Heute geht es zur Südküste der Insel, zum Seljalandsfoss, Skogafoss und zu den magischen schwarzen Stränden an der Küste von Vik. Die schwarzen Strände auf Island gehören zu den schönsten nichttropischen Stränden der Welt und die Szenerie sieht sehr unwirklich aus. Gicht und tosende Wellen, die mit ihren Schaumkronen gegen den pechschwarzen, vulkanischen Sand schlagen. Ein leichter Dunst, der sich über der Küste sammelt. Basaltsäulen, die „versteinerten Trolle“. Wer würde daran zweifeln, dass dieses Land den Elfen und Zauberwesen gehört?
Leicht nieselt der Regen gegen die Fensterscheibe. Der Bus schlängelt sich gemächlich die kurvige Straße vorwärts. Die ehemals grünen Wiesen sind nun mit trockenem Gras und Schnee bedeckt. Es ist Winter in Island. Und irgendwo rechts von uns tost der Ozean, brechen sich die Wellen an der pechschwarzen Küstenlinie, zermalmen und pulverisieren das Vulkangestein, bis es ganz fein wie Kohlestaub wirkt – die berühmten schwarzen Strände warten auf uns.
Wusstest du, dass hier, an diesem Punkt der isländischen Küste, der Ozean ungebremst auf die Insel trifft? Seine Macht ist beachtlich, denn zwischen uns und dem antarktischen Kontinent befindet sich… nichts. Keine Insel, kein Land, nichts, das die Gewalt der Wellen abschwächt; wir hätten zur Antarktis herüber schauen können, wenn da nur die Witterung – und die Erdkrümmung nicht wären. Und die Gewalt der Wellen entlädt sich in den tückischen Snake-Waves, vor denen so eindringlich gewarnt wird und die jedes Jahr mehrere Opfer fordern.
So unwirklich, fantastisch und skurril, völlig losgelöst von der Realität. Dieser Satz geht mir durch den Kopf, als ich zum ersten Mal in nebliger Ferne, hinter dem schwarzen Strand die schemenhaften, schlanken Trollfelsen, die Reynisdrangar, erblicke.
Wir sind am schwarzen Sandstrand von Reynisfjara und uns umgibt eine unwirkliche Szenerie. Die weißen Schaumkronen benetzen den schwarzen Sand, ein einzelner, großer dunkler Brocken ragt auf dem sonst verlassenen Strand. Nur die Fußspuren, die sich wie Schnüre über die samtige Oberfläche ziehen, sie in Segmente zerteilen, sie zeugen davon, dass da auch Menschen sind. Wir sind an der Küste von Wik i Myrdal.
Die Basaltsäulen, die mir in der Ferne entgegen starren, die Trollfelsen. Mystisch, magisch, wie sie aus den Nebel auftauchen. Kein Wunder, dass die Menschen hier an Trolle glauben. Das sind Trolle – ohne jeden Zweifel. Und dazu existiert auch eine Legende. Vor langer Zeit, als sie hier nachts verweilten, beim Versuch, ein Schiff an Land zu ziehen, um sich am Frachtgut zu bereichern, vergaßen sie vor lauter Gier die Zeit. Anstatt sich vor dem aufkommenden Sonnenaufgang in die Tiefen ihrer Höhlen zu flüchten, blieben sie so lange, bis sie die ersten Strahlen trafen. Und erstarrten zu Stein.
Der feuchte Strand schimmert fast bläulich, wie die Nacht selbst. Der Anblick erinnert mich vielmehr an ein Negativ, wo Hell und Dunkel umgekehrt sind, Licht und Schatten seinen Platz vertauscht haben, als an einen reellen, existierenden Ort. Ich kann mich von dem Anblick kaum loslösen. Nur langsam wende ich mich wieder ab und laufe die Küstenlinie entlang. Alles aufgenommen mit meinem Kopf, verewigt in meinem Geist. Selbst jetzt noch, wenn ich die Bilder betrachte, möchte ich am liebsten in den Bildschirm hinein krabbeln, will wieder dort sein.
Ab und zu dringt ein Lichtstrahl hindurch und geistert über der Oberfläche, verleiht ihr einen schmutzig goldenen Glanz. Die abgebrochenen Basaltfelsplatten der Küste sehen übermächtig aus. Weiße Schaumkronen peitschen den Sand und ziehen sich zurück, die Gicht spritzt auf an Stellen, wo sich die eine Welle zurückzieht und auf die andere trifft, die gerade in Anmarsch ist.
Die Wellen grollen, knallen mit dumpfen Schlägen gegen die schwarzen Felsen. Es ist faszinierend, diese ungezähmte Gewalt. Kein Wunder, dass an den schwarzen Stränden von Reynisfjara ab und zu ein unvorsichtiger Spaziergänger von den gefährlichen Snake Waves verschluckt wird. Hin und wieder müssen Strandabschnitte gesperrt werden, zu groß ist die Gefahr, erfasst und mitgerissen oder von abbrechenden Felsfragmenten, von Steinschlag getroffen zu werden. Oben auf dem Hügel steht ein Denkmal für ertrunkene Seeleute.
Die Wasseroberfläche ist messingfarben, trägt einen goldenen Schimmer. Das Lavagestein bildet an einer Stelle eine Brücke. Noch zehn Minuten, dann muss ich zum Bus. Doch das hier ist der beste Platz. Die Trollfelsen, mystisch, magisch, der schwarze Strand… Die Gletscher, an denen der Bus vorbei fährt… Das goldene Licht, das durch die Wolken dringt – könnt ihr es sehen?
Ich muss zum Bus.
Es ist faszinierend, zu sehen, wie sich die mächtigen Wellen ungebremst an der Küste entladen, mit vernehmbaren, dumpfen Schlägen, die den Boden unter mir erschüttern. Ich muss weg, doch die See hält mich fest und ich möchte nicht gehen.