Kopflos springe ich ins Wasser. Zunächst versuche ich mich zu orientieren. Wo ist denn nur der Walhai? Der Guide neben mir gibt mir unter Wasser Handzeichen. Dreh dich um… Ich drehe mich um; zwei sanftmütige Augen und ein riesiges Maul schwimmen genau auf mich zu. Vor Schreck mache ich fast ein Salto im Wasser…
Den heutigen Tag verbringen wir damit, die von Einheimischen bewohnten Insel Fenfushi zu erkunden, anschließend werden wir zum Picknick in einer einsamen Bucht geladen. Nach dem geht es weiter, zu einer weiteren Attraktion, von der wir allerdings noch nichts ahnen…
Der Walhai
Die Überreste des Picknick werden zusammen gepackt und auf das Boot gekarrt und als es nach einer Weile wieder in unserer kleinen Bucht ankommt, ist es Zeit zu gehen. Keiner von uns weiß, wo es zum Schnorcheln hingeht und Stefan und ich scherzen vor uns hin, dass es wahrscheinlich die Sun Island, unsere Nachbarinsel mit ihrem Hausriff sein würde. Gespannt verfolge ich daher auf meinem Handy die Route, die das Schiff einschlägt und uns vergeht das Lachen, als es nach einer Weile tatsächlich Sun Island anvisiert…
Doch wir machen einen großen Bogen um die Sonneninsel. Wir passieren auch Maamigili und nähern uns Ariadhoo; freudig registriere ich das türkisene Wasser und die bezaubernde Bucht, kann es kaum erwarten, die Füße ins Wasser zu hängen und dann auf geht’s! Eine schöne, gemütliche Schnorchelrunde. Doch es wird nicht gemütlich.
Noch haben wir die Insel nicht erreicht, da wird es plötzlich hektisch auf dem Boot. Die Guides rufen sich aufgeregt etwas zu und zeigen aufs Wasser. „Whaleshark! Whaleshark! Get ready, get ready!“
Whaleshark? Get ready? WAS…?
Da ich das jedoch schon von der letzten Haien-Schnorcheltour kenne, stehe ich Sekunden später Gewehr bei Fuß am Rumpf des Bootes und bin bereit zu springen. Einer der jungen Guides zeigt mir die Stelle und auch ich kann nun den dunklen Rücken des großen Tieres direkt unter dem Wasser erkennen. Er ist an die fünf Meter lang. Das Boot fährt noch ein Stückchen vor. Jetzt. „Spring!“ Ruft er mir zu.
Ich schwinge meine Beine über die Kante und lasse mich fallen. Etwas ist komisch – ach ja, noch den Schnorchel in die Gosch und fertig. Unter Wasser schaue ich mich dann etwas orientierungslos um. Wo ist denn der Walhai? Der Guide macht ein Handzeichen: Hinter dir! Ich drehe mich um und erstarre vor Schreck.
Ein riesiges Maul schwimmt genau auf mich zu, ist nur noch einen halben Meter entfernt, ist gleich vor mir. So nah darf ich einem Walhai doch gar nicht sein! Ich beginne, panisch zu plantschen, versuche, dem Tier, wenn irgend möglich, aus dem Weg zu gehen. Als ich merke, dass ich es nicht schaffe, drücke ich mich nach oben – und der große, sanftmütige Riese schwebt hindurch, genau unter mir. Er hat den Augenblick genau abgepasst, ist, ohne sich sichtbar bewegt zu haben, tiefer gegangen und sein großer, grauer Rücken mit den charakteristischen, weißen Punkten schwebt genau unter mir.
Mich durchfluten Glückshormone und ich folge dem Tier. Furchtlos, ich habe jetzt keine Angst mehr, nur vor der langen Schwanzflosse nehme ich mich in Acht.
Doch der Hai ist sehr schnell, und obwohl er sich scheinbar kaum bewegt, kommt er doch auf eine Geschwindigkeit, bei der ich nicht mithalten kann. Und ich, ich unterschätze die Strömung. Vor lauter Eile und um schnell fertig zu sein, „vergesse“ ich die Schwimmflossen (ich ziehe sie nicht an, auch wenn ich es besser wissen müsste…) und merke nun, dass ich kaum voran komme. Der Guide ist längst weg, dem Hai gefolgt, der Hai ist sowieso längst weg und auch das Boot entfernt sich langsam von mir. Und ich scheine auf der Stelle zu stehen, und obwohl ich paddle wie verrückt, ist es, als hielten mich unsichtbare Gummiseile fest. Alles entfernt sich und ich werde panisch. Obwohl ich gut Luft bekomme und zu keinem Zeitpunkt auch nur in die Nähe von echter Gefahr komme, beginnen meine Lungen, hektisch zu hyperventilieren, ich verschlucke mich fast an eigenem Atem. Und bin gleichzeitig über mich selbst verärgert, fange an, mich selbst zu beruhigen. Komm, was soll das, es ist doch gar nicht nötig, so nach Luft zu schnappen… Atme langsam… langsam… ja, so. Ich merke, dass es eine blöde Idee war, vor dem Schnorcheln eine Zigarre zu qualmen. Aber wer hätte gedacht, dass uns ein Walhai über den Weg läuft?
Dann bemerken auch die anderen, dass etwas nicht in Ordnung ist und ich zurück bleibe, der Guide kommt mich holen und das Boot fährt ein Stück zurück und sammelt mich wieder ein. Glücklich klettere ich die Leiter nach oben, taumele auf dem Deck hin und her, als das Boot über die Wellen pirscht. Und kann nicht aufhören zu reden und zu lachen. Als wir wieder auf der Höhe des Walhai anhalten, bin ich mit die Erste, die ins Wasser springt.
Noch einige Male halten wir das Boot neben dem Tier und noch einige Male springe ich ins Wasser. Einmal ist sogar Stefan mit dabei und kann das Tier sehen. Immerzu schwebt der gutmütige Riese an mir vorbei und einmal bin ich genau neben ihm, schaue in sein Auge, schwimme ein Stück mit ihm zusammen, nur Zentimeter entfernt. Ich könnte die Hand ausstrecken und ihn berühren, so nah ist seine Haut. Doch das tue ich nicht. Ein wildes Tier zu berühren überschreitet für mich Grenzen; nicht meine, sondern die des Tieres. Und auch nehme ich mich vor der großen Schwanzflosse in Acht – eine Bewegung damit, ein Schlag nur kann zur Bewusstlosigkeit führen – und ohne Rettungsweste zu einem Tod durch Ertrinken. Kinder, macht es bitte nicht nach, doch ich bin nur einmal mit Schwimmweste ins Wasser gesprungen, hatte sie dann weggelassen, da ich mir mit ihr zu unbeweglich fühlte. Macht also bitte, was ich sage, nicht das, was ich selbst tue…
Irgendwann bin ich zu erschöpft, um noch einmal ins Wasser zu springen. Es ist mir gelungen, einige Aufnahmen mit der Actionpro (Achtung, unbeauftragte Werbung…) zu machen und auch die Guides haben für mich an meiner Stelle mit der Kamera gefilmt. Ich bleibe nun am Deck und verfolge den Weg des Tieres von oben, seinen nassen, glänzenden Rücken und die Schnorchler neben ihm. Irgendwann springe ich das letzte Mal ins Wasser – der Walhai taucht ab. Doch der Moment, dieser eine, erste Moment, als ich mich umdrehe und das riesige Tier frontal auf mich zukommt, dieser Moment hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen, diesen Moment werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen.
Wir kehren um, das Boot steuert wieder auf die Insel Dhiffushi zu. Es ist schon später als geplant, wir haben unsere „Schnorchelzeit“ ausgiebig überreizt. Auf dem Boot werden frische, gekühlte Obststücke verteilt. Ich kann nicht aufhören, das breite Grinsen geht mir nicht mehr aus dem Gesicht. Als ich vom Boot gehe und den Steg entlang spaziere, grinse ich. Als ich den Gehweg zu unserem Bungalow hinauf latsche, grinse ich. Als ich im kühlen, klimatisierten Zimmer vor dem Spiegel sitze, grinse ich. Ich bin braun geworden, meine Haut strahlt bronzefarben, nur die hellen Haare und die blauen Augen stechen aus meinem Gesicht. Die Insel hat ihre Spuren hinterlassen; gebräunte, gerötete Haut, gebleichtes Haar, Glück im Herzen. Als ich am Abend schlafen gehe, kann ich noch immer von nichts anderem als von meinem Hai reden.
Walhaie erreichen eine Größe von bis zu zehn Metern und sind damit die größten Fische der Welt. Sie greifen Menschen nicht an, denn die sanften Tiere ernähren sich vom Plankton und zu diesem Zweck tauchen sie vor Küsten im planktonreichen Wasser auf. Aufgrund dieser Tatsache werden vielerorts Schnorchelausflüge zu den riesigen Fischen angeboten. Doch man kann nicht direkt sagen, dass so ein Walhai komplett ungefährlich wäre, denn fühlen sich die Tiere bedroht, reicht ein Schlag mit ihrer Schwanzflosse, um einen unbedachten Schnorchler, der ihnen zu nahe gekommen ist, außer Gefecht zu setzen. Deshalb sind Schwimmwesten beim Schnorcheln mit Walhaien unbedingt Pflicht! (Wie gesagt, tut, was ich sage, tut nicht, was ich tue…). Manchmal kommen auch die Boote den Tieren viel zu nahe und es kommt zu Verletzungen am Rücken, gut sichtbar in Form von länglichen, weißen Narben. Auch unser erster Walhai, den wir vor einigen Tagen bei einer geführten Tour gesehen haben, trug so eine Narbe und wenn ich daran denke, wie nahe die Jungs damals mit ihrem Speedboot über die Rücken der Delphinschule hinweg gefegt sind, wird mir ganz anders.
Auch kommt es häufig bei dieser Art von Touren vor, dass die Tiere bedrängt werden; einige wenige Menschen kann der Walhai gekonnt ignorieren, von einer großen Horde plantschender Schnorchler umgeben zu sein kann für das Tier störend sein. In diesem Fall unterbricht er seine Nahrungsaufnahme und taucht ab. Und so schön es auch war, im Rückblick kann ich nüchtern sagen: wir hätten nach unserer Sichtung zwei Mal, eventuell drei Mal ins Wasser gehen sollen, mehr nicht. Alles, was darüber hinaus ging, war zu viel und irgendwann tauchte der Walhai dann auch ab.