Wenn man einen gemeinsamen Urlaub plant, ist einige Kompromissbereitschaft vonnöten. Vor allem dann, wenn die eigenen (Reise)Vorstellungen um einiges von denen der Reisebegleitung abweichen. Da kochen Emotionen hoch, da sind größere und kleinere Katastrophen vorprogrammiert.
Ist man zudem noch mit einem Menschen das erste Mal zusammen unterwegs, kommt das als Faktor erschwerend hinzu. Als ich mit meiner Freundin im Wohnzimmer ihrer Eltern sitze, den Laptop auf dem Schoß, und bereits leicht irritiert diverse Buchungsportale durchgehe, wird mir das immer klarer.
Mit einer vagen Idee gingen wir an diese experimentelle Expedition heran und die anfängliche Übereinstimmung, die wir dabei hatten. Wie ich möchte auch sie vieles sehen und ihr ist, wie auch mir, die Art der Unterkunft so ziemlich zweitrangig – zumindest war das im Vorfeld meine Info. Das mit der Unterkunft stellte sich jedoch als eine aus ungenauer Absprache resultierende Fehlinformation heraus.
Nun sitze ich etwas entnervt da mit meinem Laptop auf dem Schoss, denn es stellt sich bereits bei der Planung heraus, dass unsere Vorstellungen an einigen Stellen so ziemlich auseinander driften. Während ich gerne in Hostels wohne und es lieber zentral habe, um ohne Umwege am Punkt des Geschehens zu sein (zum einem bieten Hostels eine wunderbare Möglichkeit, Menschen kennen zu lernen, zum anderen spart man Geld), sind gemeinsame Schlafsäle nicht jedermanns Sache, was ja soweit auch okay ist. Der Schlaf an sich ist für meine Begriffe etwas sehr intimes und mit fremden Menschen in einem Raum aufzuwachen, auch daran musste ich mich gewöhnen.
Also schaue ich mich nach einem Hostel mit Einzelzimmern um, werde dabei auch fündig. Komfortabel, günstig, zentrale Lage, Frühstück, wunderbar. Schnell stoße ich auf Widerstand, denn ein gemeinsam genutztes Bad ist nicht jedermanns Sache. Also suche ich weiter.
Und hier zeigen sich die unterschiedlichen Erwartungen an diesen Urlaub. Denn während für mich der Flug nach Großbritannien eher ein Kurztrip ist, stellt er für meine Freundin den Jahresurlaub da. Klar, dass sie da ihre eigenen Vorstellungen hat. Ein richtiges Hotel sollte es sein, zweitrangig, wie teuer, und das Gemeinschaftsbad eines Hostels kommt für sie nicht in Frage. Ich dagegen bin nicht bereit, so viel Geld auszugeben für Dinge, auf die ich kaum bis gar keinen Wert lege. Wir diskutieren. Erste Spannungen entstehen.
Ein Stückweit außerhalb vom Londoner Zentrum entdecke ich eine schön gelegene, günstige Ferienwohnung, die mit einer Terrasse mitten im Grünen in einem ruhigen Stadtteil besticht. Ferienwohnungen jedoch bieten kein Frühstück, dafür viel Platz und eigene, ausgestattene Küchen, wo man sein Essen einfach und schnell zubereiten kann. Das spart Geld und macht flexibler vom umliegenden Angebot an Restaurants und Kantinen, setzt jedoch die Notwendigkeit von Einkäufen voraus, und auch hier sehe ich mich eine weiteren Widerstandsfront entgegen. Es läuft alles auf (k)einen Kompromiss hinaus, denn es gibt auch Dinge, die ich nicht will. Ein All-Inclusive-Hotel will ich nicht.
Es gibt diesen Moment, in dem ich hinschmeißen will. In dem mir klar wird, wie sehr wir uns in der Art zu reisen voneinander unterscheiden. Um die Reise doch noch zu ermöglichen, schlage ich getrennte Unterkünfte vor Ort vor. Daraufhin fließen Tränen.
Nach ein paar Stunden und noch mehr Tränen einigen wir uns schließlich und das Hotel ist gebucht. Es bietet auch kein Frühstück, doch diesmal bin ich clever und zeige meiner Freundin zuerst Bilder der Ausstattung aus dem 19 Jahrhundert. Damit habe ich sie, und das Frühstück spielt mit einem Male so gar keine Rolle mehr.
Das war vor einem halben Jahr in April, und unglücklicherweise mache ich den Fehler, unsere Flüge über Ryanair zu buchen, was einerseits in den günstigen Preisen, auf der anderen Seite in der guten Anbindung an den Airport Stansted in London begründet ist. Inzwischen stehe ich Ryanair sehr kritisch gegenüber, nicht zuletzt aufgrund der Einzelheiten der Arbeitsbedingungen, die infolge der Pilotenstreiks in August 2018 publik geworden waren. Es ist naiv, zu glauben, dass unter der Billigpreis-Politik mancher Konzerne niemand bluten muss, denn der starke Druck der Verbraucher, alles immer billiger haben zu wollen, wirkt sich enorm auf Löhne und die Sicherheit im Angestelltenverhältnis aus. Und das nicht erst seit August und nicht nur da, wo es publik gemacht wird.
Als die Streiks ihren Höhepunkt erreichen und europaweit etliche Flüge ausfallen, bereue ich die Entscheidung, nicht zuletzt, weil die oben erwähnten Einzelheiten zum Beschäftigtenverhältnis der Mitarbeiter öffentlich werden. Doch nun ist es zu spät und ich habe die leise Hoffnung, dass sich die Lage bis September wieder beruhigt, was dann tatsächlich eintrifft – die Gewerkschaften setzen sich mit Ryanair an einen Tisch.
Zwei Tage vor dem Flugtermin kommt von meiner Freundin eine Mail. Für den kommenden Mittwoch, am Tag des Abflugs, ist von den Gewerkschaften ein 24h andauernder, deutschlandweiter Streik des Flugpersonals geplant. Just vorgestern habe ich uns bereits eingecheckt und die Boardkarten ausgedruckt, auch der Transfer von Stansted ist gebucht. Jeej, das wird lustig.
Nach einer kurzen Beratschlagung buchen wir einen Flug über British Airways – zu groß ist das Risiko, dass die Ryanair-Flieger am Streiktag am Boden bleiben. Noch wurden keine Flüge abgesagt, doch ich verfolge ab nun fast durchgehend die neuesten Schlagzeilen. Sollte unser Flug ausfallen, erstattet die Fluggesellschaft kulanterweise die Ticketpreise.
Am Vortag vor der Reise hole ich meine Freundin in ihrer Wohnung in Ludwigshafen ab. Ich bin etwas früher dran, denn ich stelle mich bereits jetzt vorsorglich darauf ein, falls eventuell noch etwas ein- oder ausgepackt werden müsste. Die Gesellschaft British Airways lässt nur Flüge mit zwei Handgepäckstücken zu, alles weitere muss kostenpflichtig eingegeben werden. Auch darf das Handgepäck bestimmte Maße nicht überschreiten. Doch leider werden die Infos von vielen nicht gelesen.
So wundere ich mich kaum, als ich meine Freundin mit ihrem gepackten Koffer sehe. Der Koffer ist viel zu groß.
Sie packt um. Und flattert dabei wie ein aufgeregter Vogel im Wohnzimmer herum. Ich nippe schmunzelnd an meinem Wasser. Als sie fertig ist, hat sie drei kleinere Taschen um sich herum verteilt. Nur leider sind nur zwei Gepäckstücke zugelassen. Als ich ihr das erzähle, folgt weiteres, aufgeregtes Geflatter.
Bei mir zu Hause trinken wir erstmal ein Weinchen. Janine bleibt über Nacht, was Sinn macht bei einem Flug, für den man gegen halb vier aus den Federn fallen muss. Ich versuche, einen neuen Transfer zu buchen, gebe es aber auf. Wir beschließen, vom Airport Heathrow per U-Bahn mithilfe der Oyster Card zu fahren.
Am nächsten Morgen bin ich froh, uns trotz bleiernder Müdigkeit noch am Abend online eingecheckt zu haben, denn ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Der Schlafmangel der letzten Tage, der Stress und die viele Planung machen sich bemerkbar, doch das Nichtvorhandensein vom größeren Gepäck hat seine Vorteile, denn so können wir am Frankfurter Flughafen direkt zur Sicherheitskontrolle gehen.
Während meine Freundin sehr aufgeregt ist, verschlafe ich den Flug. Wieder am Boden begrüßt uns klassischer Weise das typische Londoner Nieselwetter. Am Heathrow Flughafen versuche ich, mich zu orientieren.
Wo kriegt man nochmal die Oyster Card her?
In London gibt es eine ziemlich große polnische Minderheit, auf die wir in den folgenden Tagen immer wieder treffen werden. Das mache ich mir zunutze und spreche zwei Mitarbeiter vom Flughafenpersonal an, die ich soeben noch beim polnisch sprechen erwischte. Diese schicken mich zu dem Kartenautomaten zurück, von dem ich hoffte, dort nicht anstehen zu müssen. Wir laden unsere Oyster-Karten mit je fünfzig Pfund auf und steigen in die Londoner Tube ein – jede U-Bahn Station in London ist mit dem charakteristischen, roten Kreis mit dem blauen Underground-Schriftzug gekennzeichnet.
Die Bahnen fahren alle zwei- bis vier Minuten. Interessiert schaue ich aus dem Fenster. Die U-Bahnstrecke verläuft teils auch oberirdisch und führt uns zunächst durch die ruhigen Vororte Londons, an kleineren Läden und gleichförmigen Backsteinhäusern vorbei, die aussehen wie eine Mischung aus der belgischen und dänischen Bauweise. Die Häuser sind fast alle gleich, wie geklont, ganze Häuserreihen, gar ganze Viertel scheinen ein- und derselben Sandkastenform entsprungen zu sein.
Immer mehr Leute steigen ein und wir drücken die Koffer an unsere Beine, um den anderen Passagieren ein Vorbeikommen zu ermöglichen. Die Haltestellen ziehen an uns vorbei und meine Freundin kommentiert jede einzelne von ihnen. Ich hingegen bin komplett erledigt und kann nur noch nicken. Dass ich in London bin, das hat mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht.
Unsere Endstation ist die Baker Street. Ja, genau – es ist die, in der berühmteste fiktive Detektiv aller Zeiten seinen Wohnsitz hatte. Eine metergroße Statue vor der U-Bahn Station erinnert an die Romanfigur. Einen Katzensprung weiter befindet sich das Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett. Und während wir uns an anderen Menschen vorbei quetschen und uns von den Massen mitziehen lassen, werfe ich immer mal wieder einen Blick auf meine Freundin und denke darüber nach, wie viele Vorteile wenig Gepäck doch hat. Ihre Taschen sind zum Bersten voll und ich frage mich, wie sie ihre Souvenirs da noch unterzubringen gedenkt.
Es ist bereits Mittag. Wir kommen am Sherlock Holmes Museum vorbei, vor dem sich bereits jetzt eine mittlere Warteschlange gebildet hatte. Davon abgesehen ist diese Gegend – es ist der Stadtteil Marylebone – wunderbar untouristisch. Na – bis auf uns.