Alles ist nur halb so farbig. Farblos, besser ausgedrückt. Anders. Trüb. Das Wetter ist nicht wie auf Sizilien. Die Sonne scheint nicht wie auf Sizilien. Die Landschaft ist nicht wie auf Sizilien. Und das Eis hier – das Eis schmeckt bei weitem nicht wie auf Sizilien!
Nichts ist hier wie auf Sizilien.
Langsam gehe ich noch ein letztes Mal durch die sonnigen Räume. Die Koffer liegen schon gepackt auf dem Bett, das Zimmer ist aufgeräumt, keine Überbleibsel von uns sind mehr zu sehen. Ich öffne die Balkontür, schaue herunter. Streife durch den Flur, der farbenfrohe Bilder an seinen Wänden trägt. Bin im Frühstücksraum. Vielleicht das letzte Mal.
Sogar das Gebell des kleinen, weißen Hundes klingt heute anders; sehnsüchtiger irgendwie.
Stefanias Vater kommt vorbei, will nach uns schauen. Er bittet uns um Entschuldigung dafür, dass er bis dato so wenig Zeit für uns hatte. Doch die Vorbereitungen für die Hochzeit hatte ihn sehr in Anspruch genommen, das verstehen wir doch. Eine Entschuldigung ist nicht notwendig.
Wir sitzen da, unterhalten uns. Er fragt uns, was wir uns auf der Insel angeschaut haben. Was uns am besten gefallen hat an seiner Heimat Sizilien. Wir erzählen.
„Wisst ihr“ – Sagt er uns – „ich bin so oft hier in der Heimat, doch all diese Orte habe ich selbst noch nie gesehen. Ich war noch nie auf dem Ätna und auch nicht am San Vito lo Capo.“ Er ist kurz still. Dann erzählt er uns, es sei in seiner Jugend sein Traum gewesen, die Insel mit einem Motorrad zu erkunden. Doch dazu sei es nie gekommen. „Ich habe meine Frau kennengelernt, geheiratet, Kinder bekommen…“ Er wird nachdenklich. „Ich habe immer sehr viel und sehr hart gearbeitet, um meiner Familie alles bieten zu können. Ich wollte meinem Mädchen die schönste Hochzeit möglich machen.“
Und sein Traum von der Erkundung der Insel? Er scheint seinen Frieden damit geschlossen zu haben. Er will ein guter Ehemann sein, seinen Kindern ein guter Vater sein, das sei ihm am wichtigsten. „Es ist schon okay so.“ Sagt er.
Während ich weiter packe, nimmt Stefanias Vater Jimmy* unter seine Fittiche und die beiden gehen spazieren. Ein Männergespräch führen. Etwa eine Stunde bleiben sie weg.
Später verabschiedet sich Giuseppe* und fährt zurück nach Hause. Unser Gastgeber Franco lässt sich zu ein paar gemeinsamen Bildern auf der großen, breiten Treppe überreden, inmitten von Vasen und italienischem Hausschmuck. Die Italiener haben einen farbenfrohen, lebendigen und manchmal auslandenden Einrichtungsgeschmack, das ist mir bereits bei Stefanias Eltern zu Hause aufgefallen. Wandgemälde, große Standvasen, Stuck und marmorierte Wände; genauso sieht es auch hier, in unserem Zuhause auf Zeit aus.
Apropos Zeit, diese läuft für uns leider ab, zumindest was unseren Aufenthalt hier auf der Insel betrifft. Auf dem Weg zum Flughafen lasse ich nochmal die Landschaft an mir vorbei ziehen. Wir bleiben kurz an jedem der prägnantesten Stellen rund um Raffadali stehen, damit ich meine Bilder machen kann: An der mit Eisen beschlagenen Brücke, die parallel zur Straße verläuft und die niemand zu nutzen scheint; an der Casa Cantoniera, die ein baufälliges Überbleibsel des amtlichen Gebäudes ist, das sie einmal war und an der wir jeden Tag vorbei fuhren, als wir uns auf zu unseren Tagesausflügen machten; die Tore, die, auch wenn abgeschlossen, doch ins nirgendwo zu führen scheinen und schließlich die stellenweise auftretenden Ruinen ehemaliger Häuschen, die, da unter Naturschutz stehend, nicht abgerissen werden dürfen.
Am Flughafen in Catania bleibt uns eine Stunde Wartezeit. Mir fallen Reisende auf, die ihre Koffer mit blauer Folie umwickelt haben, vom Prinzip her ähnlich unserer Frischhaltefolie, die wir für Lebensmittel verwenden. Zunächst wundere ich mich bloß, doch als immer mehr solche Koffer auftauchen, beschließe ich, der Sache auf den Grund zu gehen. Und sehe da, das Ganze hat System, denn es gibt am Flughafen sogar Automaten, an denen man gegen ein Entgelt eine solche „Frischhaltefolie“ für sein Gepäck beziehen kann. Und langsam dämmert es mir, wozu die ganze Übung eigentlich gut sein soll: Anscheinend handelt es sich bei den Gerüchten, die sich um Sizilien und die Kriminalität ranken, doch nicht nur um schlechte Propaganda, denn das, was wir da sehen, ist ganz offensichtlich eine Sicherheitsmaßnahme, die verhindern soll, dass die Koffer geöffnet und durchsucht werden.
„Was hatte denn eigentlich Stefanias Vater draußen zu dir gesagt, als ihr euch unterhalten habt?“ Frage ich Jimmy*, als wir bereits hoch oben über den Wolken sind.
„Ach, er hat mir einige Dinge über die Ehe erzählt.“ Antwortet er. „Und über die Mafia.“
Ich bin gespannt und spitze die Ohren.
„Und? Wie ist es denn nun? Gibt es die Mafia denn auf Sizilien oder gibt es sie nicht?“
Jimmy* bleibt ernst. „Das darf ich nicht erzählen. Er sagt, darüber spricht man besser nicht…“
Frankfurt, einige Zeit später…
Bereits als wir in Frankfurt am Main aus dem Flieger steigen, rümpfe ich die Nase: Draußen begrüßen uns Wolken und Nieselregen. Und Kälte – nach der sengenden Hitze der Insel fühle ich mich wie am Fuße der Arktis. Langsam, jedoch stetig soll sich das Wetter in den nächsten Tagen bessern, doch das vermag mich nicht zu trösten.
So jammere ich in den darauffolgenden Wochen nach meiner Rückkehr Freunden und Bekannten und allen, die es hören oder nicht hören wollen, die Ohren voll. Sizilien, ach was war das für ein Traum! Dort sind die Straßen kurviger, die Brücken windiger, die Wälder, falls es welche gab, nicht so grün wie hier…! Alles war anders.
Im Schwimmbecken in der Wasserwelt Mirarmar mit meiner Freundin fühle ich mich wie gefangen in einem Fake. Dieser billiger Abklatsch eines warmen Meeres will mir nicht gefallen. Wo bleibt denn der Strand? Keine Sonne da… Und das Wasser, das Wasser ist nicht salzig! Wo bleibt das gute Eis? Nein, ich meine, das richtig gute Eis…
Ach, ich will nach Sizilien…
* Namen geändert
Das war: Sizilien, August 2010