“Ihr Flug ist überbucht.“ Spricht die Stimme über uns. Das ist uns nichts Neues, denke ich, während wir zusammengekauert seit circa einer Stunde am Gate sitzen und warten, warten darauf, dass die Sonne untergeht (nein, eigentlich nicht, denn da wollten wir schon längst in der Luft sein…), warten auf besseres Wetter, warten darauf, dass sich endlich etwas tut.
Besorgt beobachte ich, wie einzelne Passagiere an den Schalter gebeten werden und habe noch die erschreckenden Bilder im Kopf, wie vor einiger Zeit Fluggäste einer gewissen US-Airline aufgrund von Überbuchung gewaltsam aus dem Flieger geschleift wurden… Doch die Lufthansa geht souverän mit der Situation um und karrt allen Anschein nach eine größere Maschine heran. Was bleibt, ist nur die lange Wartezeit…
Etwa zwei Stunden später als geplant landen wir in der Stadt der Sonne. Diesen Titel hat die wundervolle Stadt vor circa drei Jahren von mir verliehen bekommen, so sehr hat sie mich überrascht mit ihrer schönen, entspannten Atmosphäre. Doch in der Stadt der Sonne herrscht nun dunkle Nacht und nachdem wir draußen auf einem nach Taubenkacke stinkenden Vorplatz unsere Aufwach-Zigarette rauchen, kreisen wir anschließend wie zwei verwirrte Ameisen in der Dunkelheit herum auf der Suche nach unserem gemieteten Auto.
Nochmal zwei Stunden später. Inzwischen stützen wir uns mit den Augenlidern ab, um vor Müdigkeit nicht umzufallen. Die dunklen Straßen sind leer, als wir am Hotel ankommen. An so vieles muss man sich gewöhnen, neuer Wagen, neues Navi, Parkhäuser so eng, dass uns der Schweiß an der Stirn perlt, als wir uns durch die Kurven quetschen. In den Gassen der Vororte weicht Stefan todesmutig den parkenden Rollern aus. „Die Bordsteinkanten hier sind so hoch, dass du jemanden mit erschlagen kannst.“ Ich nicke müde.
Gesegnet seien die Exe-Hotels mit ihrer 24 Stunden besetzten Rezeption (Achtung, unbeauftragte Werbung!), denn so können wir schon kurze Zeit später unsere müden Kadaver ins sauber duftende Bett werfen für ein paar Stunden Schlaf.
Am nächsten Morgen scheint (was sonst…) die Sonne über der Stadt. Die ganze Umgebung sieht freundlicher aus als vorher und vorsichtig steuert Stefan das Auto von der hohen Bordsteinkante herunter und auf die nun vollen Straßen. Und siehe da: was wir in der Dunkelheit nicht erkennen konnten: die Gegend um Barcelona herum ist richtig schön! Städte, Berge und ganz viel Grün, alles mit wärmenden Glanz übergossen. Wie schön doch Spanien ist, kein Wunder, dass alle Welt hierher kommen will. Ich tauche ein, fresse die Umgebung mit den Augen auf. Jetzt sind wieder alle meine Sinne wach, ich will alles sehen und nichts verpassen. Wer würde da schon an Schlaf denken! Wie gut, dass ich mitgekommen bin.
Die Berge sind grün bewachsen, die Vegetation ist üppig. Gärten und Gewächshäuser, dazwischen kleine Orte mit alten Kirchen, die sich perfekt ins Bild fügen. Das Schilf, welches überall in den Straßengräben zu sehen ist, erreicht die beängstigenden Maße einer Scheune und als wir die ersten Palmen sehen, fühlt sich das nach Urlaub an.
Kloster Montserrat
Das Kloster Montserrat, unser heutiges Tagesziel, befindet sich circa vierzig Kilometer nordwestlich von Barcelona entfernt und ist umgeben von Bergen und dem Muntanya Montserrat Naturpark. Schon von Weitem kann ich die hellgrauen, zart wirkenden Basaltspitzen sehen, an die sich in 721 Metern Höhe das sandsteinfarbene Kloster schmiegt wie ein Schwalbennest. Die Basaltblöcke sehen aus wie von Künstlerhand geformt und mit ihrer eigentümlichen Form erinnern sie mich an die Feenkamine in Kappadokien, Türkei. Kurve um Kurve schlängelt sich die Straße nach oben und hinter jeder Kurve kommt uns die charakteristische Form des Berges entgegen.
Eine kleine Zahnradbahn, die Cremarella, fährt stündlich vom anliegenden Ort Monistrol hinauf zum Kloster. Wir halten an Monistrol Villa, wo sich ein Parkhaus und ein großer Busparkplatz befinden. Die Hin- und Rückfahrt mit der Bahn kosten an die elf Euro pro Nase; dafür ist der Eintritt auf das Klostergelände frei. Wir haben noch etwas Zeit, überhaupt scheint hier die Zeit entspannt vor sich hin zu tröpfeln. Zeit genug, den leicht kühlen Wind zu genießen und die grüne Bergbahn zu beobachten, wie sie gerade vom Kloster ins Tal tuckert.
Als wir einsteigen, bringt uns die Bahn gemütlich ruckelnd höher und höher und eröffnet uns immer neue, wundervolle Ausblicke über die grünen Hügel Kataloniens. Und der Blick übers Land wird großartig, wird noch besser, wird grandios. Bis uns die kleine Bahn auf siebenhundert Meter Höhe wieder ausspuckt.
Und da, hoch oben vor der Station bleiben wir erstmal stehen, denn die Augen wissen nicht, wohin sie zuerst schauen sollen. Die Felsen an diesem Ort wirken wie dorthin gegossen, wie erstarrte Lava, die sich zu Säulen formte. Und zwischen diesen Säulen schmiegt sich das Kloster an den Felshang wie ein Ort, den es eigentlich so gar nicht geben dürfte. Wie war es wohl, hier so etwas zu erbauen? Wie hat man damals all das Material in die Höhe geschafft? Das Kloster Montserrat bietet einen sagenhaften Anblick.
Der katalanischer Name „Montserrat“ bedeutet zu deutsch soviel wie: gesägter Berg, was die einzigartige Form der umliegenden Felsformationen wiedergibt. Die Engel selbst, schrieb einmal der Dichter Jacint Verdaguer, sollen den Berg mit einer goldenen Säge zersägt haben, um einem Gotteshaus Platz zu machen.
Das Benediktinerkloster hat seinen Ursprung im 11 Jahrhundert, als zunächst einmal eine kleine Kapelle an diesem Ort erbaut wurde. Dem Bau der Kapelle ging ein Wunder voraus: und zwar soll in den Bergen die Statue der Madonna gefunden worden sein. Die Kapelle wurde zur Abtei, die Abtei zum Kloster. Die Madonna wurde zur Patronin ganz Kataloniens, scharenweise kamen Pilger, um sie zu bewundern. Im 17 Jahrhundert kamen Napoleons Armeen und zerstören das Kloster. Die meisten heutigen Gebäude stammen daher aus dem 19 Jahrhundert, nur die Basilika des Klosters ist älter (16 Jhd.), sie wurde nach teilweiser Zerstörung restauriert.
So kommt es, dass das Kloster Montserrat nicht nur ein touristisches Ziel, sondern zudem noch ein beliebter Wallfahrtsort ist und viele Pilger hierher strömen, um die berühmte Schwarze Madonna zu sehen.
Doch nicht allein des Klosters wegen lohnt es sich, hierher zu kommen; die Umgebung bietet sich an für ausgedehnte Wanderungen. Auch die Höhle, in der das Bildnis der Madonna gefunden wurde, kann erwandert werden und für den müden Wanderer gibt es auf dem Gelände ein, zugegeben, ziemlich schick aussehendes Hostel.
Als sich unsere Augen etwas an den überwältigenden Anblick gewöhnt haben, steigen wir eine steile Treppe auf das Klostergelände hoch. Wir kommen an einem großen, belebten Platz an. Hier ist ein Kommen und Gehen, es werden Selfies gemacht, rechts von uns öffnet sich der Ausblick ins Tal und in die blaue Weite und zu unserer Linken thronen die Felswände wie flüssige, erstarrte Lava, die alles umschließt.
Wir genießen den Anblick. Die Fahrt hat sich gelohnt. Ich weiß immer noch nicht wirklich, wohin ich zuerst schauen soll, und doch habe ich nach einer Weile den Drang in mir, alles zu sehen. Also lasse ich Stefan an der Mauer stehen, den Kopf den grünen Hügeln unten im Tal zugewandt, und gehe weiter das Gelände erkunden, vorbei an einem schönen, schattigen Garten, wo zwischen Säulen und rankendem Grün eine elfengleiche junge Frau sitzt und mit ihrem Selfiestick versucht, verschiedene Posen für ihren sicherlich proppenvollen Instagram Account aufzunehmen. Das bringt mich dazu, den mediterranen Garten links liegen zu lassen und weiter zu gehen.
Die Basilika des Klosters besuche ich dann mit Stefan zusammen: mit sanfter Gewalt kommandiere ich ihn von seinem gemütlichen Treppchen. „Komm, das willst du sehen!“ Unwillig folgt er mir.
Das Innere der Kirche entreißt mir ein kleines „wow“. Das gewölbte Innere des Altarraumes ist mit vielem dunklen Gold gestaltet, doch es wirkt sehr stilvoll, nichts ist hier zu viel. Die gedeckten Farben wirken beruhigend, die goldenen Verzierungen verleihen Glanz. Wir setzen uns in eine der Bankreihen. Im Gegensatz zu manchen anderen Kirchen, die ich schon gesehen habe und die dem Besucher mit Gold und Prunk beinahe die Luft zum Atmen raubten, ist dies hier stilvoll und in sich stimmig. Das Kirchenschiff besitzt eine perfekte, fast vollkommene Symmetrie, die leider durch die anscheinend nachträglich angebrachte Orgel links oben gestört wird. Hinter den Altarraum gibt es einen Durchgang; hier sehen wir Menschen, die anscheinend Schlange stehen, um dorthin zu gelangen. Nun schieben Sie sich vorbei, jeder bleibt einmal kurz stehen. Später erfahre ich, dass sie die Reliquien der Schwarzen Madonna besuchen, ein hölzernes Bildnis, das vermutlich aus den 12 Jahrhundert stammt und bereits häufig erneuert wurde.
Wir sitzen da und lassen das alles wirken. Das machen wir immer so in Kirchen. Erst wenn der erste Drang, alles sehen zu wollen, abklingt, kommt man zur Ruhe. Ich habe dieses Gefühl, dass jetzt genug ist, dass ich alles gesehen habe, möchte aufstehen und weiter gehen. Und auch wenn du diesen Drang verspürst: genau dann ist der Moment, erst recht sitzen zu bleiben. Irgendwann wirst du die Stille in dir fühlen, entspannst dich. Die Stimmen der anderen Besucher werden von den Wänden zurückgeworfen, werden zu einem Flüstern wie in einer leeren Halle voller Geister. Denn du hast längst die anderen Menschen ausgeblendet.
Und verlässt du dann wieder die Kirche, ruhig und in dich gekehrt, dann blendet dich draußen die Sonne.
Boah, Sonne! Nach der schattigen Ruhe des Gotteshauses eine gewöhnungsbedürftige Zumutung. Wir flüchten in einen Seitengang, wo an der Wand unzählige bunte Kerzen flackern. Hier zünden wir ein Kerzchen an und kurze Zeit später sitzen wir auch schon wieder in der Bahn hinunter ins Tal.
Monistrol de Montserrat
An dieser Stelle ist unsere Geschichte jedoch noch nicht zu Ende, auch wenn es vielleicht besser für so manchen von uns gewesen wäre…
Die meisten Besucher, die in die Gegend kommen, besichtigen ausschließlich das Kloster Montserrat. Doch mich interessiert der kleine Ort darunter, denn im beschaulichen Monistrol gibt es ebenfalls ein paar Dinge zu entdecken wie das alte Aquädukt, die Festungsruine Bestorre oder das Fort Gran. Doch zuallerallererst wollen wir etwas essen und so treibt uns der Hunger voran auf der Suche nach einem kleinen, süßen Lokal.
Hinein in den Ort geht es über eine schmale, schattige Gasse, wo wir so ziemlich die einzigen Besucher zu sein scheinen. Die Gasse knickt ab, wird zu einer Treppe und da ist es auch schon, bereits ein paar Meter weiter, versteckt im Schatten einiger gelben Sonnenschirme – unser perfektes spanisches Lokal. Leer bis auf zwei Einheimische, die vertieft in ein angeregtes Gespräch gemütlich ein Gläschen Rotwein trinken. Einheimische in einem Lokal, ein gutes Zeichen. Auch das Essen auf ihren Tellern sieht vielversprechend aus, also suchen wir uns einen Platz unter einem der Schirme und lassen uns nieder.
In Spanien wird, wie in Italien, häufig Menüweise bestellt. Unser Kellner gibt sich die größte Mühe, die spanische Speisekarte für uns zu übersetzen. Die Vorspeise (Pasta) ist sehr lecker. Stefan möchte beim Hauptgericht auf Nummer sicher gehen und bestellt irgend etwas mit „Pork“. Kannste nix falsch machen? Denkste. Mein Liebster hat aus Versehen gelierte Schweinefüße bestellt…
Zu jedem Menü gibt es hier je eine Flasche Wein und eine Flasche Wasser dazu. Der etwas irritierte Stefan googelt gleich mal: Promillegrenze in Spanien…
Der Wein ist lecker. Da man guten spanischen Wein nicht verschwenden darf, wird die Flasche leer. Da einer von uns beiden als Fahrer fungiert (Stefan…), bleibt der Großteil des Weines naturgemäß an der nicht fahrenden Begleitung hängen. Und die anschließend geplante Ortsbesichtigung setzen wir danach aus…