Das wird nichts mehr mit Boboli Garden. Vom Rosengarten führt uns ein Pfad hinunter und an die Ufer des Arno. Ein nettes, kleines Lokal stillt den ersten, aufkommenden Hunger und ein erster Regenschauer macht sich bemerkbar und scheucht die Gäste ins Innere des Ristorante.
Hier, außerhalb der Altstadt, gehen vor allem die Locals spazieren. Touristen sieht man nur wenige – vielleicht ist es der Jahreszeit, vielleicht auch Corona geschuldet, wer weiß das so genau. Hier ist es ruhig und abseits von allem, es prangen noch Graffiti an den Wänden und kleine Kunstgalerien liegen versteckt in den Seitengassen. Fast schon fehl am Platze komme ich mir vor mit der Riesenkamera um meinen Hals. Wir nehmen uns vor, zurück zu kehren, liebäugeln kurz mit einem der süßen, kleinen Lokale und wenden unsere Schritte zum Ufer des Arno. Hier ist es wieder voller, denn die Besucher wollen in erster Linie die Innenstadt von Florenz sehen und einmal über die Ponte Vecchio laufen.
In Florenz trägt man Masken. Ja, auch auf der Straße. Nein, verpflichtend ist es nicht, und doch sehe ich viele Menschen mit Mundschutz, zu einer Zeit, wo bei uns wegen Maskenpflicht in den Geschäften protestiert wird. Tja, die Italiener sind schlauer als wir. Auch ich ziehe meine Maske an, denn an der Brücke wird es voll.
Noch wandert die schwache Sonne lustlos über die Oberfläche des Arno und lässt das Wasser in seltsamen, trüben Aquamarin leuchten. Faule Tauben hocken mürrisch auf der niedrigen Mauer. Es ist ein Wechsel zwischen windig, warm und kalt. Die grünen Ufer werden getrimmt, ein Mitarbeiter der städtischen Firma fährt mit seinem Gerät auf und ab und schneitet Spazierwege in den meterhohen Schilf. Verheißungsvoll leuchten die Häuser der Stadt und ich freue mich, sie wiederzusehen.
Die Ponte Vecchio
Die Ponte Vecchio, die berühmte alte Brücke mit den malerischen Häusern versehen. Unter den Arkaden befinden sich Juweliergeschäfte. Das war früher anders, denn die älteste Arno-Brücke von Florenz, die 1335 – 1345 nach einer Überschwemmung anstelle einer Holzbrücke errichtet wurde, beherbergte die Unterkünfte von Schlachtern und Gerbern. Und da beide ihre Schlacht- und Gerbereiabfälle einfach in den Arno kippten, hatte dies einen furchtbaren Gestank zufolge. Auf Dekret von Cosimo I de Medici, des Großherzogs der Toskana, wurden die Schlachter und Gerbereien an den Rand der Stadt verbannt und durch Goldschmiede ersetzt. Der Gestank war weg.
Über die Brücke laufen tagtäglich unzählige Menschen, die in die Altstadt wollen. Sogar eine Wohnung befindet sich in einem der Häuser, bewohnt, mit einem schmucken Balkon zum Arno hin.
Tagsüber kommen Neugierige und Kaufgierige vorbei und abends, wenn die Juweliere schließen, wenn die schweren Läden, Tore und Schlösser zuklappen und den unrechtmäßigen Zugriff verwehren und die Brücke leer und wie verwandelt aussieht, dann kommt das Nachtleben. Nachtleben in Form von Straßenkünstlern, Musikern und Schaulustigen, die die Alte Brücke zu ihrer ganz persönlichen Showbühne machen. Dann füllt sich der leere Raum und es ist voller denn je. Menschen drängen sich dicht an dicht, während Gitarristen mitten auf dem Weg ihr Repertoire ausbreiten. Klänge der Musik erfüllen die Luft. Hin und wieder sieht ein Polizist nach dem Rechten. Ein heißer Sommerabend, an dem der Wind Abkühlung bringt und die Kleider der Mädchen zum Flattern bringt.
So war es damals, im Jahr 2013, als ich mit meiner Freundin hier war.
Nun versuche ich, ein wenig von diesem sommerlichen Zauber wiederzufinden, an diesem kühlen, ungastlichen Oktobertag. Der Trubel ist wie eh und je, doch keine Straßenkünstler sind zu sehen. Corona hat vieles verändert. Wir halten Abstand und tragen Mundschutz.
Wir holen uns Eis. Es sieht sehr lecker und einladend aus, wie es in der Vitrine in verschiedenen Farben lockt, doch es schmeckt seltsam mehlig und kostet ein kleines Vermögen. Nein, wirklich, holt euch kein Eis an der Ponte Vecchio. Es gibt in Florenz weitaus bessere Stellen…
Piazza della Signoira
Wir verlassen die Ponte Vecchio und gelangen zur Piazza della Signoira. Schwarze Händler mit Büchern unter dem Arm und „echten, afrikanischen Romanen“ oder wahlweise „echter, afrikanischer Kunst“ hoffen darauf, etwas verkaufen zu können und pilgern von Tourist zu Tourist. Am ersten Abend, als ich hier war, spielte unter den Arkaden zwischen all den Skulpturen ein Orchester, einfach so. Es war ein warmer Sommerabend, erfüllt mit Musik. Ich erzähle Stefan davon, versuche, zu beschreiben, wie es damals war, während kalter Wind über die Piazza streicht. Das Florenz von heute kommt nicht im Ansatz an das Florenz von vor sieben Jahren heran, doch ihm gefällt es dennoch. Die vielen Skulpturen faszinieren ihn, ebenso wie der Neptunbrunnen. Auch dieser soll seine Rolle in einem der Dante-Filme gespielt haben. Das Inferno, oder so ähnlich. Wenn ich nicht völlig verkehrt liege.
Die Wege in Florenz sind selbsterklärend. Man findet intuitiv ins Zentrum, sowie die sprichwörtlichen Wege immerzu nach Rom füllen. Hier ist das Zentrum der Dom mit zugehörigem Domplatz. Und wieder einmal bin ich beeindruckt.
Der Dom von Florenz
Und wieder einmal bin ich beeindruckt von dem Bauwerk, das unvermittelt aus der kleinen Gasse zwischen den Häusern auftauchte, imposant wie immer. Und während ich noch heimlich ein Graffito an der Hauswand knipse, staunt Stefan. Eine Zeit lang sitzen wir auf einer Bank vor der Wand aus weißem und grünem Marmor.
Schon die Planung sah eine Kirche vor, wie die Welt sie noch nie gesehen hatte. Nach den Plänen von Arnolfo di Cambio entschloss man sich 1296 zum Bau. Die Kathedrale Santa Maria del Fiore ist mit dreifarbigem Marmor verkleidet worden. Die Kuppel an sich wiegt allein schon 37000 Tonnen, und Aufzeichnungen nach sollen bereits nach der Fertigstellung zahlreiche Haarrissen aufgetreten worden sein. Die sind inzwischen zahlreich geworden, über 1500 hatte man bisher gezählt.
Ein kalter Wind kommt auf. Der Himmel hatte sich längst wieder zugezogen und wir warten auf den Nieselregen. Ich seufze. Florenz bei Nieselwetter ist einfach nix. Nicht das, was ich aus meiner Erinnerung heraus kenne. Fast bin ich versucht, mich für die hochtrabenden Versprechen zu entschuldigen, doch Stefan ist weiterhin begeistert. „Ich will da rein.“ Sagt er.
Die Gelegenheit ist günstig, denn niemand steht an. Im Sommer 2012 reichte die Schlange wartender zwei Straßen weiter, stundenlanges Anstehen angesagt. Das Ergebnis war enttäuschend, der Dom hat mich nicht beeindruckt. Bis auf die bemalte Kuppel von Brunelleschi, die die Höllenquallen Dantes zeigt; die jedoch so weit oben ist, dass man trotz eines schmerzenden Nackens nicht viel erkennen kann. Außer man steigt über einen separaten Eingang in die Kuppel hinein. „Geh ruhig, Schatz.“ Sage ich. Ich warte draußen.
Schlendernd drehe ich ein paar Runden über den Platz. Knipse hier und da ein paar Fotos. Dann sehe ich den charakteristischen Pulli den düsteren Eingang verlassen. Stefan ist wieder da. Die Begeisterung meines Liebsten reist nicht ab. „Die Dimensionen im Innern sind erstaunlich. Das ist die größte, freistehende Kuppel, die ich je gesehen habe.“ Sagt er. Die Kathedrale ist die viertgrößte der Erde, ihre Kuppel war über 437 Jahre die größte der Welt. Sie ragt über 107 Meter in die Höhe. Diese Tatsache erstaunt noch heute. Erst im 19 Jahrhundert wurde eine noch größere Kuppel in einer Fabrikhalle in Wien errichtet. Doch wo bleibt die gute, alte Handarbeit?
Weiter schlendern wir durch die Stadt. Inzwischen lässt sogar die Sonne wieder grüßen. Warum konnte es nicht einer dieser schönen, sonnigen Herbsttage sein, denke ich mir. However, man muss für das dankbar sein, was man erhält. Sentimental denke ich an die Zeit vor acht Jahren, als uns einer der Locals einen ganz besonderen Brunnen zeigte. Im Zentrum von Florenz, versteckt in einer der vielen Gassen. Niemals hätte ich diesen Ort alleine gefunden, und doch waren viele Menschen hier. Nina und ich werfen je eine Münze in den Brunnen. „Wenn du eine Münze hinein wirfst“, sagt Beppe, unser Führer auf Zeit, „wirst du nach Florenz zurückkehren.“
Florenz, ich bin wieder da. Und ich habe jemanden mitgebracht. Jemanden, der sich ebenso in dich verlieben kann wie ich.
Nur lass die verdammte Sonne scheinen.
Der Ledermarkt am San Lorenzo
Hier machen wir Rast. Von der hohen Treppe aus haben wir alles um uns herum im Blick. Normalerweise findet hier an mehreren Tagen in der Woche ein Ledermarkt statt, doch nun beschränkt sich die Lederauswahl auf mehrere Geschäfte, die sich am Platz rundherum angesiedelt hatten.
Der Mercato Zentrale in Florenz, auch Mercato San Lorenzo, nach der gleichnamigen Kirche, um die sich der Ledermarkt gruppiert, ist eigentlich als Lebensmittelmarkt entstanden. Der eigentliche Lebensmittelmarkt befindet sich ein Stück weiter in einer überdachten Halle.
Die Basilika selbst steht im Zentrum des Platzes, umgeben vom Trubel der Stadt. Normalerweise, wenn die Marktstände aufgebaut sind und Touristen schicke Lederwaren mit nach Hause nehmen (oder sich übers Ohr hauen lassen, je nach Händler…), schieben sich Massen an Menschen um und an der Kirche vorbei. Heute scheint alles zu schlafen. Kein einziger Stand bietet seine Waren feil, und nur wenige Menschen lassen sich hier blicken.
Was die Lederprodukte an sich betrifft, so sollte man vorsichtig sein, denn längst wurden die traditionellen Waren teilweise von billiger Massenproduktion abgelöst. Einfach mal genauer hinschauen und am Produkt riechen – nicht alles, wo Leder drauf steht, ist auch Leder. Schade, denn die Art „neuer Händler“ vermischt sich, wie schon bei der Spitzenherstellung auf Burano, mit den traditionell eingesessenen Händlern und macht ihnen das Geschäft schwer.
Der Gitarrist
Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn noch sehe, und doch habe ich unwillkürlich nach der Musik gelauscht. Vor Jahren schon, im Jahr 2012, hatte er meiner Freundin und mir die Zeit in Florenz an der Piazza della Signoria die Abende mit Musik verschönert. Damals, in der Wärme des vergehenden Tages, saßen die Menschen gruppenweise, manche mit Bier in der Hand, einfach da, wo sie waren, auf dem Boden der Piazza, und lauschten seinen Gitarrenklängen.
Diesmal hat Herr Tomasz seinen Standort verlagert – an der Piazza della Republica finden wir ihn wieder. Spielend.
Ich nehme mir die Zeit und, während er eine Pause macht, verwickle ich ihn in ein Gespräch. Ich erzähle ihm von den zwei Mädels, die vor acht Jahren zwei Wochen lang fast jeden Abend kamen und lauschten. Er freue sich immer, auch nach Jahren erkannt zu werden, erklärt er mir und erzählt von einer Frau, die ihn nach dreißig Jahren wiedererkannte, obwohl sie damals noch ein kleines Mädchen war. „Es war, als ich noch in Polen spielte.“ Sagt Herr Tomasz. Herr Tomasz ist Pole. Er macht, seit er denken kann, Musik.
Ich will mehr erfahren über das Vagabundenleben und darüber, wie er in Coronazeiten damit umgeht. Die Touristen, sagt er, bleiben weg und das Geschäft stagniert. Früher sei es an solchen Orten einfach gewesen, sich ein gutes Einkommen zu verdienen, doch Corona trieb ihn weg aus Florenz. Er sei inzwischen schon in anderen Ländern Europas gewesen, ja, sogar in Heidelberg und in Stuttgart habe er mehrere Monate gewohnt.
„Wenn es so weiter geht, werde ich mir etwas Seriöses für meine weitere Lebensplanung suchen müssen.“ Sagt er schmunzelnd und meint es bitterernst. „Das Herumvagabundieren wird nicht mehr so weiter gehen wie bisher…“
wie immer schöner informativer Beitrag und die Brücke auf dem 1. Foto hat es mir angetan. Die ist ja ein tolles Motiv zum fotografieren und krass das auf der Brücke Häuser stehen bzw. gebaut wurden und teilweise auf den Sockel der Brücke ! Meisterkunst der Architektur !!! VG Manni
Lieber Manni, vielen Dank! Die Brücke ist beeindruckend, immer wieder ein tolles Motiv. Etwas ähnliches kann man in Bad Kreuznach in der Pfalz bewundern: die Brückenhäuser von Bad Kreuznach 🙂
Lg Kasia