September 2021
Ich dachte, der leckeren, georgischen Küche kann niemand so schnell was vormachen. Doch nie hätte ich gedacht, dass sie auf so groteske Weise parodiert werden könnte. Esst niemals in Tiflis unter der Brücke…
So langsam wechselt das Wetter und die Hitzewelle scheint endgültig durchbrochen. Starke Windböen und Wolkenfelder kommen auf, Staub wird aufgewirbelt und peitscht ins Gesicht. Wir wandern langsam in Richtung des Stadtzentrums zurück. Schon im Laufe des Nachmittages bekamen wir Hunger, schauten uns beiläufig nach einem netten Lokal um. Doch wir wollten warten, bis Tomek zu uns stößt. Jetzt scheint es bald soweit zu sein, wir warten auf der Freiheitsbrücke auf das freudige Wiedersehen.
Es ist die goldene Regel, nicht in der Nähe der touristischen Hotspots zu essen. Dort ist es teuer und schmeckt nicht besonders gut. Doch nie hätten wir uns ausmalen können, dass es für „schmeckt nicht“ auch noch eine Steigerung geben kann. Mir war bewusst, es gäbe bessere Alternativen, doch wo willst du suchen gehen? Wir haben keine Lust auf eine lange Odyssee, wir haben Hunger wie ein Wolf. Wie ein Rudel Wölfe.
Eine Zeit lang stehen wir auf der Friedensbrücke und schauen in das trübe Wasser. Als dann Tomek endlich da ist (keiner hat so richtig geglaubt, dass er es noch heute schafft), steuern wir auf die Suche nach einem Lokal. Da, in der Nähe der Freiheitsbrücke sieht es doch nett aus. Windgeschützt. Warum nicht.
Wir nehmen also Platz und bestellen. Schon als der Wein kommt und ich daran nippe, denke ich mir: oha? Zu viel Essig ins Fass geraten?
Das Essen hat sich nach den ersten Bissen im Grunde erledigt. Unsere Bestellung ist bunt durchmischt, ich habe irgend ein Fleischgericht, wir probieren jeweils bei den anderen mit. Was die Sache nicht besser macht. Ich schäme mich fremd, denn wenn ein Tourist nach Tiflis kommt und als erstes in dieses Lokal gerät, denkt er fälschlicherweise, hier würde Hundefutter serviert.
Nö, das Gulasch würde ich nicht einmal meinem Hund geben. Wenn ich einen hätte.
„Kommt, lass uns zahlen und gehen.“ Sagt Jacob, Sohn der Familie. „Ich glaube, die machen sich da drüben über uns lustig.“ Ich drehe den Kopf und bekomme gerade noch mit, wie die „Kellner“ an der Kasse die Köpfe in unsere Richtung zusammen stecken. Schnell weg hier, Trinkgeld gibt es keines. Tomek hat Glück. Tomek hat nur einen Orangensaft bestellt. „Solche Lokale wachsen hier in der Saison aus dem Boden, dann sind sie verschwunden. Das Lizenzverfahren ist anscheinend nicht so wie bei uns. Nächsten Sommer wird es hier wieder was unter anderem Namen geben.“
Ich lausche, wir laufen und mein Magen versucht, sich mit seinem Inhalt anzufreunden.
Wir versuchen, der ganzen Geschichte etwas Lustiges abzugewinnen, irgend etwas, und irgendwie kommt die Sprache immer wieder auf das Geschehene. Dann werden wir unwirsch von Jacob unterbrochen. „Hey Leute… reden wir einfach nicht mehr darüber.“ Ermahnt er uns. Immer wieder. Seitdem weiß jeder, was gemeint ist, wenn ein anderer anfängt mit: „In diesem… ähm, ihr wisst schon, ‚reden-wir-nicht-darüber’…“
Die Blaue Stunde begleitet uns, wie wir so durch die Straßen gehen. Wir bewegen uns in die gleiche Richtung wie gestern, zum Hügelkamm oberhalb der Stadt. Hier wacht eine Burg und ein Kloster darf kurz von innen besichtigt werden. Backsteingebäude links und rechts, hölzerne, zierliche Balkone. Laternen spenden gelbes Licht in den blauen Straßen. Blaue Gebäude neigen sich uns zu. Die Blaue Stunde verschlingt alles und jeden.
Katzen schleichen um Blumentöpfe herum, schleichen uns nach. Wir sind leicht gereizt, müde, versuchen, all dies mit gespielter Fröhlichkeit zu übertünchen wie man eine gesprungene Mauer manchmal mit Farbe zu übertünchen versucht. Obwohl man weiß, dass die Farbe bald wieder blättern wird. Irgendwem dauert das Bilder machen zu lange. „Kommt!“ Sagt Jacob. „Tomek wartet!“ Das ist sehr freundlich von Tomek, bin ich versucht zu antworten, ich würde auch warten. Ich bin versucht, etwas oder jemanden in der Luft zu zerreißen, am liebsten den Kellner unten im „Lokal unter der Brücke“ (Name frei erfunden aufgrund temporärer Amnesie).
Wieder im Hotel. Wir brauchen Trost, ganz dringend. Gedanken abschalten, den Fraß von „ihr wisst schon, reden wir nicht darüber“ runterspülen und vergessen, einfach fröhlich sein. Wir brauchen… Alkohol.
Also nach unten ins Lokal gegangen, Chatschapuri als „Zagryzka“ und Chacha bestellt. Und Wein, den guten Wein. Wer meinen Berichten nicht regelmäßig folgt, „Zagryzka“ bezeichnet etwas zum reinbeißen, kleine Snacks, die zu starken Alkoholika gereicht werden, und Chacha ist ein hochprozentiger Weintrester in Georgien. Genau das, was wir jetzt brauchen. Das Kännchen trägt Spuren kondensierter Wassertröpfchen auf der Oberfläche, Gläser werden gefüllt. Die Reisegemeinde findet wieder zusammen. Wir reden und lachen, irgend jemand von den Restaurantbetreibern bringt uns ein georgisches Trinkhorn. Unter Gelächtern wird das Horn der Reihe nach geleert. „Ihr wisst schon.“ Sagt Tomek fröhlich. „Ihr könnt das Horn nicht abstellen, es muss in einem Zuge leer sein.“ Wir üben uns der Reihe nach am „Horn leeren“. Mein Onkel filmt. Tomek trinkt nichts, denn ihm fiel diesmal das Schicksal zuteil, morgen den Fahrer zu machen.
Das Chatschapuri schmeckt köstlich, und Bedauern macht sich breit. Ach hätten wir doch einfach hier gegessen, seufzen wir. „Reden wir nicht mehr darüber.“ Ermahnt uns Jacob. Und er hat Recht, denn im Großen und Ganzen wird das Ganze doch noch zu einem schönen Abend.
Am nächsten Morgen. Mit Bedauern räumen wir die Zelte. Der Weg führt uns weiter, raus aus Tiflis und an die aserbaidschanische Grenze nach David Garedscha, der Jahrhunderte alten Klosteranlage mitten im Fels. Und wir haben einen Fall von Magen-Darm-Vergiftung. Tomek, der der einzige war, der nichts beim „Reden-wir-nicht-darüber“ gegessen hat, der einzige, der keinen Tropfen Alkohol angerührt hatte. Und er ist nun der einzige, der die Fahrt liegend verbringen muss.
Manchmal trifft es die besten.
Mein Like schließt ausdrücklich Tomeks Magenverstimmung aus. Der Arme! Erstaunlich, dass es ausgerechnet den Abstinenzler des Vortags getroffen hat, der beim Lokal „Reden wir nicht mehr drüber“ auf Nahrung verzichtet hat. Aber schön, dass ihr dann doch noch einen netten Abend miteinander hattet. Die Fotos in der Blauen Stunde sind übrigens sehr stimmungsvoll!
Die Magenverstimmung brach sich erst am nächsten Tag so richtig Bahn. Vielleicht hat Tomek einfach nicht genügend (mit Chacha) von innen desinfiziert, wer weiß… 😉
Da kann einem der Appetit vergehen. Das gibt es aber in Deutschland aber auch. Heute war ein Artikel in der Zeitung wo über einen „In“-Italiener berichtet wurde. Vorne Hui und drinnen Pfui. Die Kühlräume waren längere Zeit nicht gereinigt. Fische wurde ohne weitere Verpackung aufbewahrt und Schimmel auf dem Käse wurde auch gefunden. In BaWü gibt es wohl ein öffentliches Verzeichnis in dem solche Beanstandungen öffentlich gemacht werden.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
Harald
Bei Interesse schau mal hier: https://verbraucherinfo.ua-bw.de/lmk.asp
Das klingt ja sehr unlecker. Manchmal will man gar nicht wissen, wie es hinter den Kulissen zugeht. Obwohl ich glaube, dass man Qualitätsmängel herausschmecken kann. Das mit dem Verzeichnis ist ein guter Tipp, danke.
Lg Kasia
Gerne.
Sehr interessant 🙂
Danke!
Wir haben in München ein georgisches Restaurant, in dem ich einmal mit Freunden war. Nicht ganz billig, aber alles sehr lecker. Faszinierend fand ich die vielen küchenkulturellen Einflüsse aus der Nachbarschaft. In bester Erinnerung ist mir noch eine Art georgische Pizza…
Das ist gut zu wissen, ich vermisse das Essen dort wirklich. Wenn ich wieder in München bin, werde ich reinschauen 😉
Chatschapuri – so hieß die georgische Pizza!
Aah, ja, das haben wir dort gegessen, allerdings als eine Art Brot. Ist echt lecker.
Ach je – armer Tomek.
Dein Gesicht – herrlich.
Für einen einzigen Moment habe ich es nicht geschafft, die Starke zu spielen 🙂
Real Life….hihi
Das klingt nach Schimmel im Orangensaft. Reden wir nicht mehr drüber. 😀
Ich habe keine Ahnung, wirklich. Bis heute kann ich mir das nicht erklären. Der Gute hat alles richtig gemacht, möchte man meinen – vielleicht hätte er, so wie wir, mit Trester von innen „desinfizieren“ sollen…