Die Corona-Krise – ein Kommentar
Ich blinzle. Raus aus den Träumen, rein ins Leben. Es ist Samstag, Wochenende. Hoch die Hände. Endlich frei. Ein Blick aufs Handy. Zunächst scheint alles normal. Aber warte, IRGENDWAS war da doch. Mein linkes Auge erspäht die Spalte mit den News. Ach ja, richtig. Die Welt geht unter.
Ich gebe zu, als das Thema zunächst aufkam, da habe ich dem nicht viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt als wenn der sprichwörtliche Sack Reis in China umfällt (dieser Vergleich ist auf makabre Weise passend…). Doch nach und nach zog es immer größere Kreise. So große Kreise, wie ich es mir nicht hätte vorstellen, nicht hätte erträumen können. Wie auch. Das hat wohl keiner.
Die Lage entwickelte sich in rasantem Tempo weiter. Corona in China, Corona in Italien. Weitere Länder sind betroffen. Und ja, auch ich fragte mich ziemlich lange, was der Wirbel soll. Als ich das erste Plakat am Schaufenster einer Apotheke sah, das über das Fehlen von Desinfektionsspray und Mundschutz informierte, wäre ich fast in einem großen Lachkrampf ausgebrochen. Inzwischen ist mir das Lachen gründlich vergangen.
Menschen mit asiatischem Aussehen wurden gemieden, ausgestoßen. Aus Solidarität begannen mein Partner und ich, regelmäßig chinesisch essen zu gehen.
Was den Deutschen letztendlich das Genick brach, das war nicht das chinesische Buffet, sondern das Geschunkel auf dem ach so beliebten Karneval. Auch damals haben es viele unterschätzt. Hinterher wurde Kritik laut. Man hätte alles absagen müssen. Hinterher ist man immer schlauer.
Rasend schnell breiteten sich die Herde aus. Klar, die Karnevalisten fuhren auch irgendwann nach Hause. Und überhaupt sind wir doch ein so internationales Land. Eine so internationale Welt. Hessen, Baden Württemberg. Weitere Bundesländer sind betroffen. Weitere Staaten. Und dann der Schock. Israel riegelt sein Land für Deutsche ab.
In meinem letzten Artikel bezog ich mich auf unsere Reisefreiheit, unsere weltweit gültigen Pässe und auf unsere Wirtschaft, die alle Nachfragen zu bedienen imstande ist. Corona zeigt uns die Fragilität dieser Systeme. Nun ist es vorbei mit dem überall so gerne gesehenen deutschen Urlauber. Und mit der starken Wirtschaft fürs erste wohl auch. Wir erleben das Gefühl, wie es ist, wenn andere Staaten uns nicht bei sich haben wollen. Zumindest temporär. Und es ist kein schönes Gefühl.
Viren – kleiner Exkurs
Was ist so gefährlich an Corona?
Viren sind sog. lebensähnliche Organismen, die in den Körper eindringen. Die erste und wohl größte Eintrittspforte ist der Mund. Falls das Virus von den Abwehrstoffen unseres Körpers nicht als fremd identifiziert, also erkannt werden kann, nistet er sich ungestört in den Zellen ein.
In dem Fall betrifft es meist die Atemwege, bei COVID19 die Lunge. Dort zwingt das Virus die Zelle, ihren Stoffwechsel dazu zu nutzen, ihm bei der Vermehrung zu helfen. Denn das Virus hat keinen
eigenen Stoffwechsel. Eigentlich sind es nur kleine Bündel mit DNS in einer Schale außen herum. Die Zelle geht daran zugrunde und die nun vermehrten Viren greifen sich die nächste. So zumindest die allgemeine Theorie.
Die virale Außenhülle ist äußerst interessant. Sie besitzt bestimmte Merkmale, die es ihr ermöglichen, in die Zellwand einzudringen. Gleichzeitig „merkt“ sich das Abwehrsystem des Körpers diese charakteristische Struktur und bildet ein Gedächtnis dafür aus. Beim nächsten Angriff springen unsere Abwehrzellen sofort ein, wir sind immun geworden.
Doch das Virus ist auch nicht auf den Kopf (pardon: den DNS-Strang) gefallen. Nach einer Weile verändert es seine Oberfläche; es mutiert. Daher können wir jedes Jahr aufs Neue an der H1N1 Influenza erkranken und daher müssen die Grippeimpfstoffe jedes Jahr aufs Neue angepasst werden. Ein Impfstoff für COVID19 muss erst entwickelt werden, noch weiß man zu wenig darüber.
Düstere Wolken am Horizont
Inzwischen ist die Welt bei einer Art Endzeitstimmung angelangt. Es kursieren allerlei Gerüchte im Internet herum. Es kursieren Verschwörungstheorien a la: die Chinesen, alternativ die Amerikaner, hätten den neuartigen Corona-Stamm entwickelt, um… ja, um was?
Hier nutzen viele den Zug, um mit aufzuspringen. Jeder möchte sich bestmöglich profilieren, wilde Gerüchte machen die Runde und versetzen Menschen in Angst. Verschwörungstheorien sind gefährlich, sie untergraben das Vertrauen der Menschen in die Regierung und seine Maßnahmen und verleiten sie zu unsinnigen Aktionen. Eine Jahresration Klopapier? Alles möglich!
Es kursieren Fake-News, die von wohlmeinenden Freunden ungefiltert weiter geleitet werden. Man solle bei Verdacht auf Corona viel heißes Wasser trinken oder ähnlicher Scheiß. Diese und andere Fehlinformationen sind unsinnig und ebenso gefährlich, denn sie machen den Menschen glauben, dass er sich durch solch einen Quatsch schützen könne. Wieso hören wir nicht einfach auf, hinter allem eine große Verschwörung zu wittern und vertrauen einfach den offiziellen Stellen?
Der Absatz an Toilettenpapier und Nudeln ist rasant gestiegen, ebenso wie die Gewinnmarge der Onlinespiel-Betreiber. Auch die polnischen Spiritushersteller sollen laut neuesten Angaben profitieren. Hat einer davon das Virus in die Welt gesetzt, um eine Apokalypse auszulösen? Wohl kaum.
„Corona ist seit den 1950-Jahren bekannt“, schrieb neulich ein User. „Es gibt bereits einen Impfstoff, nur wird dieser zurückgehalten, um noch mehr Profit zu schlagen.“
Ja wie? Eine heiß begehrte Ware wird in Zeiten der größten Nachfrage zurückgehalten, um Profit zu schlagen? Interessant, von so einer Verkaufsstrategie habe ich ja noch nie etwas gehört *Ironie off*. An solchen und ähnlichen Äußerungen kann man schön sehen, was dabei herauskommt, wenn Menschen Schei*** reden, ohne vorher auch nur einen Augenblick lang darüber nachgedacht zu haben.
Hierzu ist es wichtig zu wissen, dass der Corona-Virus nicht gleich COVID19 ist. Humane Corona-Stämme sind uns schon lange bekannt. Sie verursachen in der Regel harmlose Erkältungserscheinungen. Doch dieser spezielle Stamm von Corona-Viren, der die Lungenerkrankung COVID19 auslöst, ist neu.
Dann gibt es wieder Unternehmen, die mit dubiosen Werbemaßnahmen versuchen, Profit aus der Sache zu schlagen. Jedes Pharmaunternehmen, das jemals eine Studie mit Corona-Viren durchgeführt hat, schriebt sich das groß auf die Fahnen. „Corona – schützen Sie sich!“
Leider hat es sich in den Medien eingebürgert, von Corona zu sprechen, wenn COVID19 gemeint ist. Das wiederum ermöglicht das Bewerben von Nahrungsergänzungsmittel, die gegen Corona wirken sollen. Als Beweis dient dazu eine Studie an humanen Corona-Stämmen von 2014. Noch eine Frau in Mundschutz, ein paar umherfliegende Erreger und schon hat man ein bedrohliches Szenario inszeniert. Keine der Aussagen des Herstellers ist an sich falsch, doch das Endergebnis ist ein großer Irrglaube, den er bei seinen Verbrauchern auslöst. Und das ist äußerst verwerflich.
Auswirkungen im Alltag
„Das Virus ist wie eine Grippe, es ist für junge und gesunde Menschen nicht gefährlich.“ Solche und ähnliche Äußerungen dienen als Rechtfertigung dafür, dass einige sich den Alltag nicht vermiesen lassen wollen und weiterhin so leben möchten wie bisher. Weggehen, Kino, Party. Ich kann das verstehen. Es gibt schon jetzt Einschnitte in den Alltag, Kitas und Schulen werden geschlossen, Reisen an viele Orte, die uns bisher offen standen, sind nur noch ein ferner Traum. Doch diese Maßnahmen sind wichtig.
Einige sind jung und gesund. Andere wiederum nicht. Wohl fast jeder von uns hat jemanden in seinem Umfeld, der als gefährdet gelten könnte. Oma, Opa, Tante. Ältere Menschen, Menschen mit Erkrankungen. Menschen, deren Immunsystem sonstwie geschwächt ist. Willst du dafür verantwortlich sein, wenn diesen Menschen etwas passiert? Auch sie möchten gerne lange leben. Auch ich habe für mich ein langes Leben vorgesehen, wenn ich irgendwann alt und grau bin.
Doch ich kann es verstehen. Man steckt den Kopf in den Sand, weil man es nicht wahr haben möchte. Unser aller Leben wird sich in der nächsten Zeit erheblich verändern. Schon jetzt versuche ich, unnötige Menschenansammlungen zu meiden. Keinen Kontakt zu Personen aus meinem Freundeskreis zu haben, für die eine eventuelle Corona-Infektion schwere Folgen haben könnte.
Wie meine Freundin, die neulich nach einer OP fünf Tage im Krankenhaus lag. Wie gerne hätte ich sie besucht. Ich habe schweren Herzens davon Abstand genommen.
Oder eine andere Freundin, die ich ursprünglich in Bonn treffen wollte. Da Bonn nicht gerade bei Mannheim um die Ecke liegt, sehen wir uns nicht allzu oft. Doch sie ist schwanger und auch wenn eine Schwangerschaft keine Erkrankung ist, so können Infektionen bei Schwangeren ganz anders verlaufen. Und da ich beruflich viel in ganz Deutschland reise und zu meinen Kunden Apotheken gehören, bin ich mehr als andere imstande, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen irgendwelche Viren anzuschleppen.
Corona wirkt sich auf das soziale Leben aus. Obwohl Kinder nicht erkranken, verbreiten sie das Virus besonders schnell. Die Kitas und Schulen sind zu, und dennoch ist die Aufsicht durch Oma und Opa keine gute Option. Corona isoliert.
In den Apotheken herrscht seit Ende dieser Woche Endzeitstimmung. Waren alle meine Kunden bis dato mehr oder weniger tiefenentspannt, so hat sich die Lage innerhalb von einem- bis zwei Tagen rasant geändert.
Ich sah die erste Apotheke, deren Mitarbeiter bereits Handschuhe tragen. Der Handverkaufsbereich wird ständig desinfiziert und die Räume stoßgelüftet. Eine Plexiglas-Scheibe zum Schutz der Mitarbeiter ist bestellt. Ich begrüße alle Maßnahmen, die dazu dienen, das medizinische und pharmazeutische Personal zu schützen, denn der Apothekenbetrieb ist wichtig und muss funktionieren. Zu Hause zu bleiben ist für die Mitarbeiter keine Option. Die ersten Apotheken bedienen nur noch über den Notdienstschalter.
Und vor allem – keiner will mich mehr empfangen. Ich sehe quasi schon die groß geweiteten Augen: was, ein Vertreter? In dieser Situation, ernsthaft??
Neben mir eine Freundin, die sich Sorgen um ihre alten Eltern macht. Ich sorge mich um meinen Großvater und meine Mutter, doch da sie kaum das Haus verlassen, ist die Gefahr für sie wohl gering. Die Freundin wiederum sorgt sich um ihre Tochter, derer Selbständigkeit im Moment zu einer existenzbedrohlichen Situation für sie wird. Jeder hat jemanden, den Corona mehr oder minder betrifft, auch ohne sich infiziert zu haben.
Ich sorge mich, was mit unseren Reisen für dieses Jahr wird. Alles ist schon gebucht und bezahlt. Und obwohl ich weiß, dass es Schlimmeres gibt, ärgern mich diese Einschnitte in mein bis dato perfekt geplantes und organisiertes Leben.
Die Stimmung ist düster. Trotz Frühling, trotz blühender Sträucher, Mandelbäume und Magnolien beherrscht eine seltsame Endzeitstimmung das Land. So als hätten wir bald Bürgerkrieg oder schlimmeres. Die Autobahnen sind leerer als sonst. Dafür bekommt man beim Lidl kaum noch einen Parkplatz. Corona beherrscht den Alltag. Corona beherrscht das Internet. Und jeder fühlt sich berufen, einen mehr oder minder qualifizierten Beitrag dazu zu schreiben.
Und dabei dürft ihr meinen nur zu gerne dazu rechnen. Auch ich fühle mich berufen, einen Beitrag zu schreiben, quasi als eine Art Selbsttherapie. Ich kenne zur Zeit keinen, den die Situation nicht belasten würde…
Wer sich über die aktuellen Zahlen der Corona-Infektionen informieren möchte, dem sei die interaktive Karte der Berliner Morgenpost ans Herz gelegt, die die Anzahl an bestätigten Fällen in Echtzeit anzeigt.