Preisfrage: sind Verallgemeinerungen, bei denen sich die meisten schmunzelnd wiedererkennen, schon Klischees oder sind sie es nicht? Was sind Klischees überhaupt?
Es ist schwierig. Ja, es ist wirklich nicht einfach, Länder, Landstriche, Kulturkreise oder einfach nur eine größere Gruppe Menschen mit einer Beschreibung zu umkreisen, ohne sich dem Vorwurf des Pausschalisierens auszusetzen. Und dabei meinen wir es alle so gut.
Was habe ich aufgepasst. Aufgepasst, um nichts unpassendes aufzugreifen, das vermeintlich passte.
Aufgepasst, um niemandem auf den Schlips zu treten und schlussendlich auch aufgepasst, um Bevölkerungsgruppen nicht in irgend einer Art und Weise Unrecht zu tun, was ja schlimm wäre. Oder um sie alle nicht in einen Topf zu werfen. Fast genauso schlimm.
Doch ich bin voller Klischees. Sie stappeln sich aufeinander, verschieben sich ständig, spielen Mosaik mit meiner Vorstellungskraft. Ich habe Bilder im Kopf; ganz viele Bilder. Und ich liebe diese vereinfachenden Vorstellungen, an denen ich mich entlang hangle, ehe ich losziehe und meinen Sehnsuchtsort so richtig gut kennenlerne. Oder so gut es eben in drei Wochen geht.
Meine Reisen führen mich überallhin in meine Sehnsuchtsländer, doch meine Bilder und Gedanken sende ich voraus. Um die Ferne auszukundschaften. Um vorzufühlen, wie das so ist. Und diese Gedanken sind voller Vorurteile. Und lange Zeit schämte ich mich dafür.
Ich glaubte lange Zeit nicht an Klischees, bis ich eine erstaunliche Entdeckung machte: je mehr ich reiste, umso mehr davon fand ich tatsächlich wieder. Die meisten meiner Vorstellungen haben sich auf meinen Reisen bestätigt. Doch nicht nur das, da ist noch mehr: ich finde immer auch Parallelen, ich finde eine parallele Welt, die so gar nichts mit meinen inneren, bunten Bildern zu tun hat. Die in keinster Weise dem Klischee entspricht. Und auch diese, die parallele Welt ist ein sehr realer Teil des Ganzen.
Nepalesen tragen Lasten auf dem Rücken und die Frauen leuchtend bunte Sari? Check – bestätigt. Doch gleichzeitig sind da die Geschäftsmänner, die womöglich noch nie eine größere Last trugen als ihre Essenstasche. Da sind die Mädchen, die in den schickeren Teilen von Kathmandu im Kleid und Pumps ausgehen.
Nepal ist schmutzig, laut und hektisch? Check – das ist es. Doch auch hier gibt es schöne Gärten und ruhige Ecken.
In Afrika rennen einem lachende und rufende Kinder hinter dem Auto her? Wohl eine der schlimmsten Klischees, da es den gesamten Kontinent umfasst und somit so nicht richtig sein kann. Che… ähm, nein, halt, nicht bestätigt – zumindest nicht in Namibia, wo ich war und welches nur einen Teil des riesigen Kontinents wiedergibt. Man kann nicht sagen: ich habe ein Land gesehen, ich habe Afrika gesehen.
Was meinen wir, wenn wir sagen: etwas ist so und so und nicht anders? Sind es Tatsachenberichte oder viel zu oft nur die Bilder in unserem Kopf, die uns zu unserem vermeintlichen Urteil verhelfen? Ist es fair, allgemeine Aussagen zu treffen, die, auch wenn sie auf den Großteil bestimmter Menschengruppen zutreffen, doch gar nicht auf alle zutreffen können?
Spoiler: nein, mit Sicherheit ist es das nicht. Doch jeder hat sie, die kleinen, bunten Bildchen. Und das mit den Klischees funktioniert auch inbeide Richtungen: die Leute aus dem Westen sind reich und haben Geld. Leute aus dem Westen? Woher: aus Deutschland, Polen, USA oder Russland? Kann man das so genau sagen?
Was ich also mit meinen textlichen Ergüssen sagen will, ist folgendes: Klischees sind nicht schlimm. Es ist nicht schlimm, dass man sie hat. Man darf sie haben und man darf sie sogar äußern – kritisch wird es erst, wenn man seine eigenen Klischees für die absolute Wahrheit hält und nicht bereit ist, auch nur den Hauch einer anderen Ansicht in seine Nähe zu lassen. Kritisch wird es, wenn man glaubt, etwas genau zu wissen und unbelehrbar bleibt, denn dann entsteht aus den Klischees etwas viel Schlimmeres: dann entstehen Ressentiments.
Und es bleibt schlussendlich jedem selbst überlassen, sich nicht von allem, was die Menschen sagen, betroffen zu fühlen, wenn es denn nicht zutrifft. Jemand äußert ein Klischee, das aber nicht auf mich passt? Na wunderbar!
Wenn ich nicht betroffen bin, dann schüttle ich mich kurz und gehe weiter. Oder fühle mich bestenfalls gar nicht erst angesprochen… Denn man kann den Menschen nicht ihr buntes Kopfkino nehmen. Man kann ihnen auch nicht untersagen, diese zu äußern. Man kann, wenn überhaupt, mit sich selbst uns seinem Verhalten als Beispiel dafür sorgen, dass Vorurteile abgebaut werden (siehe auch: „Ja, ich habe Vorurteile“).
Aber warum stehe ich nochmal so sehr auf Klischees, auch wenn sie nicht fair sind und nicht immer passen?
Ganz einfach: weil sie bequem sind. Sie sind besser als ihr Ruf, denn sie füllen den Geist, zumindest vorübergehend, statt ihm einer weißen Leere zu
überlassen. Wissen wir zu wenig, dann suchen wir uns in unseren Gedanken Fragmente dessen, was wir glaube zu wissen. Mit Vorsicht genossen kann so etwas durchaus hilfreich sein. Wir malen uns Bilder, bauen uns Luftschlösser. Nur um sie, wenn sie auf die Realität prallen, auch wieder zerstören zu lassen. Ich liebe es, auf jeder einzelnen Reise meine Klischees aus der Tasche zu holen und zu schauen, ob sie tatsächlich stimmen. Dazu gehört jedoch die Bereitschaft, das jeweilige Land auch so sehen zu wollen wie es ist, nicht nur nach dem zu suchen, das wir zu finden hoffen.
Manchmal sind die Dinge so – und manchmal völlig anders. Und manchmal sind sie beides.
Das gleiche betrifft Menschen. Gedanken und Wertvorstellungen fließen ineinander über, denn gleichermaßen könnte ich auch einen Text über die Authentizität schreiben.
Was ist authentisch? Ist authentisch das, was wir suchen und finden und was den Vorstellungen in unserem Kopf entspricht? Ist authentisch die Bestätigung unserer Klischees, Ist es das Gegenteil davon? Ist authentisch gleichbedeutend mit „ärmlich“? Ist es Folklore? Ist ein Vorort authentisch, abseits der Sehenswürdigkeiten? Ein Dorf? Sind Menschen, die in touristischen Gegenden leben und vorzugsweise mit Touristen arbeiten, nicht authentisch genug? Sind sie nicht Teil des Landes?
Fragen über Fragen. Klischees sind wie Salz in der Suppe. Jeder hat sie, jeder verfällt ihnen ab und zu. Manchmal finden wir sie bestätigt, manchmal nicht. Viele haben Angst, sie zu äußern.
Klischees sind mit Vorsicht zu genießen. Sie können abwerten, sie können verletzten. Und sie können stimmen. Niemals betreffen sie eine Gesamtheit der Bevölkerung. Manchmal sogar nur einen kleinen Teil.
Nicht schlimm, wenn man sie hat. Doch sollte man immer das große Ganze sehen, sich öffnen und bereit sein, umzudenken, Neues anzunehmen.
Einen wundervollen Beitrag zum Thema authentisches Reisen, der ein wenig die Klischees und ein wenig die Vorurteile behandelt, schrieb Igor auf seinem Blog „Sara & Igor“. „Authentisches reisen: Alles bloß Quatsch?„, fragt er sich und den Leser. Denn kann man in seiner kurzen Zeit vor Ort die Komplexität eines Ortes, seiner Kultur und seiner Menschen entdecken?
[…] Als Beitragsbild (ganz oben) ein schönes „Von-hinten“- Foto vor einer mediterranen Kulisse (in Barcelona aufgenommen) und dazu dick Filter – man möge mir verzeihen, doch es hat mich in den Fingern gejuckt ? Ein bisschen Klischee muss sein. Siehe auch: „Warum ich auf Klischees stehe…“ […]