Colonia Güell
Fast schon organisch sieht es aus, bemerkt Stefan. Wir stehen vor den Toren der Krypta, betrachten das Bauwerk zunächst aus der Ferne. Ein Mädel sitzt am Eingang auf einem Klappstuhl, kontrolliert die Tickets. 8,50€ pro Person kostet der Eintritt in die unvollendete Kirche, der Rest der Siedlung ist frei zugänglich. Doch ist die Krypta der Grund, warum ich erst hierher gekommen bin.
Ich weiß, was er meint. Gaudis Kunst hat auf den ersten Blick scheinbar keine Struktur, scheint in seiner Form aus der Fantasie heraus zu wachsen. Die Formen sind willkürlich, fließend, wirken im ersten Moment nicht durchdacht. So auch der Bau vor uns; die Krypta sieht mehr aus wie etwas natürlich gewachsenes denn ein von Menschen errichtetes Bauwerk.
Bunte Fensterrosetten, kleine, glitzernde Steinchen und Glasstücke zieren von außen den Bau. Wir haben Glück; so am frühen Morgen sind wir fast alleine da, abgesehen von der Reisegruppe, die vor der Kirche sitzt und dem Guide, der energiegeladen auf sie einredet. Irgendwo stand, man solle sich bei der Besichtigung der Siedlung einen Audio-Guide gönnen, doch ich könnte es nicht haben, dieses ständige Gequatsche am Ohr. Ich lasse die Dinge zuerst auf mich wirken, alleine und in aller Stille – die Infos dazu hole ich mir davor oder hinterher. Wir nutzen den Moment, da die Gruppe noch draußen sitzt und betreten die Kirche.
Nur wenige Menschen sind drinnen. Das Innere von Gaudis Kunstwerk ist ein Kontrast zwischen groben, behauenen Betonsäulen und filigranen Details; in das kalte, dunkle Innere fällt buntes Licht und die Rosettenfenster sehen aus wie ein Mandala, das ein Kind im Kunstunterricht malen würde. Das bunte Glas strahlt in der Sonne in allen Farben. Das Ganze hat nur bedingt die Atmosphäre einer Kirche, mehr fühlt es sich wie in einem Atelier an.
Selbst die Sitzbänke haben eine verspielte Form, die Weihwasserschale am Eingang ist eine riesenhafte Muschel und eine Treppe führt auf der einen Seite hoch und hinter dem Altarraum. Dort erwartet mich eine weitere Überraschung: es gibt auch hier Bänke zum Sitzen, anscheinend ist es vorgesehen, dass sich Besucher bei einem Gottesdienst auch hier niederlassen können. Außen führt eine Treppe sogar ganz nach oben aufs Dach, denn das Dach der Kirche ist ungewöhnlicher Weise eine weitläufige Terrasse. Um uns herum erstreckt sich ganz viel Grün; die Colonia Güell ist nicht nur Siedlung und Wohnfläche, sondern auch ein Ort zum Spazieren und entspannen.
Colonia Güell ist eine ehemalige Arbeitersiedlung von 1890. Damals noch waren Fabriken und Arbeitervierteln im Zentrum Barcelonas angesiedelt, damit verbunden war eine Wohnungsknappheit und schlechte Lebensverhältnisse der Arbeiter. Das mündete in vielen Spannungen und Aggressionen und die Befürchtung vor Tumulten war groß. Um dem vorzubeugen und gleichzeitig seinen Angestellten bessere Wohn- und Lebensbedingungen zu ermöglichen, verfolgte Eusebi Güell einen geradezu fortschrittlichen Gedanken: er lagerte seine Textilfabrik aus und legte circa 15 Kilometer von Barcelona entfernt eine Wohn- und Arbeitersiedlung an.
Das Ziel war es nicht nur, Wohnraum anzubieten, sondern auch mehr Lebensqualität; so besaß die Siedlung eine Schule, eine Kirche, Kultureinrichtungen wie ein Theater, Grünanlagen und günstige Einkaufsmöglichkeiten, schlicht alles, was so ein kleiner Ort braucht, um ein angenehmer Lebenspunkt zu sein.
Dieses Konzept war für die damalige Zeit sehr innovativ, und Güell ging weiter: für den Bau der Kirche beauftragte er seinen Freund, den berühmten Künstler Antonio Gaudi. Doch Gaudi beendete den Bau seiner Kirche nicht, die Gründe dafür sind bis heute nicht bekannt.
Vielleicht lag es an der plötzlichen Krankheit Güells und daran, dass sein Sohn das Projekt laut einigen Angaben nicht weiter finanzieren wollte. Oder daran, dass Gaudi kurz daran den Auftrag für das Giga-Projekt Sagra da Familia erhielt. Wie dem auch sei, an der Krypta mit ihren farbenfrohen, großen Fenstern, die mit dem Licht spielen, kann man schon die Ansätze für die späteren Formen von Sagra da Familia erkennen.
Später gehen wir durch die Siedlung und schauen uns die Häuser an. Sie ist im Modernisme erbaut, einer Unterart des Jugendstils – es dominiert viel heller Backstein und eine schnörkellose Bauweise. Jede Familie hatte ein komfortables Einfamilienhaus zur Verfügung. Noch immer ist die Siedlung kein toter Ort, es wohnen noch immer rund 800 Menschen hier. Blumen blühen in Blumenkästen, Wäsche hängt an der Leine, einige Bewohner sitzen in der Bar an der Ecke und lassen stoisch die Horden an Reisegruppen über sich ergehen. Ich wollt mit ihnen nicht tauschen.
Am Fernsehturm
Anschließend fahren wir zum Barcelonas Fernsehturm, einem Aussichtspunkt mit Blick auf die Stadt und das Meer. Es gibt einige solcher Ausblickpunkte, denn Barcelona ist von Hügeln umgeben; einer davon ist zum Beispiel der Parc Montjuic, wo eine Seilbahn hochfährt, doch bietet der in erster Linie einen guten Blick auf Barcelonas Hafen.
Ein Problem kann es sein, an einem Samstag Nachmittag einen freien Parkplatz zu finden, denn es gibt hier am Fernsehturm den Tibidabo-Vergnügungspark und auch die Idee, diesen Ort aufzusuchen, ist kein Geheimtipp mehr. So fahren wir einmal mehr an einem vollen Parkplatz vorbei, wo zwischen Bussen, Motorrädern und Autos kein Eckchen mehr für uns frei ist. Als wir einige Kilometer weiter wenden und nochmal schauen, haben sich die Mopedfahrer verabschiedet und wir können parken.
Der Ausblick ist grandios, reicht über die ganze Stadt. In der Ferne ist ganz klein die Sagra da Familia zu erkennen, hinter den Häusern der Stadt erstreckt sich dunkelblau das Meer, die Horizontlinie ist vom Dunst bedeckt. Wir sitzen im Schatten und beobachten neidisch die Einheimischen mit ihren Lunchpaketen; der Ort ist nämlich auch eine schöne Stelle, um hier zu picknicken.
Da ist er wieder, der kleine Hunger. Doch dazu muss ich ein bisschen was schreiben.
Spanien und der Kleine Hunger
Dass Spaniens Küche sehr fleischlastig ist, das wussten wir schon vorher. Doch hatten wir heimlich auf ein wenig mediterrane Verspieltheit gehofft, so wie man sie von Italien und Griechenland kennt. Hier in Spanien (zumindest demnach, was wir so in Katalonien beobachten können) wird unter anderem viel Gegrilltes, Gebratenes und Frittiertes serviert. Sehr lecker fand ich in unserem Hotel die Tostada, ein frisch gemachtes Tomatenpüree mit Olivenöl. Dazu wird getostetes Brot gegessen; lecker, vegetarisch und gesund.
Das erste Lokal, das wir auswärts besuchen, haut uns geschmacklich nicht vom Sockel. Vielleicht haben wir einfach nur kein Glück, oder einfach ganz andere Erwartungen. Ich weiß es nicht, doch auch im nächsten Lokal am zweiten Tag wiederholt sich der na-ja-Effekt.
Es ist das Gleiche wie beim ersten Mal – Vorspeise top, Hauptgang, na ja… Zudem muss ich sagen, dass wir gezielt Lokale wählten, wo auch Einheimische essen und wir uns ziemlich sicher sind, dass es sich hierbei nicht um Lockvögel handelte. Jedenfalls, so kommt es, dass wir nun ein wenig mit der hiesigen Küche fremdeln und beschließen, etwas Abwechslung in unsere kulinarische Auswahl zu bringen: wir fahren zu Burger King…