Europa, Italien

7. „Durch halb Italien hast du mich gejagt…“ – Ein Einkaufstrip

Als wir spät abends in Assisi ankommen, fällt der Campingplatz ins Wasser. Es schüttet und die Erde weicht auf; nett, wenn man in jede zweite Pfütze tritt und die piksenden Piniennadeln einem in den Wohnraum folgen. Es ist out of season und beinahe der gesamte Platz menschenleer. Freie Platzwahl, echt schlimm. Wir fahren eine Weile unentschlossen herum.

Der nächste Morgen sieht ausgesprochen grau aus. Eine dicke Wolkendecke breitet sich über unseren Köpfen aus und am Fenster hängen dicke Regentropfen von letzter Nacht. Wir beschließen, ausgiebig zu schlafen; der Tag kündigt sich trüb und kalt an und draußen wartet nichts auf uns.

Doch pünktlich um sieben sind wir endgültig hellwach. War irgendwie nix mit dem Ausschlafen. Stefan steht auf. Ich drehe mich aus Protest noch einmal auf die andere Seite und döse vor mich hin.

Im Wohnraum ist es elendig kalt. Meine Wetterapp zeigt für Assisi neun Grad an, doch ich glaube ihr nicht. An meinen Füßen hängen Eiszapfen und draußen hüpfen Yeti und die Schneekönigin händchenhaltend im Gras herum. Ich zögere den Moment hinaus, an dem ich meine Glieder aus der warmen Decke ausstrecken muss, doch irgendwann wird es Zeit, duschen zu gehen. Ich packe mein Zeug und hüpfe auf Zehenspitzen und mit bibbernden Zähnen in die Duschräume am anderen Ende des Riesenplatzes.

Die Duschräume. Im Vergleich hierzu war die Ausstattung der Sanitäranlagen am Campingplatz in Cavallino ein Traum. Hier gibt es keine Seife am Waschbecken, kein Toilettenpapier (selbiges entdecke ich erst einen Tag später an einer dicken Rolle im Vorraum…) und die beiden Hygienegel-Spender an der Wand geben nur ein erbärmliches Quietschen von sich. Leer. Da eh kaum einer da ist, wird das wohl nicht so schlimm sein mit Corona und so.

Als ich in der Dusche stehe und die Brause aufdrehe, stöbern ein paar weiße Motten in alle Richtungen davon. Eine von ihnen verfängt sich in meinen nassen Haaren. Kreisch-Alarm. An der gelb leuchtenden Lampe über meinem Kopf hängt ein zartes Geflecht aus Spinnennetzen, garniert mit ein paar kleineren, toten Insekten. Ich fühle mich wie die böse Hexe aus „Grimm“.

Irgend ein Camperpaar hat sich mit seinem Wohnwagen direkt vor die sperrangelweit offenen Türen (ihr wisst schon, wegen Durchzug, Corona und so…) der Frauenduschräume gestellt und frühstückt gemütlich mit Blick auf die Bäder. Kann ja sein, dass jemand aus versehen unbekleidet heraushüpft. Ich zum Beispiel.

Als ich wieder im Wohnwagen bin, krieche ich wieder ins Bett und bleibe dort bis mittags. Ein Blick in den regennassen Himmel sagt mir, dass es draußen nix zu holen gibt. Stefan sitzt zusammengekauert auf unserer „Couch“ im Wohnraum und liest.

Später allerdings ändert sich die Lage. Gegen Mittag wird der Himmel klarer und die Wolken verziehen sich. Ich werde aktiv – und wir haben nichts mehr im Kühlschrank. Besichtigungen sind für heute keine geplant, aber einkaufen zu gehen, um die Vorräte aufzufüllen, das wäre doch mal was.

Das versuche ich meinem Liebsten so zu vermitteln.

Das Problem ist folgendes: der nächste offene Supermarkt liegt etwa drei Kilometer entfernt und die müssten wir mangels fahrbaren Untersatzes zu Fuß zurücklegen.

Stefan will nicht laufen. Ganz und gar nicht. Er spielt sogar mit dem Gedanken, das Wohnmobil für die Zeit des Einkaufs „abzubauen“, um damit zum Supermarkt zu fahren. Im letzten Moment kann ich diesen Unsinn unterbinden. Mit Taschen und einem Rucksack bewaffnet machen wir uns auf den Weg.

Als wir losgehen, macht mein Liebster ein sehr unglückliches Gesicht.

Ich schaue mich indessen neugierig in der Gegend um. Die Landschaft in Umbria um den Monte Subasio ist von Feldern und Olivenhainen geprägt. Die sanften Berge erinnern mich fast an den Odenwald oder, wenn man die Rebstöcke berücksichtigt, an die Pfalz. Die Umgebung ist nicht ganz so reizvoll wie die der Toskana, doch auch sie hat ihren Zauber. Wolken wechseln sich mit Sonnenschein ab und zeichnen schattige Muster auf den Hügeln. Dort, in wenigen Kilometern Entfernung, klebt Assisi am Berg wie ein Schwalbennest. Die Stadt wird von der Mittagssonne angeleuchtet, die sich langsam, aber sicher, die Vorherrschaft über das Land erkämpft. Ihre Strahlen sind ein helles Band, welches sich inmitten von dunklem Grün um den Berg wickelt.

Die Felder und Häuser wiederum erinnern mich an Polen. Schlechte Straßen, Autofahrer mit einer gewagten Fahrweise. Gehwege für Fußgänger sind zunächst nur ein wünschenswerter Traum und so laufen wir erst ängstlich (Stefan), dann mutiger (ich…) am Fahrbahnrand entlang, während die Autos mit einen Affenzahn an uns vorbei düsen. Für Fußgänger sind die Wege nicht ausgelegt, doch trotz allem sehen wir hin und wieder welche. Irgendwie müssen die Menschen ja von A nach B gelangen.

Im Supermarkt selbst erschlägt uns schier das Angebot. Frisches Obst lockt. Granatäpfel und überreife Trauben, Früchte, die zum großen Teil nicht importiert wurden, sondern hier vor Ort wachsen. Stefan sucht Parmesan für unser selbstgemachtes Spaghetti Aglio Olio. „Hier.“ Sage ich und zeige auf eine ganze Theke, die einzig dem Parmesan gewidmet ist. Parmesan in allen Formen und Variationen. Und während ich noch gebannt an der Käsetheke stehe, hat mein Freund schon die Serrano- Salami- und Wurstabteilung entdeckt. „Bloß weg hier.“ Witzelt er. „Wir müssen das alles die ganzen drei Kilometer zu Fuß zum Wohnmobil tragen.“ Beladen wie Packkamele treten wir den Rückzug an.

Während ich fröhlich vorneweg gehe und mir ab und zu eine ungewaschene Traube in den Mund schmeiße, ist Stefan ein Bild des Elends. Geplagt von schlechtem Gewissen bleibe ich hin und wieder stehen, doch das leidende Gesicht hinter mir treibt mich weiter. Kurz vor dem Campinglager erreicht die Wanderung durchs Tal der Tränen ihren Höhepunkt. „Geh… ohne mich… weiter!“ Presst mein Liebster schmerzerfüllt hervor. „Geh… geh schon. Lass mich hier zurück.“

Okay, den letzten Satz habe ich mir ausgedacht. Aber es hat nicht viel gefehlt. Mein Stefan pfiff aus dem letzten Loch. „Durch halb Italien hast du mich gejagt.“ Wird er später behaupten. „Durch halb Italien…“

Als mein Liebster kurz nach mir am Wohnmobil ankommt, renne ich dem Sterbenden mit einem kalten Corona-Bier entgegen. Stefan lässt sich auf den Klappstuhl sinken und seufzt zufrieden, während ich die Einkäufe auspacke. Voller Vorfreude entkorke ich die neu gekaufte Weinflasche. Dabei haucht der bereits angebrochene Korkenzieher endgültig sein Leben aus.

Umsonst, wie sich herausstellt.

Mit dem Wein habe ich kein Glück. Ich vergreife mich an etwas, das vielversprechend aussieht und am Ende wie Essig schmeckt. Anscheinend kann man bei Wein auch in Italien etwas falsch machen…

Nach einer Verschnaufpause beginnen wir zu kochen. Die Spaghetti Aglio Olio geraten so scharf, dass wir die nächsten fünf bis zehn Minuten einen hartnäckigen Schluckauf entwickeln.

„Ich dachte, das Chiliöl hätte nur einen H… *hicks*…Hauch von Chili drin…“ Versucht sich mein Stefan zu erklären. Ähm, nein – *hicks* *hicks* – hatte es nicht.

Ich habe noch eine Flasche guten Chianti und einen kaputten Korkenzieher. Mit Engagement schaffe ich es, den Korken Stück für Stück abzurupfen und den Rest in die Flasche zu drücken. Wir sitzen den Rest des Abends bei unseren Chilinudeln und genießen Chianti mit Korken. Das nenne ich Campingromantik.

Der Abend entschädigt mit Schönheit. Es wird kälter und leichte Schauer kündigen sich an. Während die Sonne zwischen den Pinienbäumen intensiv gelb hindurch scheint und auf den Horizont zusteuert, prasselt der gleichmäßige, fein glitzernder Regen auf die Markise. Auf der anderen Seite, zu meiner Linken, breitet sich über der gelblichgrauen Wolkendecke ein kräftig fluoreszierender Regenbogen aus. Ich sitze da mit meinem Chianti mit Korken und genieße das Schauspiel. In den Bäumen ist am Abend allerhand los; Geräusche von Vögeln breiten sich aus. Rufe, Geschnatter, all das scheint am späten Abend, nachdem die Sonne weg ist, noch lauter zu hallen.

Mit den letzten, verschwindenden Sonnenstrahlen taucht eine Fledermauskolonie aus ihrem Versteck auf und fliegt in zackigem Kurs zwischen den Pinienstämmen umher.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.