jetzt nicht weiß, ob man es so bezeichnen kann), als ich feststellen musste, dass ich für einen popeligen Bleistift ein Formular mit dreifacher Durchschrift ausfüllen musste.
Die Welt kann so schön einfach sein, aber zu Hause wird teilweise alles zu sehr verkompliziert.
Liebe Grüße
Roland
Hi Roland,
ja, doch, der Kulturschock kann auch anders herum stattfinden. Bei nicht wenigen Reisenden passiert es, dass sie nach einem langen Auslandsaufenthalt über längere Zeit Probleme haben, sich in Deutschland zu adaptieren. Immer wenn ich nach längerer Reise zurück nach Hause komme, wundere ich mich über so manches hierzulande. Wie vergleichsweise wenig die Leute lächeln. Wie verbissen sie gucken. Die ganze unterschwellige Aggression im Straßenverkehr. Die fast sterile Sauberkeit. Und irgendwann gewöhnt man sich daran und wird schließlich genauso…
Ja, wir sind sehr auf Vorschriften bedacht. Das kann einerseits hilfreich sein, weil so jeder weiß, woran er ist. Es kann aber auch ziemlich nerven und das Leben verkomplizieren…
Liebe Grüße
Kasia