Es ist so schön und klein, gemütlich und stimmungsvoll, dass ich erst einmal stehen bleibe und beobachte. Beobachte die kleine Wunderwelt, in der Weihnachtslieder noch von Kindern gesungen werden, in der die süßen Kleinigkeiten in den Holzbuden zum großen Teil noch von Hand gemacht sind und in der es keinen Platz gibt für touristischen Nippes, „Last Christmas“ und Currywurst. Und gleichzeitig werde auch ich von einem lachendem Augenpaar beobachtet…
Bernkastel-Kues ist ein süßes, mittelalterliches Städtchen an der Mosel, circa vierzig Kilometer von Trier entfernt. Als ich über die Brücke laufe, die die Neustadt mit dem mittelalterlichen Stadtkern verbindet, versinken die Mosel und die umliegenden Weinberge im Nebel. Schwache, fahle Lichter der Schiffe irren über dem Wasser und in der spiegelglatten Oberfläche zeichnen sich die Umrisse der Stadt ab.
Es ist windstill, der Fluss bildet an dieser Stelle einen fast perfekten Spiegel. Und es ist eiskalt; ich ziehen den Mantel enger und stecke die Hände in die großen Ärmel. So eingemummelt folge ich den Menschen in Richtung Altstadt.
Ein ganz kleiner Marktplatz umgeben von Lichtern und den schönsten Fachwerkhäuschen. Es sind vielleicht fünf kleine Holzbuden, die allesamt Sachen wie Kerzen oder geschnitzte Figürchen verkaufen.
Eine Schar Kinder singt Weihnachtslieder auf Französisch und eines der Fachwerkhäuschen ist ein überdimensional großer Adventskalender. Entzückend! Die kleine Stadt hat mich schnell in ihrem Griff.
Ich beobachte das Geschehen eine Zeit lang von einer Ecke des Platzes aus und versuche, mich satt zu sehen. Langsam trete ich einen Schritt zurück, dann noch einen, um einen guten Blick auf das Ganze zu bekommen. Doch hinter mir wartet schon eine nächste Kuriosität: das schmale, schiefe Fachwerkhaus, in dem heute ein Lokal untergebracht ist.
Die „Weinstube Spitzhäuschen“ im 15 Jahrhundert erbaut, wirkt auf den ersten Blick mit ihrer leichten Schräglage so, als würde sie den nächsten, stärkeren Windstoß nicht überstehen. So müssen die erträumten Knusperhexenhäuschen der Gebrüder Grimm wohl ausgesehen haben. Doch die schmale, schiefe Form überstand schon einige Jahrhunderte.
Die Bauweise ist wohl der Grundsteuer geschuldet, die früher auf die bebaute Fläche erhoben wurde, nicht jedoch auf die einzelnen Stockwerke. So wuchsen die Gebäude auf engstem Raum in die Höhe, was man auch in weiteren Bereichen der Altstadt sehen kann, wo in der Höhe Wand an Wand, Dach an Dach stößt und so ein tolles, mittelalterliches Ambiente zaubert. Das schöne Fachwerk, der Inbegriff der Mosel-Romantik.
Dann lasse ich mich auf den schönen Weihnachtsmarkt ein. Doch so klein, wie auf den ersten Blick gedacht, ist er gar nicht, denn die engen Gassen führen mich weiter, vom Markt weg und in den Bauch der Stadt. Und siehe da, hier sind noch mehr Buden, hier gibt es Süßigkeiten und einen Glühweinstand.
Ich stehe da und genieße. Lausche der Weihnachtsmusik. Von irgendwoher dringen Weihnachtslieder an meine Ohren, deutsche Weihnachtslieder, nicht der sonst allgegenwärtige, amerikanisierte Kram. Noch sind nur wenige Besucher hier und die Verkäufer frieren und langweilen sich in ihren Häuschen, während ich versuche, meine Augen zu füllen. Ich bin so verzaubert, dass es mir egal ist, wie sehr ich friere. Und es ist wirklich kalt.
Doch nicht alle langweilen sich nur vor sich hin, eine Verkäuferin schaut immer mal wieder zu mir rüber, anscheinend begeistert und amüsiert von meiner Begeisterung. Und meine Hände frieren schon wieder, ich glaube, ich hole mir jetzt ein Glühwein.
Den Glühwein gibt es als Riesling oder Dornfelder für soziale 2,50 Euro. Es handelt sich um echten Winzerwein; hier an der Mosel wird kein Fusel verkauft, man hat es nicht nötig. Und das schmeckt man auch. Ich schwebe von Stand zu Stand und bewundere die vielen, geschnitzten Kleinigkeiten, die Weihnachtswichtel mit roten Mützchen, kleine Renntiere und was es nicht alles gibt. Der Großteil ist tatsächlich selbstgemacht, sagt mir die Dame, die mir noch eben so amüsiert zuguckte. Später entdecke ich an dem einem oder anderen warmen Schal das Etikett made ich china – na ja, auch die schönste Traumwelt bekommt irgendwann mal Risse.
Eine der schmalen Straßen führt mich hinaus, und über eine Treppe erreiche ich die Weinberge. Der Trubel des Geschehens liegt jetzt unter mir und hier oben ist kaum jemand zu sehen. Ein Paar verschwindet in einem der Häuser.
Dichter Nebel legt sich über die kahlen Weinhügel, von den Reben sind nur noch nackte Stängel zu sehen. Hier geht es nicht weiter, es geht nur zurück. Wieder unten, mitten im Trubel. So langsam füllt sich der Weihnachtsmarkt. Der Abend hält seinen Einzug, das Licht des Tages verschwindet und die vielen, kleinen, warmen Lichter kommen zur Geltung.
Am Marktplatz wandert ein Nikolaus mit Rauschebart und hoher Mütze durch die Menge, umgeben von begeisterten Kinderscharen. Ich drücke mich durch die Gassen der Altstadt, denn der Weihnachtsmarkt führt mich weiter und weiter. So verwinkelt, das alles. Irgendwann komme ich an der Brücke wieder raus, die über die Mosel führt und die Altstadt mit der Neustadt verbindet. Es wird Zeit, nach Hause zu fahren.
Der Glühwein hat meinen Kopf endlich freigegeben und ich habe noch einen langen Weg vor mir…