Wir vertilgen die Lunchpakete und Gerti verteilt die unvermeidlichen Datteln. Ich liebe Datteln; hier kann ich sie essen, ganz ohne schlechtes Gewissen. Alles, was Energie liefert, wird benötigt – und verbraucht. Vor allem für die letzte Etappe, denn die ist anstrengender als die vorhergehenden. Eine Weile führt die Route in großer Hitze über ein trockenes Flussbett, wo uns nur ab und zu ein Einheimischer mit einem Kamel am Strick entgegen kommt. Große, runde Steinbrocken wollen bezwungen werden, was Konzentration erfordert. Konzentration, die nach einem ganzen Tag trotz des stetigen Nachschubs an Zucker langsam nachlässt. Doch gerade jetzt ist es wichtig, genau zu schauen, wo man seine Füße hinstellt. Erstaunlich, denke ich mir. Es ist nicht der Körper, der zuerst aufgibt, es ist der Verstand. Vielleicht bin ich dehydriert, vielleicht überhitzt, vielleicht beides.
Die Pause in Adho Di Meleh ist mir mehr als willkommen. Es handelt sich um eine Ansammlung von Steinhütten, die von Hirten zum Übernachten genutzt werden. Im schattigen Inneren des Hauses sind Matten ausgelegt. Es ist ein einfacher, gemauerte Raum. Wir strecken uns auf dem Boden aus und ich nicke sofort ein. Der Schlaf tut gut und wie sich herausstellt, werde ich ihn noch brauchen.
Sobald sich die Sonne leicht senkt, packen wir zusammen. Gegen drei gehen wir wieder los. Aufstieg. Nur noch Aufstieg. Wir steigen steil hinauf, über abschüssige Pisten, die teils gar keine Pisten sind. Zum großen Teil bewegen wir uns am Hang entlang. Es ist steil und rutschig. Stock für Stock, Stein für Stein. Der Weg erfordert Aufmerksamkeit, die ich nicht mehr habe. Ich halte mich möglichst an große, fest verankerte Steine. Gerade zum Ende hin, wo die Konzentration nachlässt, ist sie wichtiger denn je. Nur ab und zu riskiere ich einen Blick links und rechts, wo sich die ersten, rosarot blühenden Flaschenbäume in die Felsen krallen.
Nur die Harten kommen in den (Flaschenbaum)garten
Der Ausblick wird immer grandioser, die Flaschenbäume werden mehr und mehr. Ein Duft nach Blumen breitet sich aus. Welch Wunder. Und ich kann nur noch daran denken, endlich anzukommen. Ralphs Muskeln machen schlapp – mit gutem Zureden kann ich ihn dazu bringen, Müsliriegel zu sich zu nehmen. Ein anderer Mitreisender erleidet einen Kreislaufzusammenbruch; gemeinsam mit seiner Frau werden die beiden wieder vom Berg eskortiert. Sie nehmen einen längeren Weg mit dem Auto zu unserer Schlafstätte und werden später zu uns stoßen.
Ich selbst hingegen blockiere und schalte auf stur. „Ich gehe nicht weiter.“ Verkünde ich und lasse mich auf einem Stein nieder. „Keinen Meter weiter.“ Während ich da sitze und Müsliriegel mampfe, setzen sich Michael und Ralph dazu. Meine Endzeitstimmung vergeht, sobald die Müdigkeit in den Beinen etwas nachlässt. Was ich gebraucht habe, war wohl diese letzte, kurze Pause.
Wir schaffen die Etappe. Oben wird es nur noch leicht. Eben. Nicht mehr abschüssig. Der Hang ist bezwungen, wir sind am Firmin-Plateau angekommen. Und hier beginnt eine mystische Welt.
Auf den letzten Metern unterhalte ich mich mit Guide Gerti. So erfahre ich mehr über ihre Vorgeschichte und das Leben als Reiseführerin. Gerti hat viele Abenteuer erlebt; mit dem Motorrad durchquerte sie Kontinente. Inzwischen ist sie zu der Überzeugung gelangt, die Welt zu Fuß intensiver erleben zu können. Und: „Man macht es nicht für das Geld.“ Betont sie mit Blick auf ihren Job. Es sei Leidenschaft, man müsse es wollen.
Und man müsse es können, immer wieder so vielen unterschiedlichen Reisecharakteren gerecht zu werden, vermittelnd und schlichtend einzuwirken, auf jeden Acht zu geben, zudem noch geduldig mit Einheimischen zu verhandeln, Andersartigkeiten anzunehmen wie sie sind. Alles Eigenschaften, die ich vermutlich nicht besitze. Einmal mehr stelle ich fest, dass sich fallen zu lassen, auf Neues einzulassen sowieso schon Überwindung kostet, auch wenn man, wie ich, nur für sich selbst und nicht noch für andere Mitreisenden die Verantwortung trägt.
Die Unterhaltung lenkt mich ab und lässt mich die Strapazen ein wenig vergessen. Mehr noch: als wir uns einigen Häusern auf dem Plateau nähern, fühle ich mich fit und bereit für Neues. Und bin doch nicht ganz unglücklich darüber, dass diese Tagestour nun zu Ende geht. Wir haben die schwierige Etappe bezwungen. Jetzt ist es nur noch leicht. Es geht eben vorwärts, keinen steilen Aufstieg mehr. Was habe ich geflucht. Das Anstrengende war die stets erforderliche Konzentration. Ein falscher Schritt konnte großen Schaden anrichten.
Der Firmin-Wald auf dem Dixam-Plateau im Herzen Sokotras beinhaltet eine Besonderheit: die größte Konzentration an Drachenblutbäumen auf der gesamten Insel. Dieser Abschnitt des Plateaus ist vollständig mit Drachenblutbäumen bedeckt. Haben wir bislang hier und dort mal vereinzelt einige große Exemplare in den Bergen aus der Nähe betrachtet, so sehen wir uns nun einem ganzen Wald gegenüber. Wie Bewohner einer uralten Welt, die längst vergangen sein sollte, zeichnen sich die Geschöpfe schwarz vom roten Abendhimmel ab. Wer eine Erde längst vor unserer Zeit sucht, wird sie hier finden.
Drachenblutbäume: die einheimischen Guides wissen selbst nicht, wie alt die einzelnen Bäume sind. Vielleicht 100, vielleicht 1000 Jahre, sagt man uns. Sie waren schon immer da, sind ein Relikt des Kreidezeitalters; etwas Uraltes, das nicht mehr in die heutige Zeit gehört. Es wachsen keine neuen Bäume mehr nach (was so nicht stimmt; wir sollen während unserer Wanderung durch das Hajhir Gebirge einen jungen Baum entdecken, der sich, an steile Felsen gekrallt, wie durch ein Wunder erhalten hat.). Da sich die Bäume auf natürlichem Wege nicht vermehren, gibt es im botanischen Garten in Hadibu Versuche, sie zu züchten.
Sokotra trennte sich bereits vor 70 Millionen Jahren vom Rest des afrikanischen Kontinents. Das Sokotra-Archipel steht seit 2005 unter dem Schutz der UNESCO, aufgrund seiner reichen Naturschätze. Eine Insel, die so abgeschieden liegt, dass sie glücklicherweise bislang größtenteils vom Krieg unberührt blieb. Nicht die gesamte Insel sieht so gebirgig aus wie hier; im Westen würde man meist auf flaches Land stoßen.
Die Menschen hier leben von der Viehzucht; für Landwirtschaft ist die Insel zu karg. Sie sprechen Soqotri, eine eigene Sprache, die sich nun gegen das Arabisch der Eingewanderten behaupten muss, und haben ihre eigenen Bräuche.
Inmitten der vielen Drachenblutbäume, die wir ausgiebig aus der Nähe betrachten, liegt unser Campingplatz. Diesen teilen wir uns dieses Mal mit vielen weiteren Reisegruppen. Einmal mehr bin ich erstaunt zu sehen, wie viele Besucher sich außer uns noch auf dieser Insel herumtreiben; es ist nicht nur die Reiseagentur aus Sachsen, die diese Touren anbietet. Tagtäglich jedoch verlieren sich die Gruppen aus den Augen, und wir kriegen sie kaum zu sehen. Was daran liegen mag, dass die meisten über befahrbare Strecken mit dem Jeep unterwegs sind und sich nur wenige für die anspruchsvolle Wanderreise auf Sokotra entscheiden. Ich hätte ja gerne gesagt, ich habe mich dafür entschieden, doch in Wahrheit habe ich bei der Buchung lediglich die erforderlichen Tourencodes verwechselt. Im Nachhinein ein Glücksfall, denn nur zu Fuß gelangt man hier in Regionen, die ursprünglich und kaum noch von jemandem entdeckt sind, nur zu Fuß kann man die echte Schönheit Sokotras erleben. Nach einem Kräfte zehrendem Tag wie heute weiß man, man hat es sich verdient.
Wir passieren die Häusergruppe, wo Kinder der ansässigen Hirten uns zuwinken und uns mit Rufen begrüßen. Über ausgetretene Pfade kommen wir an unserem Campingplatz an. Es ist ein weiter Platz, dessen Randbereiche sich im Zwielicht verlieren. Wir haben diesmal einen großen Tisch und Stühle zu unserer Verfügung und auch der große Wasserkanister ist inzwischen angekommen. Verwundert stelle ich fest, dass ich nicht wirklich weiß, was mit dem vielen, kostbaren Nass anstellen: die Katzenwäsche „aus der Flasche“ hat bislang ziemlich gut ihren Zweck erfüllt.
Ein Lagerfeuer brennt, frisches Obst wird verköstigt. Das Abendessen fällt üppig aus, Reis mit großen, gebratenen Fleischkeulen, bei denen ich vermute, dass es sich um Ziege handelt. Ich esse meine große Portion zügig und vollständig auf, ohne ein Sättigungsgefühl zu entwickeln. Der vergangene Tag fordert seinen Tribut.
Ich gehe heute früh schlafen. Der morgige Tag wird genauso anstrengend sein. Die Guides indessen palavern noch bis spät in die Nacht.
Die Fotos sind so unglaublich schön und du beschreibst alles so wunderbar, dass ich direkt dabei bin. Die Bäume und Landschaften sind diese Wanderung wert und echt Hochachtung für diese Leistung
LG Andrea
Dann ist mein Versprechen, den Leser auf meine Reisen mitzunehmen, hiermit erfolgreich eingelöst 🙂 Lieben Dank, ich freue mich über das Kompliment. Auch wegen der Wanderleistung 🙂
Der Wald ist der Hammer! Da hätte ich vermutlich das Weitergehen verweigert und wäre in einen Fotorausch verfallen – sofern ich es überhaupt bis oben aufs Plateau geschafft hätte 😅. Du hast die Wander-Variante echt aus Versehen gebucht😆 ? Wie klasse ist das denn?!?
Na ja, aufgefallen ist mir das, als die Bestätigungsunterlagen via Email kamen. Da hatte ich erstmal große Augen gekriegt. Dann: puh. Soll ich das noch abblasen? Ach was, wird schon irgendwie werden. Unglaublich, wieviel man imstande ist, zu schaffen, was man sich anfangs gar nicht zugetraut hätte. Ja, es war echt aus Versehen, ich bin nicht so der Typ, der sich selbst überschätzt, eher das Gegenteil…
Das geht ja spannend weiter! Bin schon auf die Fortsetzung gespannt!
Die Fortsetzung wird weiterhin schweißtreibend und märchenhaft schön. Wir erobern uns in den kommenden Tag die höchsten Gebirge der Insel 🙂
Kann es kaum erwarten!
Die Bäume sind extrem cool! Gut, dass du durchgehalten hast
Lach, vermutlich würde ich sonst bis heute an diesem Abhang sitzen und schmollen 🙂