Asien, Georgien

Tiflis – Kitsch, Kultur und Kunsthandwerk

September 2021

Es sind viele, so viele schöne Ecken, die es in Tiflis zu entdecken gibt. Plätze jenseits der touristischen Altstadt; denn wer sich genügend Zeit lässt und sich von seinen Beine auch einmal abseits der bekannten Ecken führen lässt, stets seinen Augen auf der Suche nach Neuem folgend, der wird auch Dingen jenseits des Mainstream begegnen. Streetart, Obst- und Blumenmärkte, Handwerk. Jugendstilarchitektur. Und die Überreste des Alten.

Diese Folge wird eine Mischung aus beidem sein, aus Bekanntem wie auch aus dem Überraschenden. Ein Tag in Tiflis ist wie eine ganze Woche, so randvoll von Eindrücken, dass abends der Kopf schwirrt. Stück für Stück, Etappe für Etappe werden wir uns durcharbeiten, rekapitulieren. Uns erinnern.

Die Abanotubani-Bäder

Mit „Abanotubani“ wird ein Bäderviertel der Altstadt bezeichnet, das bereits im 13 Jahrhundert existierte. Die Spezialität sind Schwefelbäder, die auf Schwefelquellen unter der Stadt zurückzuführen sind. Über fünfzig Heilbäder soll es hier mal gegeben haben. Der Legende nach hat ein König auf der Jagd einen Fasan erlegen wollen. Das Tier flüchtete, fiel in heißes Wasser und wurde sofort gar gekocht.

So viel zu der Entdeckung der Quellen. Heute sind davon nur noch wenige in Betrieb wie das Königsbad oder das Sumbati-Bad. Im Königsbad können sogar einzelne Baderäume gemietet werden. Ein Gedanke für meinen nächsten Besuch, meint ihr nicht auch?

Was mir sofort auffällt, weil es nicht zu übersehen ist, ist die blaue Mosaikfassade des Orbeliani-Bades, welche einem persischen Bau nachempfunden ist. Mich erinnert es an die orientalischen Bauten in Buchara, Usbekistan. Was das Fernweh nur noch anfacht.

Das Prozedere der Badeeinheiten hat es in sich. Dazu gehört, auf einer Steinplatte liegend, eine Rückenmassage mit einem Handschuh aus Pferdehaar und Wasseraufgüsse aus Eimern. Das Schwefel- und Mineralhaltige Wasser soll gut für die Haut sein und Krankheiten mildern. Ich nehme mir fest vor, beim nächsten Mal in Tiflis einen Badetag einzuplanen.

Dieses Mal lassen wir die Bäder links liegen. Die ganze Stadt, ja, ganz Georgien will noch erkundet werden. Über eine Brücke, auf der Unmengen roter Liebesschlösser hängen (kommt diese Pest denn niemals aus der Mode?) geht es zu dem hinter dem Bäderviertel verborgenen Wasserfall. Links und rechts von uns erheben sich steile Felsklippen über das spärlich Wasser führende Flussbett eines Nebenflusses des Mtkwari, und auf diesen Klippen schauen mintgrüne und pastellfarbene Jugendstilhäuser auf uns herab, mit ihren zierlichen Geländern und Balkonen. Die gesamte Altstadt wurde noch zu Sowjetzeiten umfangreich restauriert, eines der wenigen Orte, dem damals solch eine Sonderbehandlung zuteil wurde.

Auf dem Weg hierher passieren wir kleine, mobile Stände, derer Verkäufer verschiedenes zum Naschen verkaufen, hauptsächlich Grapefruitsaft und Eis. Ich will mir so ein Eis holen und der Verkäufer freut sich schon sichtbar auf Umsatz, doch mein Onkel verbietet es. Ja wirklich, richtig gelesen: ich bin fast vierzig, will ein Eis kaufen und mein Onkel verbietet es. „Komm, wir gehen weiter.“ Sagt er mit Nachdruck. „Wir kaufen dir woanders Eis.“ Und ich fühle mich schlagartig in eine Zeit vor der Zeit zurückversetzt. In die Neunziger Jahre, als ich, acht- bis zehnjähriges Gör, zur Belohnung für gute Leistungen in der Schule, mit Onkel in den Warschauer Zoo gefahren bin. Nur dass es damals keine Verbote gab – zumindest nicht, soweit ich mich erinnern kann.

Also kein Eis; obwohl ich selbst nicht verstehe, warum, füge ich mich in mein Schicksal. So ist es wohl mit den familiären Hierarchien, sie entscheiden über dein Leben, selbst wenn du selber alt und grau bist. Und darüber, ob du Eis kriegst.

Als wir weiter gehen und der Verkäufer außer Hörweite ist, sagt mein Onkel: „Er hat hier nicht sehr viele Kunden. Was denkst du, wie lange er sein Eis da in dem Wagen schon gelagert hat? Ich will nicht wissen, wie viele Salmonellen da drinnen sind, falls er es nicht richtig gekühlt hat. Wir holen Eis da, wo mehr Betrieb ist, da können wir davon ausgehen, dass es frisch ist.“

Ich kann mir nicht helfen, doch die Argumente sind simpel wie unschlagbar. So finde ich mich damit ab, dass es kein Eis gibt, denn eine Salmonellenvergiftung ist wohl das letzte, was ich auf dieser Reise gebrauchen kann.

Also hoffe ich wenigstens auf frisch gepressten Grapefruitsaft und auch Gosia freut sich schon sehr darauf. „Wir haben die ganze Zeit über keine einzige Grapefruit in der Hand gehabt, obwohl Georgien das Land der Grapefruits sein soll.“ Beklagte sie sich noch kurz zuvor.

Land der Grapefruits, Land des Weins, Land des Chacha. Georgien ist voll von Superlativen. Doch diesmal macht uns die Verkäuferin selbst einen Strich durch die Rechnung, denn für einen kleinen Becher Saft möchte die Dame umgerechnet fünf Euro haben. Wir winken ab. So dringend müssen wir die Grapefruit nun auch nicht haben.

Durch die enge, malerische Legwtachewi-Schlucht (was soviel wie „Feigenbaum-Schlucht bedeutet), über Brücken und einen sandigen Weg gelangen wir zum Wasserfall. Wer hätte gedacht, dass sich so ein stiller, wilder Ort voller natürlicher Schönheit hier mitten in der Großstadt befindet. Viele verirren sich nicht hierher. Umso glücklicher sind natürlich die Straßenmusikanten, die uns für wenige Lari sogleich die polnische Nationalhymne spielen. Ich schaffe es kaum, mein Handy zu zücken, schon ist das Stück vorbei, schade. Aber schön war’s.

 

Am Wasserfall selbst sind wir nicht alleine. Hier hat sich eine andere Art von Händlern eingefunden, die Sorte Händler, die Ziervögel, Papageie und Äffchen auf der Schulter tragen und wo du dich mit dem Getier für ein Entgelt fotografieren lassen kannst. Joah, muss nicht sein. Wir sitzen ein wenig auf einer der Bänke und betrachten den Wasserfall. Der leidet wenigstens nicht dafür, hier zu sein.

 

Wie die polnische Jugend Wasserpfeife entdeckt

Auf dem Rückweg halten wir auf einen Kaffee. Ich ködere die Meute mit der Aussicht auf ein Päuschen bei Getränken und Eis, doch in Wahrheit habe ich es auf etwas anderes abgesehen: auf die Shisha, die hier angeboten wird und just da vorne in der Ecke steht. Natürlich binde ich das meiner Meute nicht sofort auf die Nase, nein; erst als wir alle sitzen, die müden Beine von uns gestreckt haben und die Getränke bestellt sind, bestellt sich Kasia so eine Shisha. Zum Teil befürchte ich Proteste der Jugend, denn ich weiß noch um die leidvolle Erfahrung der ersten Tage, als wir Erwachsenen nichts weiter als einfach nur ein harmloses Bier im Park in Kutaissi trinken wollten. Also heißt es diesmal, Tatsachen schaffen. Und die glühende, dampfende Tatsache wird mir soeben um die Ecke gebracht.

„Was findest du daran?“ Fragen mich die Kids. Sie haben noch nie so eine Wasserpfeife gesehen, allerhöchstens mal was davon gehört, und sind natürlich neugierig bis skeptisch. Ich erzähle was von Entspannung und Muße, von Treffen mit Freunden und einer chilligen Shisha in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Als sie probieren wollen, schaue ich skeptisch zu meinem Onkel, doch der nickt nur ab. Sollen sie doch probieren, sagt er. Ich durchschaue die umgekehrte Psychologie dahinter, und zunächst scheint es zu funktionieren. Beide ziehen nacheinander, husten ein paar Mal. „Ich weiß nicht, was du daran findest.“ Sagt der Sohn des Hauses, doch er will es wissen. Hartnäckig probiert er nochmal. Und nochmal. Und schließlich…

„Ah, ich glaube, jetzt merke ich, um was es geht. Man fühlt sich so entspannt und leicht. Die Sonne scheint, das Wasser in dem Gefäß blubbert, man könnte ewig so dasitzen.“ Ich nicke begeistert und erkläre auf Nachfrage bereitwillig, wo sich der Tabak befindet, was die Kohle und das Wasser für eine Funktion haben und wo sich beides in dem System Shisha befindet. Auch Gosia kommt langsam auf den Geschmack. Nur mein Onkel kann nicht aufhören zu husten. „Ich glaube, für mich ist es nichts.“ Sagt er. Und ich fühle mich wie die böse, alte Frau von nebenan. Sie ist frei, sie hat viel gesehen und sie wird euch eure Kinder verderben. Der Gedanke gefällt mir.

 

Schöne Ecken auf Schritt und Tritt

Entspannt vom an-der-Shisha-ziehen ziehen wir weiter. Sohn des Hauses hatte irgendwo recherchiert, dass es in Tiflis einen Markt mit allerlei Kunsthandwerk geben soll, doch da müssten wir uns ein ganzes Stück außerhalb der Altstadt begeben. Also Beine in die Hände und nix wie los mit uns. Wobei hier das Gehen ausdrücklich nicht das Problem ist; das Problem sind all die schönen Orte, all die kleinen Geheimnisse, all die Plätze zum Verweilen, die uns unterwegs begegnen. Und ich – das Problem bin ausdrücklich ich. Ich fotografiere all die Streetart, schaue in jedes Eck, komme anschließend hechelnd hinterher gerannt, während meine Herde bereits weiter gezogen ist. Auf Schritt und Tritt finden sich malerische Fotomotive wie das pinkene Fahrrad, das an der grün gestrichenen Türe lehnt; wie das Mosaik aus lauter kleinen Kacheln, von denen jede einzelne in einem anderen Motiv gestaltet ist. Bröckelnder Putz, splitternde Farbe, dazwischen Kunst – all das ist prädestiniert dazu, mich vom Weg abzubringen. Ich bin in meinem Element.

Ein Hinterhof, in dem Duzende Teppiche hängen. Schon wieder Teppiche, was haben die nur damit? In der alten Stadtmauer (die gar nicht so alt wirkt wie angepriesen) befinden sich Restaurants, und innerhalb einer Unterführung durchqueren wir einen bunten Obst- und Gemüsemarkt. Außen verdienen es die alten Jugendstilhäuser, betrachtet zu werden, und ein Stück weiter erinnert ein Blumenmarkt an die schwimmenden Tulpenmärkte in Amsterdam.

Und in einem schönen, schattigen Park, an einer erfrischenden Fontäne, die zwei Flöte spielende Kinder darstellt, quetschen wir uns alle auf eine Bank und lassen uns die kühle Wasserbrise vom Wind in die erhitzten Gesichter tragen. Die Bronzefiguren sind unvollständig, der Junge hat seine Flöte noch, dem Mädel hatte sie inzwischen jemand aus den Händen geklaut, sie spielt „Luftflöte“. Von „Luftgitarre“. Ja, der ist flach, weiß ich.

Wir sitzen und entspannen so lange, bis jemand von rechts zu schubsen beginnt. Die auf der linken schubsen zurück und irgendwann stellen wir kichernd fest, dass es an der Zeit ist, weiter zu gehen.

 

Der Dry Bridge Flohmarkt

Der Flohmarkt nahe der Dry Bridge ist Tiflis‘ inoffizielle Open-Air-Kunstgalerie. Hier findet man Skulpturen, Gemälde und Raritäten. Normalerweise. Doch als wir unsere Schritte dorthin richten, sehen wir – dass wir nichts sehen. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Aufgrund der Pandemie ist, wie es aussieht, unser Weg umsonst gewesen, die begrünte, baumschattige Fläche begrüßt uns mit Leere. Nur nicht entmutigen lassen, denken wir uns und gehen weiter. Die Grünanlage ist an sich sehr schön, blumig und friedlich, doch deswegen sind wir nicht hier.

Schließlich finden wir einige standhafte Händler, die mit ihren Ständen den pandemischen Widrigkeiten trotzen. Man muss leben, und wer vom Handel lebt, hat nur wenig Alternativen. Doch die Auswahl ist klein und von Kunsthandwerk ist nicht allzu viel zu sehen. Was wir antreffen, gleicht mehr einem Flohmarkt. Bunte, selbst gefertigte Schals flattern im Wind. Sie sind gemacht aus hauchzarter Wolle mit einer Technik, die es erlaubt, federleicht verschiedene Muster einzuarbeiten. Ich lasse mir erklären, dass die Fäden nicht gestrickt oder gehäkelt, sondern gezogen und so verwoben werden. Die Schals gefallen uns und so streunen wir eine ganze Weile um die schönen Souvenirs herum.

Des weiteren gibt es Trinkhörner in allen Größen, von handflächengroß bis mannshoch, sowie zottelige Schafsfellmützen in Weiß oder Schwarz, wie sie traditioneller Weise von georgischen Tänzern bei Folklore-Veranstaltungen getragen werden. Kunstvoll geschmiedete Schwerter und Messer lassen mich bedauern, dass ich so etwas wohl kaum ins Flugzeug mitnehmen könnte. Nicht ins Handgepäck jedenfalls, und mit solchen reisen wir. Wir sind ja schließlich nicht zum Souvenirkaufen hier.

Dann gibt es noch Skurriles, Haushaltsgegenstände, alte Bücher, Kelche. Diverses, was man erwartet – oder auch nicht erwartet. Die unvermeidlichen Stalin-Überbleibsel sind ebenfalls zu finden.

Ja, ein wenig hat sich der Ausflug doch gelohnt. Auf dem Rückweg bleiben wir im Dedaena Park hängen, sitzen auf einer Bank im Schatten und begutachten unsere erbeuteten Souvenirs. Viel gibt es heute nicht mehr zu tun und zu sehen. Wir bleiben so lange, bis uns der immer kräftiger aufkommende Wind in Böen Sand und Staub in die Augen weht. Von Tomek, der im Verlauf des Tages zu uns stoßen wollte, ist noch immer nichts zu hören.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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6 Kommentare

  1. Oh, die blaue Mosaikfassade ist wirklich wunderschön! Street Art, Jugendstil und ein Bad nehme ich auch gleich mit. Dass du die Kinder verdorben hast, fällt eindeutig in die Rubrik ‚Gute Tat‘. Denn irgendwer muss es ja schließlich tun.

    Ja, als Fotografin in einer Horde voller Nicht-Fotografen unterwegs zu sein, ist natürlich die Hölle. Vor allem für die anderen, die ständig warten müssen 😁. Nee, mal im Ernst: das ist einer der Gründe, weswegen ich in Städten am liebsten alleine unterwegs bin.

    Habe gerade gecheckt: es gibt tatsächlich Direktflüge von Berlin nach Tiflis.

    1. Nach Tiflis gehen sehr viele Flüge, allerdings wollten meine Leutchen mit einer Billigairline nach Kutaissi, und das war umständlicher. So ist es nun mal, wenn man mit einer Gruppe preisbewusster Polen unterwegs ist.

      Was das Fotografieren betrifft, da bin ich recht egoistisch, muss ich sagen. Ich denke mir: Kasia, du bist einmal im Leben hier und wer weiß, wann du wieder kommst (vermutlich gar nicht, die Welt hat noch mehr zu bieten). Da knipse ich, was das Zeug hält. Und wenn jemand wartet, öhm, ja, das ist sehr nett von ihm, knicks und vielen Dank! 🙂

  2. Dein Beitrag weckt in mir die Reiselust!

    1. Dann nix wie los… 😉

  3. Hallo Kasia,

    ich bin wieder ganz begeistert über deine Berichte. Tiflis kenne ich nur als Hauptstadt und als Suche im Kreuzworträtsel. Jetzt kann ich mir etwas darunter vorstellen. Auch über Land und Leute berichtest du. Aus deinen Berichten entnehme ich auch eine besondere Lebensart.

    Danke.

    Liebe Grüße
    Harald

    1. Hallo Harald,

      vielen Dank. Ich freue mich immer, wenn ich euch auf meine Reisen „mitnehmen“ kann. Die Georgier sind schon ein besonderes Völkchen, welches ich zwar noch nicht so gut kenne, das mir aber nach dieser Zeit dort ans Herz gewachsen ist.

      Liebe Grüße
      Kasia

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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