Asien, Georgien

Die Höhlenstadt Wardsia

Die historische „Stadt im Felshang“ liegt im Süden Georgiens, in der Region Dschawachetien. Sie wurde im Berghang des Berges Eruscheti im 12 Jahrhundert erbaut, vor allem mit dem Gedanken, ihre Bewohner vor den immerwährenden Angriffen der Osmanen zu schützen.

Um hinzukommen, ist eine längere Autofahrt von Nöten. Rund anderthalb Stunden dauert der kurvige Weg an Berglandschaften und Schluchten vorbei. Wir passieren Burgen, kleine Orte und Felsen, die sich mit unglaublicher Vielfalt an unserem Auge vorbei schieben. Massive Felshänge, steil aufragende Wände, Farben von gelb zu rötlich. Die Landschaft zieht uns in ihren Bahn, so sehr, dass immer mal wieder um eine Fotopause gebeten wird. Sehr zum Verdruss von Tomek, der kein Freund von zu viel Knipserei zu sein scheint. Doch mein Onkel und ich sind schmerzbefreit und so springen wir immer mal wieder begeistert aus dem Fahrzeug.

„Es ist hier wie in Arizona!“ Höre ich immer wieder. Na, vielleicht nicht ganz dasselbe, doch die Felslandschaft ist imposant. Ein großer Teil der Strecke führt uns entlang des glitzernden Wassers des Flusses Kura. Das saftige Grün der Landschaft leuchtet elektrisierend, die sonnengeflutete Atmosphäre selbst scheint zu glitzern. Eine Burg fliegt vorbei. Und da, die obligatorischen Kühe auf der Fahrbahn, die ein Fahrzeug mit gelangweilter Gleichgültigkeit zum Anhalten zwingen. Manchmal öffnen sich die sanften, runden Hügel rechts von uns, um uns einen Blick auf das Flusstal mit seinem schimmernden, hellblauen Wasser zu gewähren. Und ebenso schnell schließt sich dieser Anblick wieder, noch eher man zucken kann. Doch die Augen sind überall, hängen sich auf an Hügeln, fliegen über die Landschaft. Der hungrige Geist bekommt ständig Futter.

Schwerfällige LKWs werden überholt, auf ähnlich waghalsige Weise wie die Einheimischen es tun. Wir lernen schließlich von den besten, nicht wahr? Und keinen einzigen Moment lang habe ich Sorge, dass uns einer der anderen Verkehrsteilnehmer auflaufen lässt, immer ist irgendwo ein freies Plätzchen, in das man sich beim Einscheren schieben kann (oder es wird eines gemacht…). Ein soziales Miteinander macht vieles möglich, das hier undenkbar wäre.

Und dann, nach ganz vielen Fotos und noch mehr Schnappatmung, sehe ich ihn, den kreidebleichen Berghang, gelöchert wie Schweizer Käse. Da ist sie, die Höhlenstadt, mit vielen schwarzen „Löchern“, die in Wahrheit Eingänge sind.

Oder nein, auch das stimmt nicht so wirklich. Denn dieser Teil der Stadt ist nicht vollständig. Denn bei ihrer Gründung war die gesamte Anlage im Berg verborgen, der Hang unterschied sich nicht sehr von den umliegenden Hügeln. So konnten sich die Menschen gut gegen Angriffe wehren und auch unbemerkt in ihre Domizile verschwinden. Die Bemühungen der Osmanen gingen sozusagen ins Leere. Doch dann, eines schicksalhaften Tages gab es einen Erdrutsch und der halbe Hang verschwand in der Tiefe. Plötzlich war die mehr oder weniger geheime Stadt dem Tageslicht und dem Feind preisgegeben. Nun, so viel sei gesagt, es nahm kein rühmliches Ende.

Die Temperaturen sind auf dem Höchststand, als wir aus dem Auto steigen. Feine Schweißperlen benetzen die Gesichter und die Anzeige klettert irgendwo in Richtung vierzig Grad. Ein steiler, nicht allzu langer Weg führt vom Parkplatz hinauf nach Wardsia. Zu Fuß oder die paar Kröten für die touristische Bimmelbahn ausgeben, das ist hier die Frage. Nein, es geht nicht um die paar Kröten, doch nach der langen Autofahrt habe ich Lust zu gehen. Der Sohn der Familie jedoch, obwohl zahlenmäßig absolut unterlegen, erweist sich als begnadetes Argumentationstalent (habe ich erwähnt, dass der Junge Jurist werden will?) und setzt sich schließlich durch. Also die Bimmelbahn. Köpfewackelnd tucken wir die dreihundert Meter hinauf.

 

Wardsia

Der georgische König Giorgi III erbaute seinerzeit im 12 Jahrhundert die Stadt. Geplant war sie als schützende Befestigung gegen Invasionen von Türken und Persern. Ganze Gefolge lebten in Zeiten türkischer Angriffe innerhalb der dunklen, kühlen Gänge, die Schutz und Zuflucht boten. In eine 500 Meter hohe Felswand wurden die Gänge und Räume gehauen, sie erstreckten sich auf bis zu sieben Stockwerken. Rund 3000 Wohnungen boten Platz für ca. 50.000 Menschen. Es gab eine Kirche, eine Bibliothek, Bäcker, Ställe, genügend Platz für Weinurnen. Keramikleitungen sorgten für die Wasserversorgung. Alles in allem ziemlich modern, wie man sieht.

Wie bereits angedeutet, machte ein Erdbeben im 13 Jahrhundert der Stadt den Garaus. Erhalten haben sich 900 Quadratmeter mit 750 Räumen. Die Kirche Maria Himmelfahrt ist mit ihren Fresken eine der schönsten Attraktionen. Bewacht wird sie von einem mürrisch dreinschauenden Priester, der mit Argusaugen darauf achtet, ob die Damen ja ihre Kopftücher angezogen haben.

Die kurze Strecke mit der Bimmelbahn bewahrt uns trotz allem nicht davor, die restlichen Meter schnaufend zur Fuß hinauf zu gehen. Schnell bin ich an der Jugend vorbei gesprintet und gehe munter vorneweg – die vielen Wanderungen in den deutschen Berglein zahlen sich jetzt aus. Die Höhlenwohnungen sind begehbar und die Gänge außen am Hang mit Eisentreppen und Geländern gesichert. Je höher wir aufsteigen, umso schöner wird der Ausblick auf Tal und Fluss; und die mürrischen Teenager im Hintergrund. Die Sonne ist dabei, uns zu grillen. Wahrlich nicht das perfekte Wetter zum Treppensteigen. Das Klima sei hier viel heißer, erklärt Tomek; achtet darauf, dann könnt ihr größere Eidechsen und vielleicht kleine Schildkröten abseits des Weges entdecken.

Es ist angenehm kühl, als wir endlich in die endlosen Gänge und Räume eintauchen. Schmale Treppen führen nach oben, nach unten, immer vorwärts in gebückter Haltung, um nicht den Kopf anzustoßen. Nach der Besichtigung der kleinen Freskenkirche lasse ich mein obligatorisches Kopftuch an; es schützt und sorgt für ein angenehmes (Kopf)klima. Ich bin mit Tomek irgendwo ganz vorne, die anderen haben wir weit hinter uns gelassen. Die hoch und höher führende Treppe endet in einem Geländer mit Ausblick auf das Tal. Eine Weile genießen wir den Ausblick, warten, bis die anderen endlich schnaufend zu uns aufgeschlossen sind. Dann stampfen wir weiter.

An einem mit einem Gittertor versperrten Ausgang bleiben wir stehen. Das Tor lässt sich öffnen, doch Tomek hat da eine Idee. Sorgfältig verschließt er den Ausgang wieder. Als die Familie mit Onkel und der Jugend zu uns aufgeschlossen haben, machen wir sorgenvolle Gesichter. Tomek sagt: „Da geht es nicht weiter. Wir müssen umdrehen.“ Ich lege mein Gesicht in noch sorgenvollere Falten. Mein Onkel sagt sofort: „Alles klar!“ Und ist dabei, umzukehren. Nur der Sohn der Familie bleibt skeptisch. Stirnrunzelnd läuft er an uns vorbei zum Tor, probiert aus und… verdammt. Wir beide lachen. Immer diese vorschnellen Jugendlichen. Es hätte so ein schöner Scherz werden können.

Wieder unten angekommen schlendern wir langsam zurück, an Weinhängen vorbei. Es ist hier wie an der Mosel, wage ich einzuwerfen, doch das sagt meinen polnischen Mitreisenden nicht viel. (Wie, das schöne Moseltal kennt ihr nicht?) Und obwohl ich fleißig in alle Ecken spähe, kann ich weder Eidechsen noch Schildkröten oder ähnliches Getier entdecken.

Am aquamarinfarbenem Flussufer lassen wir es uns mit je einem kühlen Bierchen gut gehen. Meinen georgischen Favoriten, das „Kayak“-Bier, habe ich bereits irgendwo erwähnt. Probiert dieses Bier, wenn ihr vor Ort seid, ihr werdet nicht enttäuscht werden.

Ein Tisch am Fluss im kühlen Schatten. So schön kann das Leben sein.

Schließlich fahren wir zurück nach Achalziche, zu unserem Hotel, aus dem wir eigentlich heute Mittag ausgecheckt haben, und bestellen uns ein üppiges Mittagessen. Den Wirt freut’s.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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10 Kommentare

  1. Die Felsenlandschaft und die Höhlenstadt bzw. das was davon noch übrig ist, sehen toll aus! Das hätte mir auch gefallen. Einschließlich des Abschluss-Bierchens 😎.

    1. Ein spannender, historischer Ort. Gehört zu einer Georgienreise einfach dazu. Kann ich nur empfehlen. Das Bierchen auch 🙂

  2. Vielen Dank für das teilen dieser Informationen und die schöne Fotos Kasia. Die Höhlen sind ganz besonders.

    1. Richtig, ein ganz besonderer Ort. Von solch schönen Orten gibt es noch viel mehr in Georgien…

  3. Ein einmaliger und spannender Ort! Danke fürs Mitnehmen!

    1. Eine Sehenswürdigkeit, die man in Georgien unbedingt sehen sollte 😉

  4. Das sieht ja sehr interessant aus!
    Und mit Weinkeller. Perfekt für eine Belagerung 😁

    1. Und für den Lockdown…;-)

  5. Diese Stadt zu besuchen war bestimmt ein besonderes Erlebnis. Man muss ich vorstellen, wie die Leute früher hier gelebt haben und wie beschwerlich ihr Leben war. Wenn man auf heute blickt scheint die Geschichte stehen geblieben. Auch heute müssen Leute Schutz vor den Kriegern die ohne Grund ein Land überfallen. Einfach schrecklich und Schrecken und Tod bringen.
    Liebe Grüße
    Harald.

    1. Ich dachte eigentlich, Kriege sind sowas obsoletes, wir seien doch klüger. Ja wirklich, das habe ich gedacht. Aber so sehr unterscheiden wir uns nicht zu damals, Immerhin wird der Krieg von aller Welt verurteilt und nicht als gegeben hingenommen.
      Die Felsenstadt war sehr interessant, kann ich empfehlen 🙂

      Lg Kasia

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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