Europa, Großbritannien

Neal’s Yard – ein Geheimtipp?

Ein vergessener Hinterhof, wo sich Künstler der kahlen Wände angenommen haben. Bunte Häuser, kleine Cafes, Graffiti. Tausendundein Fotografen, deren Blicke aus verrenkten Köpfen die Wände entlang gleiten. Einst als Geheimtipp hinter vorgehaltener Hand weitergegeben, nun tausendfach besucht. Was ist Neals Yard?

Wir verlassen Covent Garden und richten unsere Schritte in die Londoner City. Allein schon ein Spaziergang durch diese Stadt kann als Erlebnis bezeichnet werden. An jeder Ecke entdeckt man Neues, es wird nie langweilig. London lebt und pulsiert, es ist so weit von einem Freilichtmuseum entfernt, so wie es teilweise bei anderen sehr bekannte Städte der Fall ist. Immer, wenn ich an einen neuen, unbekannten Ort reise, habe ich eine bestimmte Vorstellung im Kopf. Ich kann nichts dagegen tun, es ist nun mal so. Und für mich war die City eher eine historische Angelegenheit, London, das waren düstere Gassen aus dem 18 Jahrhundert, wo Gaslichtlaternen flackern und sich der Nebel dick aus der Themse erhebt. Wo Herren in hohen Zylindern dieselben lüften, sobald Damen in der Nähe sind und Jack the Ripper fröhlich seinem Tagewerk nachgeht.

Das historische London habe ich so nicht gefunden, dafür aber etwas viel cooleres, vielseitiges: eine Stadt, in die ich mich verliebt habe und in die ich wiederkehren will. Und es ist nur selten so, dass ich irgendwo wiederkehren will, meist stellt sich sehr schnell das Gefühl ein, alles gesehen zu haben und weiter ziehen zu wollen. Und auch wenn vieles schön ist, was ich so erlebe, so gibt es nur ganz wenige dieser Orte, die diesen gewissen Hunger hinterlassen.

Apropos Hunger, wir könnten was essen. Ein halb zerschmolzenes Eis von Ben & Jerrys muss im Moment dafür herhalten. Wir lassen uns die Sonne auf den Kopf scheinen und gehen weiter, passieren Menschenmassen, die hier unterwegs sind. Ja, die Menschenmassen. Was machen die alle hier? Nicht so wie wir, da reihen wir uns nicht ein, denn wir sind Reisende, keine Touristen, wir wollen alles bitte echt und authentisch auf dem Silbertablett serviert (Achtung, Satire!).

Nein, im Ernst: ich habe kein Problem mit Gedränge, im Gegenteil genieße ich es, zwischen andere Menschen einzutauchen, ihren verschiedenen Sprachen zu lauschen und das Gefühl der Geselligkeit zu teilen. Das letzte, woran ich in solchen Momenten denken würde, wären wohl Anschläge oder ähnliches.

Wir setzen uns mit unserem Eis an eine Fontäne und schauen uns das Treiben an. Es ist eine bunte, skurrile Mischung aus allem: rechts von uns steht Pennywise aus „Es“ und grinst kleine Kinder an, links verteilen Salafisten den Koran und wir schlecken Schokoladeneis mit kleinen Browniestückchen drin und die Sonne scheint uns auf den Kopf. Das hat schon etwas vom perfekten Augenblick.

Auf der anderen Seite der Fußgängerzone reihen sich die Souvenirshops aneinander. Hier ist es das London, das wohl die meisten Menschen sehen, wenn sie ihre Hop-on Hop of Busse verlassen. Die haben alles; T-shirts, Tassen, Schlüssenanhänger, all den Kram, den ich nicht brauche. Ich habe mir ein bestimmtes T-shirt in den Kopf gesetzt, eines mit einem „Underground“-Schriftzug und dem Zeichen der Londoner Metro. Das gibt es aber nicht in Damen-Passform – pah, dann kauf ich eben nichts.

Ein Stückchen weiter gibt es wieder Street-Künstler. Ein paar davon verbiegen sich gerade halbnackt beim Breakdance. Und sie sind auch verdammt gut, sie berühren kaum den Boden. Also ich liebe ja Straßenkünstler, sie erfüllen die Städte mit Leben, verleihen ihnen Flair. Habe ich erwähnt, dass London hoch qualifizierte Straßenkünstler hat?

Doch auch hier sind viele Obdachlose zu sehen, gleich hinter der Hauptstraße im nächstgelegenen Park um die Fontäne herum sitzen sie mit ihren Wägelchen. Ja, die Menschen lassen sich nicht in den Hintergrund drängen, sie sind immer da, immer präsent und sie sind gefühlt viele. Irgendwann wird die Regierung da etwas unternehmen müssen. Armes, reiches London.

Irgendwann ziehen wir weiter. Entfernen uns von der belebten Straße, versinken wieder in weniger besuchten Vierteln. Entdecken – wieder einmal – ein sehr cooles Viertel, wo scheinbar nur wenige Besucher sich verirren. Man muss immer wieder mal den Mut haben, in London versinken zu wollen, schon ist die Stadt plötzlich gar nicht mehr so überlaufen.

Wir laufen durch alternativ angehauchte Gassen, an alternativ angehauchten Lokalen und Shops. Irgendwas mit Harry Potter schwirrt an uns vorbei – wer Fan ist und Interesse hat, hat die Möglichkeit, in London die Filmstudios zu besuchen. Wie gesagt, wer Fan ist. Ich bin ja lieber für Jack the Ripper.

Wir entdecken auch Chinatown. Entschlossen ziehen ich meine Freundin da hinein. Wieder eine neue Facette vom facettenreichen London, ah ich liebe es. Doch Chinatown ist gar nicht so weitläufig, es besteht eigentlich nur aus einer langgezogenen Straße, entlang welcher sich das Leben sammelt; die Essensgerüche ziehen an uns vorbei und überall wird exotisches Essen angeboten, kleine Snacks, die ich nicht kenne und die ich noch nie gesehen habe.

Dann sind wir auch schon wieder draußen. Ein Obdachloser spricht uns an und will zwei Pfund von uns haben. Doch interessanterweise läuft er danach nicht gleich wieder weg, nein, nachdem er seine zwei Pfund bekommt, hält er mit uns noch einen netten Plausch.

Und meine Freundin wird zunehmend mutiger. Todesmutig stürzt sie sich auf die belebten Straßen, durchquert rote Ampeln und steht unseren Londoner Mitbürgern im nichts nach. So schnell nimmt man die Gewohnheiten anderer Länder an, denke ich mir, während ich sie beobachte – nur müssen wir uns diese schnellstmöglich abgewöhnen, sobald wir wieder in Deutschland sind, wo an jeder roten Ampel irgend eine Oma steht und kräht: Die Kinder! Denkt doch mal einer an die Kinder! Über rot gehen is nicht. Nicht bei uns.

 

Neal’s Yard

Den Innenhof entdecken wir nicht zufällig, nein, ich habe im Vorfeld darüber gelesen und führe uns nun hierher. Er befindet sich in einer Seitenstraße in der Nähe vom Cambridge Theater und des Kreisels Seven Dials und eine enge Seitenstraße ist es auch, die man durchqueren muss, um hinein zu gelangen. Neals Yard ist quasi eine schmale Gasse, die sich in einem Innenhof öffnet (das hat Wikipedia sehr schön beschrieben…).

Einst wurde hier Obst und Gemüse für den Covent Garden Markt gelagert, ehe der alternative Aktivist Nicholas Saunders die Gebäude 1976 aufkaufte. Es entstanden ein Kaffeehaus, eine Bäckerei und sogar eine Apotheke. Heute sind verschiedene Cafés und Händler hier angesiedelt. Benannt ist Neals Yard übrigens nach dem Entwickler Thomas Neale, der an verschiedenen Projekten wie Stahlgießereien und Entwässerungsanlagen beteiligt war und die Idee für eine zentrale Landesbank hatte, dem Vorläufer der heutigen Bank of England.

Die „kleine, bunte, versteckte Oase“ ist längst kein Geheimnis mehr, nicht zuletzt dank diverser Blogger und Instagramer, die den Ort noch immer unermüdlich als Geheimtipp vermarkten. Der kleine Innenhof ist voll sowohl von Menschen, die eine Pizza essen als auch von Menschen, die „mal kurz“ hereinschauen, ihre Fotos machen und wieder gehen. So wie uns in diesem Falle. Der bunt gestaltete, blumige Innenhof ist voll von Fotografen.

Doch, obwohl gut besucht, ist Neals Yard dennoch sehenswert. Farbige Wände ziehen sich mehrere Stockwerke in die Höhe, kleine Läden bieten Selbstgemachtes an. Es gibt sogar einen Friseur und im hiesigen Pizzaladen bekommt man angeblich die beste Pizza der Stadt. Und um siebzehn Uhr sind die Schotten dicht, die kleinen Geschäfte von Neals Yard schließen und die Besucher verlassen diesen farbenfrohen Ort. Schade eigentlich, denn gerade abends, wenn alles schließt, soll es hier besonders schön sein, doch auch wir sind müde. Wir bleiben noch kurz auf einen Tee in der nahe gelegenen Marokkanischen Oase hängen und auf einen Absacker in unserem Lieblingspub, bevor wir nach Hause wackeln. Es war ein langer Tag.

Kasia

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