Europa, Island

Islands Südküste, Teil I – Seljalandsfoss und Skogafoss

Heute geht es zur Südküste der Insel, zum Seljalandsfoss, Skogafoss und zu den magischen schwarzen Stränden an der Küste von Vik. Die schwarzen Strände auf Island gehören zu den schönsten nichttropischen Stränden der Welt und die Szenerie sieht sehr unwirklich aus. Gicht und tosende Wellen, die mit ihren Schaumkronen gegen den pechschwarzen, vulkanischen Sand schlagen. Ein leichter Dunst, der sich über der Küste sammelt. Basaltsäulen, die „versteinerten Trolle“. Wer würde daran zweifeln, dass dieses Land den Elfen und Zauberwesen gehört?

Vielleicht war das nicht gerade die beste Idee, für eine Tour durch Island einen Kleinbus mit verdunkelten Fenstern zu besorgen. Glücklicherweise kann ich mir sofort einen Platz ganz vorne hinter dem Fahrer sichern.

In einem Land, wo im Winter jedes Lichtlein Mangelware ist und es selbst im Sommer nicht wirklich heiß wird, verschlucken die dunklen Scheiben all jenen Rest an Helligkeit, der sich da im Laufe des Tages noch bilden möge. Als wir losfahren und unsere Köpfe wackeln, ist es nur noch die Stimme unseres Guides, die uns unterhält, und die amerikanisierten Weihnachtssongs, die aus den Lautsprechern dudeln. Gerade ist es „Last Christmas“.

Egal, in welch entferntes Eck der Erde man auch flüchtet, „Last Christmas“ zu Weihnachten verfolgt einen immer.

Unser neuer Guide heißt Skúli. „Wie die Schule.“ Sagt er uns, wohl wissend, wie „einfach“ isländische Namen und Begrifflichkeiten sind. Dann erheitert er uns mit Geschichten über Trolle und füttert unsere Hirne mit Anekdoten und Wissenswertem.

Isländische Pferde (nenne sie nicht „Ponys“!) ?

Als sich das Licht zögernd und schemenhaft in die Dunkelheit stiehlt, kann man auch etwas mehr von der Landschaft sehen. Zumindest diejenigen, die das Glück haben, ganz vorne zu sitzen, die anderen können weiterhin nur erahnen, was da draußen vor sich geht.

Doch es geht nicht viel vor sich; ab und zu stehen ein paar isländische Pferde verstreut in der verschneiten Landschaft. „Nennt unsere Bäume nicht ‚Gebüsch‘ und unsere Pferde nicht ‚Ponys‘.“ Schärft Skúli uns ein. „Damit könnt ihr euren isländischen Gesprächspartner mächtig verärgern. Das da draußen sind Bäume, auch wenn sie für manchen von euch nicht so aussehen…“ Er grinst und ich muss lachen. Gebüsch. Wald.

Dann erzählt er uns von den Pferden. Die isländischen Po… pardon, Pferde werden von vielen gehalten. „Die meisten auf der Insel haben eins oder mehrere davon.“ Berichtet er. „Selbst Leute, die in der Stadt leben. Sie sind teuer; die teuersten, die es zu kaufen gibt, kosten so viel wie ein Haus. Doch, und es ist nicht schön, das zu sagen“, fügt er hinzu, „wir essen sie auch.“ Eine kleine Pause. Dann: „Sie schmecken gut.“

Tatsächlich wird in Island sehr auf die Rassenreinheit der Pferde geachtet. Es dürfen nur echte isländische Pferde eingeführt werden, weshalb man keine anderen Rassen zu sehen bekommt. Denn das Islandpferd gab es schon zu Zeiten der Wikinger, es ist eine der reinsten Rassen der Welt; seit mehr als tausend Jahren hatte es keine genetische Vermischung gegeben und man will auch, dass es so bleibt. Kein anderes Pferd darf ins Land kommen und verlässt ein Islandpony die Insel, darf es nicht mehr eingeführt werden. Dafür kommen so gut wie keine Pferdekrankheiten vor und es sind keine Impfungen notwendig.

Irgendwann werde ich mal so ein Pferdchen reiten.

Dann, bei beginnender Blauen Stunde stehen wir vor dem Wasserfall Urridafoss.

 

Urridafoss

Der heutige Morgen steht voll und ganz im Zeichen der Wasserfälle; gleich drei davon werden wir besuchen. Zu Anfang machen wir einen kurzen Halt beim Urridafoss, etwa eine Stunde Fahrzeit südöstlich von Reykjavik gelegen. Der kurze Stopp dient eigentlich nur dazu, die Zeit bis zum Sonnenaufgang zu überbrücken.

Der Wasserfall wirkt auf den ersten Blick nicht gerade sehr beeindruckend, doch das ändert sich, wenn man weiß, dass das der wasserreichste Wasserfall Islands ist. Er stürzt 360m³ pro Sekunde in eine tiefe Spalte in der Mitte des Flusses. Der Wasserfall ist recht unbekannt, vielleicht liegt es an seiner geringen Höhe von nur sechs Metern.

Draußen ist es kalt und der gefrorene Schnee knirscht unter meinen Schuhen. Ein kleiner Weg führt vom Parkplatz weg und am Fluss entlang. Ich bewundere die blauen Farben des anbrechenden Morgens und den starken Wasserstrom, der sich rauschend durch Schnee und Eis bricht. Ein großer Teil des Flusses ist gefroren, das gelbe Licht der Scheinwerfer irrt suchend über dem Eis.

Die Eisplatten, die sich im Winter auf dem Fluss Þjórsá bilden, können bis zu zwanzig Meter dick werden. Der Fluss selbst ist mit seinen 230 Kilometern der längste Fluss in Island. Es gibt Pläne, die Wassermenge für ein Kraftwerk zu nutzen; damit würde der Wasserfall einen Großteil seiner Wassermenge verlieren.

Der Weg ist glatt und vereist und die Menschen stützen sich gegenseitig. Ich mache ein paar Bilder und beäuge die trockene Vegetation am Flussufer. Das muss hier alles im Sommer grün und saftig aussehen, die Flussufer dicht bewachsen sein. Nun starren bloß braune, trockene Stängel durch die steife Schneekruste.

 

Seljalandsfoss

Da ist er. Könnt ihr ihn tosen hören? Wie ein umrahmtes Foto sieht er aus, groß, hoch und beeindruckend, absolut beeindruckend. Ich renne nicht sofort hin. Wie bei allen Dingen, deren Anblick mich in ihren Bann zieht, halte ich erstmal Abstand, nähere mich nur langsam. Schon im Bus, bei der Anfahrt auf den Parkplatz des Skagafoss kann ich ihn von weiten sehen. Da, wie ein weißes, dünnes Band, wie ein Vorhang, eine Gardine, die den Felsen bedeckt. Da ist er.

Skúli hat eine Überraschung für uns parat: er hat für seine Pappenheimer Spikes für die Schuhe mitgebracht. Für jeden und in ausrechender Menge. „Bedient euch!“ Sagt er. Natürlich haben die meisten Besuchern nicht daran gedacht, dass die Wege rund um die Wasserfälle vereist sein könnten, entsprechend hat sich auch keiner so wirklich vorbereitet. Doch ein guter Guide denkt mit.

Bei einer seiner letzten Wintertouren, weiß Skúli zu erzählen, ist ein Unfall passiert. Einer aus seiner Gruppe rutschte auf dem Eis aus und brach sich den Arm. Seitdem hat Skúli für jeden ein paar Spikes zum Überziehen dabei, für den sicheren Halt. „Das…“ sagt er, „wird mir nicht mehr passieren.“

Der Seljalandsfoss ist einer der Wasserfälle, bei denen es möglich ist, über einen schmalen Wanderweg hinter den Wasservorhang zu treten, so dass man durch das fallende Wasser nach draußen blicken kann. Sicher ein spektakulärer Anblick und eigens dafür habe ich mir eine ganze wasserfeste Regenausrüstung mitgebracht. Doch Skúli bremst meine Vorfreude aus. „Leider ist es nicht möglich, heute hinter den Wasserfall zu treten, die ganzen schmalen Pfade sind gesperrt.“ Sagt er. Die regenfeste Jacke könne ich im Auto lassen.

Ich bin etwas enttäuscht, aber nicht zu sehr. Schon als ich mich dem Seljalandsfoss nähere, sehe ich, wie glatt und rutschig der Weg dort ist. Und der wird umso glatter, je näher man an die fallende Gicht heran tritt. An der Absperrung gleich vor dem Wasservorhang haben sich Fotografen mit Kameras und Stativen positioniert. Ob das aus dieser geringen Entfernung etwas bringt, sei dahingestellt, denn bereits einige Meter spüre ich den kühlen Hauch des Sprühnebels, der sich um den Wasserfall ausbreitet. Aus dem Boden spritzt ein winziger Mini-Geysir, eigentlich nur daran erkennbar, dass an dieser Stelle bläuliche Stalagmiten aus Eis in die Höhe wachsen.

Die Gicht benetzt mein Gesicht, wie sie auch die Linsen der Kameras bedeckt, die Umgebung, den Weg – und verwandelt alles nach einer Weile in eine eisige, spiegelglatte Fläche, auf der die Menschen unsicher balancieren. Nur unsere Pappenheimer nicht, die sind gerüstet. Doch nicht alle Guides haben mitgedacht.

Ein großer Teil des Wassers ist gefroren, der Seljalandsfoss wirkt wie ein schmales Band, er wird vom Eyjafjallajökull Gletscher gespeist. Ganze 66 Meter tief stürzen die Wassermassen nach unten. Um ihn herum ziehen sich weiße, erstarrte Eiszapfen, werden zu Eissäulen, bilden ganze Skulpturen. Der ganze Felsabhang wirkt wie ein einziger Vorhang aus erstarrtem, gefrorenem Eis. Selbst mir fällt es schwer, hier entlang zu gehen und ich bin voller Bewunderung für Menschen, die das ohne Hilfsmittel schaffen. Es ist spiegelglatt.

Ich wende mich nach links, denn dort soll sich ein kleinerer Wasserfall befinden, der in einer Höhle verschwindet. Im Sommer sind die Hänge grün und mit Moos und Gräsern bedeckt. Der Weg hinter den Wasserfallvorhang ist begehbar und lässt hinter einen Schleier in eine verwunschene Welt blicken. Doch jetzt starrt alles vor Schnee und Eis, weiß, schwarz und gedeckte Farben dominieren das Land.

Unsere Zeit hier ist begrenzt und für eine längere Wanderung oder gar ausgedehnten Spaziergang reicht es leider nicht. Der Ort ist voller Menschen. Irgendwo habe ich gehört, im Winter sei in Island weniger los, doch bislang kann ich das nicht bestätigen. Im Winter gibt es nur diese kurze Zeitspanne von vielleicht vier Stunden, in denen es hell ist. Und die Menschen konzentrieren sich zu diesen bestimmten Zeiten an ausgewählten Spots. Selbst wenn es zahlenmäßig nicht so viele Besucher sein mögen, vom Empfinden her macht es wohl keinen Unterschied.

Denn mich interessiert nicht bloß der Wasserfall, sondern die Weite der Landschaft um mich herum. Der Ort beeindruckt mich sehr, trotz der vielen Menschen – selbst der Andrang kann ihm das gewisse Etwas nicht rauben. Das Land ist weit und offen, das Gras gelb und mit Schnee bedeckt, die Berge wie gemeißelt, wie gemalt, so als bestünden sie nicht aus Asche und Gestein, sondern lediglich aus Pinselstrichen und Farbe.

Ein kleiner Bach plätschert vorbei, ein kleines Häuschen ist in der Ferne sichtbar, ein Zaun zieht sich entlang der weiten, verlassenen Felder. Im Sommer stehen hier unzählige Tiere auf der Weide, Schafe und die bereits erwähnten, kleinen Pferdchen. Ich versuche, mir das ganze verlassen vorzustellen, was es bis vor einigen Jahren noch war. Island ist eigentlich ein beschauliches Land, hier leben mehr Schafe als Menschen. Erst durch den Touristenboom kam so etwas wie Leben auf die Insel.

„Die Touristen“, erzählt und Skúli, „haben uns erst gelehrt, unser Land mit ganz anderen Augen zu sehen und seine Schönheit zu erkennen.“ Wobei, wie er hinzufügt, liebte er sein Land schon immer.

Das Magische Islands muss man mir nicht erst zeigen. Ich erkunde, verweile und vergesse die Zeit. Die wartenden Mitreisenden sagen nichts, als ich ein wenig später und außer Atem am Bus ankomme.

 

Skógafoss

An sonnigen Tagen umspannt ein Regenbogen den Skogafoss. An solchen Tagen kann man den Schatz von Skogafoss in der Tiefe schimmern sehen. Den Schatz hat seinerzeit Þrasi Þórólfsson versteckt, der erste Siedler in Skoga. Er soll die Truhe mit Gold der Legende nach in den Wasserfall geworfen haben, wo sie an sonnigen Tagen in der Tiefe am Ende des Regenbogens in den schillerndsten Farben schimmert. Doch dieser Schatz währt nur so lange, bis jemand versucht, danach zu greifen; dann, im selben Moment, verschwindet er wieder für viele, viele Jahre.

So erging es einem Jungen, der die Truhe mit Gold in einer Höhle hinter dem Wasserfall entdeckte. Er griff nach ihr, doch sie verschwand – nur noch den verzierten Griff hielt der Junge noch in der Hand. Dieser Griff wurde an der Tür der Kirche von Skogar angebracht – so zumindest die Legende. Doch an kalten, bewölkten Wintertagen wie heute kann man den Schatz in der Tiefe nicht sehen.

Rund 60 Meter stürzt der Wasserfall in die Tiefe. Sein beeindruckend gleichmäßiger Wasservorhang ist rund 23 Meter breit. Hier lässt sich nicht hinter den Wasserschleier blicken, doch das ist auch gar nicht nötig. Der ist auch so imposant genug. Der mächtige Wasserfall, umgeben von gefrorenen Kaskaden – könnt ihr ihn rauschen hören? Es ist großartig, touristisch oder nicht. Die moosbewachsenen, riesigen Felsbrocken erinnern an versteinerte Trolle. Wie Trolle mit spitzen Trollmützen. „Als ich ein kleiner Junge war“, erzählt uns Skúli noch im Bus, „da nannten meine Eltern die Wasserfälle ‚Trollduschen‘.“Allein die Landschaft, die mich umgibt, ist grandios, völlig egal, wie viele Leute sich hier außer mir noch tummeln.

Und zudem gibt es eine schöne Rutschpartie auf gefrorenem Eis, denn auch hier ist der Platz rund um den Skogafoss komplett gefroren. Die Menschen können sich kaum auf den Beinen halten. Sie stolpern vorsichtig vor sich hin, halten sich am Geländer, halten sich gegenseitig, halten sich an allem, was sie kriegen können. Ängstliche Mädchen werden von ihren mutigen Freunden über das Eis gezogen. Jeder läuft wie auf rohen Eiern. Und ab und zu legt sich auch jemand auf den Poppes. Die Fläche ist glatt wie Glas, streuen wäre hier vergebliche Liebesmüh gewesen, denn mit jedem Kubikmeter Wasser, das nach unten fällt, trägt der Wind die Gicht zu uns rüber und trägt je eine neue Schicht feinen Wassernebels auf. Die Gicht gefriert zu einer undurchdringlichen Eis- und Schneedecke. Ich spüre die Kühle auf meinem Gesicht. Bis ganz nah an den Wasservorhang trete ich nicht.

Rechts vom Wasserfall führt eine wackelige Treppe bis zu einem Aussichtspunkt, wo man über die verschneite Landschaft blicken und die Wassermassen von oben betrachten kann. Ich belasse es dabei, einfach eine Zeit lang nur da zu stehen und nirgendwohin zu hetzen, der Zeitplan ist eh relativ knapp bemessen. Der Skogafoss ist grandios, doch alleine hier zu stehen und den Menschen zuzugucken kann schon unterhaltsam sein. Und nein, ich schäme mich nicht der leisen Schadenfreude – meinen pflaumenblauen Bluterguss habe ich mir bereits am Tag zwei abgeholt ?

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

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