Helsinki, Januar 2017
Vergesst die Schlacht um Sparta, vergesst die Schlacht um Troja… Es gibt keine größere Schlacht in der Geschichte der Menschheit als die Schlacht um das Frühstücksbuffet.
Die Finnen sind höfliche, zurückhaltende Menschen – das habe ich während meines kurzen Aufenthaltes hier schon mal feststellen können. Doch das betrifft nicht die meist ausländischen Hotelgäste. Denn es gibt Begebenheiten, bei der Menschen jeglicher Colour ihre Zurückhaltung verlieren: Im Krieg und am Frühstücksbuffet der Hotelbar. Selten habe ich Menschen solche Gefechte austragen sehen wie um Pastete, Kaffee und frische Brötchen und wer die Wassermelone, das rare und meist umkämpfte Gut, auf seinem Teller hatte, der hatte den Krieg gewonnen. Heute habe ich gewonnen. Es fällt schwer, sich vom Gefechtsfieber nicht mitreißen zu lassen.
Die Angestellten sind auf Zack, Tische werden blitzartig abgewischt, das Buffet wird blitzartig aufgefüllt. Es muss unglaublich stressig für sie sein, wenn sich jeden Morgen eine ausgehungerte Meute in den Frühstücksraum begibt.
Es ist bewölkt. Doch das kann sich, wie gestern auch, sehr schnell ändern. Ich überlege, ob ich ans Meer oder lieber in die Sauna gehen soll. Meer macht bei bewölktem Wetter keinen Spaß. Auf der anderen Seite ist das die hellste Zeit des Tages und wenn die Sonne beginnt zu schein… ähm… der gelbe Streifen sichtbar wird, werde ich mich auch ärgern, wenn ich währenddessen in der Sauna sitze. Okay, jetzt Meer, später Sauna – ein Kompromiss mit mir selber. Wenn es wieder dunkel wird, verpasse ich eh nicht viel draußen. Außer vielleicht die Polarlichter. Aber das ist auch so eine Sache – man weiß nie, wann sie kommen – oder auch nicht. Nur weil du als Tourist für eine Woche in Finnland bist, interessiert das die Nordlichter noch lange nicht. Sie kommen, wann sie wollen. Oder auch nicht.
Es ist so kalt, dass meine Nasenspitze einfriert. So kalt, dass meine Hände in den Wollhandschuhen steifgefroren sind. Nur das Laufen hält den schleichenden Frost von meinem Körper fern. Der Schnee wird in feinen, nassen Flocken in mein Gesicht geweht, nicht verstohlen wie gestern, sondern nun ganz offenkundig. Willkommen in Helsinki!
Ich hatte Recht – der See ist zugefroren. Eine dicke, weißgraue Eisschicht liegt obendrauf und Meisen springen hin und her zwischen den im Wasser festgefrorenen Baumästen. Hier gibt es einen Bahnhof – ganz in der Nähe, gleich gegenüber von meinem Hotel. Als ich hin tapse, entdecke ich, dass es Direktverbindungen zum Flughafen gibt ; es fahren sowohl Busse wie auch Züge hin. Ein Street Food Lokal im Bahnhofsgebäude lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich. Vielleicht am vorletzten Abend essen gehen?
Auf dem Senatsplatz (Senaatintori) entdecke ich, dass Helsinki richtig schön sein kann. Wunderschöne Häuser umsäumen den großen Platz und die steile Treppe zum Dom hinauf erweckt den Eindruck, als würde man den Himmel besteigen wollen. So wurden früher also politische Gegner und das Volk eingeschüchtert…? Ganz oben auf der Treppe bleibe ich stehen und blicke über den weitläufigen Platz. Japaner mit Selfie-Sticks laufen mir über den Weg. So viele von ihnen hier…
Der Platz sieht toll aus, was stört, sind die Baukräne. Nun, touristische Anliegen hin oder her, das Leben läuft hier trotzdem weiter. Und auch ich laufe weiter.
Am schönsten ist Helsinki an der Hafenpromenade. Dort sind die Häuser am prächtigsten, alte Segelschiffe liegen für immer vor Anker, zu Restaurants umfunktioniert. Gegenüber befinden sich das Stadthaus, der Präsidentenpalais und die Hauptwache. In allen Fenstern der Häuser brennt je ein kleines Licht am Fenster, was einen sehr harmonischen, festlichen Eindruck inmitten der kalten, trüben Witterung erzeugt. In den Marktständen und Buden am Ufer kann man jegliche Souvenirs wie auch Essbares erstehen. Es ist der Kauppatori-Markt, wie ich später nachlesen soll. Also der „Hafenmarkt“ vereinfacht gesagt. Eine große Markthalle befindet sich hier auch ganz in der Nähe.
Am besten verkaufen sich Felle. Es sind Renntiere, wie ich feststellen soll. Doch auch Füchse und anderes Getier hängen drapiert herum. Ich denke an all die Sendungen, die ich gesehen habe. Die industrielle Fellzüchtung und -gewinnung.
Du glaubst doch nicht, dass man sie hier noch von Hand jagt, oder? Sie werden importiert. Sie werden dafür gezüchtet. Sei nicht naiv.
Ich komme nicht umhin, mir vorzustellen, wie sehr mich so ein Fell jetzt wärmen würde.
Ich schaue mich nach Souvenirs um, sehe Holzgeschnitztes, Gehäkeltes, sehe Magnete. Ein Magnet für Franci.
Du wirst Franci wahrscheinlich nie wieder…
Klappe, Hirn! Ich sagte, ein Magnet für Franci!
Magnete und Postkarten wandern in meine Tasche.
„Hyvää päivää!“
„Kiittää“ Na bitte, das läuft doch schon wie geschmiert! Die Magnet-Dame freut sich sichtlich.
Ich beobachte Hafenarbeiter beim Container verladen. Der Kranführer versucht, in exakter Millimeterarbeit einen Container auf den anderen zu stapeln. Kein leichter Job. Und überhaupt, die Menschen hier auf dem Markt… frieren die nicht in ihren Buden? – Frage ich mich, während ich, den Blick zum Boden gerichtet, wieder in Richtung Innenstadt laufe. Und jedes Mal, wenn ich tatsächlich einen Menschen ohne Mütze erblicke, friere ich fremd… Ist euch denn nicht KALT?? Feine Schneewehen verfangen sich zwischen den Pflastersteinen der Straße.
In der Fußgängerzone sind die Jungs von gestern wieder da; die mit Pauken und Trompeten. Sie spielen Its my life und Eye of the tiger. Und ich laufe hüpfend und glücklich nach Hause. Das nenne ich „die Menschen erfreuen“. Es kann manchmal so einfach sein…
Doch die größte Entdeckung mache ich gleich vor dem Hotel:
Eine Bushaltestelle.
Eine Bushaltestelle, von der Busse abfahren.
Eine Bushaltestelle, von der Direktbusse zum Flughafen abfahren.