Deutschland, Europa

Pfingsturlaub – Motorradtour zur Listertalsperre

Die Pfingsttour fängt so an, dass mein Moped eine Panne hat. So plötzlich und über Feiertage ist keine neue Batterie aufzutreiben, deshalb riskieren wir es nach dem Überbrücken, mit dem, was wir haben, in Richtung Hotel zu fahren. Wir bleiben weder für die Reichsburg Cochem stehen noch für schöne Ausblicke oder Sehenswürdigkeiten und machen auch keine weiteren Abstecher.

Nachdem der ADAC-Mitarbeiter meine Maschine erfolgreich überbrückt hat, fahren wir weiter, nicht ohne vorher Bataillonen von Ameisen aus unserem Helm zu pflücken, die anscheinend nach einer neuen Bleibe für ihre Königin suchen. Ein paar Vibrationen vom Motorradtank tun ihr übriges, um die kleinen Beißzangen zu vertreiben, doch nichtsdestotrotz spüre ich noch hier und da einen Ameisenbiss während der Weiterfahrt.

Mit dicken Schweißtropfen auf der Stirn erreichen wir unser Hotel im Wiedtal, wo ich versuche, mit Moped Maja rückwärts auf leicht abschüssigem Parkplatz zu rangieren; das alles unter den freundlich-wohlwollenden Augen eines BMW-Pärchens, welches just in dem Moment „in zivil“ spazieren geht. Ich habe zu kurze Beinchen für mein Moped, basta. Sobald das Gelände uneben, abschüssig oder unbefestigt wird, tänzel ich auf den Zehenspitzen herum, um die Maschine zu halten. Stiefel mit hohem Absatz müssen her – das wird das zweite sein, was ich zu Hause gleich shoppen werde.

Das erste ist eine neue Batterie.

An der Wied sitzen wir entspannt an einem der Tische, die nahe der plätschernden Wied aufgestellt wurden. Der Fluss führt erstaunlich wenig Wasser zu dieser Jahreszeit. Die Welt ist ruhig, so ruhig wie seit jeher in diesem Eck und die sinkende Sonne sowie das Geräusch des nahen Wassers wirken unheimlich entspannend. Von der anderen Seite dringen die Geräusche eines Campingplatzes an unsere Ohren.

Wie alle anderen, so hat auch unser Hotel, so gut es ging, die Corona-Schutzvorgaben umzusetzen versucht. Das Gebäude darf nur mit Mundschutz betreten werden, welcher auf dem Zimmer und an den Tischen wiederum abgenommen werden kann. Um Menschenstau zu vermeiden, wird der Speisesaal nach Beendigung des Essens über die Terrasse verlassen. Nach einem kurzen Marsch ums Haus gelangt man über den Fronteingang wieder hinein. Ist gut für die Beine.

Oben auf unserem Zimmer sitzen wir noch auf der Dachterrasse. Der Blick auf die untergehende Sonne, den schwachen Glanz lässt die Müdigkeit der Fahrt sofort vergessen. Die Welt steht still am Abend wie ein festgefrorenes Standbild. Der Wein verursacht eine leutselige Leichtigkeit. Nichts regt sich, kein Blatt, kein Zweig, nicht einmal in den obersten Gipfeln der Baumkronen. Nur die schwarzen und pfeilschnellen Schatten der Schwalben, gestochen scharf ausgeschnitten, sind das einzig bewegliche an dem blassen Himmel mit blassem Mond. Und die vielen tanzenden Insektenschwärme, zart wie kleine Feen, die sich umwerben. Wenn man länger hinschaut, wirkt es so, als würde eine Wasseroberfläche flimmern.

Leise plätschert die Wied.

 

Wiedtal – Siegburg – Biggertalsperre – Listertalsperre

Am nächsten Morgen dringt Kühle in das Zimmer. Doch es ist eine angenehme Kühle. Die Sonne ist längst aufgestanden. Es ist morgens um sieben. Hier wird man auch ohne Wecker wach.

„Ich habe einen Reiher gesehen, unten an der Wied,“ sagt Stefan, „doch als ich meine Kamera holen wollte, da hat es sich ausgereihert.“

Gegen zehn, direkt nach dem Frühstück, fahren wir los.

Aus Sicherheitsgründen – und weil wir nicht riskieren wollten, dass mir mein Moped mitten auf dem Weg ausgeht – haben wir entschieden, nur mit Stefans Maschine zu fahren. Meine Hornet hat anscheinend eine defekte Batterie, die zwar lädt, aber die Spannung nicht halten kann und jederzeit ausgehen könnte. So hat es zumindest der ADAC-Mann am Vortag erklärt, als er uns nach langer Wartezeit Starthilfe gegeben hatte. Zitternd kamen wir irgendwie ins Hotel, doch heute wollen wir das Schicksal nicht weiter herausfordern.

Also schmiege ich mich an Stefan und wir düsen über die fast leeren Straßen. An der nächsten Tankstelle sehen wir eine Gruppe Biker auf ihren Sportmaschinen. In Lederkombis mit dicken Knieschützern und vielen PS unter dem Hintern scheinen sie sich wohl zu fühlen. „Schau mal“, sage ich zu Stefan. „Das sind die Leute, die uns in Kurven immer überholen.“ Und es stimmt, denn das haben wir öfters erlebt: die Kurve ist eng und wird enger, man legt sich rein und fühlt sich sehr verwegen und dann plötzlich – ein lautes BRUMMM…! und einer oder mehrere „Knieschleifer“ schießen an dir vorbei und lassen dich alt aussehen. Grimmig denkst du dir dann noch: was soll’s, safety first…

Ich bin schon neidisch auf das, was die alles können. Nein, ich will’s nicht ausprobieren – ich bin nur neidisch. Aber wahrscheinlich können sie das, was sie tun, durch jahrelange Übung besser einschätzen. Ich denke trotz allem, dass ein ungeübter Fahrer ein größeres Risiko eingeht als einer, der das, was er macht, aus dem FF beherrscht, auch wenn es auf den ersten Blick riskant wirken mag. Ich mache manchmal auch mit dem Auto Sachen, bei denen jeder Außenstehende den Kopf schütteln würde. Ja, Motorrad fahren hin oder her; ich stelle immer wieder eines fest: ich bin der geborene Autofahrer.

Der Westerwald. Lichtreflexe der Sonne tanzen auf dem grünen Waldboden und zwischen den Bäumen. Eine alte Holzmühle (ein Nachbau, wie mich Stefan aufklärt) dreht sich im Wasser träge vor sich hin. Vor einem der Häuser der vielen kleinen Ortschaften steht ein Maibaum; eine Birke, an der ein hölzernes, rotes Herz hängt. Ein Kind wurde geboren, Jasmin; ein Mädchen. Ein schöner Brauch, es den vorbei kommenden auf diese Weise mitzuteilen. Ich liebe solche Bräuche, mögen sie nie aussterben.

Wir fahren gen Norden, an der Sieg entlang. An einer Brücke, die den Fluss überspannt, machen wir halt. Wir sind fast alleine, bis auf ein paar Spaziergänger mit ihren Hunden. Die Brücke ist gesperrt, doch nur auf einer Seite, vermutlich, um Menschenstau zu vermeiden. Der Einfluss von Corona reicht bis in die entferntesten Winkel.

Doch es ist weit und breit niemand zu sehen, deshalb schiebe ich den schweren Ziegelstein zur Seite und öffne das Tor ein Stück weit. Was mich belohnt, ist ein schöner Ausblick über das Siegtal und den Fluss, wie er gemächlich dahin plätschert. Das klare Wasser glitzert und unter der Oberfläche winden sich Wasserpflanzen. Wildenten ziehen dahin. Viel Grün und Wildblumen, kleine Häuser, voll und ganz inmitten vom Grün eingebettet. Es ist Juni.

Ehe wir weiterfahren, ziehe ich das Tor hinter mir zu und schiebe den Ziegelstein vorsichtig wieder an seinen Platz.

Entlang der Sieg weiter fahrend erreichen wir irgendwann Siegburg. Die Stadt ist hässlich und industriell, zumindest das, was ich auf den ersten Blick davon sehen kann. Und auch landschaftlich wirkt die Gegend auf mich weder schön noch reizvoll. Eigentlich gefällt es mir im Süden besser. Hier macht sich schnell Langeweile breit. Wir passieren ein Industriedenkmal nach dem anderen. Vielleicht ist die Landschaft mit ihren Naturschutzbereichen beim Wandern besser zu erkunden.

Vielleicht liegt es auch daran, dass mich die Fahrt als Sozia nicht mehr so reizt wie früher. Wer hätte das gedacht, doch ich habe gerne meine Maschine (sprich: Hornet…) unter mir, die ich selbst steuern kann. So klebe ich schicksalsergeben an Stefans Rücken und harre der Dinge, die da kommen mögen. Doch für heute hat mir die geliebte Hornet einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Das Rothaargebirge sei für Motorradfahrer ein lohnendes Ziel, weiß Stefan zu berichten, doch da kämen wir heute nicht hin, es sei zu weit. Dafür besuche ich den örtlichen Wald.

Ich glaube, die Natur und ich werden keine Freunde mehr. Mit Motorradmontur als Frau in die Büsche, das ist einfach kein Spaß. Und das „Wandern“ nimmt dir so auch keiner ab. Überall nacktes Gelände. Aber da, ein hoher, breiter Holzstapel. Ich begebe mich dahinter. Blumen, Sonne, Schmetterlinge, keine Brennesseln – gut. Vielleicht ist die Natur ja doch nicht so schlecht. Dann höre ich eine Gruppe Radfahrer mit Elektroantrieb auf dem Waldweg nahen und ducke mich hinter meinem Holzstapel wie ein Hase hinter der Hecke. Auf dem Rückweg ein weiterer Radfahrer, der sich mühsam den Weg hinauf über die Hügel und den unebenen Waldboden quält. „Die Macht sei mit dir.“ Sage ich zu ihm, in meiner schweren Montur vor mich hin stampfend.

Wir erreichen einen großen Stausee im Kreis Olpe. Der See setzt sich aus der Biggetalsperre und der Listertalsperre zusammen. Eine Staumauer trennt beide voneinander und ist Anziehungspunkt für Ausflügler und Motorradfahrer. Die Listertalsperre bildet eines der vielen Seitenarme des Sees, der von zahlreichen Zuflüssen gespeist wird. Auf der Karte wirkt er mit seinen vielen Ausläufern, als hätte jemand einen Oktopus erschlagen.

Der Biggesee mutet mit seiner türkisgrünen Farbe fast schon karibisch an und manch ambitionierte Blogautoren neigten sicherlich dazu, ihn als „ein Stück deutscher Karibik“ zu bezeichnen. Bis auf die Wassertemperatur mag das vielleicht stimmen. Und bis auf die fehlenden Palmen. Und den fehlenden Strand. Und die fehlende Karibik. Nein, dieses „warum in die Ferne schweifen“ zieht bei mir nicht. Ich will, wenn schon, das Original sehen.

Karibisch? Mit sehr viel Fantasie… 🙂

Aber ich schweife ab. Die Wassertemperaturen scheinen hier niemanden abzuschrecken, denn immer wieder ziehen Kanufahrer an uns vorbei. Gut gefüllte Campingplätze kleben an den Ausläufern des Sees wie Vogelnester. Spaziergänger quetschen sich auf der schmalen Brücke, immerzu korrekt mit Mundschutz ausgestattet. Beim Vorbeigehen drehe ich mich weg und versuche, Blickkontakt zu vermeiden, warum, weiß ich selbst nicht. Vielleicht nach dem Motto: kein Blickkontakt, kein Corona. Oder so ähnlich.

Stefan will unbedingt zur Staumauer, die die Listertalsperre trennt. Wieso die Staumauern seit jeher Menschen anziehen? Das wird wohl immer ein Geheimnis bleiben. Fakt ist, ist irgendwo eine Staumauer zu sehen, so wird der Platz schnell zum inoffiziellen Treffpunkt für Biker aus der Region. Auch hier stapeln sich Motorradfahrer und teilen sich den Platz mit Radlern, Wanderern und Ausflüglern aller Art.

Doch diese hier ist wirklich toll. Sofern eine solche Vorrichtung als „toll“ bezeichnet werden kann. Sie ist die Brücke zum 4,4 ha großem Naturschutzgebiet, welches die Menschen an freien Tagen lockt.

Auffallend sind die vielen Schwalben, die am wolkenlosen Himmel hin und her switchen. Im NRW gibt es immer weniger Schwalben, daher hat der NABU (Naturbund Deutschland) eine große Aktion gestartet und zeichnet jedes Jahr Hausbesitzer aus, an deren Häusern Schwalben willkommen sind. 2020 findet die Aktion wieder statt (Quelle: https://nrw.nabu.de).

Auch an der Listertalsperre nisten Schwalben. Begonnen hat es mit ein paar wenigen, künstlich angelegten Nestern, doch als sich die ersten Schwalbenpärchen angesiedelt hatten, kamen weitere hinzu und bauten ihre Nester einfach daneben. So war es auch beabsichtigt, und heute können staunende Besucher die kleinen, aus der Nestöffnung ragenden Köpfchen der Kücken beobachten und die Eltern, die immer wieder ihr Domizil anfliegen.

Auf dem Rückweg zum Hotel nehmen wir eine Abkürzung. Konkret bedeutet es für uns, die Bundesstraße zu verlassen und querfeldein über kleine und enge Landwege zu fahren. „Das sollten wir öfter mal machen.“ Sage ich zu Stefan. „Es ist so schön und man bekommt mehr von der Landschaft mit.“ Und zudem sind wir zwischen Wald und Wiesen komplett für uns alleine.

Doch als kurz danach halsbrecherische Kurven kommen, überdenke ich die Sache noch einmal. Mit schreckensgroßen Augen sehe ich zu, wie sich Stefan von einer engen Kehre in die nächste quält. Als wir wieder an der Geraden sind, beuge ich mich vor. „Ich hab’s mir anders überlegt! Keine Landstraßen!“ Er lacht.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
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