Das unregelmäßige Summen wird dumpf und stetig. Fast harmonisch, wie Wellenrauschen, bringen die Insekten ihr Energielevel herunter. Nur viel gleichmäßiger. Aber genauso beruhigend. Wie Wellen, nur ohne dieses Auf und Ab. Wie eine stetige, unterschwellige, brummende, vibrierende Welle, die niemals endet. Im Inneren des Wagens herrscht eine wohlige Wärme, es riecht nach Holz, nach Pollenstaub und warmen Bienenwachs, und nach Honig. Ein klein wenig nach Honig. Die Bienenkönigin hat mir ein kleines Gläschen zum Probieren in den Wagen gestellt.
Die Bienenkönigin, das ist Elke Melchger, und dies ist ihr Reich. Ich komme heute in den seltenen Genuss, eine Nacht in ihrem deutschlandweit bekanntem Bienenwagen zu übernachten – direkt auf einem Bienenstock. Frau Melchger ist Heilpraktikerin. Irgendwann kam sie auf die Idee, diese ungewöhnliche Übernachtungsmöglichkeit anzubieten. Die mit Pollen und Bienenaromen angereicherte Luft soll für einen erholsamen Schlaf sorgen und noch weitaus mehr positive Eigenschaften haben.
Dies ist unbeauftragte Werbung. Denn Werbung braucht Frau Melchger mit ihrem Bienenwagen kaum mehr. Ihr Bienenstock ist über die Wochenenden für den Rest des Jahres bereits ausgebucht. Nur durch Zufall bin ich hier gelandet und, um ehrlich zu sein, wusste ich bei der Buchung nicht wirklich, was mich erwartet. Auf der Suche nach etwas Ungewöhnlichem, um mir den Arbeitsalltag und die dazugehörenden Nächte auswärts zu versüßen bin ich auf einer recht bekannten Buchungsplattform auf etwas gestoßen, das sich nach mehr anhörte als das allseits bekannte „ein Zimmer, Doppelbett, Frühstück“ hinausgeht. Und hatte Glück, denn trotz der Ferienzeit war just zu diesem Zeitpunkt noch eine Übernachtungsmöglichkeit frei. Beiläufig las ich etwas von „in der Nähe von Bienen“ und stellte mir vor, dass der Wagen irgendwo auf einer Wiese nebst aufgestellten Bienenstöcken steht. Nichts ferner als das. Oder, wie sich herausstellen soll – näher…
Am besagten Schicksalsschlag steuere ich also mein getreues Vehikel durch die schöne Landschaft des Schwarzwaldes. Nachdem ich mir, sofern die Zeit es erlaubte, am Vortag ein Stück weit Calw angesehen hatte, bin ich nun in die südliche Richtung unterwegs, nach Wildberg. Wildberg ist ein alter Schäferort mit dem Kloster Maria Reuthin, und mit viel Geschichte. Das ehemalige Dominikannerinnenkloster beherbergt heute das Heimatmuseum.
Die Schäfer mit ihren Herden haben die Landschaft geformt und geprägt. Gemäßigt schnurrt mein Fahrzeug mit gemütlichen achtzig km/h über die langgezogenen Kurven. Als ich die enge Seitenstraße sehe, die über eine Brücke vorbei am Kloster führt, kratze ich mich schon mal vorsorglich am Kopf. Das sieht nicht aus, als dürfte ich hier lang fahren, aber mal sehen. Der Weg wird immer enger, Radfahrer kommen mir entgegen und mit Graus denke ich an eventuellen Gegenverkehr. Es gibt Einschwenkbuchten, was gut ist – sonst müsste einer von beiden in den Graben. Es gibt keinen Gegenverkehr. Gut so, denn der Graben ist zu meiner Rechten.
Ich exerziere das durch, was vermutlich einige vor mir durchexerziert haben, ich wende das Auto. Das Navi zeigt unbeirrt noch zwei Kilometer an, das kann nicht richtig sein. Links von mir geht es steil nach oben, rechts wechseln Campingplätze und Wiesen sich ab. Doch der Weg ist richtig; reumütig lasse ich mich eines Besseren belehren. Irgendwo am Ende winkt der Campingplatz Carpe Diem. Nutze den Tag. Wow, ich hab was für Einfallsreichtum übrig. Und dort, ganz im hinteren Bereich der Anlage, unter einem roten Schirm versteckt wartet Frau Melchger auf mich. Und der Bienenwagen.
Schnell und routiniert zeigt und erklärt sie mir alles. Als wir den Wagen betreten, schlägt mir pulsierend warme, aromatische Luft entgegen. Ist es Honig? Bienenwachs? Eine Lampe scheint auf ein engmaschiges Gitter, unter dem Waben zu sehen sind. Ein Summen erfüllt die Luft. Ich begreife so langsam, wie besonders das ist, was ich hier gerade erlebe. Denn ich werde nicht „in der Nähe“, sondern beinahe auf einem Bienenstock schlafen.
Dann bin ich alleine. Mit dem stetigen, zunächst unruhigem Summen. Die Bienen beruhigen sich am Abend, hatte Frau Melchger gesagt – das Summen würde leiser werden. Ich setze mich auf mein aufgebautes Bett und blättere das Gästebuch durch. Viele Gäste kommen immer wieder, und viele buchen gleich im Anschluss einen neuen Termin.
Natürlich muss ich angeben. Freunde, Kollegen, meine Mutter – sie alle bekommen einschlägige Bilder zugesendet, auf denen nicht so viel zu sehen ist. Durch das Gitter ist der Bienenstock nur so zu erahnen, doch es summt wie in einem… öhm, ja. „Du bist mutig.“ Sind die ersten Reaktionen. „Hast du keine Angst, dass dich die Bienen stechen?“ Nur meine Mutter fragt expliziter, sie will es genau wissen. Und so erkläre ich ihr – als auch den anderen – , dass gar so viel Mut nicht erforderlich ist. Die Bienen hocken hinter Gittern, im Bienenknast, wie ich für mich selbst ausformuliert habe. Der Eingang zum Bienenstock befindet sich auf der Rückseite des Wagens.
Zudem sind Bienen keine besonders aggressiven Biester. Sie checken kurz, ob man eine Bedrohung oder eventuell eine Blume ist und summen dann weiter. Selbst mit Wespen komme ich recht gut klar, insofern sehe ich Bienen als Freunde. Tatsächlich verirrt sich eine ins Innere des Wagens, als ich vergesse, das Insektennetz herunter zu lassen. Sie kreist irritiert um die durch Gitter versiegelten Bienenstöcke herum, nicht verstehend, warum es von dieser Seite ein Einlass für sie gibt. Ich lasse sie machen und, wie gedacht, fliegt sie nach erfolglosen Versuchen wieder davon. Bienen sind intelligente Tiere. Wenn man ihre Körpergröße und die Größe ihrer Gehirne berücksichtigt, stellt man schnell fest, dass beides hocheffizient funktioniert. Bienen können einfache Schlussfolgerungen ziehen, haben ein Gedächtnis, erkennen Gesichter und merken sich Wege. Es wird bei Bienen eine Art Bewusstsein vermutet, ähnlich wie man es den Primaten zuschreibt. Und Bienen schlafen. Dabei lassen sie ihre Beine und ihre Füller herunter hängen und klemmen sich zwischen zwei Waben. Dann sind sie nicht mehr „ansprechbar“. Die meisten Bienenarten schlafen nachts, doch es gibt auch nachtaktive Bienenvölker.
Zu jenen gehören meine Bienen jedoch nicht. Langsam beruhigt es sich im Bienenstock. Einzelne Exemplare schwirren noch oben oder krabbeln auf dem Gitter herum. Irgendwann schließe ich die Holzabdeckung vom Bienenstock aus Sorge, das Licht würde die Tiere stören. Draußen ist es bereits dunkel und auch der Geräuschpegel am Campingplatz wird leiser. Ab und zu fährt über die nicht weit entfernte Schnellstraße noch ein Fahrzeug vorbei. Die Tiere brummen nun tief und stetig, wie ein schlafender Generator. Der Bienenstock vibriert leise. Auch ich lege mich hin, mache das Licht aus und versuche zu schlafen.
Es klappt nicht.
Es ist nicht der Geräuschkulisse geschuldet. Ich weiß nicht, was es ist. Vielleicht die Aufregung, vielleicht etwas anderes. Setze mich wieder auf, lese, schaue sinnlos Instagram durch. Die Welt draußen liegt bereits in tiefer Ruhe, es ist dunkel. Der Schlaf kommt erst gegen zwei.
Morgens um sechs. Die Nacht ist zu schnell vorbei. Ich schlief unruhig. Am frühen Morgen war mir so, als wenn die Bienen aufwachten. Was ich natürlich nicht hören konnte, da ich auf Reisen mit Ohrstöpseln schlafe. Die Rechtecke der Fenster wechseln von Schwarz zu Grau. Es ist frisch, draußen sind es gerade mal zwölf Grad. Ungewohnt nach der Hitze des Tages. Die klare Luft weckt mich zuverlässig auf, als ich mich auf den Weg zu den sanitären Anlagen mache.
Pünktlich um kurz vor Acht ist Frau Melchger vor meiner Tür. Der freundlicherweise zur Verfügung gestellter Instant-Kaffee bringt mich wieder zurück in die Welt der Lebenden. Es war eine unverwechselbare Erfahrung, hatte ich in ihr Gästebuch geschrieben – und ich meine es auch so. Die meisten derer, die hierher kommen, berichten über einen exzellenten Schlaf. Ich kündige mich an, in kommendem Jahr mit Stefan hierher kommen zu wollen. „Was, ich?“ Fragt dieser mit großen Augen, als ich ihm von meinen Plänen berichte. Ja, mein Lieber, genau du. Ach was, ich werde es einfach buchen. Denn, wie eine Freundin mir schrieb: „Welch ein Luxus, zusammen mit Bienen zu schlafen und nicht gebissen zu werden…“
Das ist ja wirklich mal eine sehr ungewöhnliche Unterkunft. Interessant! Bisher noch nie davon gehört. Danke, dass du meinen Übernachtungshorizont erweitert hast 😎.
Für mich war das auch ganz neu, bei den Bienen zu schlafen. Ich hatte mir vorgestellt, dass da irgendwo einfach Bienenstöcke rumstehen, nicht aber, dass ich eines im Wohnwagen haben werde… 🙂
Hi Kasia,
das wäre also so gar nicht meins – Insektoziden (besonders die, der körperanschwellenden Sorte beim Stich) versuche ich aus dem Weg zu gehen. Erwarte das im Gegenzug aber auch in meinem Refugium. Grenzübertretungen werden umgehend geahndet! Es ist eigentlich egal ob das Geräusch ein helles Sirren (Mücke), tiefes brumnmen (vollgefressene Fliege mit einem BMI > 40) oder alles dazwischen ist: Fliegt es – macht die Insektenvernichterdose „Pfffft“.. Ausnahmen mache ich nur bei Bienen und Hummeln. Das sind Bros.. Hummeln mag ich schon, weil die wie ich immer mit Gewichtsproblemen zu kämpfen haben. und trotzdem total gechilllt sind.
Wir haben im Rombergpark auch einen Bienen-Lehrstand – da sieht man geschützt durch Glasscheiben direkt in die Bienenstöcke hinein. Die Bienen fliegen nach draußen und da ist direkt ein reich gedeckter Tisch mit Blumen und Nektar.
Aber schlafen könnte (und würde) ich da nicht. Hat vielleicht was mit Urängsten zu tun?
Bis denne
P.
Hi Peter,
Insekten in meinem Zuhause kann ich auch nicht ab. Meistens fliegen aber Bienen, Wespen und ähnliches von alleine raus. Interessanterweise verursachen die mir auch keine Ängste, vielmehr lassen mich die Tierchen in Ruhe. Wer weiß, vielleicht bin ich bissiger?😜
Sprechen Sie über ein einzigartiges Erlebnis! Schade, dass Ihr Schlaf nicht Ihren Erwartungen entsprach. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal besser 🙂
Mit Bienen zu schlafen, das war einzigartig. Vielleicht war ich einfach zu aufgeregt. Ich denke, ich werde es nochmal probieren.