Paris, August 2016
„Wenn du ein ruhiges Plätzchen suchst, dann ist dies hier wohl das falsche!“ Meinte er lachend zu mir während einer seiner Pausen.
„Nein, nein, das hört sich großartig an!“ Antwortete ich, denn in Wahrheit habe ich mich just in dem Moment, als ich ihn spielen hörte, entschieden zu bleiben. Ich saß neben ihm und lauschte. Es war toll, zu sehen, wie man so einen Beat aus ein paar alten Farbeimern und einer Küchenpfanne heraus bekam. Die Menschen blieben stehen mit einem Lächeln im Gesicht. Ein kleines Mädchen löste sich aus der Menge und begann, zur Musik zur tanzen. Sie war vielleicht vier oder fünf Jahre alt; sie warf die Hände nach oben und drehte sich im Kreis.
Ich sah einen Obdachlosen, der die Szenerie beobachtete; sein Gesicht zeigte kaum eine Regung. Er nahm ein Stück weiter Platz, einen kleinen Hund hatte er neben sich. Ich ging zu ihm rüber und schnorrte eine Zigarette. Der Mann gab sie mir; mein Geld wollte er dafür nicht annehmen. „Bist du von hier?“ Fragte ich ihn und setzte mich daneben.
„Ja…“ Nickte er. „Paris… schon immer Paris…“ Doch viel mehr gab das Gespräch nicht her, daher bedankte ich mich und nahm meinen ursprünglichen Platz neben dem Drummer wieder ein. „You have a little dancer!“ Rief ich dem Musiker zu, als er seine nächste Pause einlegte.
„Ja?“ Er drehte sich ungläubig um; ich zeigte auf das Mädchen. „Hier, schau mal.“ Ich stand auf, ging zu ihm rüber und zeigte ihm die Videoaufnahme, die ich von seinem Auftritt mitgeschnitten hatte.
„Oh, das ist toll.“ Sagte er. Auf dem Video wirbelte das kleine Mädchen gerade herum. „Kannst du mir das schicken?“ Er schrieb mir seine E-Mail Adresse auf, wie auch die Website von wetransfer, über die man größere Datenvolumina verschicken kann.
Ich fragte ihn, ob er aus Paris sei. Ja, sagte er mir, er lebe zwar hier in Paris, aber er trat schon mit seinem Projekt street kitchen orchestra in vielen Metropolen der Welt auf. Doch diese Saison seien das hier seine letzten Auftritte dieser Art. Das nächste Projekt dreht sich um Bilder, erklärt er mir. So wie ich das verstanden hatte, ginge es um Bilder, die immer wieder ihre Form verändern.
„Das Musik-Projekt läuft toll.“ Erklärt er mir. Wenn das neue Bild-Projekt gut anläuft, bleibt er dabei; wenn nicht, dann macht er hiermit weiter. Ob man denn davon leben könne, frage ich ihn. Ja, sehr gut sogar; er zeigt mir seine Einnahmen und erklärt mir, dies sei nur die letzte halbe Stunde gewesen.
„Ist das hier deine Hauptbeschäftigung? “ Frage ich erstaunt. „Oder hast du noch einen Job irgendwo?“ Nein, antwortet Alexis, das hier ist das, wovon er lebt. „Manchmal ist es sehr einfach, auf diese Art Geld zu verdienen, doch manchmal läuft es auch weniger gut. So wie jetzt; denn momentan trauen sich nicht viele Menschen bzw. Touristen nach Paris – aufgrund dessen, was so alles in der jüngsten Vergangenheit vorgefallen ist.“
„Doch die Menschen sind fröhlich, ausgelassen; sie lachen, gehen essen, gehen aus… sie machen auf mich nicht den Eindruck, als hätten sie Angst.“ Sage ich. Er überlegt kurz, schüttelt dann den Kopf. „Doch, sie haben Angst. Sie haben Angst, doch sie wollen nicht zu Hause bleiben, sie wollen so leben wie bisher, sich durch nichts einschränken lassen. Entweder wir leben – oder nicht. Wir könnten schon morgen sterben, dass weiß niemand.“ Er fragt mich, was ich so mache. „Ich arbeite in einer Apotheke, aber…“ Ich erzähle ihm von meinem Blog. „Damit könntest du Geld verdienen.“ Sagt er. Doch das sei nicht mehr so einfach. „Du musst etwas sehr spezielles haben.“ Erklärt er mir. „So etwas wie das hier.“ Er zeigt auf seine Instrumente.
„Ich weiß. Ich habe den Blog auch noch sehr kurz.“ Ich komme ins Plaudern. „Ich liebe es, zu reisen und zu fotografieren, und das alles halte ich in meinem Blog fest.“ Ich erzähle ihm, wo ich schon überall war. In Frankreich sei es so, dass man einmal in seiner Berufslaufbahn sechs Monate lang eine Sabbatical-Auszeit nehmen könne, um um die Welt zu reisen, und der Vorgesetzte bezahlt ein Grundgehalt in dieser Zeit. In Frankreich sei so etwas gang und gäbe, ein Freund von ihm sei gerade auf einer solchen Reise. Ich schaue neidisch auf: „Ja… in Deutschland ist so etwas theoretisch auch möglich, aber…“ Ich stellte mir gerade vor, wie ich Herrn Simon nach einem halben Jahr bezahlten Sabbatical frage und ein Grinsen huschte mir übers Gesicht. Ich seufze. Träumen kann so schön sein.
Ein Kumpel gesellt sich zum Alexis und reicht ihm eine Dose Bier; es wird lebhaft französisch gesprochen. Ich bediene mich an der Bierdose und nehme einen tiefen Zug. „Ja, darfst du gerne.“ Alexis lacht. Ich schreibe ihm die Adresse meiner Homepage auf. „Aber die Website ist auf deutsch, du wirst sie übersetzen müssen.“
„Ah, eine gute Gelegenheit für mich, deutsch zu üben.“ Sagt er. Wir verabschieden uns und ich setze meinen Weg in Richtung Notre Dame fort, wo ich anschließend an einer ergreifenden Zeremonie teilnehmen sollte.
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