Das Somerset-Hotel
Unser Hotel liegt buchstäblich zwei Straßen von der U-Bahn Station Baker Street entfernt. Das erste Mal laufen wir an dem unauffälligen Schriftzug vorbei, der sich nahtlos in die anderen Häuserreihen fügt. Auf dem Weg hierher haben wir uns bereits an den vielen typischen Details wie den roten Doppeldeckerbusen und den schwarzen Taxis erfreut (die es übrigens in vielen verschiedenen Farben gibt wie rosa, rot, bunt und lila).
Schon auf den Online-Bildern sah die Inneneinrichtung des Hotels nostalgisch alt aus, doch die Wirklichkeit übertraf das alles noch. Ein alter, weiß gestrichener Kamin, um den sich gemütliche Ohrensessel gruppieren, vermittelt die plötzliche Lust, mit dem Pfeife Rauchen anzufangen. Die goldenen Ornamente auf den rosa Tapeten leuchten im Schein des kristallenen Kronleuchters, der von der Decke hängt; ein paar zerschließene, alte Bücher stehen neben einem vergilbten Globus und auf einem kleinen Tisch steht ein geschwungenes Telefon, mit Wählscheibe und Schnur. Wir haben Watson nur knapp verpasst; es ist, als hinge noch der subtile Rauch der Pfeife in der Luft. So sind wir auch nicht darüber traurig, dass die Rezeption unbesetzt ist und wir in aller Ruhe schauen können.
Auf ein Klingeln hin erscheint ein kleiner, dunkler Mann. Die Zimmer sind noch nicht fertig, erklärt er uns, doch wir können unser Gepäck dalassen, ehe wir wieder losziehen.
Marylebone
Der Express-Bus von Stansted Airport bis hierher hätte direkt vor der Hoteltür gehalten.
Immer wieder sehen wir die eleganten, schwarzen Taxis. Elegante Menschen hechten an uns vorbei, ganz London scheint es eilig zu haben. Niemand schlendert; Gemütlichkeit gibt es hier keine. Es beginnt zu nieseln; ich habe meinen Schirm in der Gepäcktasche gelassen.
Die kleinen Essenslokale sind interessant. An jeder Ecke sehen wir etwas, in das wir potentiell gerne man hinein gehen, das wir ausprobieren wollen, sei es das stylische, marokkanische Cafe, die Eisbude, die kleine große Sünden in Schokolade, Eiskugeln und Brownies verkauft, der Sushiladen oder der Konditor, dessen Törtchen die Auslage fast sprengen. Meine Freundin bleibt lange vor dem Schaufenster des Lavazza-Cafes stehen und späht hinein, um sich ihr Menü für den nächsten Tag zusammen zu stellen. Ein irritierter Barista späht zu uns hinaus.
Das marokkanische Cafe will ich gleich ausprobieren, denn der Hunger macht sich bei mir breit. „Jetzt?“ Fragt meine Freundin. Ja, jetzt. Der Wrap ist köstlich. Wir sitzen drinnen, essen und nippen am leckeren, mit frischer Minze aufgebrühten Tee. Hier in London, das fällt sofort auf, gibt es viele solche Lokale wie pakistanisch, marokkanisch oder libanesisch, doch sie sind sehr modern eingerichtet und sprechen ein breites Publikum an. Bei uns hingegen habe ich den Eindruck, dass sich die oft fast schon aufdringlich traditionelle Aufmachung solcher Lokale hauptsächlich an die eigenen Landsleute richtet. Doch auch die Londoner scheinen hier sehr viel offener zu sein, denn im Lokal sehe ich viele Briten sitzen, die ganz offensichtlich nicht mit der marokkanischen Kultur verwurzelt sind.
Am Eisstand holen wir uns Eisbecher. Die Londoner Eisbecher sind oft von ganz anderem Kaliber als die hierzulande, denn es handelt sich hierbei um wahre Kalorienbomben. So köstlich sie auch sind, ich will gar nicht wissen, wie sehr so ein Teil die tägliche Energiebilanz sprengt. Das Eis wird wahlweise kombiniert mit warmen, zart schmelzendem Schokokuchen und garniert mit einer dicken, klebrigen Soße. Als wir an der Eisbude stehen und unsere Kuchen-Eisbecher essen, sind unsere verzückten Gesichter die beste Werbung für den Laden.
Es ist noch früher Vormittag und wir ziehen schon das volle Touri-Programm ab, mit Taxen fotografieren, rote Telefonzellen fotografieren, Janine an roten Telefonzellen fotografieren, anschließend das Madame Tussauds – und es macht mir erstaunlicher Weise ganz viel Spaß. Die roten Telefonzellen stehen übrigens nicht völlig sinnbefreit in der Gegend herum; jede einzelne Telefonzelle ist ein Wlan Spot, zudem dienen die Türen als Werbetafel für diverse dubiosen Etablissements, davon zeugen die vielen Aufkleber mit mehr oder weniger nackt abgelichteten Damen.
Madame Tussauds
Am Einlass gab es Sicherheitskontrollen – leider etwas Alltägliches in der heutigen Zeit.
Für den Ticketpreis von circa 35 Pfund bekommt der Besucher schön was geboten. Die meiste Zeit bin ich damit beschäftigt, meine Freundin neben diverser Berühmtheiten zu fotografieren. Die Figuren sehen teilweise so realistisch aus, dass der einzige Unterschied zu lebenden Menschen der ist, dass sie nicht den Kopf drehen. Die Räume sind ziemlich voll, viele Besucher schieben sich hier durch, doch das ist noch gar nichts, wie wir ein paar Tage später an einem Wochenende feststellen – da zieht sich die Schlange der Wartenden zwei-zweieinhalb hundert Meter den Bürgersteig entlang.
Meine Freundin verausgabt sich jedoch auch bei den Souvenir-Ständen und auch die diversen Angebote für professionelle Aufnahmen mit der „Königsfamilie“ plus die dazugehörenden Schlüsselanhänger dürfen nicht fehlen; wie gesagt, das volle Touri-Programm. Wir haben Spaß.
Janine schmiss sich in Pose: sie hatte sichtlich Freude daran, sich an die Prominenten zu schmiegen, während ich mehr wie ein Straßenschild daneben stand (siehe auch mein Foto mit Obama 🙂 )
Aber zu einer Attraktion kann ich sie bei aller Mühe nicht überreden, und das ist die Alien-Experience. Die Experiences (Alien, Sherlock Holmes und Star Wars) basieren auf den jeweiligen Filmen. Die Räume sind nach Vorlage der Filme arrangiert und Schauspieler führen den Besucher von einem Raum zum nächsten und lassen ihn Teil des Inszenierung werden. So wird unsere Gruppe bei „Alien“ von einem Raum zum nächsten gejagt und trübe Fenster mit (Kunst)Blutspritzern blenden wahlweise das Monster oder die flüchtende Crew-Besatzung ein (die nach und nach zerfleischt wird). Die Schauspieler sind voll bei der Sache; bei den Besuchern macht sich immer mal wieder Gelächter breit. Für mich ist es eine lustige Show, muss ich aber nicht unbedingt nochmal haben.
Wir gehen weiter, es folgen Politiker- und Star Wars Räume, eine kleine Geisterbahn mit der Geschichte Londons und im 4D Kino lassen wir uns von den Marvel-Adventures mit Lichtstrahlen und Sprühregen beschießen. Ein 4D Kino ist quasi 3D mit zusätzlichen Effekten, zum Beispiel vibriert der Sessel in passenden Momenten mit oder feiner Sprühnebel ahmt aufspritzende Wassertropfen nach. Doch auch die 3D Technik hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht.
Im Politikerraum streckt meine Freundin der Nachbildung Donald Trumps triumphierend die Zunge raus und, nachdem ich ein Foto schieße, kichern wir uns schlapp. Das war mal ein politisches Statement. Doch der Blick um uns herum machte schnell klar, dass die Menschen im Raum eher erstaunt waren. Nicht einer hat mitgelächelt, sei es auch nur leise in sich hinein. Uns schauten unbewegte Gesichter entgegen. Die Briten waren ganz eindeutig „not amused“.
Man sagt den Briten seit langem nach, sie hätten eine eigene Art von Humor, und das mag durchaus sein, denn egal, ob ob man an der Bordsteinkante über seine eigenen Füße stolpert und selbst über sein Missgeschick lacht oder eben eine Aktion bringt wie diese, die Menschen um einen herum sind höchstens erstaunt, verziehen ansonsten aber keine Miene.
Als wir im Hotel ankommen, habe ich einen Tiefpunkt erreicht. Unser Zimmer liegt im vierten Stock über dem Dach. Mit unserem Gepäck, hat alles gut geklappt, das Urvertrauen in die Menschen hatte sich gelohnt und der indische Hotelmanager brachte es unversehrt zurück. Sowohl Janines Geld als auch mein neues Smartphone sind noch da und, oben angekommen, schmeiße ich mich sofort aufs Bett.