Barcelona, Juni 2016
Diese Nacht schlafe ich besser als die letzte. Doch mit dem frühen Aufstehen ist es trotzdem so eine Sache. Pünktlich morgens um acht stellt mein Körper alle Schalter auf „on“ und sagt: Jetzt. (Ein mit mit selbst vereinbartes Soll war für fünf Uhr angedacht 🙂 )
Wir frühstücken oben auf der Dachterrasse, Baguette mit Käse (die Wurstwaren betrachte ich nach wie vor sehr skeptisch). Das Klima hier ist so angenehm, ein schöner, frischer Wind lässt keine übermäßige Wärme aufkommen. Welch ein Unterschied zu Mannheim, wo sich die Hitze aufstaut und sich an solchen Tagen kein Lüftchen rührt! Hier fühle ich mich pudelwohl. Ich nutze die Wärme und laufe barfuß auf den aufgewärmten Fließen herum, es ist, als hätte jemand die Fußbodenheizung eingeschaltet. Die Terrakottafliesen speichern die Wärme des Tages und bleiben sogar am späten Abend angenehm temperiert.
Gaudi Haus
Für heute ist Sightseeing mit dem Bus geplant. Also fahren wir, wieder mit Rucksäcken gerüstet, mit der Metro zum La Rambla. Diesmal sind keine Musikanten zugehen, nur die gelangweilten Fahrgäste, die, sich an Halterungen festhaltend, mit dem Tempo des Zuges hin und her wippen. Die Doppeldecker fahren unter anderem von La Rambla ab.
Nach dem Erwerb der Karten heißt es erstmal: Anstellen. Im Minutentakt kommen neue Busse an, füllen sich mit Menschen und fahren wieder weiter, platz machend für den nächsten; und dennoch wird die Schlange der Wartenden irgendwie immer länger. Mitarbeiterinnen der Busgesellschaft, erkennbar an roten T-Shirts mit Logo, kontrollieren schon vorab die Fahrkarten der wartenden Touristen; auch achten sie darauf, dass alles glatt läuft und alle der Reihe nach einsteigen. Wenn der Bus voll ist, heißen sie die Menschen zu warten, so dass zu keinem Zeitpunkt Platzangstgefahr besteht.
Zwischen den Wartenden laufen Zigeunerinnen hin und her; fordernd scheppern sie mit ihren Plastikbechern, in denen das Klappern einiger weniger Münzen zu hören ist, und halten sie den Menschen erwartungsvoll entgegen. In der ganzen Stadt fallen sie mir immer mal wieder auf, sind immer an Orten mit hohem Touristenaufkommen anzutreffen.
Unser Bus kommt und wir steigen ein. Alles drängt nach oben, an die Sitzplätze mit der Rundumsicht. Wir setzen uns in den unteren Teil des Busses, der, fast leer, nur uns allein zur Verfügung steht. Das war um so viel entspannter als oben am Deck um die Sitzgelegenheiten zu kämpfen.
Als wir an einem Gaudi-Haus vorbei kommen, klebe ich förmlich mit dem Gesicht an der Scheibe, so schön sieht es aus… Ich kenne dieses Haus als Motiv meiner Ansichtskarte, doch es nochmal in Wirklichkeit zu sehen ist etwas ganz anderes; wie es zwischen dem Grün der Bäume hervorschaut wie der wahr gewordene Traum eines Menschen, dessen Werke der unendlichen Fantasie eines Kindes entsprungen zu sein scheinen.
Mit großen Augen drehe ich mich zu Stefan um. Ob wir uns das mal aus der Nähe ansehen könnten?
„Hier anzuhalten nur wegen eines Hauses?“ Stefan schaut mich an. Schmollend ziehe ich mich zurück. Unser nächstes Etappenziel ist Sacra da Familia. Ist ja schon gut…
„Deine Unterlippe zieht sich so weit nach vorne, dass sie bald die Busfront erreicht.“ Neckt er mich, nachdem er mich einen Moment lang von der Seite beobachtet hatte. Sehr witzig, ich will das Haus!
Dann, wider Erwartung, steigen wir an der nächsten Haltestelle aus. Erfreut parke ich Stefan in einem Cafe und laufe das Stück bis hin zum Gaudi Haus zur Fuß zurück.
Vor dem Eingang haben sich viele Menschen versammelt, und auch drinnen sind sie bereits eifrig am Besichtigen. Mit entsprechenden Eintrittskarten kann man das Kunstwerk natürlich auch von innen sehen, doch das ist für mich nicht zwingend notwendig. Ich bewundere die Fassade, die kunstvollen Details, die Mosaiken an den Wänden, die Fenster, die aussehen, als wären sie nicht aus festem Material, sondern aus etwas plastischem, schmelzenden geschaffen worden; ein Stil, der vielen Gaudi-Werken eigen ist. Ich staune, fotografiere, verfluche die Menschen, die sich direkt vor meiner Linse postieren, staunte wieder, diesmal jedoch über so viel Ignoranz.
Ich muss zugeben, solche Massen an Touristen können immerzu und überall die Stimmung verderben. Am liebsten hätte ich eine Stadt, Kirche, Kunst… größtenteils nur für mich alleine. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass außerhalb der Saison das Wetter zwar schlechter, doch diese Art Besichtigungen meist stimmungsvoller, tiefgründiger sind und mich auf eine besondere Art und Weise berühren. Ich würde in diesem Zusammenhang gerne noch einmal nach Venedig – in Februar oder März, wenn die Lagunenstadt noch düster und von Nebel durchzogen ist, und die Gassen und Plätze leer sind, keine Spur von Touristen zu sehen ist, nur die Menschen, die wirklich dort wohnen, die dorthin gehören. Zu sehen, wie diese Stadt wirklich ist, wenn sie einem nicht gerade von allen Seiten ausgeleuchtet einem unter einer Glaskuppel auf silbernen Tablett serviert wird.
Ich kehre zurück zu Stefan, der gerade seinen Cappuccino zu Ende trinkt. Danke, Schatz.
Sacra da Familia
Wir steigen in den nächsten Bus ein und fahren zur Sacra da Familia weiter, wo wir dann, genau vor dem riesigen Bau, inmitten von Souvenirshops und Verkaufsbuden wieder ausgespuckt werden.
Da stehen wir nun und studieren das Sandburg-ähnliche Bauwerk. „Es sieht aus wie die spanische Version von Mordor.“ Lacht Stefan. Die Kirche ist unvollendet, es wird seit bereits rund hundert Jahren daran gebaut. Man kann deutlich neue und ältere Elemente ausmachen. Es ist einerseits ein Mix aus Träumen und Inspiration, und doch bildet alles eine harmonische Einheit. Die hohen, spitzen Türme der Kathedrale wirken wie eine Sandburg an den Nordsee. Die Skulpturen sind eckiger, kantiger als man das allgemein von Kirchenkunst her kennt, und einige der kleineren Türme tragen an ihrer Spitze, als Krönung sozusagen, Elemente, die wie Eiskugeln in einer Waffel aussehen und auch in ebensolchen Farben gestaltet sind. Wie Eis in der Waffel an einem warmen Sommertag schimmern sie in Pastellfarben, von rot über grün bis blau, und alles zart und schmelzend (denke ich gerade ein bisschen zu viel ans Essen??)
Gegenüber der Sacra da Familia befindet sich ein schattiger, schöner Park, und in den begeben wir uns jetzt, auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit. Doch das ist nicht so einfach. Eine freie Sitzbank zu ergattern ist ein Gedulds- und Schnelligkeitsspiel, doch ist das einmal geschafft, sitzt man da, abseits von jeglichem Trubel. Wir packen unsere süßen Stückchen vom Lieblingsbäcker an der Ecke aus, die ich heute morgen noch schnell erstanden habe. Das Gebäck ist trocken, aber dennoch sehr süß und schmackhaft, es ist wahrscheinlich dazu geeignet, um es in Tee oder Kaffee zu tunken. Manche der Stücke schmecken nach Schokolade, andere wiederum sind mit kandierten Früchten versehen.
Vor unserer Bank hat sich inzwischen eine kleine Schar Tauben eingefunden, die eifrig alle Krümmel aufsammeln, die beim Essen auf den Boden fallen. Stefan mag keine Tauben, für ihn sind sie wohl mit Ratten vergleichbar. „Die weiße Friedenstaube hätte bei dir aber sowas von Pech gehabt, oder?“ Frage ich ihn jetzt lächelnd.
„Ja!“ Antwortet er voller Inbrunst. Ich grinse und mache die Augen zu.