Europa, Italien

6. Von Cavallino nach Assisi

Heute Morgen, Tag der Weiterreise. Noch ein letzter, sehnsuchtsvoller Blick aufs Wasser. Die Wolken türmen sich dramatisch über der stürmischen See auf. „Die Wolken, gigantisch!“ Ruft mir noch der Nachbar vom Campingwagen gegenüber zu, ehe er auf sein kleines Fahrrad steigt, und ich gehe mal schauen, was an den Wolken so gigantisch ist.

Nun, vielleicht ist es der nahende Sturm, der dem spärlichen, gerade mal durchdringenden Sonnenschein etwas so Mystisches verleiht. Das Licht ist besonders, anders und kaum jemand geht heute spazieren. Der Sand ist noch beinahe jungfräulich und nicht von den Schritten anderer besudelt.

 

Doch da – in den Fluten sehe ich die auf und ab wippenden Köpfe zweier Badender, jener Irrer, die bei jedem Wetter und ob es schneit oder stürmt, in das kalte Wasser steigen und ihre Runden drehen. Selbst den Möwen, die sich immerzu in luftige Höhen erheben, ist es diesmal zu kalt zum Fliegen. Sie kauern mürrisch im Sand.

Die Wellen sind heute alles andere als zurückhaltend. Sorgsam halte ich mich von den ausladenden, nassen Spuren fern.

Ansonsten steht alles im Zeichen vom Aufbruch. Der Wohnwagen wird ausgekehrt, alles entkabelt und zusammengerollt, die Markise eingezogen, Krimskrams verstaut und Schränke gut verschlossen. Die Heidelberger Nachbarn zu unserer Rechten müssen gestern Abend schon aufgebrochen sein, denn ihr Platz ist leer und verweist und ein Rasensprenger benetzt die kahle Erde, um ihr vielleicht doch noch ein paar Halme grünen Grasses zu entlocken.

Die alte Dame aus Berlin zu unserer Linken drückt uns mit den besten Wünschen für die Reise je zwei Mon Cherie in die Hand; damit hat sie selbst den mürrischen Stefan einigermaßen ausgesöhnt. Es ist eine kleine Community, die da beim Campen entsteht. Die Camper grüßen sich, ähnlich den Motorradfahrern, wenn sie sich auf der Straße begegnen. Das war uns beiden neu.

Unsere Strecke nach Assisi führt uns an Chioggia und Ravenna vorbei, wo rund um die venezianische Lagune ausgedehnte Naturschutzgebiete liegen. Wasserflächen und kleinste Inselchen bieten den Wasservögeln und anderen Tieren Lebensraum. Wir fahren fast nur entlang der Küste und ich habe mir viel von der Strecke erhofft, doch es war nicht idyllisch und naturnahe wie angenommen.

„Lass mal Landstraße fahren.“ Habe ich gesagt. „Lass mal etwas von der Landschaft sehen.“ Habe ich gesagt…

Vor uns erstreckt sich plattes Land. Heruntergekommene Häuser, Felder, Farbiken und Magazine wechseln sich mit angerosteten Werbetafeln ab und diesmal  versuche ich vergeblich, zwischen dem Geruch von Farbe und schlechten Straßen, ein wenig Schönheit zu finden. Bella Italia, heißt es doch immerzu, doch hier in diesem Eck ist nichts „Bella“. Alles verschwimmt zu einer großen, grauen Trostlosigkeit. Der Regen verstärkt diesen Eindruck noch.

„Das hier muss die Po-Ebene sein.“ Sagt Stefan und ich pruste los. Ja, es ist der Po-Fluss, zu dem das Delta hier gehört und sich in platten Flächen bemerkbar macht. Nicht witzig. Na, vielleicht doch…

„Die Italiener gehen sonntags alle essen.“ Folgert er weiter. „Vor jedem Restaurant sind die Parkplätze voll.“ Ach ja, seltsam, antworte ich; die Polen gehen stattdessen Sonntags in die Kirche und die Deutschen bleiben am besten gleich auf der Couch…

Nichts hält mich davon ab, in den hinteren Teil des Wohnmobils zu wandern und auf unserer „Couch“ die Augen zu schließen. Und das erweist sich als eine gute Idee, denn als ich sie wieder öffne, fahren wir durch eine, zugegeben regennasse, doch irgendwie verwunschene Berglandschaft. Stefan zwängt das Wohnmobil in einen engen Baustellenbereich. Es gießt wie aus kübeln, weiße Schleierwolken haben sich in den satten, grünen Hängen verfangen. Wir sind auf der Höhe von San Marino.

Einige Regenschauer später erreichen wir Perugia. Assisi erhebt sich wie ein angeklebtes Schwalbennest über uns am Berg. Der Campingplatz Green Village (unbeauftragte Werbung…) liegt in einigen Kilometern entfernt, doch es verkehren mehrmals täglich Shuttlebusse hoch in die Stadt. Fasziniert schaue ich zu der Festung und der Basilika hoch. Schon als Teenager fiel mir ein Buch über den heiligen Franz von Assisi in die Hände, der, zunächst wohlhabender Lebemann, sich von weltlichen Vergnügungen abwandte, um den Armen zu dienen.

Morgen werden wir uns auf seine Spuren begeben, doch heute parken wir unser Domizil und verlassen es für die folgenden Stunden nicht mehr. Die Temperaturanzeige steht auf zwölf Grad und fällt weiter, Regen trommelt aufs Dach. Wir sitzen da und lesen, während es draußen dunkel wird und ich trotz Heizung langsam Eiszapfen an den Füßen hängen habe.

„Du, wollen wir uns aus dem Chianti auf dem Herd Glühwein machen?“ Frage ich Stefan, während die Heizung läuft und es sich anhört, als würde ein Düsenjet starten. Der guckt mich entgeistert an. „Das geht?“

Dann sitzen wir wieder schweigend da. Ich habe den Chianti noch nicht auf den Herd gestellt, doch der Gedanke wird immer verlockender. Die Temperatur liegt nun bei elf Grad.

Bald können wir uns als Wintercamper bezeichnen, sagt Stefan. Ich schaue ihn an. Nicht witzig. Die Eiszapfen im Wohnwagen werden mehr.

Einige Minuten später sitzen wir auf Campingstühlen draußen im Regen mit einem heißen Becher Chianti in der einen und einer Zigarre in der anderen Hand. Der Regen prallt gegen die Markise über unseren Köpfen und auf unseren Knien liegt je eine dicke Fleed-Decke. Das nenne ich Camperromantik.

Und Stefan hatte Recht: Chianti alias Glühwein, das schmeckt scheiße…

 

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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