Europa, Frankreich

Was machen unsere Nachbarn? Eine Tour nach Wissembourg in Elsass

Anno Corona, Juni zweitausendundzwanzig. Ein Tag nach dem längsten Tag des Jahres. Traumhaftes Wetter und eine Temperaturmarke, die in Richtung der dreißig Grad klettert. Die Menschheit wagt sich seit einiger Zeit wieder auf die Straße, und auch die Reiselust kehrt langsam zurück. Reiselustige und -blogger entdecken plötzlich die Welt vor ihrer Haustür und lassen sich begeistert darüber aus, was es in eigenem Land alles zu entdecken gibt.

Versteht mich nicht falsch; auch ich bin der Meinung, dass Deutschland viel zu bieten hat. Doch was das Reisen für mich schon immer ausmachte, war es, in andere Kulturen zu schnuppern und buchstäblich „fremde Luft zu atmen“. Wie kommt es sonst, dass mich eine jede überquerte Grenze schlagartig wach macht und Urlaube in Deutschland keinen so bleibenden Eindruck hinterlassen? Reisen, Reisen war für mich immer das Fortbewegen in die Ferne und warum soll sich während oder nach Corona etwas daran geändert haben?

Und ich denke, es geht auch vielen anderen so. Vielen, die es nicht aussprechen. Dieselben Menschen, die jetzt gezwungenermaßen „ihre Heimat entdecken“, waren es doch, die vor Corona jedes Flugzeug bestiegen, das nicht bei drei in der Luft war. Denn das Reisen sind für viele nun mal andere Destinationen, Orte „hinter der Grenze“. Und allein deshalb machen Grenzen auch Sinn, damit es ein „hier“ und ein „dort“ gibt. Aber das ist ein anderes Thema, welches ich bei gegebener Gelegenheit ausführlich aufgreifen werde.

Grenzen. Jedenfalls zieht es mich wieder hinter selbige, um zu sehen, was auf der anderen Seite ist. Der Schengenraum ist seit Mitte Juni wieder offen, deshalb überrede ich meinen Stefan, eine Tour in Richtung Südwesten zu unseren Nachbarn nach Elsass zu wagen.

Frankreich war mit 29000 Toten das mit am schwersten betroffene Land Europas. Erst vor kurzem hatte sich die Lage entspannt. Ein wenig Bedenken habe ich schon, unter anderem darum, wie die ersten deutschen Besucher wohl aufgenommen werden würden. Doch ich spekuliere auf das, was auch die Menschen hierzulande umtreibt; endlich wieder ins normale Leben kehren zu wollen, in die „Normalität“. Noch nie war der Begriff „normal“ so positiv belegt wie heute. Fakt ist, dass gerade die Grenzregionen wie der Elsass vom Fremdenverkehr leben, denn die Menschen kommen auch mal für eine Tour oder übers Wochenende vorbei. Geschäfte, Cafes und Restaurants haben sich auf diesen Grenzverkehr eingestellt und er sichert ihnen ihre Einkommensgrundlage.

Mit etwas Glück werden sie uns also nicht mit einem Besen rausjagen.

Die Motorräder glänzen in der Sonne und ich habe mir ein spezielles Leckerli gegönnt, welches das Herz aller Bikerinnen wohl höher schlagen lässt; ein neues Paar Daytona-Stiefen, die heute eingefahren werden wollen. Die Stiefel sind erhöht und haben einen acht Zentimeter hohen Absatz, und wer jetzt denkt, wozu die Eitelkeit, irrt. Mit diesen Schuhen habe ich endlich stabilen Halt auf meiner Hornet, und zwar bei jeder Steigung und auf jedem mehr oder minder befestigten Parkplatz. Ein sicheres Gefühl.

Wir fahren los, fahren von Mannheim aus in Richtung Süden. Über Ketsch, an den Auen des Altrhein mit seinen Naturschutz- und Naherholungsgebieten vorbei. An dieser Stelle, um die Ketscher Insel herum, hat der Rhein eine fast türkisgrüne Farbe. Der Plan ist es, die Autobahn weitestgehend zu meiden und über Landau und den Grenzübergang bei Schweigen-Rechtenbach nach Wissembourg zu kommen. Eine Sache von ungefähr einer Stunde Fahrt. Nach einem kurzen Kaffee in der Grenzstadt sollte es weiter durch den Elsass gehen, bis wir irgendwann erschöpft wieder in Mannheim ankommen würden.

So die Theorie, doch wer hätte gedacht, dass wir uns auf dem Hinweg bereits verausgaben und unsere Zeit verpulvern.

Mit unserem gut gemeinten Plan, die Autobahnen zu vermeiden, setzen wir uns einer Reihe von Umleitungen aus, die uns in einem großen Bogen zu unserem Ziel führen. Ein Umleitungsschild folgt dem nächsten, so dass ich schon bald das Gefühl habe, wir fahren in Schleifchen. Der Verkehr wird immer weniger, dafür rauschen die grünen Wälder und an der Grenze empfängt uns ein verweister Grenzposten. Die ersten Orte dahinter scheinen auch von Menschen verlassen zu sein. Dafür kann ich mich mal wieder nicht an dem speziellen, bunt bemalten Fachwerk satt sehen, an den schiefen Häuschen, die beinahe alle aussehen, als hätten sie Schräglage.

 

Jenseits der Grenze – Wissembourg

Irgendwann Nachmittags um halb vier erreichen wir Wissembourg, oder Weißenburg, wie die Stadt im Laufe ihrer Geschichte auch hieß. Die wechselhaften Schicksale der Grenzgebiete und ihrer Städte spiegelt sich in vielem wieder; in den deutsch-französischen Schriften, den Einflüssen beider Kulturen und den Menschen, die fast ausnahmslos zweisprachig aufgewachsen sind. Seit dem Mittelalter wurde deutsch an den Grundschulen in Elsass gelehrt. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg tat die Regierung vieles, um die deutsche Sprache aus dem Alltag zu verdrängen. So ganz hat es bis heute nicht geklappt, doch wer sich tiefer in die Region hinein bewegt, sollte wohl ein paar Brocken Französisch im Petto haben.

Zuletzt gehörte Wissembourg im Zuge des Zweiten Weltkriegs zu Deutschland; die Stadt wurde 1945 befreit.

Wir parken die Motorräder unweit der Altstadt. Glücklicherweise sind die Parkmöglichkeiten frei und so lassen wir auch Helm, Jacke und Handschuhe an der Maschine hängen. Zumindest ich – Stefan hält sich an seiner Jacke fest. Später wird er sie bei der Hitze nur noch in der Hand tragen.

„Hier gibt es eine tolle Konditorei, die muss ich dir zeigen.“ Sage ich. Ob ich besagte Konditorei wiederfinde, ist die andere Frage und zudem irrelevant – die köstlichen Kuchenstückchen und Eclairs sind hier überall gleich lecker. Wir sitzen in der Sonne und genießen unsere Kalorienbomben – ein Muss, jedes Mal, wenn ich ich Frankreich bin. Ich denke, da sind wir uns beide gleich, der liebe Stefan und ich – wir würden beide töten für leckeres Essen.

Ein wenig hatte ich schon Bedenken. Wie würden die Franzosen auf die ersten deutschen Touristen reagieren? Doch allen Anschein nach sind sie froh, froh, dass der Grenzverkehr wieder läuft. Wissembourg ist die Ausgangsstation in oder von den Vogesen kommend, das gilt für den Motorradfahrer wie für sonstige Ausflügler gleichermaßen. Und ich bin froh, dass mir die Menschen hier in den Grenzregionen die mühsamen Versuche, der französischen Sprache Herr zu werden, abnehmen, indem sie mich einfach auf deutsch ansprechen. Ja, ich weiß, dass hier jeder deutsch spricht. Ja, ich weiß, dass ich es nicht versuchen müsste. Aber mal ehrlich, einfach voraussetzen möchte ich es nicht. Die paar Brocken französisch, die kriegt doch jeder zustande, oder?

Das süße Kuchenstück ist in meinem Bauch verschwunden und ich denke schon an Flammkuchen. Doch zuerst will ich Stefan die Stadt zeigen. „Komm mit!“ Ich nehme ihn an der Hand und führe ihn durch die Altstadt in Richtung der alten Abteikirche St. Peter & Paul.

Blumenkästen strotzen vor Farben und im Kanal plätschert leise Wasser. Die Stadt ist schön und idyllisch, voller Fachwerk und zufriedener Menschen. Da das Laufen in Motorradkleidung bei Hitze nicht zu den angenehmsten Beschäftigungen gehört, steuern wir zielstrebig die große Kirche an.

Das wohl berühmteste Gebäude Wissembourgs, das Salzhaus. Es diente als Krankenhaus, dann als Metzgerei, anschließend zum Einpöckeln vom Fleisch. Den beißend schwarzen Humor möge dahinter jeder für sich erkennen… 😉
Idyllische, enge Gassen
Die Kanäle der Lauter durchziehen die Stadt

 

Abteikirche Sankt Peter und Paul

Die Abtei ist sehr alt, älter als Wissembourg selbst. Ihre Entstehung ist eng mit dem Schicksal der Kirche verwoben. Sie wird irgendwann im 7 Jahrhundert von Benediktinermönchen auf einer Insel der Lauter gegründet, gehört schon bald zu den reichsten in Elsass und wird zum Fürstentum erhoben.

Der älteste Teil der heutigen Kirche ist der Glockenturm, der vom Ursprungsbau aus dem 10 Jahrhundert als einziges noch übrig ist. Schon bald schart sich ein Dorf um die Abtei herum, welches jedoch mit der Zeit nach Unabhängigkeit strebt. Der Erhalt der Stadtrechte verstärkt diese Bestrebungen nur. Die Stadt wird immer reicher, das Geld kommt aus der Wein- und Lakenproduktion. Der Wohlstand stärkt das Selbstbewusstsein der Städter, bis der Ort schließlich im 15 Jahrhundert von Verbündeten der Abtei angegriffen und zerstört wird.

Doch es ist ein kurzzeitiger Sieg für die Geistlichen. Was das Ende der Abtei besiegelt, das ist die Reformation des 16 Jahrhunderts. Die reichen Mönche werden enteignet und vertrieben, die Abteigüter verkauft. Endlich kommt der willkommene Vorwand für den befreienden Schlag der Stadtbewohner, der ihren Weg in die Unabhängigkeit sichert.

Die gotische Kirche St Peter und Paul ist heute die zweitgrößte in Elsass (die größte steht in Straßburg). Es mag auf den ersten Blick überraschen, eine so große und prachtvolle Kirche in einem so kleinen grenznahen Ort wie Wissembourg zu sehen, doch wenn man die Geschichte dieser Stadt und der ehemals überaus wohlhabenden und einflussreichen Abtei betrachtet, erklärt sich vieles. Die Stadt selbst war aufgrund ihrer Lage oft Spielball beider Länder und die kurzzeitige Zugehörigkeit zu Deutschland hinterließ am Ende beiderlei Einflüsse.

Als wir uns dem Eingang nähern, brennen innen vereinzelte Lichter und es ist Musik zu hören, was den erhabenen Eindruck hervorhebt. Die Coronabestimmungen greifen auch hier, vereinzelt sitzen die Menschen mit Masken oder auch ohne in den langen Reihen. Seltsamerweise hat sich die Meinung etabliert, dass, sobald das Sitzfleisch beansprucht würde, eine Maske unnötig geworden sei; als ob die sitzende Haltung einen wirksamen Corona-Schutz stellte.

Der Innenraum der großen Kirche ist beeindruckend. Alte, ausgeblichenen Malereien an den Wänden erinnern an ihre Geschichte als Abtei, ein massiver Kronleuchter hängt über dem Altar und ganz oben brennt ein einsames, rotes Licht.

Der große Leuchter, so beeindruckend er auch aussehen mag, ist eine Kopie aus dem 19 Jahrhundert. Er stellt die heilige Stadt Jerusalem mit ihren Türmen dar. Das Original aus dem 14 Jahrhundert wurde während der Französischen Revolution zerstört oder gestohlen.

Die rosettenförmigen Buntglasfenster strahlen, denn gerade jetzt werden sie im genau richtigem Winkel von der Sonne beleuchtet. Das Kirchenschiff erinnert, wie es in gotischen Kirchen die Regel ist, an ein Schiff, in dessen Inneren die Gläubigen Schutz und Rettung finden. Was wir zunächst mal finden, ist ein wenig Andacht und Abkühlung. So sitzen wir eine Weile da und lassen die Atmosphäre auf uns wirken.

Neben dem Altarraum ist an einer Wand eine große Freske zu sehen, die den heiligen Christophorus darstellt, einen Märtyrer aus Syrien, Beschützer der Reisenden, der in so manchem Fahrzeuginneren hängt.

Draußen zeige ich Stefan den unfertigen Seitengang, welcher nie fertiggestellt wurde und noch die hölzernen Stützkonstruktionen im Dach trägt. Stefan ist von den Verzierungen aus Sandstein begeistert. Der unvollendete, hochgotische Kreuzgang gilt als einer der schönsten am Oberrhein. Alte Grabsteine berühmter Persönlichkeiten damaliger Zeit sind hier untergebracht.

Einen kleinen Besuch statten wir auch der romanischen Kapelle ab, die sich seitlich des Kreuzgangs befindet und leicht übersehen werden kann. Sie ist klein und einfach; umso mehr kommen dabei die drei Buntglasfenster zur Geltung, die fast schon magisch leuchten.

Auf dem Weg zurück ist Elsässer Flammkuchen beschlossene Sache. Nirgends schmeckt er so gut wie hier. Wir lassen uns an einem der umkämpften Tische nieder und während wir essen, schauen wir den vorbeifahrenden Autors und diversen Motorradmodellen zu, wie sie im Schritttempo an uns vorbei tuckern. Der Grenzverkehr wird immer neu aufblühen, denke ich mir, denn das bedingt einfach die gegenseitige Neugier. Mal kurz raus ins Nachbarland ist ein bisschen so, als würde man beim Nachbar um die Ecke durch den Vorhang linsen. Was macht er, wie lebt er? Was hat er leckeres zum Essen? Und irgendwie – so geht es zumindest mir – ist es jenseits der Grenzen immer ein kleines Stück spannender.

 

Quellen:

http://www.alsace-passion.com/deutsch/weissenburg-de-1.htm
https://de.wikipedia.org/wiki/Wissembourg

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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5 Kommentare

  1. sehr schön und jetzt war ich zweimal in Wissembourg !!!! Flammkuchen ja der ist lecker !!!

    1. Und beide Male schönes Wetter gehabt 😉 Schau dir Wissembourg mal an, der Ort ist wirklich toll. Und was die erst in den Konditoreien zaubern, unglaublich lecker. Und natürlich der Flammkuchen… hmm…

      1. ja das reizt mich jetzt um ein vielfaches mehr und die Leckereien eh !

  2. Liebe Kasia,
    nach Wissembourg wollte ich auch mal fahren, habe es aber noch nicht geschafft. Von Koblenz aus fährt die Bahn im Sommer über meinen Heimatstadt nach Wissembourg. Immer sonntags. Mit deinen Tipps, weiß ich ja, was ich besichtigen kann. Als ich noch in der Spedition gearbeitet haben, haben wir Sektkorken aus Wissenbourg zu Deinhard gefahren.
    Herzliche Grüße
    Renate

    1. Hallo liebe Renate,

      Wissembourg ist auf jeden Fall eine Reise wert, und wenn du einfach nur durch die Stadt schlenderst. Die Altstadt ist schnell abgelaufen und man kann sich Zeit für die schönen Dinge des Lebens nehmen wie die sagenhaften Flammkuchen oder süßen Stückchen 😉

      Liebe Grüße
      Kasia

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