Januar 2017
Jedes Jahr zum Jahresende tue ich das Gleiche.
Irgendwann, so zwischen dem 1-ten und dem 3-ten Januar des neuen Jahres sitze ich da, lasse die vergangenen Monate Review passieren und mache mir Notizen. Wo wollte ich hin? Wo bin ich nun? Was hat sich geändert? Was soll sich noch ändern?
Ich schreibe einen Rückblick. Und jedes Jahr sehe ich immer wieder aufs Neue, dass ich doch recht weit gekommen bin in dem, was ich mir vorgenommen habe, sei es privat oder beruflich. Es hilft mir, meine Erfolge wahrzunehmen, das Erreichte zu sehen.
Ich schreibe eine To-do-Liste.
Nein, es ist keine Liste der guten Vorsätze, so etwas gibt es bei mir nicht. Möchte man aktiv etwas ändern, ist das Neue Jahr nur eine Ausrede, um darauf zu warten und um dann sagen zu können; ich habe es nicht geschafft und jetzt ist Juni.
Nein, es handelt sich um einen groben Entwurf; hier ein Paar Träume, da ein Paar Ziele. Um die Richtung nicht aus den Augen zu verlieren.
Und für Euch gibt es wieder eine Geschichte, so wie sie zu mir passt: Eine, die von Glück handelt, von Ehrlichkeit, Mut und Feigheit.
Ich wünsche Euch ein neues Jahr, welches all das in Erfüllung gehen lässt, was Ihr Euch je erträumt habt.
Peter Bichsel: San Salvador
„Er hatte sich eine Füllfeder gekauft.
Nachdem er mehrmals seine Unterschrift, dann seine Initialen, seine Adresse, einige Wellenlinien, dann die Adresse seiner Eltern auf ein Blatt gezeichnet hatte, nahm er einen neuen Bogen, faltete ihn sorgfältig und schrieb: „Mir ist es hier zu kalt“, dann „ich gehe nach Südamerika“, dann hielt er inne, schraubte die Kappe auf die Feder, betrachtete den Bogen und sah, wie die Tinte eintrocknete und dunkel wurde (in der Papeterie* garantierte man, daß sie schwarz werde), dann nahm er seine Feder erneut zur Hand und setzte noch großzügig seinen Namen Paul darunter.
Dann saß er da.
Später räumte er die Zeitungen vom Tisch, überflog dabei die Kinoinserate, dachte an irgendetwas, schob den Aschenbecher beiseite, zerriß den Zettel mit den Wellenlinien, entleerte seine Feder und füllte sie wieder. Für die Kinovorstellung war es jetzt zu spät.
Die Probe des Kirchenchores dauert bis neun Uhr, um halb zehn würde Hildegard zurück sein. Er wartete auf Hildegard. Zu all dem Musik aus dem Radio. Jetzt drehte er das Radio ab.
Auf dem Tisch, mitten auf dem Tisch, lag nun der gefaltete Bogen, darauf stand in blauschwarzer Schrift sein Name Paul.
„Mir ist es hier zu kalt“, stand auch darauf.
Nun würde also Hildegard heimkommen, um halb zehn. Es war jetzt neun Uhr. Sie läse seine Mitteilung, erschräke dabei, glaubte wohl das mit Südamerika nicht, würde dennoch die Hemden im Kasten zählen, etwas müßte ja geschehen sein.
Sie würde in den „Löwen“ telefonieren.
Der „Löwen“ ist mittwochs geschlossen.
Sie würde lächeln und verzweifeln und sich damit abfinden, vielleicht.
Sie würde sich mehrmals die Haare aus dem Gesicht streichen, mit dem Ringfinger der linken Hand beidseitig der Schläfe entlangfahren, dann den Mantel aufknöpfen.
Dann saß er da, überlegte, wem er einen Brief schreiben könnte, las die Gebrauchsanweisung für den Füller noch einmal -leicht nach rechts drehen ‑ las auch den französischen Text, verglich den englischen mit dem deutschen, sah wieder seinen Zettel, dachte an Palmen, dachte an Hildegard.
Saß da.
Um halb zehn kam Hildegard und fragte: „Schlafen die Kinder?“
Sie strich die Haare aus dem Gesicht.“